OLG Stuttgart, Az.: 3 Ss 343/90, Beschluss vom 06.09.1990
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Geislingen vom 15. Februar 1990 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.Der Angeklagte wird vom Vorwurf zweier tateinheitlich begangener Beleidigungen freigesprochen.
Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die ihm entstandenen notwendigen Auslagen.
3. Im übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Geislingen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die vom Angeklagten mit der Sachrüge angegriffene Verurteilung wegen Nötigung kann keinen Bestand haben.
Die getroffenen tatrichterlichen Feststellungen sind unvollständig und ermöglichen keine abschließende revisionsgerichtliche Überprüfung.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Angeklagte am 23. März 1989 am Steuer seines Pkw Opel Omega mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der Bundesautobahn A … nach dem Albaufstieg mit einer Geschwindigkeit von etwa 120 km/h über eine Strecke von mindestens 40 km und einen Zeitraum von etwa 20 Minuten bis kurz vor der Raststätte L auf der linken Fahrspur, „obwohl es ihm aufgrund der Verkehrslage ohne weiteres möglich gewesen wäre, auf die rechte Fahrspur hinüberzuwechseln“, und „sich zeitweise links vor ihm keine Fahrzeuge befanden“. In diesem Verhalten sah das Amtsgericht eine Nötigung des hinter dem Angeklagten ebenfalls auf dem linken Fahrstreifen in einem Porsche fahrenden Zeugen Dr. F. Dieser hatte nach den Feststellungen des Amtsgerichts durch Betätigung der Lichthupe sowie durch Handzeichen, die er dem Angeklagten von der rechten Fahrspur aus in gleicher Höhe mit dessen Pkw machte, signalisiert, überholen zu wollen. Der Angeklagte hatte bestritten, daß die Verkehrslage ein Einscheren nach rechts erlaubt hätte. Doch stützt das Amtsgericht seine gegenteilige Feststellung auf die uneidliche Aussage des Zeugen H., der Angeklagte habe „mehrfach die Möglichkeit gehabt …, nach rechts überzuwechseln und dies aus für ihn nicht verständlichen Gründen über einen Zeitraum von mindestens ca. 20 Minuten nicht“ getan.
Mit dieser Darstellung des Tatgeschehens in den Urteilsgründen gibt das Amtsgericht lediglich seine eigene Würdigung der Verkehrslage und die des Zeugen H. wieder. Tatsächliche Angaben über die Anzahl der auf der rechten Spur fahrenden Fahrzeuge, der zwischen ihnen bestehenden Zwischenräume, ihrer Fahrgeschwindigkeit, der Dichte des Verkehrs fehlen. Offenbar war es dem Angeklagten auch nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht während der gesamten Fahrstrecke von etwa 40 km, sondern nur – so jedenfalls die Aussage des Zeugen H. – „mehrmals“ auf dieser Strecke möglich, nach rechts auszuweichen, um ein Überholen durch den Zeugen Dr. F. zu ermöglichen. Damit ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung der tatrichterlichen Würdigung der Verkehrslage nicht möglich. Für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer Behinderung des Zeugen Dr. F. im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB kommt es auf diese Verkehrslage aber entscheidend an. Denn nicht jede vorsätzliche Verhinderung des Überholens ist schon eine Nötigung. Vielmehr ist insoweit – in Abgrenzung zur bloßen Verkehrsordnungswidrigkeit – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein strenger Maßstab anzulegen. Kurzfristige Behinderungen reichen nicht. Notwendig ist eine planmäßige, länger währende Behinderung ohne vernünftigen Grund (vgl. BayObLG, DAR 1990, 187 f.).
Im Rahmen der für § 240 Abs. 2 StGB notwendigen umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls könnte zudem von Bedeutung sein, ob der Streckenverlauf eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als die vom Angeklagten gefahrenen 120 km/h erlaubte. Feststellungen dazu fehlen ebenfalls. Schließlich ist nach der Aussage des Zeugen H. nicht auszuschließen, daß der Zeuge Dr. F. durch dichtes Auffahren mit Lichthupe schon zu Beginn des Tatgeschehens das spätere Verhalten des Angeklagten provoziert haben könnte. Auch diese Frage einer Opferprovokation kann entsprechend dem in §§ 199, 233 StGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung Bedeutung erlangen (vgl. auch BGHSt 17, 331 f.). Ihr ist deshalb bei der erneuten tatrichterlichen Prüfung des Tatgeschehens ebenfalls nachzugehen.
II.
Vom Vorwurf zweier tateinheitlich begangener Beleidigungen des Nebenklägers Dr. F. und seiner Ehefrau war der Angeklagte freizusprechen. Nach der insoweit revisionsgerichtlich nicht zu beanstandenden und vom Nebenkläger auch nicht angefochtenen tatrichterlichen Beweiswürdigung ist dieser Tatvorwurf nicht nachweisbar. Entgegen der Rechtsansicht des Amtsgerichts würde er jedoch zum Tatvorwurf der Nötigung im Verhältnis der Tatmehrheit stehen. Denn der den Vorwurf der Beleidigungen tragende Sachverhalt soll sich erst ereignet haben, als der Zeuge Dr. F. den mit seinem Pkw inzwischen auf die rechte Fahrspur gewechselten Angeklagten überholte, als der Angeklagte also sein ihm als Nötigung angelastetes Verhalten bereits beendet hatte.