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Notausgangnutzung zur Be- und Entladung im Wohngebiet

VG Saarland

Az: 5 K 18/11

Urteil vom 07.09.2011


Der Bescheid vom 11.08.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 16.11.2010 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Beigeladenen die Nutzung des Notausganges zur …straße als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich zu untersagen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Hauptbeteiligten jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war für die Klägerin notwendig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten als Bauaufsichtsbehörde die Verpflichtung zum Einschreiten gegen Lärmimmissionen, die vom Pizza-Heim-Service des Beigeladenen auf ihr Wohngrundstück ausgehen.

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in der A-Straße in A-Stadt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „Stadtmitte A-Stadt“, der für die Ostseite der … ein Allgemeines Wohngebiet (2-geschossige, offene Bauweise mit Dachgeschoss, Grundflächenzahl 0,6, Geschossflächenzahl 1,2) ausweist. Für die Westseite der … weist der Bebauungsplan ein Allgemeines Wohngebiet (2-geschossige, geschlossene Bauweise mit Dachgeschoss, Grundflächenzahl 0,4, Geschossflächenzahl 1,0) aus. Nach Süden grenzt das Grundstück der Klägerin an die Bebauung der ….

Auf der gegenüberliegenden (West-) Seite der … betreibt der Beigeladene im Anwesen C-Straße eine Pizzeria mit einem …… Dieses Anwesen liegt im Geltungsbereich des Vorhaben- und Erschließungsplans „……“ vom 25.02.1998. Dieser erfasst das frühere Gebäude … und die Bebauung entlang der … in Richtung Nordwesten. Er setzt als Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet (§ 6 BauNVO) fest und schließt Tankstellen und Vergnügungsstätten (§ 4a Abs. 3 BauNVO) aus. Infolge des Vorhaben- und Erschließungsplans wurde auf dem Plangebiet das Anwesen C-Straße errichtet.

Mit Bauschein vom 13.05.2002 genehmigte der Beklagte dem früheren Betreiber des Ladenlokals des Beigeladenen die „teilweise Nutzungsänderung im Bereich des Ladens 5 im Erdgeschoss durch Einbau eines Pizza-Heimservices mit interner Bewirtung von max. 10 Sitzplätzen“. In den genehmigten Plänen ist der Zugang zum Lokal von der … dargestellt. Von dort aus folgt in Richtung … der Gastraum mit 10 Sitzplätzen und weiter in die Tiefe des Raums der Tresen und dahinter der Küchenbereich. Hier ist mit Grüneintrag ein Notausgang (als zweiter Rettungsweg) dargestellt. Gegenstand der Baugenehmigung sind u.a. auch die Auflagen des Landesamtes für Verbraucher-, Gesundheits- und Arbeitsschutz vom 08.04.2002, deren Nr. 5 lautet:

Bei Geräuschübertragungen innerhalb des Gebäudes und bei Körperschallübertragung dürfen die Richtwerte in fremden Wohnräumen von

tagsüber (06:00 – 22:00 Uhr) 35 dB(A)

nachts (22:00 – 06:00 Uhr) 25 dB(A)

nicht überschritten werden. Es soll vermieden werden, dass kurzzeitige Geräuschspitzen den Richtwert um mehr als 10 dB(A) überschreiten.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 20.02.2009 wandte sich die Klägerin an den Beklagten, beklagte sich über Lärmbelästigungen durch den Heimservicebetrieb des Beigeladenen und bat um Mitteilung, ob für die Tür mit Ausgang zur …straße eine Baugenehmigung existiere. Mit weiterem Schreiben vom 28.05.2009 forderte sie den Erlass einer Nutzungsuntersagung, weil die Pizzeria im Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werde. Ausweislich der Betriebsbeschreibung arbeiteten in der Pizzeria zwei Vollzeitbeschäftigte und eine Teilzeitkraft als Pizzafahrer. Tatsächlich verfüge der Betrieb über mehr Beschäftigte, insbesondere drei Pizzafahrer. Mit bis zu vier Pkw würden Bestellungen der Kunden bis nach … ausgefahren. Zum Be- und Entladen werde stets nur der „Notausgang“ genutzt. Auch die Bedienung und Bewirtung der Außenbestuhlung erfolge nur über den Notausgang. Der Zugang über die …straße werde nur in Ausnahmefällen genutzt, sodass sich die gesamte Lärmentwicklung einschließlich des Fahrzeugverkehrs, der nach der Baugenehmigung über die …straße abgewickelt werde, in der …straße abspiele. Damit entspreche die tatsächliche Nutzung nicht der genehmigten und sei zu untersagen. Zwar sei ein Pizzaservice in einem Mischgebiet zulässig. Da indes der allein genutzte Notausgang in der …straße sei, komme es auf die Gebietsverträglichkeit mit dem hier festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet an. Hier sei ein nicht der Gebietsversorgung dienender Pizzaservice nicht zulässig. Die Betriebszeiten von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr seien nicht wohngebietsverträglich, insbesondere nicht an Sonn- und Feiertagen. Unzumutbar seien ferner die Nutzung des Notausgangs und die lauten Fahrgeräusche der Servicefahrzeuge beim An- und Abfahren sowie die Geräusche beim Be- und Entladen.

Zwei Ortsbesichtigungen durch den Beklagten am 15.06.2009 zwischen 12:00 und 13:00 Uhr sowie am 24.06.2009 zwischen 19:00 und 20:00 Uhr ergaben, dass in dem Betrieb neben dem Konzessionsinhaber ein Pizzabäcker und eine Servicekraft tätig waren. Die Öffnungszeiten waren mittwochs bis montags von 11:30 Uhr bis 14:00 Uhr und von 17:30 bis 23:00 Uhr. Am Vormittag war ein Fahrer beschäftigt, am Abend waren es bei Bedarf bis zu zwei. Neben zwei Auslieferungsfahrzeugen gab es noch den privaten Pkw des Betreibers für dessen Heimfahrten. Die An- und Abfahrten der Servicefahrzeuge erfolgten sowohl über die Markt- als auch die …straße.

Mit Bescheid vom 11.08.2009 lehnt der Beklagte ein Einschreiten gegen den Beigeladenen ab: Die Baugenehmigung für den Betrieb des Pizza-Heimservices vom 13.05.2002 sei bestandskräftig und decke den Betrieb vor Ort ab.

Gegen den ihr am 12.08.2009 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin am 02.09.2009 Widerspruch: Der Betrieb des Beigeladenen sei erweitert worden und verfüge nunmehr über drei bis vier Fahrzeuge samt Personal. Der benutzte Notausgang verursache erheblichen Lärm und zwar bis weit nach 23:00 Uhr. Die Tür halte auch nicht die von § 37 Abs. 5 LBO geforderte Mindestbreite von 90 cm ein. In dem Allgemeinen Wohngebiet, das vorliegend für den Fahrverkehr genutzt werde, sei ein Pizza-Service nicht zulässig. Mehrfach pro Woche funktioniere auch der Abzug nicht und verbreite starken Essensgeruch in der Straße. Der Notausgang müsse geschlossen und die Außenbestuhlung entfernt werden.

In der mündlichen Verhandlung beim Rechtsausschuss erklärten der Vertreter des Beklagten und des Beigeladenen, sie wollten versuchen, bei der Stadt zwei Parkmöglichkeiten in der …straße zu erhalten. Der Beigeladene erklärte, die Außenbestuhlung solle nur noch über den Haupteingang in der Markstraße bedient werden. Daraufhin wurde das Verfahren für zwei Monate ausgesetzt. Die Gespräche mit der Stadt verliefen fruchtlos.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2010 wies der Rechtsausschuss den Widerspruch zurück: Auf den Gebietserhaltungsanspruch könne sich die Klägerin nicht berufen, weil ihr Anwesen in einem anderen Gebietstypus liege als die Pizzeria des Beigeladenen. Auch das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt. Dem Beigeladenen seien bestandskräftig 8 Sitzplätze im Außenbereich genehmigt worden. Der davon ausgehende Lärm sei nicht unzumutbar. Der Außenbereich dürfe nur bis 22:00 Uhr genutzt werden und eine Beschallung sei unzulässig. Zudem liege die …straße zwischen der Pizzeria und dem Anwesen der Klägerin. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Untersagung der Nutzung des Notausgangs. Ob dieser förmlich genehmigt sei, spiele für die Position des Nachbarn keine Rolle. Auch materiell-rechtlich verletze die Tür nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Sie sei mit einer automatischen Schließanlage versehen, die Geräusche aus dem Inneren der Pizzeria reduziere. Die Außenbestuhlung werde nicht mehr über diese Tür bedient. Auch wenn der Beigeladene die Tür nicht mehr für den Pizzaservice nutze, müssten die Fahrzeuge mangels Parkmöglichkeit in der …straße in der …straße be- und entladen werden. Fahrzeugverkehr sei für Schank- und Speisewirtschaften in Mischgebieten typisch. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 09.12.2010 zugestellt.

Am 10.01.2011 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage auf Untersagung der Nutzungsänderung des Betriebs des Beigeladenen, hilfsweise auf Verpflichtung des Beklagten zur Nutzungsuntersagung des Notausgangs als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen. Insbesondere macht sie geltend, die Betriebserweiterung durch den Beigeladenen führe zu einem Aliud gegenüber dem genehmigten Betriebsumfang. Für den Betrieb würden die Fahrzeuge mit den Kennzeichen … genutzt. Im Gastraum gebe es 6 Tische mit insgesamt 24 Sitzplätzen. Dafür seien nicht genügend Stellplätze nachgewiesen.

Die Baugenehmigung verstoße auch im Hinblick auf die genehmigten Betriebszeiten rund um die Uhr und an Sonn- und Feiertagen gegen die geschützten Nachbarrechte der Klägerin. Die Nebenbestimmung zu den Lärmgrenzwerten sei nicht ausreichend. Vielmehr hätte es der Überprüfung bedurft, ob der Betrieb die Grenzwerte einhalte. Die Benutzung des Notausgangs führe zu Lärmbelästigungen bis weit nach 23:00 Uhr und zu Geruchsbelästigungen.

Im Grenzbereich zwischen einem Mischgebiet und einem Allgemeinen Wohngebiet seien derartige Störungen im Verständnis von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO rücksichtslos, wenn mangels ausreichender Stellplätze der ruhende Verkehr zwangsläufig in bislang unbelastete Wohnbereiche abgedrängt werde.1

Allerdings bestünden Bedenken, dass der Bebauungsplan, der für die …straße ein Allgemeines Wohngebiet (WA) festsetze, noch wirksam sei, nachdem der vorhabenbezogene Bebauungsplan aufgestellt worden sei. Seitdem werde in der …straße ausschließlich gewohnt und damit sei die Festsetzung WA obsolet geworden. Dass der Beigeladene zur Schalldämmung Klebeband an der Notausgangstür angebracht habe, werde mit Nichtwissen bestritten.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 11.08.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 16.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Beigeladenen die teilweise Nutzungsänderung im Bereich des Ladens 5 im Erdgeschoss des Anwesens C-Straße in A-Stadt durch den Betrieb eines Pizza-Heim-Services zu untersagen; hilfsweise, dem Beigeladenen die Nutzung des Notausganges zur …straße als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich zu untersagen

sowie

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verweist zunächst auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und des Weiteren darauf hin, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach den für das Vorhabengrundstück geltenden Regelungen bestimmt und nicht nach denen für benachbarte Grundstücke. Ein „Pizza-Heim-Service“ (Betrieb zur Herstellung und Auslieferung bestimmter Speisen und Getränke) sei in einem Mischgebiet als sonstiger (nicht wesentlich störender) Gewerbebetrieb nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO den Nachbarn gegenüber regelmäßig zumutbar.2 Soweit sich die Klägerin gegen die Baugenehmigung vom 13.05.2002 wende, könne die Klage keinen Erfolg haben, weil die Baugenehmigung auch ihr gegenüber bestandskräftig sei. Für die Nutzung des Notausganges zu weiteren Zwecken habe es keiner Baugenehmigung bedurft, weil das nach § 61 Abs. 1 Nr. 10c LBO verfahrensfrei sei. Die Erhöhung der Anzahl der Sitzplätze und der Mitarbeiter im Betrieb des Beigeladenen führe nicht zur Rücksichtslosigkeit des Betriebes für die Klägerin. Die von ihr beanstandeten Öffnungszeiten entsprächen nicht den tatsächlichen Betriebszeiten. Aufgrund der Auflagen in der Baugenehmigung zum Lärm- und Geruchsschutz sei die Annahme der Rücksichtslosigkeit fernliegend.

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Der Beigeladene stellt keinen förmlichen Antrag. Seiner Ansicht nach ist die Einschätzung der Klägerin unzutreffend, er habe den Betrieb erweitert. Im Gastraum gebe es keine 24 Sitzplätze. Von den vorhandenen 6 Tischen stünden nur vier den Gästen zur Verfügung. Die anderen beiden Tische seien für das Personal und zum Abstellen für den Lieferservice. An den 4 Tischen stünden zwar jeweils 4 Stühle, sodass er 16 Stühle habe. Dass an allen 4 Tischen jeweils 4 Gäste säßen, käme indes nicht vor. Im Regelfall säßen 2 Personen an einem Tisch. Es würden auch nicht 4 Lieferfahrzeuge eingesetzt. Nur die beiden Renault Twingo mit den Kennzeichen … seien Lieferfahrzeuge. Der dritte Renault Twingo sei das Privatfahrzeug des Beigeladenen, das er auch nur in den Wintermonaten benutze, wenn er nicht mit seinem Alfa Romeo (privat) fahre. Das von der Klägerin als Lieferfahrzeug bezeichnete Fahrzeug … sei nicht bekannt und werde deshalb auch nicht als Lieferfahrzeug eingesetzt. Er beschäftige zwar wirklich mehr als zwei Pizzafahrer. Allerdings handele es sich dabei auch um 400-Euro-Kräfte, die in der Woche nur stundenweise arbeiteten. Mehr als zwei Fahrzeuge seien nie im Einsatz, an ruhigen Tagen auch nur eines. Unzutreffend sei auch die ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung der Klägerin, durch den Betrieb des Beigeladenen würden die immissionsschutzrechtlichen Lärmpegel überschritten. In der Baugenehmigung gehe es allein um die Schallübertragung innerhalb des Gebäudes. Auch die Behauptung von Essensgerüchen in der Straße treffe nicht zu. Die vom Landesamt für Verbraucher-, Gesundheits- und Arbeitsschutz geforderte Abluftanlage sei vorhanden und könne auch nicht abgeschaltet werden. Die Bewirtung der Außenterrasse erfolge seit dem Verhandlungstermin beim Rechtsausschuss ausschließlich über den Haupteingang. Die Baugenehmigung vom 13.05.2002 sei bestandskräftig. Von dieser habe die Klägerin spätestens mit der Akteneinsicht am 24.03.2009 Kenntnis erlangt und damit die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO in Lauf gesetzt. Eine Nutzungsänderung sei nicht erfolgt. Aus der Anzahl der eingesetzten Lieferfahrzeuge oder der bewirteten Gäste lasse sich eine Nutzungsänderung nicht herleiten. Dafür sei eine Änderung in bodenrechtlicher Hinsicht erforderlich, die nicht eingetreten sei. Der bloße Umstand, dass ein Fahrzeug in der ursprünglichen Betriebsbeschreibung nicht aufgeführt sei, reiche dazu nicht aus.3 Ebenso stelle die Nutzung des Notausganges (ausschließlich) für die Pizzafahrer keine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung dar. Selbst wenn es den Haupteingang nicht gebe, wäre der Notausgang als Haupteingang ohne Weiteres zu genehmigen. Gebe es den Notausgang nicht, würde sich an den Immissionen durch den Betrieb der beiden Lieferfahrzeuge nichts ändern. Nach 22:00 Uhr werde der Notausgang auch für den Pizza-Service nicht mehr benutzt, (was die Klägerin bestreitet).

Das Gericht hat die Örtlichkeit am 04.05.2011 in Augenschein genommen; wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Ortsbesichtigung Bezug genommen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und hat mit dem auf die Verpflichtung des Beklagten zum Einschreiten gegen die Nutzung des Notausgangs zur …straße als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich gerichteten Hilfsantrag Erfolg (II.); im Hauptantrag ist sie unbegründet (I.).

I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen „die teilweise Nutzungsänderung des Beigeladenen im Bereich des Ladens 5 im Erdgeschoss des Anwesens C-Straße durch den Betrieb des Pizza-Heim-Service“. Die Ablehnung des Einschreitens durch die Beklagte ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Rechten.

Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin kommt nur § 57 Abs. 2 VwGO in Betracht. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung, der Beseitigung sowie der Instandhaltung von Anlagen darüber zu achten, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden; in Wahrnehmung dieser Aufgaben haben sie die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Das der Bauaufsichtsbehörde nach § 57 Abs. 2 LBO zustehende Ermessen ist im Falle der Missachtung nachbarschützender Bestimmungen vorbehaltlich eines individuellen Rechtsverlustes im Einzelfall regelmäßig auf ein Einschreiten gegenüber baurechtswidrigen Anlagen und/oder deren Nutzung reduziert. Dieser Anspruch umfasst regelmäßig auch ein Recht auf gegebenenfalls zwangsweise Realisierung entsprechender Anordnungen im Wege des Verwaltungszwanges, im Einzelfall sogar unter Anwendung eines bestimmten Zwangsmittels.4 Demgegenüber hat ein Nachbar grundsätzlich keinen Anspruch auf Einhaltung von Rechtsnormen, die nicht seinem Schutz zu dienen bestimmt sind.

Der Erfolg einer baurechtlichen Nachbarklage gegen eine bestimmte Nutzung setzt voraus, dass die Nutzung nicht nur rechtswidrig ist, sondern darüber hinaus gerade den klagenden Nachbarn in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt. Die Nutzung ist allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht.5

Die formal-rechtlichen Bestimmungen über die Baugenehmigungspflicht (§ 60 LBO), die Verfahrensfreiheit (§ 61 LBO) und die Genehmigungsfreistellung (§ 63 LBO) dienen allein den öffentlichen Interessen und sind von daher schon vom Ansatz her ungeeignet, Nachbarn irgendwelche Abwehrrechte gegenüber Vorhaben oder Nutzungen auf benachbarten Grundstücken zu gewähren. Deshalb spielt es keine Rolle, ob sich die Nutzung des Grundstücks durch den Beigeladenen auf der Grundlage von § 60 Abs. 1 LBO („Die Errichtung, die Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen bedürfen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 61 bis 63 und 77 nichts anderes bestimmt ist.“) formal-rechtlich als genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung gegenüber der Baugenehmigung zum Einbau eines Pizza-Heimservices mit interner Bewirtung vom 13.05.2002 darstellt. Nachbarn können sich mit Erfolg nur auf die Verletzung materiell-rechtlicher Bestimmungen berufen. Für die Rechtsposition der Klägerin als Nachbarin spielt es im Grundsatz keine Rolle, ob der Beigeladene für die Nutzung überhaupt eine Baugenehmigung besitzt. Diese Baugenehmigung hat im Verhältnis zu der Klägerin allein die Bedeutung, dass sie keine Nutzungen (mehr) abwehren kann, die der Beigeladene aufgrund einer im Verhältnis zu ihr bestandskräftigen Baugenehmigung vornimmt.

Das hat zur Folge, dass der Klägerin kein Anspruch auf Untersagung einer „teilweisen Nutzungsänderung im Bereich des Ladens 5 des Anwesens C-Straße durch den Betrieb des Pizza-Heim-Service“ zusteht, weil sie damit allein eine Verletzung formellen Baurechts behauptet, die für ihre Rechtsposition unbedeutend ist. Macht die Klägerin mit ihrem Hauptantrag aber bereits keine Verletzung materiellen Baurechts geltend, ist die Klage insoweit erfolglos und abzuweisen.

II. Demgegenüber hat der Hilfsantrag, den Beklagten zu verpflichten dem Beigeladenen die Nutzung des Notausgangs zur …straße als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich zu untersagen, Erfolg. Diese Nutzung steht zur Überzeugung der Kammer im Widerspruch zu dem Nachbarschutz vermittelnden Gebot der Rücksichtnahme.

Bauplanungsrechtlich beurteilt sich die Zulässigkeit einer Nutzung und damit auch die Abwehrmöglichkeit des Nachbarn nicht nach den für das Nachbargrundstück, sondern – wie sonst auch – nach den für das Vorhabengrundstück geltenden Rechtsnormen.6

Deshalb spielt es vom Ansatz her keine Rolle, ob sich das Anwesen der Klägerin – wie im Bebauungsplan „Stadtmitte A-Stadt“ festgesetzt – in einem Allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) befindet oder aber – wie die Klägerin meint – diese Festsetzung deshalb obsolet und damit wirkungslos sei, weil die tatsächliche Nutzung im Bereich der …straße einem Reinen Wohngebiet im Verständnis von § 3 BauNVO entspricht. Allerdings spricht nichts für die rechtlich subjektive Einschätzung der Klägerin:

Zwar kann die Funktionslosigkeit einer planerischen Festsetzung auch teilweise eintreten. Die Planung tritt aber nur in vollem Umfang außer Kraft, wenn wesentliche, nach der ursprünglichen planerischen Konzeption erforderliche Festsetzungen offensichtlich endgültig nicht vollzogen werden. Das ist aber nur in äußerst seltenen Fällen der Fall. Eine bauplanerische Festsetzung tritt nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann.7

Nicht jede als Abweichung erkennbare Nichtübereinstimmung der tatsächlichen Verhältnisse mit der jeweils maßgeblichen bauplanerischen Festsetzung führt zur Funktionslosigkeit. Vielmehr vermag der Bebauungsplan eine normative Wirkung nur dann nicht mehr zu entfalten, wenn die Erkennbarkeit der Abweichung einen Grad erreicht hat, der einem in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Wann von einem solchen Grad der Erkennbarkeit die Rede sein kann, lässt sich nicht abstrakt festlegen.

Entscheidend ist eine einzelfallbezogene Würdigung. Funktionslos kann eine bauplanerische Festsetzung sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre (Fort-) Geltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer auf den Gesamtgeltungsbereich des Bebauungsplans bezogenen Betrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern.8

Bei Anlegung dieser Maßstäbe auf den Bebauungsplan „Stadtmitte A-Stadt“ spricht nichts für dessen vollständige oder auch nur teilweise Unwirksamkeit. Vielmehr kann die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung in der …straße als „Allgemeines Wohngebiet“ nach wie vor auf jedem einzelnen Grundstück im Geltungsbereich des Plans verwirklicht werden. Die Unwirksamkeit einer Festsetzung steht ohnehin nur dann denkbar im Raum, wenn das Maß der Festsetzung im Plangebiet quasi flächendeckend überschritten wird. So wurde bislang die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche oder der maximalen Höhe oder der maximalen Anzahl von Vollgeschossen auch nicht deshalb für obsolet angesehen, weil nur kleinere als maximal zulässige Objekte errichtet wurden. Nichts anderes kann für die Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung gelten. Nach wie vor sind auf allen Grundstücken im Plangebiet die in § 4 BauNVO genannten Nutzungen allgemein bzw. ausnahmsweise zulässig. Jede andere Einschätzung wäre mit der von Art. 28 GG geschützten Planungshoheit der Gemeinde unvereinbar.

Das Vorhabengrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Vorhaben- und Erschließungsplans „Ecke …straße / …straße“, der am 18.02.1998 vom Stadtrat der Stadt A-Stadt als Satzung auf der Grundlage von § 7 des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch (BauGB-MaßnahmenG) verabschiedet wurde und am 20.05.1998 in Kraft getreten ist. Nach § 243 Abs. 1 BauGB (Überleitungsvorschrift für das Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch) ist auf Verfahren, Pläne, Satzungen und Entscheidungen, die aufgrund des Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch eingeleitet, in Kraft getreten oder wirksam geworden sind, § 233 BauGB entsprechend anzuwenden. Für den vorliegenden Plan bestimmt § 233 Abs. 3 BauGB, dass der Grundlage bisheriger Fassungen dieses Gesetzes wirksame oder übergeleitete Pläne, Satzungen und Entscheidungen fortgelten.

Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine Nutzung ist grundsätzlich von der Verbindlichkeit einer Planung auszugehen, weil durchgreifende Anhaltspunkte für die Ungültigkeit des Plans weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, weil es nicht zu den Aufgaben des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) gehört, ungefragt in die Suche nach Fehlern beim Zustandekommen einer kommunalen Satzung und damit in die inzidente Normenkontrolle einzusteigen.9

Damit bemisst sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung des Anwesens durch den Beigeladenen nach § 7 BauGB-MaßnahmenG.

Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 BauGB-MaßnahmenG ist ein Vorhaben im Gebiet der Satzung zulässig, wenn es der Satzung nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen hier aller Voraussicht nach vor.

Der Vorhaben- und Erschließungsplan „Ecke …straße / …straße“ setzt als Art der baulichen Nutzung ein „Mischgebiet (§ 6 BauNVO)“ fest. Mischgebiete dienen nach § 6 Abs. 1 BauNVO dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Zulässig sind dort nach § 6 Abs. 2 BauNVO u.a. Wohngebäude, Geschäfts- und Bürogebäude, Einzelhandels-, Schank- und Speisewirtschaften sowie Betriebe, des Beherbergungsgewerbe und sonstige Gewerbebetriebe.

Ein „Pizza-Heim-Service“ (Betrieb zur Herstellung und Auslieferung bestimmter Speisen und Getränke) ist in einem Mischgebiet als sonstiger (nicht wesentlich störender) Gewerbebetrieb nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig und dementsprechend den Nachbarn gegenüber regelmäßig zumutbar.10

Dass die Klägerin in einem Allgemeinen Wohngebiet wohnt, ist an dieser Stelle von Rechts wegen nicht von Bedeutung. Die Art der baulichen Nutzung gewährt dem Nachbarn nur innerhalb desselben Gebietes ein subjektives Abwehrrecht gegenüber nicht gebietsverträglichen Nutzungen. Als Bewohner eines benachbarten Gebiets im Verständnis der §§ 2 ff. BauNVO kommt bauplanungsrechtlich allein das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht.

Zur Überzeugung der Kammer verletzt die Nutzung des nach § 33 LBO bauordnungsrechtlich erforderlichen Notausgangs (zweiter Rettungsweg) zur …straße als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich im Verhältnis zur Klägerin das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebotes.

Das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht, sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts. Im beplanten Innenbereich findet das Rücksichtnahmegebot seine gesetzliche Grundlage in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, demzufolge die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig sind, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind.11

Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewähren. Die dabei vorzunehmende Abwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen. Der begünstigte Dritte muss es hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als Vorbelastung berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern kann.12

Immissionen, die das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß nicht überschreiten, begründen auch unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots keine Abwehr- oder Schutzansprüche.13

Rücksichtnahme auf seine Interessen kann ein Nachbar nur insoweit verlangen, als er selbst über eine schützenswerte Rechtsposition verfügt.14 Eine solche Position erlangt er nicht schon und allein dadurch, dass die auf seinem Grundstück verwirklichte Nutzung baurechtlich zulässig, die Nutzung auf einem anderen Grundstück hingegen (allein) objektiv rechtswidrig ist.15 Erforderlich ist vielmehr eine über bloße Lästigkeiten und auch sonst im nachbarlichen Nebeneinander vorkommende Störungen hinausgehende qualifizierte Betroffenheit des die Rücksichtnahme einfordernden Nachbargrundstücks.1616 Ein Vorhaben, das in Übereinstimmung mit städtebaulichen Vorgaben steht, kann nur ganz ausnahmsweise an den Anforderungen des Rücksichtnahmegebotes scheitern.17

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Kammer teilt die Einschätzung des Beklagten und des Beigeladenen, dass die Nutzung des „Notausgangs“ zur …straße mit den städtebaulichen Vorgaben des Vorhaben- und Erschließungsplans „Ecke …straße /…straße“ übereinstimmt. Denn grundsätzlich ist es Sache des Bauherrn, an welcher Stelle er den Zugang zu einem „Pizza-Heim-Service“ innerhalb eines Mischgebiets vorsieht. Sie teilt ferner deren Einschätzung, dass selbst, wenn die Klägerin mit ihrer Behauptung Recht hätte, dass der Beigeladene nicht zwei, sondern bis zu vier Fahrzeuge zur Auslieferung einsetzen würde, das bauplanungsrechtlich keinen Einfluss auf die Zulässigkeit des Betriebs in dem Mischgebiet hätte. Ebenfalls zutreffend hat der Beigeladene darauf hingewiesen, dass sich die Regelung in der Baugenehmigung zu den Lärmrichtwerten allein auf die Geräuschübertragung innerhalb des Gebäudes und die Körperschallübertragung in fremde Wohnräume bezieht und die Klägerin, die auf der gegenüberliegenden Seite der …straße wohnt, daraus nichts für ihre Rechtsposition herleiten kann. Da die Baugenehmigung vom 13.05.2002 bestandskräftig und nicht unmittelbar Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, spielt es für das vorliegende Verfahren auch keine entscheidende Rolle, welche Betriebszeiten in der Baugenehmigung baurechtlich genehmigt wurden. Erst recht geht es die Klägerin nichts an, ob die Notausgangstür die von § 37 Abs. 5 LBO geforderte Mindestbreite von 90 cm hat, weil diese Regelung ersichtlich nicht dem Schutz des Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu dienen bestimmt ist.

Rücksichtslos im Verhältnis zu der in dem mit dem Bebauungsplan „Stadtmitte A-Stadt“ festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet wohnenden Klägerin ist die Nutzung des „Notausgangs“ wegen der besonderen Situation unmittelbar an der Grenze zwischen dem Misch- und dem Allgemeinen Wohngebiet aufgrund des Umstandes, dass die …straße eine enge Sackgasse ist. Die Nutzung des „Notausgangs“ anstelle des Eingangs an der …straße führt aufgrund der im öffentlichen Baurecht gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dazu, dass der gesamte mit dem Pizza-Heim-Service verbundene Lärm zwangsläufig in das Wohngebiet getragen wird. Dabei handelt es sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung um die Geräusche beim Öffnen und Schließen der Notausgangstür, die Gespräche zwischen den Fahrern und den Servicekräften innerhalb des Gebäudes, das Schlagen der Türen und Heckklappen der Lieferfahrzeuge und die Fahrzeuggeräusche beim Anfahren und Abfahren der Lieferfahrzeuge, die wegen des Umstandes, dass die …straße eine Sackgasse ist, stets entweder hier oder aber sogar tiefer in der …straße wenden müssen. Diese Geräusche gehen, weil es sich bei der …straße nicht um eine Durchgangsstraße, sondern um eine Sackgasse handelt, die im Wesentlichen nur von den wenigen Anliegern genutzt wird, auch nicht in dem allgemeinen Geräuschpegel unter.

Der Beigeladene kann sich für die Rechtmäßigkeit der Nutzung der „Notausgangs“ als Zuwegung für die Auslieferungsfahrzeuge nicht auf Bestandschutz aufgrund der erteilten Baugenehmigungen berufen. In den Baugenehmigungen ist der „Zugang“ zum Lokal ausschließlich von der …straße und mit der Grüneintragung, dass die lichte Türöffnung mindestens 90 cm breit sein muss, dargestellt, während der zweite Rettungsweg als „Notausgang“ bezeichnet ist. Die Bezeichnung „Notausgang“ lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass damit baurechtlich kein (zweiter) Zugang, sondern allein ein für Notfälle freizuhaltender Ausgang zugelassen wurde, der im Falle eines Brandes der zügigen Rettung von Personen und dem raschen Löschangriff der Feuerwehr dient.18

Das von der Nutzung des „Notausgangs“ als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge auf das benachbarte Wohngebiet ausgehende Störpotential und die fehlende baurechtliche Zulassung des „Notausgangs“ in der Baugenehmigung sind in den im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme vorzunehmenden Interessenausgleich einzustellen. Dabei ist von Rechts wegen zu fragen, wie groß der Aufwand des Beigeladenen ist, um den dargestellten „Schaden“ für die Bewohner des unmittelbar angrenzenden Wohngebietes abzuwenden. Dieser Aufwand besteht darin, dass die Auslieferungsfahrer die Kisten mit den Pizzen anstatt über die zwei Stufen aus der Notausgangstür durch den Gastraum hindurch zur Eingangstür des Lokals tragen und draußen in die Auslieferfahrzeuge einladen müssten. Dafür steht auf der gegenüberliegenden Seite der …straße der Marktplatz als nahezu ständig leerer Parkplatz zur Verfügung. Dieser Mehraufwand erscheint dem Beigeladenen von Rechts wegen zumutbarer als den Nachbarn die Geräuschbelästigung.

Nach der Lebenserfahrung spricht auch nichts für den Einwand des Beigeladenen, dass der Geräuschpegel für die Klägerin derselbe wäre, wenn die Fahrer die Notausgangstür nicht nutzen dürften, weil sie dann an derselben Stelle die Fahrzeuge abstellten und beluden und damit allenfalls die Geräusche aus dem Gebäudeinneren von der geschlossenen Tür abgeschirmt würden. Denn so wie die Lebenserfahrung dafür spricht, dass im Zweifelsfalle der Notausgang als kürzester Weg zu den davor abgestellten Auslieferfahrzeugen benutzt wird, spricht die Lebenserfahrung mit Nachdruck dafür, dass die Auslieferungsfahrzeuge ohne die Tür zur …straße in der Nähe zur Ausgangstür an der …straße oder auf dem gegenüberliegenden Marktplatz abgestellt und be- und entladen werden und sich der damit verbundene Lärm deutlich von der …straße in Richtung auf die …straße verlagert. An dieser Stelle befinden sich ausschließlich Mischgebiete, in denen dieser Lärm – sofern er hier überhaupt stört – gebietsadäquat und damit hinzunehmen ist.

Zur Überzeugung der Kammer ist es auch nicht mit einer zeitlichen Beschränkung der Nutzung etwa auf Sonn- und Feiertage oder nach 22:00 Uhr getan, weil sich deren Einhaltung nicht hinreichend verifizieren lässt. Denn bei der Beurteilung, ob ein Vorhaben oder eine bestimmte Nutzung „stört“ oder das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, ist im öffentlichen Baurecht nach der Rechtsprechung stets von einer typisierenden Betrachtungsweise auszugehen. Dabei sind mögliche Schutzmaßnahmen oder Betriebsbeschränkungen außer Betracht zu lassen, die bei einem Vorhaben dieses Typs ungewöhnlich oder fremd sind und daher auf Dauer ein Bedürfnis nach ihrer Beseitigung auslösen oder vom Wohlwollen des Betreibers oder sogar Dritter abhängen und deren Einhaltung von der Bauaufsichtsbehörde mit zumutbarem Aufwand nicht zuverlässig überwacht werden kann.

Davon ausgehend erscheint jede Problemlösung realitätsfremd, die eine Nutzung des „Notausgangs“ zu anderen Zwecken denn als zweiter Rettungsweg zulässt. Denn bei jeder Nutzung würde sich für den Beigeladenen bzw. dessen Personal eine Erklärung aufdrängen, die gerade diese Nutzung als notwendig erscheinen lässt. Dementsprechend handelte es sich dann um eine Betriebsbeschränkung, die vom Wohlwollen des Betreibers oder sogar Dritter abhängen und deren Einhaltung von der Bauaufsichtsbehörde mit zumutbarem Aufwand nicht zuverlässig überwacht werden kann.

Hinsichtlich der Nutzung des Notausgangs zum Bedienen der Gäste im Außenbereich versteht sich die Verpflichtung des Beklagten zur Untersagung deklaratorisch, weil dies seit dem Verhandlungstermin beim Rechtsausschuss für den Stadtverband am 22.07.2010 nach dem Angaben des Beigeladenen überhaupt nicht mehr und nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nur noch gelegentlich erfolgt.

Ist aber eine Benutzung des „Notausgangs“ zu anderen Zwecken denn als zweiter Rettungsweg unzulässig, stellen sich auch nicht mehr die Fragen, ob und ggf. welche Geräusche von dieser Tür bei deren Benutzung ausgehen, inwieweit Klebeband oder andere technische Hilfsmittel die Zuschlaggeräusche der Tür dämmen sowie ob und inwieweit Geräusche und/oder Gerüche aus dem Lokal ins unmittelbar benachbarte Wohngebiet gelangen.

Das zeigt deutlich, dass das Gebot der Rücksichtnahme vorliegend ein Einschreiten des Beklagten gegen die Nutzung des Notausgangs zum Schutze der Klägerin verlangt und nur eine entsprechende bauaufsichtliche Anordnung gegenüber dem Beigeladenen geeignet ist, den seit Jahren virulenten Konflikt im Grenzbereich zwischen dem Mischgebiet einerseits und dem Allgemeinen Wohngebiet andererseits zu lösen. Dem Beigeladenen, der den Notausgang ohnehin nur aus brandschutztechnischen Gründen herrichten und dulden muss, wird mit der zu treffenden Anordnung auch nichts Unzumutbares auferlegt.

Damit steht der Klägerin ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen die Nutzung des Notausgangs zur …straße als Zuwegung zum Be- und Entladen der Auslieferungsfahrzeuge und zum Bedienen der Gäste im Außenbereich durch den Beigeladenen zu.

Folglich ist der Klage im Hilfsantrag stattzugeben.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht auf der Grundlage von § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil der Beigeladene keinen förmlichen Antrag gestellt hat und damit nicht zugleich das Risiko eingegangen ist, im Falle des Unterliegens an den Kosten des Verfahrens beteiligt zu werden (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren war notwendig, weil sie vom Standpunkt einer verständigen, nichts rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Die Berufung wird nicht gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO zugelassen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 2 GKG.

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