Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat die Beschwerde eines Antragstellers gegen die Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus in zweiter Reihe abgewiesen, da die Befreiung von der vorderen Baulinie und die Auslegung des Bebauungsplans nicht gegen seine Nachbarrechte verstoßen. Die Entscheidung bestätigt, dass das Gebot der Rücksichtnahme eingehalten wurde und keine unzumutbaren Einsichtsmöglichkeiten oder eine erhebliche Verschattung durch das Bauvorhaben entstehen.
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Übersicht:
- ✔ Kurz und knapp
- Nachbarschutz beim Bauen in zweiter Reihe: Gerichtsurteil klärt Rechte und Pflichten
- ✔ Der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen: Nachbarrechte beim Bauen
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⬇ Das vorliegende Urteil vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg
✔ Kurz und knapp
- Die Festsetzung einer vorderen Baulinie im Bebauungsplan dient grundsätzlich städtebaulichen Zwecken und hat keine nachbarschützende Wirkung.
- Die Planbegründung enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die vordere Baulinie im konkreten Fall nachbarschützend sein sollte.
- Auch aus dem Planungskonzept ergeben sich keine Hinweise darauf, dass nur ein Hauptgebäude auf der Baulinie zulässig sein sollte.
- Die im Bebauungsplan zugelassenen Ausnahmen von der Baulinie sprechen gegen eine nachbarschützende Wirkung.
- Die Textziffer zu Nebenanlagen beschränkt lediglich deren Zulassung außerhalb des Baufensters, sagt aber nichts über die Zahl und Standorte von Hauptanlagen innerhalb des Baufensters aus.
- Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche vermitteln keinen Nachbarschutz, wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Planwillen ergibt.
- Die Statistik über Wohneinheiten in der Planbegründung ist eine übliche Umschreibung der Planungsziele, begründet aber keine nachbarschützende Wirkung.
Nachbarschutz beim Bauen in zweiter Reihe: Gerichtsurteil klärt Rechte und Pflichten
Beim Bauen eines Eigenheims müssen viele Regeln und Vorschriften beachtet werden. Nicht nur die eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse spielen eine Rolle, sondern auch die Rechte der Nachbarn sind zu berücksichtigen. Insbesondere bei der Errichtung von Gebäuden in zweiter Reihe kann es hier zu Konflikten kommen.
Das Baurecht sieht verschiedene Möglichkeiten vor, wie die Interessen der Beteiligten unter einen Hut gebracht werden können. Neben Abstandsregeln und Bebauungsplänen ist auch der Nachbarschutz ein wichtiger Aspekt. Wann genau Nachbarn sich gegen eine Bebauung in zweiter Reihe wehren können und wo hier die Grenzen liegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
In der Folge soll ein konkreter Gerichtsentscheidung zu dieser Thematik näher beleuchtet werden. Anhand dieses Urteils lassen sich die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Abwägung der verschiedenen Interessen im Nachbarschaftskonflikt gut veranschaulichen.
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✔ Der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg
Streit um Baugenehmigung für Einzelhauserrichtung
Im Zentrum des Rechtsstreits steht die von der Antragsgegnerin der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus in zweiter Reihe auf einem Grundstück, das direkt hinter dem des Antragstellers liegt. Dieser ist Eigentümer eines Reihenmittelhauses und hat gegen die Baugenehmigung, die eine Befreiung von der vorderen Baulinie beinhaltet, Widerspruch eingelegt. Sein Hauptargument besteht darin, dass die genehmigte Baumaßnahme seine Nachbarrechte verletzt, da sie nicht den Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans entspreche.
Gerichtliche Auseinandersetzung und Beschluss des OVG Lüneburg
Das Verwaltungsgericht Osnabrück wies bereits den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab. Die Entscheidung begründete es damit, dass die streitige Baugenehmigung keine den Antragsteller schützenden Rechtsvorschriften verletze. Weiterhin wurde argumentiert, dass die Zulassung einer Ausnahme bezüglich der vorderen Baulinie nicht zu einer Verletzung von Nachbarrechten führe. Der Antragsteller ging gegen diesen Beschluss vor, jedoch wurde seine Beschwerde vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit dem Verweis auf die korrekte Anwendung des Rechts zurückgewiesen.
Rechtliche Bewertung und Auslegung der Baulinienvorschriften
Das OVG Lüneburg bestätigte, dass die im Bebauungsplan festgesetzte vordere Baulinie keine nachbarschützende Wirkung hat. Nach ständiger Rechtsprechung sind Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich nicht nachbarschützend, es sei denn, der Planungsträger hat dies explizit beabsichtigt. Im vorliegenden Fall konnte kein solcher Wille des Plangebers festgestellt werden. Auch die Tatsache, dass das Baufenster im hinteren Teil des Grundstücks genutzt wird, verstößt nicht gegen den Bebauungsplan, da keine Festsetzung existiert, die dies ausschließt.
Abweisung der Beschwerde und rechtliche Konsequenzen
Das Gericht wies darauf hin, dass die Befreiung von der vorderen Baulinie sowie die Auslegung des Bebauungsplans nicht gegen die Rechte des Antragstellers verstoßen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass das Gebot der Rücksichtnahme eingehalten wurde, da die Grenzabstandsvorschriften beachtet und keine unzumutbaren Einsichtsmöglichkeiten oder eine erhebliche Verschattung durch das geplante Bauvorhaben entstehen. Die Beschwerde des Antragstellers hatte somit keinen Erfolg, und er trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, während die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht erstattungsfähig sind.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat entschieden, dass die Festsetzung einer vorderen Baulinie in einem Bebauungsplan nicht automatisch zu einem nachbarschützenden Recht führt. Ein Nachbar kann sich nur dann auf die Baulinie berufen, wenn der Planungsträger dies explizit vorgesehen hat. Im vorliegenden Fall konnte ein solcher Wille des Plangebers nicht festgestellt werden. Demnach hat die erteilte Baugenehmigung in zweiter Reihe, trotz Befreiung von der vorderen Baulinie, keine Nachbarrechte verletzt.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Nachbarrechte beim Bauen
Was versteht man unter Nachbarschutz im Baurecht?
Der Nachbarschutz im Baurecht regelt, inwieweit ein Nachbar sich gegen ein Bauvorhaben auf einem benachbarten Grundstück zur Wehr setzen kann. Die zentralen Aspekte sind:
Das Baurecht enthält verschiedene Vorschriften, die dem Schutz der Nachbarn dienen (sogenannte „nachbarschützende Normen“). Nur wenn solche Normen verletzt werden, kann ein Nachbar rechtlich gegen das Bauvorhaben vorgehen.
Nachbarschützende Normen finden sich insbesondere:
- Im Bauplanungsrecht (Baugesetzbuch): Hier schützt z.B. die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung in einem Bebauungsplan die Nachbarn vor Gebietsfremden Nutzungen.
- Im Bauordnungsrecht: Hier dienen z.B. Abstandsflächenregelungen, Brandschutzvorschriften und das Rücksichtnahmegebot dem Nachbarschutz.
Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt. Rein objektive Rechtsverstöße ohne Nachbarrelevanz berechtigen nicht zur Anfechtung.
Die Reichweite des Nachbarschutzes hängt davon ab, ob sich das Vorhaben in einem Bebauungsplangebiet oder im unbeplanten Innenbereich befindet. Im Bebauungsplangebiet besteht ein weitergehender Gebietserhaltungsanspruch.
Nur Grundstückseigentümer und ihnen rechtlich gleichgestellte Personen (z.B. Erbbauberechtigte) können sich auf den Nachbarschutz berufen, nicht jedoch Mieter oder Pächter.
Welche Rolle spielt der Bebauungsplan bei der Erteilung von Baugenehmigungen?
Der Bebauungsplan spielt eine zentrale Rolle bei der Erteilung von Baugenehmigungen, da er die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bebauung eines bestimmten Gebiets festlegt. Er ist ein Instrument der Bauleitplanung, das von der zuständigen Gemeinde oder Stadt erstellt wird und als Satzung beschlossen wird. Der Bebauungsplan enthält detaillierte Vorgaben darüber, wie Grundstücke genutzt und bebaut werden dürfen. Diese Vorgaben umfassen unter anderem die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die örtlichen Verkehrsflächen.
Für Bauvorhaben innerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Festsetzungen des Bebauungsplans. Ein Bauvorhaben ist demnach nur zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht. Die Bauaufsichtsbehörde prüft im Rahmen des Genehmigungsverfahrens, ob das geplante Bauvorhaben mit den Vorgaben des Bebauungsplans übereinstimmt. Ist dies der Fall, kann eine Baugenehmigung erteilt werden. Andernfalls wird die Baugenehmigung in der Regel verweigert, es sei denn, es werden Ausnahmen oder Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans gewährt.
Die Rechtsnatur des Bebauungsplans als Satzung bedeutet, dass seine Festsetzungen für alle Grundstückseigentümer im Geltungsbereich verbindlich sind. Dies hat zur Folge, dass auch die Rechtsnachfolger – also Käufer oder Erben eines Grundstücks – an die Festsetzungen des Bebauungsplans gebunden sind. Die Bauaufsichtsbehörde hat die Aufgabe, die Einhaltung dieser Festsetzungen zu überwachen und durchzusetzen.
In Bezug auf den Nachbarschutz gegen Einzelhauserrichtung in zweiter Reihe ist der Bebauungsplan ebenfalls von Bedeutung. Er kann beispielsweise Festsetzungen enthalten, die die Errichtung von Gebäuden in zweiter Reihe regeln oder einschränken. Solche Regelungen können darauf abzielen, die Belichtung, Belüftung und den Zugang zu Licht für bestehende Gebäude zu sichern oder die städtebauliche Struktur und das Ortsbild zu erhalten. Nachbarn, die sich durch ein Bauvorhaben in ihren Rechten verletzt sehen, können unter Umständen Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegen oder Klage erheben, sofern sie geltend machen können, dass das Bauvorhaben gegen nachbarschützende Vorschriften des Bebauungsplans verstößt.
Was bedeutet eine „Befreiung“ von der vorderen Baulinie und welche Auswirkungen hat diese?
Eine „Befreiung“ von der vorderen Baulinie im baurechtlichen Kontext bedeutet, dass für ein bestimmtes Bauvorhaben eine Ausnahme von den im Bebauungsplan festgesetzten Vorgaben zur Positionierung eines Gebäudes an der vorderen Grundstücksgrenze gewährt wird. Die vordere Baulinie definiert, wo auf einem Grundstück Gebäude in Bezug auf die Straßenfront errichtet werden dürfen, um eine einheitliche Bauflucht zu gewährleisten. Eine Befreiung von dieser Vorgabe ermöglicht es, ein Gebäude näher an die Straße oder weiter davon entfernt zu bauen, als es der Bebauungsplan ursprünglich vorsieht.
Die Auswirkungen einer solchen Befreiung können vielfältig sein:
Städtebauliche Auswirkungen: Die Veränderung der vorderen Baulinie kann das Erscheinungsbild einer Straße oder eines Quartiers beeinflussen. Eine Verschiebung der Bauflucht kann zu einem uneinheitlichen Straßenbild führen oder neue gestalterische Akzente setzen.
Auswirkungen auf die Nachbarschaft: Eine Befreiung von der vorderen Baulinie kann auch Auswirkungen auf die benachbarten Grundstücke haben. Beispielsweise kann eine Veränderung der Bauflucht die Belichtungs- und Belüftungssituation benachbarter Gebäude beeinflussen oder deren Zugang zu Licht und Luft einschränken.
Rechtliche Auswirkungen: Die Erteilung einer Befreiung setzt voraus, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Dies bedeutet, dass bei der Entscheidung über eine Befreiung die Interessen der Nachbarn berücksichtigt werden müssen. Eine Befreiung, die erhebliche negative Auswirkungen auf die Nachbarschaft hat, könnte rechtlich angefochten werden.
Nachbarschutz: Obwohl vordere Baugrenzen und Baulinien in der Regel nicht primär dem Nachbarschutz dienen, sondern eher städtebauliche und gestalterische Ziele verfolgen, kann eine Befreiung von diesen Festsetzungen dennoch nachbarschützende Aspekte berühren, insbesondere wenn sie Auswirkungen auf die Wohn- und Lebensqualität der Nachbarn hat.
Insgesamt hängt die Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung von der vorderen Baulinie von einer Abwägung der betroffenen Interessen ab, wobei sowohl städtebauliche Ziele als auch die Belange der Nachbarschaft berücksichtigt werden müssen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 31 Abs. 1 BauGB (Baugesetzbuch): Erläutert die Möglichkeit der Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans. Im konkreten Fall wurde der Beigeladenen eine Befreiung von der vorderen Baulinie gewährt. Dies ist zentral, da die Befreiung direkt den Konflikt um die Baugenehmigung beeinflusst.
- § 34 BauGB: Regelt die Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, wenn kein Bebauungsplan existiert. Im vorliegenden Fall ist der Bebauungsplan relevant, doch der § 34 BauGB verdeutlicht die generellen Regelungen zur Bebauung, die auch hier für das Verständnis der städtebaulichen Einordnung wichtig sind.
- Baugrenzen und Baulinien nach BauNVO: Baugrenzen und Baulinien definieren, wo auf einem Grundstück gebaut werden darf. Im Fallbeispiel ist die Nichtbeachtung der vorderen Baulinie ein zentraler Streitpunkt, dessen Verständnis für die rechtliche Einordnung des Bauvorhabens entscheidend ist.
- § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung): Regelt die Beschränkung der Prüfung des Gerichts auf die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe. Dies ist relevant für das Verständnis der gerichtlichen Entscheidungsfindung im beschriebenen Fall.
- § 14 BauNVO (Baunutzungsverordnung): Legt fest, welche Arten von Anlagen als Nebenanlagen gelten, die oft weniger strengen Regulierungen unterliegen. In der Entscheidung wird darauf Bezug genommen, um die Zulässigkeit von Haupt- und Nebenanlagen zu klären.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg
OVG Lüneburg – Az.: 1 ME 85/23 – Beschluss vom 29.08.2023
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück – 2. Kammer – vom 13. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus.
Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Reihenmittelhaus bebauten Grundstücks „A-Straße“ (Flurstück F., Flur G., Gemarkung A-Stadt). Westlich an das Antragstellergrundstück grenzen das mit einem Reihenendhaus bebaute Anliegergrundstück „H.“ (Gemarkung I., Flur G., Flurstück J.) und das hinterliegende Vorhabengrundstück „K.“ (Gemarkung I., Flur G., Flurstück L.). Im rückwärtigen Bereich befinden sich sowohl auf dem Vorhabenstück als auch auf dem Antragstellergrundstück jeweils eine Garage/Carport und auf dem Antragstellergrundstück zusätzlich eine Terrassenanlage mit Wintergarten. Hieran schließen sich auf beiden Grundstücken Freiflächen an, die im Norden an die M. grenzen.
Die vorgenannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 294 „N.“ vom 14. Mai 1969, der in diesem Bereich ein Allgemeines Wohngebiet mit zwei Vollgeschossen, vorderer Baulinie und rückwärtiger Baugrenze in offener Bauweise mit einer Grundflächenzahl von 0,4 und einer Geschossflächenzahl von 0,7 festsetzt.
Durch Bescheid vom 24. November 2022 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses in zweiter Reihe auf dem Vorhabengrundstück einschließlich einer „Befreiung“ von der vorderen Baulinie.
Hiergegen hat der Antragsteller am 14. Dezember 2022 Widerspruch erhoben und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, den die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 14. Februar 2023 abgelehnt hat. Den vom Antragsteller am 22. März 2023 gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die streitbefangene Baugenehmigung nicht gegen den Antragsteller schützende Rechtsvorschriften verstoße. Die Zulassung einer Ausnahme (in der Baugenehmigung als „Befreiung“ bezeichnet) nach § 31 Abs. 1 BauGB im Hinblick auf die Einhaltung der vorderen Baulinie verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. § 31 Abs. 1 BauGB sei nicht aus sich heraus drittschützend. Anhaltspunkte dafür, dass die im Bebauungsplan festgesetzte vordere Baulinie nach dem Willen des Plangebers nachbarschützend sein solle, seien nicht erkennbar. In der Planbegründung sei die Baulinie nicht erwähnt. Eine vordere Baulinie werde in der Regel aus städtebaulichen Gründen festgesetzt. Dass der Plangeber hier ausnahmsweise etwas anderes bezweckt habe, sei nicht ersichtlich. Insbesondere könne dies nicht aus der tatsächlichen Bebauung abgeleitet werden. Entgegen der Auffassung des Antragstellers folge eine Nachbarrechtsverletzung auch nicht daraus, dass bei Festsetzung einer Baulinie grundsätzlich auf dieser gebaut werden müsse. Eine rechtliche Beschränkung der Bebaubarkeit des Grundstücks auf nur einen Baukörper beinhalte dies nicht. Der Standort des Bauvorhabens im Übrigen entspreche den Vorgaben des Bebauungsplans. Die hintere Baugrenze werde eingehalten. Eine Beschränkung des rückwärtigen Bereichs des Baufensters allein auf die Zulassung von Nebenanlagen bzw. die Nutzung als Ruhe- und Erholungszone sei dem Bebauungsplan nicht zu entnehmen. Durch die Grundstücksteilung und Errichtung eines Wohnhauses in zweiter Reihe werde keine „neue Baulinie“ begründet. Die „Doppelhausrechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts finde schon deshalb keine Anwendung, weil der Bebauungsplan keine Doppelhausfestsetzung enthalte, sondern lediglich die offene Bauweise bestimme. Eine Begrenzung auf nur einen Baukörper enthalte die Festsetzung ebenfalls nicht. Das Gebot der Rücksichtnahme sei ebenfalls nicht verletzt, da die Grenzabstandsvorschriften eingehalten würden. Eine erdrückende Wirkung komme dem Vorhaben nicht zu, da es sich mit einer Firsthöhe von weniger als 9 m, einer Länge von 10,35 m und einer Breite von 6,60 m sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Kubatur im Rahmen der Nachbargebäude halte. Angesichts der verbleibenden Entfernung zwischen dem Wohnhaus des Antragstellers und dem Bauvorhaben bestünden keine Anhaltspunkte für unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten. Dem Antragsteller drohe durch das diagonal versetzt geplante Vorhaben auch keine erhebliche zusätzliche Verschattung; die Verschattung des Wintergartens entstehe primär durch die straßenseitig errichteten Gebäude. Die Berechnung des erforderlichen Grenzabstands, der auch eingehalten werde, sei zutreffend erfolgt. Inwiefern eine zusätzliche Versiegelung des Nachbargrundstücks den Antragsteller in eigenen Rechten verletzen könne, erschließe sich der Kammer nicht und sei auch nicht substantiiert vorgetragen worden.
II.
Die Beschwerde, auf deren fristgerecht vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.
1.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass der im Bebauungsplan festgesetzten vorderen Baulinie keine nachbarschützende Wirkung zukommt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats haben in Bebauungsplänen Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung kraft Bundesrechts grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion. Ob und inwieweit derartige Festsetzungen auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab. Wollte der Plangeber die Planbetroffenen mit den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden, sind diese Festsetzungen nachbarschützend. Dies gilt auch, wenn der Plangeber die nachbarschützende Wirkung im Zeitpunkt der Planaufstellung zwar nicht in seinen Willen aufgenommen hatte, die Planfestsetzungen aber dennoch in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stehen, sodass ihnen nach ihrem objektiven Gehalt eine Schutzfunktion zugunsten der an dem Austauschverhältnis beteiligten Grundstückseigentümer zukommt (BVerwG, Urt. v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 -, BVerwGE 162, 363 = BRS 86 Nr. 113 = juris Rn. 14-16).
Auch der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche mittels Baugrenze oder Baulinie kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann nachbarschützende Wirkung zu, wenn dies dem Willen des Plangebers entspricht. Die bauleitplanerische Festsetzung einer vorderen Baulinie oder Baugrenze hat im Ausgangspunkt eine städtebauliche Funktion und dient nicht automatisch der Zuordnung individueller Abwehrbefugnisse. Es bedarf daher einer besonderen, auf die konkrete Konzeption des Plangebers bezogenen Begründung, dass Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stehen sollen (vgl. Senatsbeschl. v. 28.6.2021 – 1 ME 50/21 -, BauR 2021, 1580 = ZfBR 2021, 77 = juris Rn. 10 f.).
Ein entsprechender Wille des Plangebers lässt sich – was der Antragsteller nicht in Abrede stellt – der Planbegründung nicht entnehmen. Eine nachbarschützende Wirkung der vorderen Baulinie folgt auch nicht aus einem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungskonzept. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Auslegung des Antragstellers, dass die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis dahingehend stehen sollen, dass nur ein Hauptgebäude auf der Baulinie zulässig sein soll und der Hinterliegerbereich der mit etwa 13 m eher schmalen Grundstücke allenfalls mit Nebenanlagen, nicht aber mit Hauptanlagen bebaut werden dürfe.
a)
Aus der Festsetzung in Ziffer 4 des Bebauungsplans, wonach Nebenanlagen im Sinne von § 14 BauNVO zulässig und innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zu errichten sind, lässt sich, anders als der Antragsteller meint, nicht der Schluss ziehen, dass Hauptanlagen nicht innerhalb der gesamten überbaubaren Grundstücksfläche zulässig sein sollen. Nach § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO in der hier maßgeblichen Fassung von 1962, dessen aktuelle Fassung unverändert ist, können, wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO zugelassen werden. Die Vorschrift ist eine Ermächtigungsgrundlage für die Baugenehmigungsbehörde, Nebenanlagen auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zuzulassen, wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist. Für Hauptanlagen und deren Bestandteile besteht eine solche Möglichkeit demgegenüber nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2017 – 4 C 9.16 – NVwZ 2018, 1231 = BRS 85 Nr. 73 = juris Rn. 8 m.w.N.). Diese sind – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat – grundsätzlich innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zu errichten. Darüber hinaus ermöglicht § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO der planenden Gemeinde, die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BauNVO, wonach Gebäude eine festgesetzte Baugrenze nicht überschreiten dürfen, auf Nebenanlagen auszudehnen und die Zulassung von Nebenanlagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen auszuschließen (BVerwG, Urt. v. 21.3.2013 – 4 C 15.11 -, BauR 2013, 1236 = BRS 81 Nr. 10 = juris Rn. 11). Als ein solcher Ausschluss ist die in Ziffer 4 der textlichen Festsetzungen verwendete Formulierung zu verstehen. Daraus folgt lediglich, dass im vorliegenden Fall aufgrund des wirksamen Ausschlusses keine Nebenanlagen außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zugelassen werden dürfen. Eine Aussage zu Anzahl und Standort weiterer Hauptgebäude oder Nebenanlagen innerhalb des Baufensters ergibt sich daraus nicht. Der Umstand, dass die festgesetzten Baufenster relativ groß sind und sich die Grundstücksbreiten mit etwa 13 m im Rahmen des Üblichen halten, spricht vielmehr dafür, dass der Plangeber eine Bebauung in zweiter Reihe, mindestens aber eine vollständige Ausnutzung des Baufensters durch ein großzügig dimensioniertes Hauptgebäude in Kauf genommen hat.
b)
Die Festsetzung der vorderen Baulinie vermittelt entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht deshalb Nachbarschutz, weil die in Ziffer 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassene Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB in Übereinstimmung mit § 23 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1962 zu lesen sei, wonach ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen – in Bezug auf die Baulinie – (nur) in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden könne. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die grundlegende städtebauliche Funktion von Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche umstritten ist, ob sich die nunmehr in § 23 Abs. 2 Satz 3 BauNVO ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit der Festsetzung nach Art und Umfang bestimmter Ausnahmen im Bebauungsplan nur auf unwesentliche Gebäudeteile oder auch auf wesentliche Gebäudeteile und damit das Gebäude selbst beziehen darf (Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 23 Rn. 31; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 23 Rn. 14 m.w.N.). Diese Frage kann jedoch offen bleiben. Selbst unter Zugrundelegung der letztgenannten Auffassung folgt hieraus nicht, dass die Festsetzung der vorderen Baulinie zugunsten des Antragstellers nachbarschützend ist. Steht eine Festsetzung unter Ausnahmevorbehalt, hat sie in der Regel keinen nachbarschützenden Charakter. Denn jedes dem Bebauungsplan unterworfene Grundstück ist von vornherein mit der Möglichkeit einer plankonformen Ausnahme vorbelastet (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 15. Aufl. 2022, BauGB § 31 Rn. 22). Dies gilt auch im vorliegenden Fall.
c)
Soweit der Antragsteller aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1997 (- 4 B 172/97 -, juris) Anhaltspunkte für seine Auffassung ableiten will, der Plangeber habe zugunsten der Plannachbarn festgesetzt, dass der Hinterliegerbereich – außer mit Nebenanlagen – nicht weiter bebaut werden dürfe, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus der Entscheidung für den streitgegenständlichen Fall nichts ableiten lässt, da es nicht um die Zulässigkeit eines Vorhabens im unbeplanten Innenbereich und dessen Einfügen in die nähere Umgebung im Sinne von § 34 BauGB geht. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Vorhaben im überplanten Bereich, für den die Festsetzungen des Bebauungsplans maßgeblich sind. Darüber hinaus ist auch im unbeplanten Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB anerkannt, dass das aus der näheren Umgebung folgende zulässige Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche keinen Schutz zugunsten der Nachbarn vermitteln (vgl. nur Senatsbeschl. v. 18.8.2022 – 1 ME 57/22 -, BauR 2022, 1633 = juris Rn. 17).
d)
Soweit der Antragsteller auf die Begründung zum Bebauungsplan verweist, auf deren S. 2 es zu den „erschließungstechnischen Angaben“ heißt, es seien 210 Wohneinheiten vorhanden und 26 geplant, ist nicht erkennbar, dass diese Ausführungen im Rahmen der Planbegründung drittschützenden Charakter haben können. Es handelt sich lediglich um die übliche Umschreibung der Ziele und Anforderungen an die Bauleitplanung. Dass hierdurch eine Nachverdichtung für die Zukunft ausgeschlossen oder ein nachbarschaftliches Austauschverhältnis begründet werden sollte, ist nicht ersichtlich.
2.
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass im vorliegenden Fall die Anwendung der Doppelhausrechtsprechung dazu führe, dass die Beigeladene die überbaubare Grundfläche nicht voll ausschöpfen dürfe, ist dem nicht zu folgen.
Nach der vom Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Doppelhausfestsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO nachbarschützend. Ob ein Doppelhaus im Sinne dieser Rechtsprechung vorliegt, beurteilt sich maßgeblich mit Blick auf die Grundstückgrenze. In dem System der offenen Bauweise, welches durch seitliche Grenzabstände zu den benachbarten Grundstücken gekennzeichnet ist, ordnet sich ein aus zwei Gebäuden zusammengefügter Baukörper nur ein und kann somit als Doppelhaus gelten, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Ein einseitiger Grenzanbau ist in der offenen Bauweise unzulässig. Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus setzt daher in Gebieten der offenen Bauweise den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt (BVerwG, Urt. v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 -, BVerwGE 110, 355-363 = BRS 63 Nr. 185 = Rn. 21, 27). Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Festsetzung von Reihenhäusern bzw. Hausgruppen im Bebauungsplan (Senatsbeschl. v. 1.6.2021 – 1 ME 137/20 -, BauR 2021, 1262 = juris Rn. 15).
Hiernach hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die zitierte Rechtsprechung vorliegend nicht zur Anwendung kommt, da der streitgegenständliche Bebauungsplan lediglich die Festsetzung der offenen Bauweise – d.h. die Verpflichtung zur Einhaltung der seitlichen Grenzabstände im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1962 – enthält. Eine Festlegung auf eine bestimmte Hausform im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1962 enthält der Bebauungsplan dagegen nicht. Daraus folgt, gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1962, dass im Plangebiet Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen mit einer Länge von höchstens 50 m zulässig sind. Das Vorhaben der Beigeladenen entspricht den planerischen Festsetzungen. Sie beabsichtigt nicht, einen einseitigen Grenzanbau zu errichten oder das vom Antragsteller auf die Grenze gebaute Gebäude als einseitigen Grenzanbau stehen zu lassen. Vielmehr tritt neben das vorhandene Gebäude ein in zweiter Reihe gelegenes, die seitlichen Grenzabstände einhaltendes, 10,35 m langes Einzelhaus. Die Bedeutung des Begriffs der offenen Bauweise erschöpft sich in der Einhaltung von Grenzabständen oder dem (teilweisen) Verzicht hierauf und beinhaltet keine Aussage über die Anzahl von Wohneinheiten oder Gebäuden auf ein und demselben Grundstück (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.01.1995 – 4 NB 48.93 -, BRS 57 Nr. 23 = juris Rn. 22; ebenso Fischer, in: Brügelmann, BauGB, April 2023, § 22 BauNVO Rn. 42).
Soweit der Antragsteller einwendet, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Festsetzungen des Bebauungsplans eingehalten seien, da die nähere Umgebung des Bauvorhabens aus Doppel- und Reihenhäusern, die nicht länger als 50 m seien, bestehe, mag dies zutreffen. Das Verwaltungsgericht hat die Ausführungen zur tatsächlichen näheren Umgebung allerdings lediglich im Rahmen seiner Erwägungen zur Funktionslosigkeit des Bebauungsplans getätigt. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der Plan nicht funktionslos geworden sei, greift der Antragsteller (zu Recht) nicht an.
3.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) liegt nicht vor.
a)
Das Bauvorhaben führt auch unter Berücksichtigung einer auf dem Vorhabengrundstück noch vorzunehmenden Aufschüttung von 1,20 m nicht zu einer unzumutbaren Verschattung des Antragstellergrundstücks.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass das Bauvorhaben den erforderlichen Grenzabstand von 3,22 m einhält. Bei dessen Berechnung hat die Antragsgegnerin entsprechend der gesetzlichen Vorgabe des § 5 Abs. 9 Satz 1 NBauO die gewachsene Geländeoberfläche als Bezugspunkt zugrunde gelegt und die beabsichtigte Aufschüttung außer Betracht gelassen, was sich zugunsten des Nachbarn – hier des Antragstellers – auswirkt. Damit hat sie der beabsichtigten Aufschüttung hinreichend Rechnung getragen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind die Steigerung der Einsichtnahmemöglichkeiten und die Zunahme der Verschattung in einer bestehenden innerstädtischen Lage regelmäßig hinzunehmen (Senatsbeschl. v. 19.10.2022 – 1 ME 69/22 -, KommJur 2022, 453 = juris Rn. 8). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Das Grundstück des Antragstellers befindet sich im städtischen Randbereich; dass das Maß des Zumutbaren hier ausnahmsweise überschritten sein könnte, ist weder plausibel dargetan noch ersichtlich. Die Verschattung von Wintergarten und Terrasse des Antragstellers wird durch die dichte Bebauung im vorderen Bereich der Grundstücke mitbedingt. Eine schutzwürdige Erwartung des Antragstellers, der rückwärtige Grundstücksbereich bleibe ab dem Nachmittag bis zum Sonnenuntergang vollständig besonnt, bestand daher nicht. Da das Bauvorhaben diagonal versetzt zu Wintergarten und Terrasse errichtet wird, ist nicht von einer unzumutbaren Zunahme der Verschattung auszugehen, zumal bereits derzeit im rückwärtigen Bereich des Nachbargrundstücks Nebenanlagen vorhanden sind. Darüber hinaus ist jedenfalls der nördliche rückwärtige Bereich der an der Straße O. gelegenen Grundstücke laut Bebauungsplan von Bebauung freizuhalten, so dass dort erhebliche Freiflächen verbleiben. Diese mögen aufgrund von Bewuchs weniger besonnt sein, von einer unzumutbaren Verschattung des Antragstellergrundstücks kann jedoch keine Rede sein.
b)
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass von dem Vorhaben keine erdrückende Wirkung ausgeht. Eine solche nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung erst dann an, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, das heißt dort ein Gefühl des Eingemauertseins oder eine Gefängnishofsituation hervorruft. Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass das Vorhaben die bislang vorhandene Situation lediglich verändert, reicht nicht aus. Bereits die Einhaltung der Grenzabstandsvorschriften spricht stark dafür, dass das Vorhaben insoweit dem Rücksichtnahmegebot genügt (Senatsbeschl. v. 24.1.2023 – 1 ME 133/22 –, juris Rn. 28). Nach diesen Maßstäben reicht der bloße Umstand, dass sich der Blick des Antragstellers von seiner Terrassenanlage aus verändert, weil auf dem Nachbargrundstück ein Wohngebäude hinzutritt, für die Annahme einer erdrückenden Wirkung nicht aus. Das Bauvorhaben entspricht nach seinem Maß der Umgebungsbebauung und hält den Grenzabstand ein. Hinzu kommt, dass im rückwärtigen Bereich des Antragstellergrundstücks und der Nachbargrundstücke erhebliche Freiflächen verbleiben.
c)
Die Erteilung der Baugenehmigung erweist sich nicht deshalb als rücksichtslos, weil nach den Angaben des Antragstellers die bestehende Kanalisation unzureichend ist, um das Wasser vom Vorhabengrundstück aufzunehmen, oder weil wegen der Aufschüttung bei Starkregen das Niederschlagswasser auf das Antragstellergrundstück abfließen wird.
§ 13 NBauO bzw. § 55 WHG sind nicht Prüfgegenstand des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach § 63 Abs. 1 NBauO, sodass der Antragsteller sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann, dass die Baugenehmigung die Frage der Entwässerung nicht hinreichend thematisiere. Es genügt die allgemeine Vorgabe der Baugenehmigung, dass das Regenwasser auf dem Baugrundstück versickert, genutzt oder zurückgehalten werde könne und darüber hinaus ein neuer Schmutz- und Regenwassergrundstücksanschlusskanal vom Hauptkanal bis zur Grundstücksgrenze (bei Hinterliegerbebauung der des Vorderliegergrundstücks) kostenpflichtig herzustellen sei. Soweit der Antragsteller geltend macht, er befürchte, im Fall eines durch die Erteilung weiterer Baugenehmigungen erforderlichen Ausbaus des Regenwasserkanals zu Kanalausbaubeiträgen herangezogen zu werden, ist dies eine lediglich eine mittelbare Folge der Erteilung einer Baugenehmigung an die Beigeladene. Es handelt es sich hierbei um Kosten, mit denen jeder Grundstückseigentümer rechnen muss, der von der Ausbaumaßnahme profitiert. Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob und in welchem Umfang das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme den Nachbarn hier vor einer Zufuhr von Oberflächenwasser im Fall von Starkregenereignissen schützt, kann offenbleiben. Das Fehlen einer weitergehenden Vorsorge könnte sich damit allenfalls dann als rücksichtslos erweisen, wenn entweder Niederschlagswasser gezielt auf die Nachbargrundstücke geleitet würde und diese damit zur Abwehr von Schäden am eigenen Grundstück missbraucht würden oder Schäden in außergewöhnlichem Ausmaß zu befürchten wären, denen auch mit Selbsthilfemaßnahmen nicht begegnet werden könnte (Senatsbeschl. v. 15.9.2021 – 1 ME 100/21 -, ZfBR 2021, 886 = BauR 2021, 1931 = juris Rn. 10, 13). Beides ist hier nicht der Fall. Ausweislich der zur Baugenehmigung gehörenden Querschnitte fällt das Vorhabengrundstück nach der Aufschüttung zur nördlichen Gartenseite hin ab. Es ist daher zu erwarten, dass überschüssiges Regenwasser zum Großteil dorthin abfließen und auf der rückwärtigen Freifläche versickern wird. Sollte das Regenwasser dennoch zu einem geringen Teil seitlich in Richtung des Antragstellergrundstücks fließen, ist es dem Antragsteller jedenfalls zumutbar, hiergegen durch Selbsthilfemaßnahmen Vorsorge zu treffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 17 b), 7 a) und 1 a) der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für ab dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren und entspricht der Festsetzung für die erste Instanz durch das Verwaltungsgericht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).