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Abrechnung auf Neuwagenbasis auch bei geringer Beschädigung?


OBERLANDESGERICHT HAMM

Az.: 9 U 49/01

Verkündet am 03.07.2001

Vorinstanz: LG Bielefeld – Az.: 2 O 333/00


In dem Rechtsstreit hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 03. Juli 2001 für R e c h t erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 02. Februar 2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 57.001,37 DM.

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

Die Parteien streiten über die Art und Weise der Behebung eines Unfallschadens. Am 17.04.2000 wurde bei einem Verkehrsunfall der PKW (Audi A 6) der Klägerin, der sechs Tage zuvor erstmals zugelassen worden war und eine Laufleistung von 644 km aufwies, durch eine Streifkollision auf der rechten Fahrzeugseite beschädigt.

Der von der Klägerin beauftragte Schadensgutachter ermittelte einen Reparaturaufwand von 5.085,26 DM (ohne MWSt.), wobei auf den Arbeitslohn 2.048,40 DM, auf Ersatzteilkosten 1.145,36 DM, auf Lackierungsarbeiten 1.8131,50 DM und auf Unterbodenschutz und Hohlraumkonservierung 60,00 DM entfielen. Nach diesem Gutachten sollte der ganz überwiegende Teil der Schäden durch Austausch beider Türen beseitigt werden, während Instandsetzungsarbeiten (Karosseriearbeiten) lediglich an den Seitenwänden hinten rechts und (vorne,) rechts mit einem Arbeitsaufwand von insgesamt 3 Stunden und einem Kostenanteil von 417,00 DM vorgesehen waren. Der Gutachter ermittelte ferner einen merkantilen Minderwert von 2.000,00 DM. Die Beklagte zu 3) hat den Schaden auf der Grundlage des Schadensgutachtens in Höhe der Reparaturkosten (5.898,90 DM) und eines merkantilen Minderwertes (2.000,00 DM) abgerechnet.

Die Klägerin fordert von den Beklagten, die für den Unfall voll einzustehen haben, Schadenabrechnung auf Neuwagenbasis, wobei sie einen Neuwagenpreis von 64.900,27 DM behauptet und die erhaltene Zahlung in Abzug bringt. Mit ihrer Klage begehrt sie daher einen Betrag von 57.001,37 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des Unfallfahrzeuges:

Die Beklagten treten diesem Begehren entgegen und halten die Voraussetzungen einer Abrechnung auf Neuwagenbasis mangels „erheblicher“ Beschädigung des Unfallfahrzeuges für nicht gegeben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat eine erhebliche Beschädigung verneint und aus diesem Grunde die Vorausetzungen für die begehrte Abrechnungsweise als nicht gegeben angesehen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihren bisherigen Klageantrag in vollem Umfang weiter, wobei sie den Schweregrad der Beschädigung als Abgrenzungskriterium verneint und im übrigen eine erhebliche Beschädigung ihres PKW als gegeben ansieht.

Die Berufung ist unbegründet.

Dass die Beklagten nach den §§ 7, 18 StVG sowie nach § 3 PflVG für den Unfallschaden der Klägerin dem Grunde nach voll einzustehen haben, ist zwischen den Parteien nicht streitig.

Die Beklagte zu 3) hat den Fahrzeugschaden der Klägerin jedoch zutreffend nicht auf „Neuwagenbasis“, sondern nach den erforderlichen Aufwendungen einer fachgerechten Reparatur zuzüglich einer Entschädigung für merkantilen Minderwert reguliert.

Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Schadenberechnung ist § 249 Satz 1 BGB. Nach gefestigter Rechtsprechung stehen dem Geschädigten zur Schadenbeseitigung im Rahmen der Naturalrestitution zwei Wege zur Verfügung, und zwar die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs und die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges. Von diesen Möglichkeiten muss er jedoch wegen des in § 249 Satz 2 BGB enthaltenen Tatbestandmerkmals der Erforderlichkeit grundsätzlich diejenige wählen, die den geringeren Aufwand erfordert („Wirtschaftlichkeitsgebot“). Dieses Gebot stellt auf eine wirtschaftlich vernünftige Schadensbehebung ab und schließt Zumutbarkeitsgesichtspunkte mit ein. Ersatzfähig sind diejenigen Aufwendungen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (BGH VersR 1992, 61).

Diese den Zumutbarkeitsgedanken mitberücksichtigende Interpretation des § 249 S. 2 BGB kann ausnahmsweise die Wahl des kostspieligeren Restitütionsweges eröffnen. Demgemäß ist der Geschädigte zu einer Abrechnung seines Fahrzeugschadens „auf Neuwagenbasis“ dann berechtigt, wenn das Fahrzeug zum Beschädigungszeitpunkt „neuwertig“ war und „erhebich beschädigt“ worden ist (BGH NJW 1976, 1202 <1203>; vgl. im übrigen Übersicht bei Greger Straßenverkehrsrecht, 3 . Aufl., 1997, Anh. I Rn. 32).

2.

Zwischen den Parteien besteht kein Streit, dass der klägerische PKW Audi A 6, der zum Unfallzeitpunkt erst 644 km zurückgelegt hatte und erst seit sechs Tagen zugelassen war, als „neuwertig“ in dem vorgenannten Sinne anzusehen ist, denn diese Voraussetzung ist regelmäßig bei einer Laufleistung bis etwa l.000 km und einem Fahrzeugalter bis ca. einem Monat gegeben (vgl. Greger a.a.O. Rn. 34).

3.

Eine Abrechnung auf „Neuwagenbasis“ scheitert hier jedoch daran, dass der PKW der Klägerin bei dem Unfall vom 17. April 2000 nicht „erheblich beschädigt“ wurde.

a)

Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, der mehr oder minder hohe Grad der Beschädigung sei für die Frage des Abrechnungsmodus schon deshalb unerheblich, weil die Beschädigung einer „neuen“ Sache notwendigerweise auch die Aufwendungen für die Beschaffung einer „neuen“ Ersatzsache erfordere, verkennt sie, dass ihr PKW nicht „neu“, sondern „gebraucht“ – wenn auch „neuwertig“ – war. Sie fordert mithin, den Kaufpreis eines wertvolleren und nicht den eines gleichwertigen Fahrzeuges. Schon aus diesem Grunde ist der Beschädigungsgrad nicht zwingend unbeachtlich, wie die Klägerin meint.

Die Erheblichkeit des Beschädigungsgrades für die Begrenzung der Abrechnungsmöglichkeit auf Neuwagenbasis ist sachgerecht und entspricht dem Gesetz.

Da die Schadensbeseitigung auf Neuwagenbasis eine durch Zumutbarkeitserwägungen bedingte Einschränkung des Wirtschaftlichkeitspostulats des § 249 S. 2 BGB darstellt, erscheint der Grad der Beschädigung und die Möglichkeit ihrer vollständigen und nachhaltigen Beseitigung zu einer verständigen Wertschätzung des reparierten Fahrzeuges im Vergleich mit dessen Zustand vor dem Unfall in besonderem Maße geeignet. .

Die gegenteilige Auffassung der Klägerin findet auch in der Rechtsprechung keine Stütze. Dass der Bundesgerichtshof für die Abrechnung auf „Neuwagenbasis“ eine „erhebliche Beschädigung“ fordert, ist bereits dargelegt worden (BGH a.a.O.; ebenso BGH VersR 1982, 163; Senat DAR 1989, 188).

Zu dieser Rechtsprechung steht auch das von der Klägerin zitierte Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Hamm vom 22.09.1999 (NZV 2000, 170 <1712>) nicht im Widerspruch. Dort war lediglich die Frage der „Neuwertigkeit“ problematisch, während die Frage der „erheblichen Beschädigung“ angesichts eines Reparaturschadens von 15.773,24 DM ganz selbstverständlich bejaht werden musste und daher in dem dortigen Urteil überhaupt keiner Thematisierung bedurfte. Die Nichterwähnung des Beschädigungsgrades in diesem Urteil lässt daher keinen Schluss auf seine etwaige Unerheblichkeit zu.

Dass die Klägerin ihre Ansicht auf das Urteil des OLG Oldenburg vom 17.12.1996 (zfs 1997, 136 f.) stützt, ist jedenfalls für die Frage der Erheblichkeit des Beschädigungsgrades nicht nachvollziehbar, da auch dieses Gericht ausdrücklich auf den Beschädigungsgrad abstellt.

b)

Der PKW Audi A 6 der Klägerin ist durch den Unfall vom 17.04.2000 nicht „erheblich beschädigt“ worden, denn an den – nach spurenlosem Auswechseln von zwei Türen – verbleibenden Teilen sind nur geringfügige Arbeiten auszuführen.

aa)

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 04.03.1976 (NJW 1976, 1202 <1203>) für die Frage der Erheblichkeit der Beschädigung maßgebend darauf abgestellt, dass dem Unterschied des Zustandes vor dem Unfall und nach der Reparatur vermögensrechtliche Relevanz zukommen muss. Bloße „Unlustgefühle“ sind nicht ersatzfähig. Allerdings können nach Ansicht des BGH auch irrationale Vorurteile schadensrechtlich relevant werden, wenn sie allgemein verbreitet sind und sich auf den Verkehrswert des Fahrzeugs auswirken. Der BGH hält eine Beeinträchtigung des Verkehrswertes nach einer Reparatur dann für gegeben, wenn es sich nicht nur um eine Beschädigung von Teilen handelt, durch deren spurenlose Auswechslung der frühere Zustand voll hätte wiederhergestellt werden können. In der Gesamttendenz des Urteils wird deutlich, dass die Wertschätzung des Zustandes des beschädigten neuwertigen Fahrzeuges vor dem Unfall und nach der Reparatur aus der Sicht eines verständigen Fahrzeughalters maßgebend sein soll.

Dass der BGH in seiner vorerwähnten Entscheidung (ebenso in dem Urteil vom 03.11.1981, VersR 1982, 163) für die Unerheblichkeit der Beschädigung die Reparaturbedürftigkeit von Teilen hervorhebt, die „spurenlos ausgewechselt werden könnten“, kann vernünftigerweise nicht dahin verstanden werden, dass bereits jede geringfügige Beschädigung an einem nicht abschraubbaren Teil – z.B. leichte Kratzer an der Karosserie – bei neuwertigen Fahrzeugen notwendigerweise zu einem Anspruch auf einen Neuwagen führen müsste. Durch die Hervarhewird vielmehr nur deutlich, dass Reparaturarbeiten im Sinne einer mechanischen Bearbeitung von an dem Fahrzeug verbleibenden Teilen jedenfalls nicht in einem erheblicheren Umfang ausgeführt worden sein dürfen. Dies folgt bereits aus der Betonung der Forderung, dass „der frühere Zustand voll hätte wiederhergestellt werden können“. Diese Möglichkeit ist durch die Fortentwicklung der Reparatur- und Lackiertechnik seit 1976 noch deutlich verbessert worden. Berücksichtigt man den heutigen hohen Standard der Reparatur- und Lackiertechnik und beachtet man die Tendenz des erörterten Urteils, dass maßgebend auf die Einschätzung eines verständigen Kraftfahrzeughalters abzustellen ist, können jeden falls geringfügige Karosseriearbeiten an einem neuwertigen Fahrzeug nicht ausreichen, die Möglichkeit einer Abrechnung auf Neuwagenbasis zu eröffnen (vgl. auch OLG Köln NZV 1990; 311).

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bb)

Im Streitfall bestehen die erforderlichen Reparaturen nur zu einem ganz geringfügigen Teil aus eigentlichen Karrosseriearbeiten, nämlich aus Arbeiten an der rechten vorderen und hinteren Seitenwand, für die eine Arbeitszeit von insgesamt drei Stunden und Kosten von 417,00 DM veranschlagt waren. Dieser Reparaturaufwand an Karrosserieteilen ist derart gering, dass er bei einem verständigen Kfz.-Halter in Anbetracht des heutigen Standes der Technik zu keine Minderbewertung des Fahrzeuges gegenüber dem Zustand vor dem Unfall führen würde.

Dasselbe gilt für die Lackierarbeiten, die ganz überwiegend die ausgetauschten Teile (Türen) betreffen und nach dem heutigen Stand der Lackiertechnik bei verständiger Einschätzung ebenfalls zu keiner Minderbewertung Anlass geben.

Schließlich führt auch die Ausweisung eines merkantilen Minderwertes von 2.000,00 DM in dem Schadensgutachten nicht zur Annahme einer „erheblichen“ Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs. Dabei kann schon zweifelhaft sein, ob ein merkantiler Mindexwert tatsächlich gegeben ist. Andererseits weist das Landgericht zu Recht darauf hin, dass die Pflicht der Klägerin, den Schaden etwaigen Käufern zu offenbaren – und das Risiko, dass dies besonders misstrauische Interessenten von einem Kauf abhalten könnte – den Ausgleich für merkantilen Minderwert rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

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