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Notruf – Verwertbarkeit bei späterem Gebrauchmachen von einem Zeugnisverweigerungsrecht


Landgericht Stuttgart

Az: 7 Qs 52/14

Beschluss vom 20.10.2014


Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.


Gründe

1. Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 02.10.2014 (Az. 16 Ds 71 Js 55354/14) hat in der Sache – auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens – keinen Erfolg.

a) Die Voraussetzungen des 111a StPO liegen vor. Es liegt der dringende Tatverdacht, dass der Angeklagte zum Vorfallzeitpunkt das Kraftfahrzeug …, amtliches Kennzeichen …, gesteuert hat, obwohl er infolge vorausgegangenen Alkoholgenusses – wie er bei zumutbarer und selbstkritischer Prüfung vor Fahrantritt hätte erkennen können und müssen – fahruntüchtig war, und damit auch einer Anlasstat nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor. Beim derzeitigen Ermittlungsstand ist auch davon auszugehen, dass das Gericht im Hauptverfahren dem Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit entziehen und den Führerschein einziehen wird.

b) Hieran ändert sich auch nichts aufgrund des Umstands, dass die Ehefrau des Angeklagten als Zeugin mittlerweile von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht hat. Die von ihr im Rahmen des am 11.06.2014 gegen 20.15 Uhr getätigten Notrufs getätigten Angaben bleiben zumindest teilweise verwertbar.

(1) Zwar darf nach § § 252 StPO die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, nicht verlesen werden. Die Vorschrift ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung über ihren Wortlaut hinaus auch dahingehend auszulegen, dass jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Angaben einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person, insbesondere die Vernehmung nichtrichterlicher Verhörpersonen zum Inhalt der früheren Angaben unzulässig ist (BGHSt 2, 99; 46, 189).

Das Verwertungsverbot gilt aber nur für frühere Äußerungen eines Zeugen im Rahmen einer Vernehmung. Als „Vernehmung” in diesem Sinne ist dabei nicht nur eine förmlich durchgeführte Vernehmung anzusehen. Der Begriff der Vernehmung ist vielmehr weit auszulegen und umfasst alle früheren Bekundungen auf Grund einer amtlichen Befragung, also auch Angaben bei einer informatorischen Befragung durch die Polizei. Entscheidend ist, dass die Auskunftsperson von einem Staatsorgan in amtlicher Eigenschaft zu dem den Gegenstand des Strafverfahrens bildenden Sachverhalt gehört worden ist (so OLG Saarbrücken, NJW 2008, 1396 mwN).

Von den Beschränkungen des § 252 StPO ausgenommen sind Äußerungen, die ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge unabhängig von einer Vernehmung gemacht hat. Verwertbar und einer Beweiserhebung zugänglich sind daher Bekundungen gegenüber Privatpersonen, aber auch Erklärungen gegenüber Amtspersonen, die ein Zeuge von sich aus außerhalb einer Vernehmung, etwa bei der Bitte um polizeiliche Hilfe, bei einer nicht mit einer Vernehmung verbundenen Strafanzeige oder sonst ungefragt, „spontan” und „aus freien Stücken” abgegeben hat (vgl. BGH NJW 1998, 2229 mwN). Als spontane Bekundungen aus freien Stücken kommen demnach auch Mitteilungen im Rahmen von Notrufen in Betracht (BGH NStZ 1986, 232; OLG Hamm NStZ 2012, 53).

In diesem Zusammenhang sind Fallkonstellationen problematisch, in denen Erklärungen eines Zeugen – wie vorliegend durch Nachfragen – in eine förmliche Vernehmung übergehen oder mit einer Vernehmung in engem sachlichem und zeitlichen Zusammenhang stehen. Maßgeblich ist in diesen Konstellationen, ab welchem Zeitpunkt eine informatorische Befragung oder die (bloße) Entgegennahme von spontanen Äußerungen einer Person zu einer Vernehmung wird. Die Tatsache, dass der Zeuge von sich aus Kontakt zu einer Behörde aufnimmt, reicht jedenfalls in den Fällen, in denen die stattliche Stelle von Amts wegen tätig werden muss, für sich allein nicht ohne Weiteres aus, die Verwertbarkeit der entsprechenden Angaben zu begründen. Denn die Eigeninitiative des Zeugen kann lediglich Anlass und Grund für die Verfahrenseinleitung mit anschließender Vernehmung sein, die dann dem Schutz des § 252 StPO unterliegt (BGH NJW 1998, 2229; Sander/Cirener in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage (2009), § 252 Rn. 39). Bezüglich der Bestimmung des Zeitpunkts sind vielmehr objektive und subjektive Kriterien heranzuziehen. Demnach muss neben dem Moment, in welchem der Beamte subjektiv von einem Anfangsverdacht ausgeht, auch berücksichtigt werden, wie sich das Verhalten des Beamten nach Außen in der Wahrnehmung des Befragten darstellt bzw. ob aus dem Verhalten des Beamten für den Befragten auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts geschlossen werden kann (BGH NJW 1992, 1663, 1666; siehe auch BGH NJW 2007, 2706, 2708 sowie OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.04.2009 – Az. 2 Ss 747/08 – Rn. 14 – zitiert nach Juris). Würde man demgegenüber allein auf die Eigenschaft des Notrufs abstellen, bestünde die Gefahr, dass der Schutz der §§ 52, 252 StPO durch stetiges Nachfragen entwertet werden könnte.

(2) Gemessen hieran sind die Äußerungen der Ehefrau des Angeklagten jedenfalls teilweise verwertbar.

Die Zeugin hatte sich mit einem telefonischen Notruf am 11.06.2014 gegen 20.15 Uhr an das Führungs- und Lagezentrum des Polizeipräsidiums [Stadt] gewandt; die Dauer des aufgezeichneten Gesprächs beträgt insgesamt 3:54 Min. Nachdem sich die dortige Polizeibeamtin mit den Worten „Polizeinotruf [Stadt]“ gemeldet hatte, entwickelte sich folgendes Gespräch:

Zeugin: „Ja, guten Tag, … [Nachname] hier. Und zwar ähm: Ich hab, ich war, wir ziehen gerade um und ich war in unserer neuen Wohnung und in der Zeit sollte mein Mann auf unser Baby aufpassen, … Monate alt. Kam ich nach Hause – also er ist bekannt dafür, dass er trinkt – jetzt hat er während dessen er auf sie aufpassen sollte, wie er sagt, zwei Weißweinschorle getrunken – sah aber nicht danach aus. Und dann ist er jetzt gegangen, hat mir des den Schlüssel von meinem Auto – ist zwar auf ihn gemeldet, aber ist mein Auto – hat er mir genommen. Da ist der Kinderwagenaufsatz drin, alle meine Sachen und ist einfach abgeschwirrt ins Café, also sein Café.“

Polizei: „Ja, und um was geht es Ihnen jetzt?“

Zeugin: „Äh, mir geht‘s darum, das es erstens äh Beweis ist, weil wenn jetzt die Scheidung kommt, ich möchte nicht, dass er mit meiner Tochter ohne Aufsicht ist, weil jetzt hat man gesehen, er passt auf sie auf und trinkt. – So.“

Polizei: „Ja und wie wollen sie das jetzt nachweisen, dass er aufgepasst hat und getrunken hat. Weil sie jetzt hier angerufen haben, oder was? Oder wie jetzt – versteh jetzt net? Also, ist er jetzt betrunken mit dem Auto unterwegs oder was?“ (Min. 1:14) …

Unter Zugrundelegung der oben genannten Grundsätze sind jedenfalls diese bis zu Min. 1:14 getätigten Aussagen der Zeugin verwertbar. Diese erfolgten außerhalb einer förmlichen Vernehmung oder informatorischen Befragung spontan und aus freien Stücken und unterliegen daher nicht dem Verwertungsverbot des § 252 StPO. Die Zeugin schilderte zunächst von sich aus und ungefragt den wesentlichen Sachverhalt, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein Anfangsverdacht gegen ihren Ehemann bestanden hätte. Ein Anfangsverdacht und somit eine Pflicht zur Belehrung der Zeugin nach § 52 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 StPO bestand frühestens nach diesen Angaben. Trotz überschreiten der „Belehrungsschwelle“ wurde die Zeugin im weiteren Verlauf des Gesprächs unbelehrt gezielt bezüglich der Trunkenheitsfahrt befragt, weshalb die nachfolgenden Angaben nicht mehr verwertbar sind (so auch Sander/Cirener in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage (2009), § 252 Rn. 39).

c) Nach alledem ist derzeit davon auszugehen, dass dem Angeklagten die angeklagte Trunkenheitsfahrt nachgewiesen werden kann. Die angeklagte Fahrt im alkoholisierten Zustand ergibt sich schon aufgrund der Angaben der Zeugin bis zu Min. 1:14 des Notrufs. Auch konnte aufgrund der insoweit verwertbaren Angaben der Zeugin – entgegen der Behauptung des Angeklagten vor Ort – der Autoschlüssel in dessen rechten Hosentasche aufgefunden werden. Darüber hinaus besteht eine Fernwirkung bezüglich der Beweismittel, deren Erlangung auf eine unverwertbare Aussage zurückzuführen ist, in der Regel nicht. Unabhängig davon wäre es für die Polizei bereits aufgrund der bis zu Min. 1:14 gemachten Angaben ohne Weiteres möglich gewesen, die Person des Angeklagten sowie dessen Aufenthalt zügig zu ermitteln. So werden etwa bei Eingabe der Wörter „[Nachname]“ „Café“ und „[Stadt]“ in die Internet-Suchmaschine Google auf Anhieb mehrere Ergebnisse angezeigt, die auf den Angeklagten sowie das „Café …“ in [Adresse] in [Stadt] hinweisen.

Die nach Feststellung des Angeklagten bei diesem um 21.55 Uhr sowie um 22.25 Uhr entnommenen Blutproben ergaben im Mittelwert Blutalkoholkonzentrationen von 1,32 und 1,25 Promille.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.


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