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Notwegerecht – Duldungspflicht Grundstückseigentümer

LG Arnsberg 2 – Az.: 2 O 219/16 – Urteil vom 01.06.2017

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin den Zugang und die Zufahrt mit  Kraftfahrzeugen von der Straße U über das Grundstück Gemarkung G Flur xx Flurstück xxx, Gebäude- und Freifläche U xx, 22 qm groß zu den Grundstücken der Klägerin G Flur xx Flurstücke xxx und xxx zu gewähren.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.600,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Einräumung eines Notwegerechts.

Die Klägerin erhielt im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens den Zuschlag über die Hausgrundstücke G Flur xx Flurstücke xxx und xxx. Der Zuschlagsbeschluss wurde am 04.12.2014 verkündet. Voreigentümer war der Vater des Beklagten. Zuvor hatte der Beklagte mit Auflassung vom 21.11.2013 das Grundstück G Flur xx Flurstück xxx erworben und wurde am 10.02.2014 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen.

Das Flurstück xxx ist gelegen zwischen dem Flurstück xxx, einem öffentlichen Weg der Stadt G, und dem ersteigerten Grundstück des Klägers. An der nördlichen Seite des ersteigerten Grundstücks befinden sich weitere bebaute Grundstücke. An der südlichen Seite erstrecken sich Richtung süd-osten verlaufend Bahnschienen. An der westlichen Seite des Grundstücks verläuft der Bach „S“. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf die Kopie des Lageplans Bezug genommen (Bl. 3 d. A.).

2016 brach ein Gerichtsvollzieher die Räumung des sich auf den versteigerten Grundstücken befindlichen Gebäudes ab, da der Beklagte den Zugang über sein Grundstück verwehrt hatte.

Die Klägerin behauptet, dass über andere Grundstücke als das des Beklagten ein Zugang zur öffentlichen Straße nicht gegeben sei. Ferner behauptet sie, dass Voreigentümer des Grundstücks des Beklagten die Stadt N gewesen sei und der Beklagte das Grundstück nur erworben habe, um entweder das Zwangsversteigerungsverfahren zu erschweren oder gar unmöglich zu machen oder einem möglichen Ersteher den Zugang zum Flurstück xxx zu verwehren, da andere Gründe für den Erwerb dieser „öffentlichen Wegeparzelle“ kaum denkbar oder zu erkennen seien.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihr den Zugang und die Zufahrt mit Kraftfahrzeugen von der Straße U über das Grundstück Gemarkung G Flur xx Flurstück xxx, Gebäude- und Freifläche U xx, 22 qm groß zu ihren Grundstücken G Flur xx Flurstücke xxx und xxx zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Zuschlagsbeschluss keine materielle Rechtskraft entfalte, da er gegen das Landesbaugesetz verstoße, wonach sogenannte eingeschlossene Grundstücke nicht versteigert werden dürften, die öffentlich-rechtlich nicht zugänglich seien; zudem sei ein Geh- und Fahrrecht zugunsten des ersteigerten Grundstücks im Zuschlagsbeschluss nicht vermerkt worden, sodass er den Beklagten in seinem Recht aus Artikel 14 GG verletze; darüber hinaus habe die Sparkasse N die Zwangsversteigerung mit keinen mängelfreien notariellen Urkunden betrieben, sodass der Titel nicht hätte erteilt werden dürfen.

Er behauptet, der Voreigentümer des Grundstücks des Beklagten sei sein Vater gewesen, welcher seinerseits das Grundstück von der Stadt N erworben habe und die Grundstücke zunächst zusammengefügt und bei einer sodann erfolgten Abtrennung sich selber und jeden Rechtsnachfolger in die jetzige kuriose Grundstückssituation gebracht habe. Hierzu vertritt er die Ansicht, dass deshalb gegen die angrenzenden Anlieger kein Rechtsanspruch auf Einräumung eines Wegerechts bestünde.

Ferner behauptet er, dass der Vortrag der Klägerin, wonach über andere Grundstücke als das des Beklagten, das klägerische Grundstück keinen Zugang zur öffentlichen Straße habe, unter Bezugnahme auf die Kopie des Lageplans, nachweisbar unzutreffend sei.

Der Beklagte trägt ferner vor, dem Geschäftsführer der Klägerin sei bekannt gewesen, dass das ersteigerte Grundstück öffentlich-rechtlich nicht zugänglich sei; so habe die Rechtspflegerin im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahren wörtlich geäußert: „Wer dort hin will, muss sich einen Hubschrauber kaufen“; hierzu meint er, dass aufgrund dieser positiven Kenntnis von der örtlichen Situation die Klägerin nunmehr nicht verlangen könne, dass ihr nachträglich ein Wegerecht gewährt werde, dies hätte sie vielmehr vorher privatrechtlich Regeln müssen.

Nachdem die Klageschrift dem Beklagten am 22.07.2016 zugestellt worden ist, behauptet er mit Schriftsatz vom 30.05.2017, dass ihm das Grundstück nicht mehr gehöre. Die Klägerin bestreitet diesen Vortrag mit Nichtwissen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.

Der Beklagte ist insbesondere prozessführungsbefugt. Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 30.05.2017 und damit nach Rechtshängigkeit der Klage im Sinne der §§ 261 Abs.1, 253 Abs.1 ZPO behauptet, dass ihm das Grundstück nicht mehr gehöre, dürfte dieser Vortrag so verstanden werden, als dass der Beklagte das Grundstück veräußert hat und ein neuer Eigentümer ins Grundbuch eingetragen worden ist. Diese Tatsachen sind aber nicht unter Beweis gestellt worden. Insoweit konnte die Klägerin die Behauptung zulässig mit Nichtwissen bestreiten, da die Eigentumsübertragung des Grundstücks weder eine eigene Handlung der Klägerin darstellt, noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen ist, § 138 Abs.4 ZPO.

Im Übrigen hätte die Veräußerung des Streit befangenen Grundstückes gemäß § 265 Abs.2 S.1 ZPO keinen Einfluss auf den hiesigen Prozess. Der Ablauf eines Prozesses soll aus Gründen der Prozessökonomie nicht durch willkürliche Verfügung einer Partei über die streitbefangene Sache beeinträchtigt werden. Keine Partei soll sich durch eine solche Verfügung ihrer Sachlegitimation begeben und damit den Gegner zu einem neuen Prozess gegen den Rechtsnachfolger nötigen dürfen. Der Veräußernde wird daher kraft Gesetzes Prozessstandschafter des Rechtsnachfolgers mit der Folge, dass die klagende Partei ihren alten Antrag aufrechterhalten und dann gemäß §§ 727, 731 ZPO gegen den Nachfolger aus dem Urteil vollstrecken kann (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 265 ZPO, juris).

2.

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht das geltend gemachte Notwegerecht aus § 917 Abs.1 BGB zu. Der Beklagte ist zur Duldung der Nutzung insoweit verpflichtet, als dass er der Klägerin den Zugang und die Zufahrt mit einem Kraftfahrzeug gewähren muss.

Nach § 917 Abs.1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden, wenn dem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege fehlt. Diese Voraussetzungen sind vorliegen erfüllt.

Die Klägerin ist mit Zuschlag vom 04.12.2014 gemäß § 90 Abs.1 ZVG Eigentümerin des Grundstücks geworden. Die Einwendungen des Beklagten gegen den Zuschlagsbeschluss sind unerheblich. Der Zuschlag verschafft originäres Eigentum und wird bereits mit der Verkündung wirksam. Soweit, wie vorliegend von dem Beklagten vorgetragen, im Beschwerdeverfahren noch nicht rechtskräftig über die Aufhebung des Beschlusses entschieden worden ist, bleibt der Ersteher Eigentümer. Die etwaige rechtskräftige Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses führt dann zu einem rückwirkenden Eigentumsverlust (vgl. Stöber in Kommentar zum ZVG, 21. Aufl. 2016, § 90, Rn.2).

Dem Grundstück fehlt auch die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg. Aus diesem Grunde kann nicht zweifelhaft sein, dass zu einer ordnungsgemäßen Benutzung des sich auf dem Grundstück der Klägerin befindlichen Gebäudes das Betreten und Begehen des im Eigentum des Beklagten stehenden Flurstücks notwendig ist.

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Der Beklagte muss darüber hinaus die Benutzung seines Grundstücks mit einem Kraftfahrzeug zum Grundstück der Klägerin dulden. Unter Zugrundelegung des zwar strengen Maßstabes in der Rechtsprechung, die bei Bejahung eines Notwegerechtes einem grundsätzlich Berechtigten nicht zwangsläufig ein Notwegerecht zubilligt, um sein Grundstück mit Fahrzeugen zu erreichen, ist höchstrichterlich anerkannt, dass bei Wohngrundstücken, die Zufahrt für Kraftfahrzeuge zum Grundstück, mithin die Erreichbarkeit des Grundstücks, in der Regel notwendig ist (vgl. BGH, Teilurteil vom 12. Dezember 2008 – V ZR 106/07 -, zit. n. juris, Rn. 24). Die Zufahrt zu einem Gewerbegrundstück ist in der Regel notwendig, wenn dort eine Be- oder Entladung erforderlich ist (vgl. Palandt, 76. Auflage, § 917, Rn. 6). Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen, ist die Zufahrt zum Grundstück des Klägers mit einem Kraftfahrzeug notwendig, unabhängig von der geplanten Nutzung des Hausgrundstückes. Die Besonderheit liegt vorliegend darin, dass das Hausgrundstück der Klägerin bislang nicht geräumt ist. Eine motorisierte Zugangsmöglichkeit, die den An- und Abtransport von beispielsweise Versorgungsleistungen, Einrichtungsgegenständen oder anderen Gegenständen ermöglicht, ist daher erforderlich, um das Grundstück überhaupt, sei es als Wohngrundstück oder als Gewerbegrundstück, nutzen zu können.

Soweit der Beklagte vorträgt, dass der Zugang des Klägers zur öffentlichen Straße über andere Grundstücke als das des Beklagten gegeben sei, kann dies in geografischer Hinsicht dahin stehen. Zwar muss bei mehreren möglichen Verbindungen die Benutzung der konkreten Verbindung notwendig sein, welches eine Abwägung zwischen dem Interesse an geringster Belastung durch den Notweg und dem an größter Effektivität des Notweges erfordert. Vorliegend ist eine solche Abwägung, die wohl für eine Nutzung des Grundstücks des Beklagten sprechen würde, aber deshalb nicht erforderlich, da der Klägerin keine weitere Verbindungsmöglichkeit als die beanspruchte zur Verfügung steht. Die Klägerin ist auf die Inanspruchnahme des Beklagten gemäß § 918 Abs.2 S.1 BGB beschränkt. Das Grundstück war zuvor ein öffentlicher Weg der Stadt N, welcher – nach eigenem Vortrag des Beklagten – zunächst von seinem Vater erworben und dann an ihn veräußert worden ist. In einem solchen Falle sollen nach der gesetzlichen Wertung des § 918 Abs.2 BGB, der einen Spezialfall des selbstverursachenden Notwegebedarfs regelt, die Nachbareigentümer von einer derart geschaffenen Notlage nicht betroffen sein. § 918 Abs.2 BGB beschränkt den Kreis der duldungspflichtigen Nachbareigentümer im Falle der Abschneidung des Grundstücks durch Veräußerung auf denjenigen Eigentümer, über dessen Grundstücksteil die Verbindung bisher stattgefunden hat, unabhängig davon, ob der Grundstückseigentümer über diese Verbindung tatsächlich zu seinem Grundstück gelangt ist, sofern – wie vorliegend – der Zugang zuvor rechtlich und tatsächlich möglich war (vgl. Säcker in MüKoBGB, 6. Aufl. 2013, BGB § 918 Rn. 5).

Das Notwegerecht ist auch nicht gemäß § 918 BGG ausgeschlossen. Zwar stellt die Veräußerung eines Grundstücksteils eine willkürliche Handlung im Sinne des § 918 Abs.1 BGB dar. Nach § 918 Abs.2 BGB wird durch diese besondere Art des selbstverursachenden Notwegebedarfs das Notwegerecht aber nicht generell ausgeschlossen, sondern auf das bisherige Verbindungsgrundstück konkretisiert und gegenüber Grundstücken anderer Nachbarn ausgeschlossen. Zwar kann dieses Notwegerecht nach § 918 Abs.2 BGB ebenfalls durch willkürliche Handlung gegenüber dem Erwerber wie z.B. durch einen Verzicht ausgeschlossen werden. Ein solcher Verzicht seitens des Voreigentümers ist aber weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Vielmehr trägt der Beklagte vor, sein Vater habe durch ein „Versäumnis“ die kuriose Grundstückssituation geschaffen. Insoweit trägt der Beklagte als derjenige, der sich auf einen Ausschluss des Notwegerechts beruft, die Darlegungs- und Beweislast.

Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin von der öffentlich-rechtlichen Zugangslosigkeit des Grundstücks Kenntnis hatte. Sie hat sich dadurch zwar dem Risiko ausgesetzt, ein Wegerecht privatrechtlich geltend machen zu müssen. Eine zeitliche Begrenzung dieser Geltendmachung ist dadurch aber nicht eingetreten.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf bis zu 6000,00 EUR festgesetzt.

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