OLG Hamm
Az: 4 Ss 308/05
Beschluss vom 11.08.2005
Der Beschluß des Amtsgerichts Gronau vom 16. Juni 2005 wird aufgehoben.
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gronau zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen „vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit vorsätzlicher Nötigung“ zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 Euro und einem Fahrverbot von drei Monaten Dauer verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. April 2005, der am selben Tage beim Amtsgericht eingegangen ist, Rechtsmittel eingelegt. Nachdem das vollständig abgefaßte Urteil seinem ordnungsgemäß bevollmächtigten Verteidiger am 25. April 2005 zugestellt worden ist, hat dieser die Revision mit Schriftsatz vom 24. Mai 2005, der am folgenden Tage ordnungsgemäß bei dem Amtsgericht eingegangen ist, begründet. Dieser Schriftsatz ist aus Gründen, die den Akten nicht zu entnehmen sind, an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden, die ihn zu den Handakten genommen hat. Die Revisionsbegründungsschrift vom 24. Mai 2005 ist erneut am 30. Mai 2005 an das Landgericht Münster übersandt worden.
Das Amtsgericht hat – in Unkenntnis des rechtzeitigen Eingangs der Revisionsbegründung – mit Beschluß vom 16. Juni 2005 die Revision als unzulässig verworfen, weil die Revisionsanträge und deren Begründung nicht fristgerecht bei dem Amtsgericht Gronau eingegangen seien. Gegen diesen dem Verteidiger am 21. Juni 2005 zugestellten Beschluß wendet sich der Angeklagte mit seinem am folgenden Tage bei dem Amtsgericht Gronau eingegangenen Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts.
Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen und – hinsichtlich der unterbliebenen Bescheidung von zwei Hilfsbeweisanträgen – die Verletzung formellen Rechts.
II.
Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist begründet.
Das Amtsgericht ist irrtümlich davon ausgegangen, daß die Revisionsanträge und ihre Begründung nicht rechtzeitig eingegangen seien. Tatsächlich war der entsprechende Schriftsatz rechtzeitig bei dem Amtsgericht Gronau eingegangen, so daß der Beschluß vom 16. Juni 2005 aufzuheben war.
Unabhängig davon hätte die Revision ohnehin nicht als unzulässig verworfen werden dürfen, sondern das Rechtsmittel als Berufung durchgeführt werden müssen. Das zunächst unbenannte Rechtsmittel war erst durch – vermeintlich verspätet eingegangenen – Schriftsatz des Verteidigers als Revision bezeichnet worden, so daß der Übergang auf dieses Rechtsmittel auch nach dem damaligen Kenntnisstand des Amtsrichters unwirksam war. Die endgültige Wahl eines Rechtsmittels kann nur bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erklärt werden. Wird keine Wahl getroffen oder nicht in zulässiger Weise erklärt, ist das Rechtsmittelverfahren als Berufung durchzuführen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, § 335 Rdnr. 3 – 5; OLG Hamm, 3. Strafsenat, Beschluß vom 26. März 1998 – 3 Ss 263/98 -; OLG Hamm, 4. Senat, Beschluß vom 9. Januar 2000 – 4 Ss 1261/00 -).
Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben.
2. Die Revision des Angeklagten hat, wie von der Generalstaatsanwaltschaft zu Recht ausgeführt, bereits mit der allgemeinen Sachrüge jedenfalls vorläufig Erfolg. Es kann daher dahinstehen, ob auch die Rüge der Verletzung formellen Rechts – das Nichtbescheiden von zwei Hilfsbeweisanträgen – dem Rechtsmittel zum Erfolg verholfen hätte. Insoweit merkt der Senat allerdings an, daß diese beiden Hilfsbeweisanträge jedenfalls nicht zureichend protokolliert worden sind.
Das Amtsgericht hat in der Sache folgende Feststellungen getroffen:
„Am 04.08.04 befuhr der Angeklagte um 9.45 Uhr mit dem Pkw der Marke BMW, amtliches Kennzeichen …, die B … aus P in Fahrtrichtung H. Zunächst fuhr er in der dortigen 70-er Zone. Vor ihm fuhr die Zeugin I mit ihrem Fahrzeug vom Typ Mazda 626, amtliches Kennzeichen …. In der 70 km/h Zone fuhr der Angeklagte sehr dicht auf dieses Fahrzeug der Zeugin I auf, wobei der Abstand zwischen zwei und drei Metern variierte.
Nach Passieren der Gaststätte B, in deren Höhe etwa die 70 km/h Zone endet, überholte der Angeklagte die Zeugin I, wobei er sehr dicht an ihr vorbeifuhr und kurz vor ihr wieder einscherte. Danach bremste er sein Fahrzeug abrupt auf ca. 60 km/h herunter, wodurch die Zeugin gezwungen war, ebenfalls eine Vollbremsung durchzuführen, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Anschließend fuhr der Angeklagte an den rechten Fahrbahnrand. Als die Zeugin an ihm vorbeifuhr, riss er plötzlich die Fahrertür auf.
…
Aufgrund dieser Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Anklage völlig zu Recht erhoben worden ist. Der Angeklagte hat zum fraglichen Zeitpunkt das Fahrzeug gelenkt. Dies räumt er im wesentlichen auch selber ein und die Zeugin hat ihn eindeutig wiedererkannt. Er ist sehr dicht auf diese Zeugin aufgefahren, wobei er den Tatbestand der Nötigung gem. § 240 StGB erfüllt hat. Wer derartig dicht auf einen anderen Wagen auffährt, der droht mit einem empfindlichen Übel, nämlich dem möglicherweise Entstehen eines Verkehrsunfalls und zwingt so den vor ihm Fahrenden, ein anderes Fahrverhalten an den Tag zu legen, gegebenenfalls die Fahrbahn frei zu machen. Danach hat der Angeklagte außerhalb der 70 km/h Zone die Zeugin überholt, wobei er beim Wiedereinscheren den Pkw der Zeugin geschnitten hat und sie anschließend ausgebremst hat. Dadurch hat er sich einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315 c Abs. I Ziff. 2 b StGB schuldig gemacht. Er hat hier falsch überholt, da er zum einen nach dem Überholvorgang sehr scharf vor der Zeugin wieder eingeschert ist und diese geschnitten hat und sie anschließend ausgebremst hat. Dadurch bestand auch eine ganz konkrete Gefahr für die Zeugin, die nämlich bekundet hat, sie habe sehr stark abbremsen müssen, um einen folgenschweren Auffahrunfall zu vermeiden.“
Die bisher getroffenen Feststellungen lassen weder eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung noch einer Nötigung zu.
Soweit eine Verurteilung wegen (vollendeter) Nötigung erfolgt ist, sind schon die objektiven Feststellungen lückenhaft.
Zunächst ist nicht feststellbar, daß ein wie auch immer gearteter Nötigungserfolg eingetreten sein könnte. Die getroffenen Feststellungen lassen eher den Schluß zu, daß die Zeugin I ihr Fahrverhalten jedenfalls innerhalb der geschwindigkeitsbegrenzten Zone nicht verändert hat, so daß ohnehin nur die Verurteilung wegen versuchter Nötigung in Betracht kommen könnte.
Im übrigen ist für die Annahme willensbeugender Gewalt (vis compulsiva) im Straßenverkehr die Intensität der Einwirkung des beanstandeten Fahrverhaltens im Einzelfall entscheidend. Notwendig für die Annahme einer – versuchten – Nötigung ist regelmäßig eine Zwangswirkung von gewisser Dauer (vgl. Tröndle-Fischer, StGB, 52. Aufl., § 240 Rdnr. 15 ff. m.z.w.N.; OLG Frankfurt a.M., NZV 2004, 158 (158 f.)). Hierzu fehlen jedoch hinreichende Feststellungen über die Dauer bzw. Strecke des dichten Auffahrens. Soweit sich aus der wiedergegebenen Aussage der Zeugin I darauf ergeben, der Angeklagte sei möglicherweise über eine längere Strecke, in der gesamten 70 km/h Zone, dicht aufgefahren, ist nicht erkennbar, daß das Gericht dieser Aussage der Zeugin gefolgt ist.
Letztlich kann die Verurteilung wegen Nötigung auch deshalb keinen Bestand haben, weil jegliche Feststellungen zum subjektiven Tatbestand fehlen.
Auch die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung findet in den getroffenen Feststellungen keine hinreichende Tatsachengrundlage.
Eine Verurteilung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c I Nr. 2 StGB setzt voraus, dass der Angeklagte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt hat. Die grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit müssen nebeneinander vorliegen (zu vgl. Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 26. Aufl., § 315 c Rdnr. 28 m.w.N.; OLG Düsseldorf, NZV 2000, 337 (338)).
Insoweit bestehen schon in objektiver Hinsicht durchgreifende Rechtsfehler. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen, soweit sie von der Einlassung des Angeklagten abweichen, auf den Angaben der Zeugen I und C. Diese Zeugen haben den Überholvorgang jedoch unterschiedlich geschildert, ohne daß das Amtsgericht dargelegt hat, aus welchen Gründen es welcher Schilderung folgt. Insoweit fehlt auch eine Auseinandersetzung des Gerichts zum Grund des Abbremsens und Rechts-Heranfahrens, wie sie offenbar vom Angeklagten geschildert und vom Zeugen C bestätigt worden ist. Das wäre aber erforderlich gewesen, weil das festgestellte Verhalten – Abbremsen nach dem Überholen, rechts Heranfahren, Anhalten, Öffnen der Fahrzeugtür – jedenfalls kein typisches Verhalten für ein „Ausbremsen“ darstellt.
Auch für die Annahme einer konkreten Gefährdung fehlen in objektiver Hinsicht zureichende tatsächliche Feststellungen.
Schließlich ist das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes, einschließlich des Vorsatzes hinsichtlich der Gefährdung, weder festgestellt noch aus dem Beweisergebnis abgeleitet.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Strafrichter – Gronau zurückzuverweisen. Die Sache bedarf der neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision, deren Erfolg noch nicht feststeht.