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Nichteinhaltung eines Warenliefertermins – Ersatz des Minderwertes

LG Hamburg – Az.: 409 HKO 126/11 – Urteil vom 30.08.2012

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 9.898,85 (i.W.: neuntausend- achthundertachtundneunzig 85/100) nebst 5 % Zinsen für die Zeit vom 7.10.2008 bis zum 16.3.2009 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.3.2009 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Nebenintervenientin trägt die Kosten der Nebenintervention.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Lieferfristüberschreitung auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin trägt vor: Sie sei im Jahre 2008 Warentransportversicherungsassekuradeur der S. C. GmbH & Co. KG mit Sitz in N. W. gewesen. Sie mache gegenüber der Beklagten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft Ansprüche aus gemäß § 86 VVG auf die von ihr vertretenen Versicherer übergegangenem sowie im eigenen Namen an sie abgetretenem Recht geltend.

Nichteinhaltung eines Warenliefertermins - Ersatz des Minderwertes
Symbolfoto: Von blurAZ/Shutterstock.com

Versicherer der hier maßgeblichen Police seien die A. G. C. & S. AG als führende Versicherung, die G. A. Versicherungs AG, die V. Versicherungs AG (jetzt E. Versicherungs AG) und die B.- S. Versicherungs AG mit jeweils 25 % gewesen (vgl. Deckblatt der Warentransportversicherungspolice, Anlage K 7, und die Zeichnungsliste, Anlage K 7). Der Warentransportversicherungsschutz sei in gleicher Weise auch im Jahre 2008 eingedeckt gewesen. Bei der Versicherungsbörse in H. seien zugunsten der Klägerin von allen Versicherern Assekuradeurvollmachten (Anlagen K 8.1 – K 8.4) hinterlegt worden. Die Klägerin sei darüber hinaus von den von ihr vertretenen Versicherern ausdrücklich ermächtigt und verpflichtet, die Regressführung zu betreiben und im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft Zahlung an sich selbst zu verlangen.

Die S. KG habe Bacon, Bauch in Scheiben der Marke D. an die Firma L. I. s.r.l. veräußert. Der Gesamtnettowarenwert der Partie von 10 Paletten habe sich auf insgesamt € 10.092,00 belaufen (vgl. Handelsrechnungen, Anlagenkonvolut K 1). Das Gut sei bei der S. KG vollständig und ordnungsgemäß kommissioniert, verpackt und sodann der Beklagten zum Versand nach I. übergeben worden. Die Abholung sei entsprechend der Abholanweisung (Anlage K 3) am 1.10.2008 erfolgt. Zugleich sei zwischen den Parteien vereinbart gewesen, dass die Anlieferung spätestens am 6.10.2008 bei der Firma P. in K./ Ö. erfolgen sollte. Bei der Firma P. handle es sich um einen Verteilerspediteur der Firma L., der es im Verhältnis zur Firma L. übernommen gehabt habe, das Gut fristgerecht an die verschiedenen L.-Organisationen in I. auszuliefern. Der Beklagten sei aufgrund der bestehenden Geschäftsbeziehung und ihrer Erfahrung mit der Belieferung von derartigen Verteilerspediteuren hinreichend bekannt gewesen, dass es sich um einen Fixtermin gehandelt habe. Ferner sei ihr auch bekannt gewesen, dass bei Terminverzögerungen eine Annahmeverweigerung erfolge.

Die Beklagte habe das Gut nicht am 6.10.2008 in K. angeliefert, was unstreitig ist. Als die S. KG davon erfahren habe, habe sie mit der Firma P. verhandelt und habe erreichen können, dass eine Annahme am 7.10.2008 bis 7.00 Uhr akzeptiert worden sei. Allerdings sei die Beklagte auch nicht in der Lage gewesen, diese Nachlieferung zu realisieren, was ebenfalls unstreitig ist. Als das Gut dann angedient worden sei, sei es – unstreitig – annahmeverweigert worden.

Die S. KG habe daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 7.10.2008 (Anlagenkonvolut K 10), zugegangen am gleichen Tag um 13.40 Uhr, für den eingetretenen Schaden haftbar gehalten. Ferner sei darauf hingewiesen worden, dass die Ware für einen Sonderverkauf zur Verfügung stehe. In Abstimmung mit der Beklagten sei der Notverkauf von der S. KG organisiert worden. Letztendlich habe die Beklagte das Gut dann – unstreitig – zum 14.10.2008 bei der K. Warenhandel in H. angeliefert. An diese sei das Gut – unstreitig – zu einem Nettopreis von insgesamt € 1.670,40 veräußert worden (vgl. Rechnung der S. KG, Anlage K 4).

Der S. KG sei deshalb zunächst ein Schaden in Höhe von € 8.421,60 (€ 10.092,00 Handelswert gemäß Rechnungen abzüglich € 1.670,40 Erlös) entstanden. Darüber hinaus sei die S. KG verpflichtet gewesen, ihrer Abnehmerin, der L. I., nach Maßnahme des Rahmenkontrakts (vgl. Auszug daraus, Anlage K 5) eine Konventionalstrafe zu zahlen, und zwar Aufwandsentschädigung (je Palette € 150,00) in Höhe von € 1.500,00 und Transportausfall (je Palette € 50,00) in Höhe von € 500,00. Es errechne sich ein Gesamtschaden in Höhe von € 10.421,60.

Die S. KG habe die ihr aus dieser Versendung zustehenden Ansprüche an die Klägerin abgetreten. In der Folgezeit sei der Schaden dann auch in Höhe von € 10.421,60 reguliert worden (vgl. Regulierungsbestätigung der S. KG vom 26.3.2012).

Die Beklagte habe – unstreitig – auf den geltend gemachten Forderungsbetrag in Höhe von € 10.421,60 gemäß ihrem Schreiben vom 16.3.2009 eine Teilzahlung in Höhe von € 522,75 geleistet und wegen des überschießenden Teils in Höhe von € 9.898,85 eine Rückbelastung vorgenommen.

Da es sich im vorliegenden Fall um eine Lieferfristüberschreitung handle, sei die Haftung der Beklagten grundsätzlich gemäß Art. 23 Ziff. 5 CMR auf die Höhe der Fracht begrenzt. Die Höhe der zu zahlenden Fracht sei auch von der Beklagten erstattet worden. Auf diese haftungsbeschränkenden Bestimmungen könne sich die Beklagte jedoch nicht berufen. Die Klägerin stütze ihren Anspruch ausdrücklich auch auf Art. 29 CMR.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor: Die Aktivlegitimation der Klägerin werde bestritten (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 6.12.2011, Seiten 2 f., und Schriftsatz vom 10.2.2012, Seite 2).

Unstreitig habe die Beklagte gemäß Art. 23 Abs. 5 CMR eine Regulierung vorgenommen in Höhe von € 522,75. Dies entspreche der damals in Rechnung gestellten Fracht für diese in Rede stehende Beförderung. Weitergehende Ansprüche bestünden nicht.

Der Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens sei ungerechtfertigt. Richtig sei, dass in den Lieferscheinen ein Anliefertermin vorgesehen gewesen sei. Das Sendungsgut habe bei der Empfangsspedition nach den Lieferscheinen am 6.10.2008 angeliefert werden sollen. Dies stelle nicht die Vereinbarung eines Fixtermins oder eines Fixgeschäfts dar, sondern die Vereinbarung einer Lieferfrist im Sinne des Art. 19 CMR. Die Überschreitung der vereinbarten Lieferfrist sei weder vorsätzlich noch leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, von der Beklagten oder ihrer Erfüllungsgehilfen verursacht worden.

Das hier in Rede stehende Sendungsgut sei vom Absender zur Niederlassung der Beklagten in H. vorgeholt worden. Das Sammelladungsgut, welches für Ö. bestimmt sei, werde auf einen Lkw geladen. Zum damaligen Zeitpunkt sei der tägliche Direkttransport von der Niederlassung der Beklagten in H. nach Ö. durch die Nebenintervenientin durchgeführt worden. Das Sammelladungsgut werde insgesamt in der Niederlassung der N. A. GmbH in S. F. angeliefert. Von S. F. aus werde das Sendungsgut dann innerhalb von Ö. an die einzelnen Niederlassungen von N. A. GmbH, die für den Empfangsort zuständig seien, mit anderen Fahrzeugen weiterbefördert, und zwar im Sammelladungsverkehr. Für die Zustellung an den vorgesehenen Empfänger in K./ Ö. sei die Niederlassung der N. A. GmbH in K. zuständig gewesen. Diese Niederlassung sei nur ca. 10 km von dem hier in Rede stehenden Empfänger in K. entfernt. Das ist unstreitig. Die Beförderung von der Niederlassung N. A. in S. F. (bei L.) zur Niederlassung in K. umfasse eine Strecke von mindestens 280 km. Die Strecke von S. F. nach K. in Ö. betrage 275 km (vgl. Ausdruck des entsprechenden Google Maps, Anlage B 3).

Da die hier in Rede stehende Sendung bekanntlich am 6.10.2008 bis 11.00 Uhr habe zugestellt werden sollen, hätte die Sendung noch am Abend des 5.10.2008 auf den Lkw hinsichtlich des Sammelladungsguts von S. F. nach K. verladen werden müssen, um die Sendung sodann am Vormittag des 6.10.2008 beim Empfänger zuzustellen. Für den hier in Rede stehenden Linienverkehr bestehe mit der Nebenintervenientin die generelle Absprache, dass das Sammelladungsgut in S. F. an sich bis zum späten Nachmittag / frühen Abend eintreffen müsse. Da der 5.10.2008 ein Sonntag gewesen sei und die Verladung auf die Linienfahrzeuge innerhalb Österreichs erst am späten Abend sonntags beginne, sei mit der Nebenintervenientin vereinbart gewesen, dass das Fahrzeug bis 23.00 Uhr dort in S. F. habe eintreffen sollen. Das Fahrzeug der Nebenintervenientin sei (jedoch) – unstreitig – gemäß Anlage B 1 (gleichbedeutend mit SV 1) (erst am 6.10.2008) um 3.45 Uhr in S. F. eingetroffen. Durch unvorhergesehene Verkehrssituationen habe sich die Ankunft des Lkws um ca. 4 Stunden verzögert. Das Fahrzeug sei zwar umgehend entladen worden und die Entladung sei um 4.25 Uhr abgeschlossen gewesen. Zu diesem Zeitpunkt seien die Linienfahrzeuge für die anderen Niederlassungen in Ö. längst abgefahren gewesen. Eine Beförderung mit diesen Linienfahrzeugen, im vorliegenden Fall also mit dem Fahrzeug, welches Sammelladungsgut nach K. weiterbefördert habe, habe somit nicht mehr stattfinden können. Wenn die Klägerin behaupte, ein Mitarbeiter der S. KG habe bei der Spedition P. erreichen können, dass eine Anlieferung am 7.10.2008 bis 7.00 Uhr stattfinden könne, so müsse die Beklagte dies bestreiten. Vielmehr habe die Spedition P. auf Anfrage klipp und klar erklärt, dass eine Annahme der Ware am 7.10.2008 nicht stattfinden werde. Die Spedition P. habe die Annahme der Ware für den 7.10.2008 verweigert (vgl. Meldung vom 6.10.2008, Anlage B 5).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergebe sich, dass die Transportplanung der Beklagten durchaus korrekt gewesen sei. Die Nebenintervenientin habe das Sammelladungsgut für Ö. (Niederlassung S. F.) bereits am 2.10.2008 übernommen mit der Weisung, das Sendungsgut dort bis zum 5.10. 23.00 Uhr anzuliefern. Zu diesem Zeitpunkt hätte das Sendungsgut auf den Sammelladungs-Lkw für die Beförderung von S. F. nach K. verladen werden können und nach Entladung in K. auch entsprechend in K. durch die dortige Niederlassung der Firma N. A. bei dem vorgesehenen Empfänger zugestellt werden können, und zwar am Vormittag des 6.10.2008 bis spätestens 11.00 Uhr. Dies sei aufgrund des verspäteten Eintreffens des Lkws der Nebenintervenientin jedoch leider nicht mehr möglich gewesen. Es liege zwar eine Lieferfristüberschreitung vor. Diese beruhe allerdings nicht auf einem Organisationsverschulden der Beklagten und schon gar nicht auf einem vorsätzlichen oder leichtfertigen Verhalten der Beklagten.

Weshalb das Fahrzeug letztlich in S. F. verspätet eingetroffen sei, entziehe sich der Kenntnis der Beklagten. Sie gehe davon aus, dass diesbezüglich der Prozessbevollmächtigte der Nebenintervenientin entsprechend ergänzend vortragen werde.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Es falle auf, dass die Klage erst am 17.10.2011 bei Gericht eingegangen sei, und zwar ausweislich des Stempelaufdrucks. Die Ablieferung sei für den 6.10.2008 vorgesehen gewesen. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage seien somit bereits mehr als 3 Jahre verstrichen gewesen. Die Forderung sei deshalb selbst dann verjährt, wenn eine dreijährige Verjährungsfrist gemäß Art. 32 CMR vom Gericht angenommen werden sollte.

Die Schadenshöhe werde bestritten (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 6.12.2011, Seiten 7 f., und Schriftsatz vom 10.2.2012, Seite 6 f.).

Die Nebenintervenientin trägt vor: Sie bestreite (ebenfalls) die Aktivlegitimation der Klägerin (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 21.12.2011, Seiten 2 f., und Schriftsatz vom 6.2.2012, Seite 2).

Ebenso werde bestritten, dass die S. KG die in dem Anlagenkonvolut K 1 genannten Gegenstände an die L. I. s.r.l. verkauft habe und zwischen der S. KG und der L. I. s.r.l. ein Fixtermin vereinbart worden sei und die Anlieferung spätestens am 6.10.2008 habe erfolgen sollen. Ebenso werde bestritten, dass zwischen der S. KG und der Firma L. eine Vertragsstrafe vereinbart worden sei. Sofern eine solche Vertragsstrafenregelung in den AGB enthalten sei, wäre diese ohnehin unwirksam.

Ebenso werde bestritten, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten eine Lieferfrist vereinbart worden sei und zwischen der Klägerin und der Beklagten ein Fixtermin vereinbart worden sei.

All dies sei der Nebenintervenientin nicht bekannt.

Die Nebenintervenientin habe auch einen völlig anderen Auftrag von der Beklagten erhalten. Die Beklagte habe lediglich den Auftrag erhalten, in der Niederlassung der Beklagten in H. eine Partie Sammelgut zu übernehmen und zur N. A. GmbH in A-4490 S. F. bei L. zu transportieren, wobei die Beklagte der Nebenintervenientin nicht vorgegeben habe, die Sendung am 5.10.2008 abzuliefern. Eine solche Anlieferung am 5.10.2008 wäre auch nicht möglich gewesen, da der 5.10.2008 ein Sonntag sei und ein Sonntagsfahrverbot herrsche. Der 3.10.2008 sei Tag der Deutschen Einheit, demzufolge ein Feiertag, an dem ebenfalls nicht habe gefahren werden dürfen. Der 4.10.2008 sei ein Samstag gewesen. Die Nebenintervenientin habe von der Beklagten den Auftrag erhalten, diese Sammelgutsendung am 6.10.2008 bei der N. A. GmbH in S. F. bei L. abzuliefern. Die Nebenintervenientin stelle (auch) noch einmal klar, dass mit ihr keine generelle Absprache bestehe, dass das Sammelladungsgut in S. F. bis zum späten Nachmittag / frühen Abend eintreffen müsse.

Auch werde bestritten, dass die von der Klägerin behaupteten Sendungsteile Bestandteil der hier streitgegenständlichen Sammelgutsendung gewesen seien.

Im Übrigen habe die Beklagte selbst ausgeführt, dass die Beklagte eine Mitteilung der Firma P. erhalten habe, die Sendung werde von dieser nicht angenommen. Demzufolge sei nicht nachvollziehbar, weshalb überhaupt ein Verzögerungsschaden behauptet werde, der offensichtlich nicht vorliege. Wenn die Firma P., wie sie behaupte, die Annahme der Sendung trotz fristgerechter Anlieferung verweigere, könne dies nicht der Beklagten angelastet werden.

Auch die Schadenshöhe werde bestritten (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 21.12.2011, Seite 4 f., Schriftsatz vom 6.2.2012, Seiten 2 f., Schriftsatz vom 27. April 2012, Seite 3, und Schriftsatz vom 5.7.2012, Seite 3).

Außerdem erhebt die Nebenintervenientin die Einrede der Verjährung (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 21.12.2011, Seite 5).

Ergänzend wird für das weitere Vorbringen der Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist zulässig (I.) und zum überwiegenden Teil begründet (II.).

Die Klägerin ist berechtigt, im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft aus gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. i.Verb.m. Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG auf die von ihr vertretenen Versicherer übergegangenem Recht der S. KG aus Art. 17 Ziff. 1 2. Alt. CMR Zahlung in Höhe von € 9.898,85 an sich zu verlangen.

I.

Die Voraussetzungen der gewillkürten Prozessstandschaft liegen vor.

Eine Klage ist im Wege der (gewillkürten) Prozessstandschaft dann zuzulassen, falls jemand, der nicht selbst aktivlegitimiert ist, aber vom Aktivlegitimierten ausdrücklich oder konkludent zur Einziehung der Schadensersatzforderung ermächtigt worden ist, selbst ein schutzwürdiges Interesse an der Rechtsverfolgung besitzt (vgl. Koller, TranspR, 7. Aufl., § 425 HGB Rz. 55 und Art. 13 CMR Rz. 8 a).

1.

Ursprünglich war die S. KG als Geschädigte Inhaberin des Schadensersatzanspruchs aus Art. 17 Ziff. 1 CMR.

Dieser Anspruch ist nicht durch Abtretung der S. KG gemäß § 398 BGB auf die Klägerin übergegangen. Eine Abtretung an sie vor Schadensregulierung hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.

Die Klägerin ist aber durch die jetzigen Anspruchsberechtigten zur Einziehung der Schadensersatzforderung ermächtigt worden.

Die jetzigen Anspruchsberechtigten sind die A. G. C. & S. AG, die G. A. Versicherungs AG, die V. Versicherungs AG (jetzt E. Versicherungs AG) und die B.- S. Versicherungs AG mit jeweils 25 %. Dabei handelt es sich ausweislich des Deckblatts der Transport-Versicherungspolice (Anlage K 6) und der Beteiligungsliste dazu (Anlage K 7) um die Warentransportversicherer der S. KG, wobei die A. AG führender Versicherer war. Es ist davon auszugehen, dass diese Versicherer auch noch im Jahr des Schadensfalls, 2008, Warentransportversicherer der S. KG waren. Zwar ist auf dem Deckblatt der Transport-Versicherungspolice (Anlage K 6) als Vertragsdauer lediglich der 10. August 2006 bis 31. Dezember 2006 genannt. Danach heißt es jedoch weiter, dass sich der Vertrag stillschweigend um jeweils ein Jahr verlängert, sofern er nicht mit einer Frist von 3 Monaten zum Ablauf der Versicherungsperiode von einer der Vertragsparteien gekündigt worden ist. Dass der Vertrag von einer Vertragspartei zum Ablauf der Versicherungsperiode zum 31.12.2007 gekündigt worden ist, hat die Beklagte oder die Nebenintervenientin ebenso wenig dargelegt wie, dass einer der in der Beteiligungsliste genannten Versicherer zurzeit des Schadensfalls nicht mehr an der Police beteiligt war, obwohl sie für diese ihr günstigen Tatsachen darlegungspflichtig sind. Die Warentransportversicherer der S. KG haben den von dieser geltend gemachten Schaden in Höhe von € 10.421,60 dieser gegenüber reguliert. Die Entschädigungsleistung ging ausweislich der Regulierungsbestätigung vom 26.3.2012 am 19.1.2009 bei der S. KG ein. Gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. i.Verb.m. Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG ist der Schadensersatzanspruch der S. KG dadurch auf die zuvor genannten Warentransportversicherer übergegangen.

Die Warentransportversicherer haben die Klägerin ermächtigt, die gesamte Forderung im eigenen Namen klageweise geltend zu machen und Zahlung an sich selbst zu verlangen. Das folgt aus den in Kopie vorgelegten Assekuradeurvollmachten der beteiligten Versicherer zugunsten der Klägerin (Anlagen K 8.1 – K 8.4). Danach ist die Klägerin berechtigt, im Hinblick auf Transportversicherungen für die beteiligten Versicherer Prozesse zu führen und überhaupt in jeder Beziehung deren Interessen gerichtlich zu vertreten, was die Befugnis einschließt, – wie bei Prämien – Zahlung an sich selbst zu verlangen.

2.

Das schutzwürdige Interesse der Klägerin an der Rechtsverfolgung folgt daraus, dass die Klägerin ausweislich des Deckblatts der Transportversicherungspolice (Anlage K 6) und der Regulierungsbestätigung vom 26.3.2012 Warentransportversicherungsassekuradeur der S. KG ist und ausweislich der Regulierungsbestätigung die Entschädigungsleistung vorgenommen hat.

II.

1.

Da es sich unstreitig um einen Transport im grenzüberschreitenden internationalen Güterfernverkehr handelt, ist Art. 17 Ziff. 1 2. Alt. CMR anwendbar.

2.

Die Voraussetzungen des Art. 17 Ziff. 1 2. Alt. CMR liegen vor.

a)

Ausweislich der Lieferscheine (Anlagenkonvolut K 2) und der Abholweisung (Anlage K 3) sollte das Sendungsgut am 6.10.2008 bei der Empfangsspedition P. in K./ Ö. (zwischen 7.00 und 11.00 Uhr) angeliefert werden. Das räumt auch die Beklagte selbst ein (Schriftsatz vom 6.12.2011, Seite 3).

Demgegenüber ist das Bestreiten der Vereinbarung einer Lieferfrist zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die Nebenintervenientin unsubstantiiert und unbeachtlich, da sich die Nebenintervenientin als Streithelferin der Beklagten nicht in Widerspruch zum Vorbringen der Beklagten setzen kann (vgl. § 67 2. Hs. ZPO).

b)

Unstreitig hat die Beklagte diese Lieferfrist gemäß Art. 19 1. Alt. CMR überschritten, da sie das Gut unstreitig weder bis zum 6.10.2008, 11.00 Uhr, noch bis zum 7.10.2008, 7.00 Uhr, was nach dem Vortrag der Klägerin aufgrund Nachverhandlungen mit der Spedition P. auch noch möglich gewesen wäre, bei der Empfangsspedition P. abgeliefert hat.

3.

Durch die Überschreitung der Lieferfrist ist der S. KG ein Schaden in Höhe von € 10.421,60 entstanden.

Ausweislich der Handelsrechnungen und der Lieferscheine vom 1.10.2008 (Anlagenkonvolute K 1 und K 2) hatte die S. KG an die L. I. s.r.l. Bacon, Bauch in Schreiben der Marke D., zum Gesamtnettowarenwert in Höhe von € 10.092,00 verkauft, wobei als Lieferdatum jeweils der 6.10.2008 angegeben war und die Lieferung ausweislich der Lieferscheine (Anlagenkonvolut K 2) an die Spedition P. in K. bis 11.00 Uhr erfolgen sollte. Die Vereinbarung dieser Lieferfrist ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Spedition P. nach dem eigenen Vortrag der Beklagten dieser durch Fax vom 6.10.2008 (Anlage B 5) mitgeteilt hat, dass am 7.10.2008 keine Warenannahme wegen Terminverzugs erfolgen und die Annahme der Ware deshalb verweigert werde. Im Hinblick darauf ist das Bestreiten der Vereinbarung einer Lieferfrist zwischen der S. KG und der L. I. s.r.l. durch die Nebenintervenientin unsubstantiiert.

Außerdem folgt aus der von der Klägerin vorgelegten Anlage K 5, dass zwischen der S. KG und der L. I. s.r.l. ein Rahmenkontrakt mit dem Inhalt der Anlage K 5 existierte. Der Text der Anlage K 5 („Der Verkäufer verpflichtet sich, genau die bestellte Menge an dem auf dem Bestellfax angegebenen Tag bis spätestens 11.00 Uhr bei der Spedition „P.“ in K. anzuliefern.“) entspricht genau dem zwischen der S. KG und der L. I. s.r.l. vereinbarten Lieferzeitpunkt.

Die zwischen der S. KG und der L. I. s.r.l. vereinbarte Lieferfrist hat die Beklagte nicht eingehalten. Unstreitig ist die Ware weder bis zum 6.10.2008, 11.00 Uhr, noch bis zum 7.10.2008, 7.00 Uhr, wie nach dem Vortrag der Klägerin zwischen der S. KG und der Spedition P. ausgehandelt, bei der Spedition P. angeliefert worden. Die Spedition P. hat deshalb (für die L. I. s.r.l.) die Annahme der Ware verweigert (vgl. auch Anlage B 5). Dazu war sie nach dem Rahmenkontrakt (Anlage K 5) auch berechtigt. Darauf, ob die Firma P. selbst noch die Anlieferung an die L. I. s.r.l. hätte durchführen können, kommt es – entgegen der von der Nebenintervenientin vertretenen Auffassung – nicht an, da die Anlieferung an die L. I. s.r.l. bis zum 6.10.2008, 11.00 Uhr, (zu Händen der Spedition P.) zu erfolgen hatte.

Da laut Rahmenkontrakt (Anlage K 5) Nachlieferungen bzw. Ersatzlieferungen nicht gestattet sind, ist in der Annahmeverweigerung (durch die Spedition P. für die L. I. s.r.l.) auch die Ausübung eines Rücktritts von den Kaufverträgen durch die L. I. s.r.l. zu sehen, wozu die L. I. s.r.l. wegen der im Verhältnis zu ihr von der S. KG zu vertretenden Lieferfristüberschreitung auch berechtigt war.

Infolgedessen war die S. KG gehalten, ihre Ware anderweitig zu veräußern, was sie unstreitig auch gegenüber der K. Warenhandel GmbH & Co. KG zu einem Nettopreis von insgesamt € 1.670,40 gemäß Rechnung vom 13.10.2008 (Anlage K 4) getan hat.

Dadurch hat die S. KG für ihre Ware einen Mindererlös in Höhe von € 8.421,60 netto (Handelswert gemäß Rechnungen Anlagenkonvolut K 1 € 10.092,00 abzüglich Erlös € 1.670,40) erzielt. Dass die S. KG einen höheren Erlös hätte erreichen können, hat weder die Beklagte noch die Nebenintervenientin substantiiert dargetan, obwohl sie für die Voraussetzungen für das Vorliegen eines (höheren) Vorteilsausgleichs darlegungspflichtig sind (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Vorb. v. § 249 Rz. 75). Weder die Beklagte noch die Nebenintervenientin haben vorgetragen, an wen, zu welchem höheren Preis die S. KG hätte die Ware veräußern können. Das ergibt sich auch nicht aus der E-Mail der S. KG vom 11.10.2008 (Anlage B 2).

Ebenso war die S. KG nach dem Rahmenkontrakt (Anlage K 5) verpflichtet, der L. I. s.r.l. eine Aufwandsentschädigung je Palette von € 150,00, insgesamt € 1.500,00, und je Palette € 50,00, insgesamt weitere € 500,00 zu zahlen. Der Rahmenkontrakt ist insoweit auch nicht unwirksam. Ein Grund dafür ist weder ersichtlich noch von der Nebenintervenientin vorgetragen.

Daraus ermittelt sich ein Gesamtschaden in Höhe von € 10.421,60.

4.

Die Beklagte ist zum Ersatz des Gesamtschadens verpflichtet.

Auf eine Begrenzung der Haftung auf die Höhe der Fracht gemäß Art. 23 Ziff. 5 CMR kann sich die Beklagte nicht berufen, da die Voraussetzungen des Art. 29 CMR vorliegen.

Dabei kann dahinstehen, ob der Vortrag der Beklagten zutreffend ist, sie habe mit der Nebenintervenientin vereinbart, dass deren Fahrzeug bis zum 5.10.2008, 23.00 Uhr, in S. F. bei der Niederlassung N. A. eintreffen solle, oder ob das Vorbringen der Nebenintervenientin richtig ist, sie habe von der Beklagten lediglich den Auftrag erhalten, die Sammelgutsendung (erst) am 6.10.2008 bei der N. A. GmbH in S. F. bei L. abzuliefern.

Sollte der Vortrag der Beklagten zutreffend sein, so hätte die Nebenintervenientin den der S. KG entstandenen Schaden deshalb durch ein qualifiziertes Verschulden verursacht, weil sich die Nebenintervenientin ohne Angabe eines triftigen Grundes nicht an die Weisung der Beklagten gehalten hätte, das Sendungsgut am 5.10.2008 in S. F. zuzustellen, da die Ware unstreitig erst am 6.10.2008, gegen 3.45 Uhr bei der N. A. GmbH in S. F. eingetroffen ist, und dadurch verhindert hätte, dass die Ware noch am Abend des 5.10.2008 auf den Lkw hinsichtlich des Sammelladungsguts von S. F. nach K. hätte verladen werden können, damit die Sendung sodann am Vormittag, des 6.10.2008 bei der Empfangsspedition, der L. I. s.r.l., hätte zugestellt werden können, was der von der Beklagten geplanten Abwicklung des hier in Rede stehenden Transports entsprochen hätte. Auf Verkehrsbehinderungen hat sich die Nebenintervenientin selbst nicht berufen. Solche sind von der Beklagten auch nicht substantiiert vorgetragen worden. Das darin liegende grobe Verschulden der Nebenintervenientin hätte sich die Beklagte gemäß Art. 29 Ziff. 2 Satz 1 CMR zurechnen zu lassen.

Sollte das Vorbringen der Nebenintervenientin richtig sein, läge ein grobes Verschulden der Beklagten im Verhältnis zur S. KG deshalb vor, weil die Beklagte es versäumt hätte, durch eine geeignete Weisung der Nebenintervenientin gegenüber dafür zu sorgen, dass die Sendung noch am Abend des 5.10.2008 auf den Lkw hinsichtlich des Sammelladungsguts von S. F. nach K. hätte verladen werden können, um die Sendung sodann am Vormittag des 6.10.2008 bei der Empfangsspedition, der L. I. s.r.l., zustellen zu können. Das wäre nach der von der Beklagten vorgesehenen Transportplanung nicht möglich gewesen, falls die Nebenintervenientin die Sammelgutsendung erst am 6.10.2008 bei der N. A. GmbH in S. F. hätte abliefern müssen. Für das darin liegende grobe Verschulden hätte die Beklagte gemäß Art. 29 Ziff. 1 CMR einzustehen.

Im Übrigen ist im Verhältnis zur Klägerin vom Vorbringen der Beklagten auszugehen, da sich die Nebenintervenientin als Streithelferin der Beklagten nicht in Widerspruch zu deren Vortrag setzen darf.

5.

Der danach geschuldete Schadensersatzanspruch in Höhe von € 10.421.60 ist durch unstreitige Teilzahlung der Beklagten in Höhe von € 522,75 gemäß § 362 Abs. 1 BGB teilweise erloschen, sodass € 9.898,85 verbleiben.

6.

Der Schadensersatzanspruch gemäß Art. 17 Ziff. 1 CMR ist nicht gemäß Art. 30 Ziff. 3 CMR ausgeschlossen.

Die S. KG hat die Beklagte mit Schreiben vom 7.10.2008 (Anlage K 9) haftbar gehalten. Dem entsprechenden Vortrag der Klägerin in der Replik ist die Beklagte nicht mehr entgegengetreten.

7.

Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht gemäß Art. 32 Ziff. 1 CMR verjährt.

Die dreijährige Verjährungsfrist nach Art. 32 Ziff. 1 Satz 2 CMR ist durch das Reklamationsschreiben der S. KG vom 7.10.2008 (Anlagenkonvolut K 10) an die Beklagte bis zum Tag der schriftlichen Zurückweisung der Reklamation gemäß Art. 32 Ziff. 2 CMR gehemmt gewesen. Eine Zurückweisung des über € 522,75 hinausgehenden Schadensersatzanspruchs kann allenfalls in der erbrachten Teilzahlung in Höhe von € 522,75 gemäß am 16.3.2009 bei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangenem Schreiben gesehen werden. Die Klage ist aber bereits am 12.10.2011 bei Gericht eingereicht worden.

8.

Der Zinsanspruch ergibt sich für die Zeit vom Zugang des Haftbarhaltungsschreibens am 7.10.2008 bis zur Zurückweisung des über € 522,75 hinausgehenden Anspruchs am 16.3.2009 aus Art. 27 Ziff. 1 CMR.

Für die Zeit seit dem 17.3.2009 folgt der Zinsanspruch aus den §§ 286 Abs. 2 Ziff. 3, 288 Abs. 1 BGB.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 101 Abs. 1 2. Hs. ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

 

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