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Entziehung der Fahrerlaubnis (vorläufige) – Nötigung – rechts überholen

Oberlandesgericht Hamm

Az: 4 Ws 152/05

Beschluss vom 27.03.2007


Strafsache wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, hier: Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 04. März 2007 gegen den Beschluss der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 16. Februar 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 03. 2007 beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluss der Berufungskammer des Landgerichts Münster vom 16.02.2007, mit dem sein Antrag auf Aufhebung der Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt worden ist.

Dem Rechtsmittel des Angeklagten liegt folgender Verfahrensablauf zu Grunde:

Dem Angeklagten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Münster vom 25.01.2006 zur Last gelegt, sich am 16.11.2005 wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung strafbar gemacht zu haben, als er auf der BAB 1 bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h aus eigennützigen Gründen ein vor ihm fahrendes Fahrzeug rechts überholte, unmittelbar anschließend in die vorher befahrende Fahrspur wieder einscherte und hierbei das nunmehr hinter ihm fahrende Auto zu einer starken Abbremsung zwang, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Nachdem das Amtsgericht das Hauptverfahren eröffnet hatte, hat es mit Verfügung vom 29.03.2006 Termin zur Hauptverhandlung zunächst auf den 11.05.2006 bestimmt. Da im Gerichtstermin ein Zeuge fehlte, hat der Strafrichter die Hauptverhandlung ausgesetzt und neuen Termin auf den 22. Juni 2006 angesetzt. In dem neuen Termin ist der den Vorwurf bestreitende Angeklagte dann wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden. Gleichzeitig ist ihm die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen worden. Ferner hat das Gericht eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von noch sechs Monaten verhängt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte fristgerecht Berufung eingelegt.

Nach Zustellung der Urteilsausfertigung hat sodann das Amtsgericht dem Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 31.08.2006 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Seine als Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung gewertete Beschwerde hat das Landgericht Münster, dem die Akte zwischen-zeitlich zur Durchführung des Berufungsverfahrens vorgelegt worden war, am 20.09.2006 abgelehnt. Der Führerschein gelangte am 02.10.2006 zur Akte.

Mit Verfügung vom 04.10.2006 hat der Kammervorsitzende Termin zur Berufungsverhandlung zunächst für den 09.11.2006 anberaumt. Wegen der Verhinderung eines Zeugen ist der Termin auf den 23.11.2006 verlegt worden. Mit Verfügung 17.11.2006 ist die Gerichtsverhandlung aufgehoben worden, da der Vorsitzende Richter erkrankt war. Nachdem er seine Amtsgeschäfte wieder hat verrichten können, hat er am 01.12.2006 die Berufungshauptverhandlung dann auf den 01.02.2007 angesetzt. Mit Wirkung vom 15.01.2007 hat das Präsidium des Landgerichts die weitere Bearbeitung des Verfahrens einer anderen Kammer übertragen, weil zwischen-zeitlich der zuständige Richter längerfristig erkrankt ist. Noch am selben Tag ist der anberaumte Termin verlegt worden auf den 08.05.2007.

Mit Schreiben der Verteidigerin vom 07.02.2007 hat diese beantragt, den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, weil das Verfahren verzögert gefördert worden sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafkammer den Antrag abgelehnt. Zur Begründung führt sie aus, dass ein grober Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht gegeben sei.

In seiner hiergegen gerichteten Beschwerdeschrift hat der Angeklagte ergänzend ausführen lassen, dass nach Ablauf der bisherigen Zeit von über 18 Monaten seit der Tat die Voraussetzungen für eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr getroffen werden könnten.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die gemäß den §§ 304, 305 S. 2 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat die Strafkammer die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt.

1. Gemäß § 111 a Abs. 2 StPO ist im Berufungsrechtszug bereits vor Urteilerlass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn der Grund ihrer Anordnung weggefallen ist. Das ist der Fall, wenn dringende Gründe für die Annahme, dass die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird, nicht mehr bestehen (§ 111 a Abs. 1 S. 1 StPO). Hiervon kann der Senat nach Lage des Falles in Übereinstimmung mit der Strafkammer nicht ausgehen.

a) Dem Angeklagten wird eine vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung zur Last gelegt, also eine Straftat, die den Täter gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB mangels charakterlicher Zuverlässigkeit i.d.R. als ungeeignet erscheinen lassen, Kfz im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Ein solcher gesetzlicher Regelfall ist bei derartigen Verfehlungen nur dann nicht anzunehmen, wenn besondere Umstände objektiver oder subjektiver Art vorhanden sind, die ungeachtet der Tat die mangelnde Eignung des Täters von vornherein ausschließen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 69 Rdnr. 34 m.w.N.). Hier sind indessen keine Umstände ersichtlich, die eine solche Ausnahme von der gesetzlichen Regel begründen. Insbesondere reicht dazu nicht aus, dass der Angeklagte bisher unbestraft ist und bis zur Tat unbeanstandet führer-scheinpflichtige Kfz im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat.

b) Der bloße Zeitablauf der erstinstanzlich angeordneten Sperrfrist während des Berufungsverfahrens rechtfertigt als solcher nicht die Annahme, die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis werde nicht mehr angeordnet werden (OLG Düsseldorf NZV 2001, 354; 1999, 389, 1988, 194; 1990, 404; Nack, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl. 2003, § 111a Rdnr. 10; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 206, § 111 a Rdnr. 11 m.w.N.; Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot, 10 Aufl. 2006, Rdnr. 866, 867). Die Anordnung der Sperrfrist besagt nicht, dass der Fahrer nur während ihrer Dauer ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs ist; das Gericht verbietet vielmehr lediglich der Verwaltung, innerhalb dieser Frist eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Insbesondere trifft der Strafrichter keine Entscheidung darüber, dass der Betroffene nach Ablauf der Sperrfrist wieder als geeignet zum Führen eines Fahrzeugs anzusehen sei (BVerfG, NJW 1967, 29, 30). Die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Festsetzung einer Sperre bezwecken nämlich, den Verurteilten für eine bestimmte Zeit vom Führen von Kraftfahrzeugen auszuschließen und ihn dazu erst wieder zuzulassen, wenn die Verwaltungsbehörde nach eigener Prüfung seine Eignung dazu bejaht hat. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis soll daher sicherstellen, dass dieser Zweck auch erreicht wird. Mit dieser Zielsetzung wäre es unvereinbar, wenn der Angeklagte, der im Strafverfahren als unzuverlässig beurteilt werden musste, wieder als Fahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehmen dürfte, bevor er sich den dafür vorgesehenen Kontrollen unterzogen hat (OLG Hamburg, NJW 1980, 2590, 2591). Wer gegen ein Urteil, in dem eine Sicherungsmaßregel nach § 69 StGB angeordnet worden ist, Berufung einlegt, muss darüber hinaus damit rechnen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis länger dauert, als das Amtsgericht die Sperrfrist bemessen hat (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 79, 23; NZV 1999, 389; Meyer-Goßner, a.a.O.).

2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Berufungsgericht das Verfahren auch nicht so ungewöhnlich verzögert, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits jetzt die vorläufige Maßnahme nach § 111 a Abs. 1 StPO aufzuheben wäre.

Der bei der Entscheidung über die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) kann im Einzelfall dazu führen, dass die vorläufige Maßnahme nach § 111 a Abs. 1 StPO vorzeitig aufgehoben werden muss. Dies kommt in Betracht, wenn sich das Verfahren ungewöhnlich lange verzögert hat und deshalb die Feststellung eines Eignungsmangels in der zu-künftigen Hauptverhandlung nicht mehr wahrscheinlich ist (OLG Bremen, VRS 31, 454; OLG Düsseldorf, NZV 2001, 354 (hier: 27 Monate!); Hentschel, Straßenver-kehrsrecht, 37. Aufl. 2003, § 111 a StPO, Rdnr, 9; Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 19. Aufl. 2006, § 111 a StPO, Rdnr. 10).

Einen Rechtssatz des Inhalts, dass nach Ablauf von 18 Monaten die charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von führerscheinpflichtigen Fahrzeugen nicht mehr festzustellen ist, gibt es nicht. Soweit sich die Verteidigerin zur Begründung ihrer Ansicht auf ein Urteil des Landgerichts Münster (DAR 2005, 702) beruft, kann sie damit nicht durchdringen. Der dort entschiedene Fall ist auf das vorliegende Verfahren nicht übertragbar, da in jenem Verfahren dem Betroffenen nach 14monatigen vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis noch vor der Berufungshauptverhandlung vom Gericht der Führerschein wieder ausgehändigt worden war. Bereits diese besonderen Umstände sprechen dafür, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung gehandelt hat, die nicht verallgemeinerungsfähig ist.

Ermittlungs- und Strafverfahren, in denen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in den grund-rechtlich geschützten Bereich eines Angeklagten mit besonderer Beschleunigung zu führen (BVerfG, NJW 1977, 1489; OLG Hamm, NZV 2002, 380; LG Hannover, DAR 1969, 247; Meyer-Goßner, a.a.O., § 111 a Rdnr. 1). Eine vollständige Übertragung der in dieser Hinsicht für den Vollzug der Untersuchungshaft geltenden gesetzlichen Bestimmungen und der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, wie sie der Angeklagte fordert, kommt dabei allerdings nicht in Betracht (OLG Köln, NZV 1991, 243, 244; a.A. LG Frankfurt, StV 2003, 69). Vielmehr ist den Unterschieden Rechnung zu tragen, die aus dem Gewicht des jeweiligen Eingriffs in die persönliche Freiheit und der Zweckbestimmung der Maßnahmen (Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer in § 111 a StPO; Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses in §§ 112 ff. StPO) erwachsen. Dass das Beschleunigungsgebot im Hinblick auf die einstweilige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht denselben Stellenwert einnimmt wie für den Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft, findet beispielsweise darin seinen Ausdruck, dass eine dem § 121 Abs. 1 StPO vergleichbare Bestimmung für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis fehlt.

Die Unzulässigkeit der Aufrechterhaltung einer einstweiligen Entziehung der Fahrerlaubnis kann daher nur bei groben Pflichtverletzungen und erheblichen, von der Justiz zu vertretenden Verzögerungen eintreten. Davon ist nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht auszugehen.

Die Anberaumung des Berufungshauptverhandlungstermin auf den 08.05.2007 stellt keine unverhältnismäßig lange Verfahrensverzögerung dar, nachdem das angefochtene Urteil am 22.06.2006 ergangen ist. Der Verfahrensablauf hält sich jedenfalls noch im Rahmen der üblichen Verfahrensdauer. Die zunächst wegen Verhinderung des Zeugen Brüggemann am 09.11.2006 auf den 23.11.2006 erfolgte Verlegung musste wegen der Erkrankung des Dezernenten noch zweimal verlegt werden. Nachdem bekannt geworden ist, dass der zuständige Dezernent längerfristig erkrankt ist, hat das Präsidium des Landgerichts zeitnah die Zuständigkeit für die Sachbehandlung der eilbedürftigen Sachen entsprechend geändert. Demgegenüber war die Verlegung wegen der Verhinderung des nur mittelbaren Tatzeugen Brüggemann, dessen Angaben wie im erstinstanzlichen Urteil festgestellt im Hinblick auf das eigentliche Tat- bzw. Kerngeschehen unerheblich waren daher für die Verfahrensdauer von nur untergeordneter Bedeutung. Insgesamt sind keine vermeidbaren, auf Versäumnisse der Justiz beruhende erheblichen Verzögerungen festzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO, da das Rechtsmittel des Beschwerdeführers erfolglos geblieben ist.

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