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Nutzungsausfall und Verdienstausfall für ein teilweise gewerblich genutztes Taxi

KG Berlin, Az.: 22 U 1701/75

Urteil vom 18.12.1975

Tatbestand

Am 17. Mai 1974 gegen 17.20 Uhr befuhr der Kläger mit seinem PKW Mercedes 230/8, polizeiliches Kennzeichen X, in B.-T. die dritte Fahrspur der D.-Straße in östlicher Richtung. In Höhe der für ihn von rechts einmündenden, durch die Verkehrszeichen 205 und 306 als wartepflichtig gekennzeichneten M.-Straße stieß er mit der Kraftdroschke (Mercedes 200 D/8, polizeiliches Kennzeichen Y) der Beklagten zu 1) zusammen, mit welcher der Beklagte zu 2) unter Ausnutzung einer Verkehrslücke in der zweiten Fahrspur aus der M.-Straße auf die D.-Straße gefahren war, um diese nach links abbiegend, weiter in westlicher Richtung zu befahren. Beide Kraftfahrzeuge wurden beschädigt.

Der Kläger verlangt vollen Ersatz seines Unfallschadens.

Er hat behauptet:

Der Beklagte zu 2) sei in die D.-Straße eingefahren, ohne vorher angehalten zu haben. Er habe lediglich nach rechts zu einer etwa 40 m östlich der Einmündung befindlichen Fußgängerampel geblickt und die von links in der dritten Spur herannahende Fahrzeugkolonne, in welcher er – der Kläger – als erster gefahren sei, nicht beachtet.

Der Kläger hat seinen Unfallschaden mit insgesamt 9.116,72 DM berechnet. Er hat unter Berücksichtigung einer vorprozessualen Zahlung des Haftpflichtversicherers der Beklagten zu 1) in Höhe von 6.000,– DM beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 3.116,72 DM nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung (14. Dezember 1974) zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen:

Nutzungsausfall und Verdienstausfall für ein teilweise gewerblich genutztes Taxi
Symbolfoto: Dagmar Breu/bigstock

Der Beklagte zu 2) habe zunächst in der M.-Straße angehalten. Nachdem ihm die Fahrerin des vor der Einmündung in der zweiten Fahrspur verkehrsbedingt haltenden Wagens ein Handzeichen gegeben habe, daß sie ihm das Einfahren gestatten werde, sei er, sich langsam vortastend, in die D.-Straße eingefahren. Als er die dritte Fahrspur erreicht habe, sei er von dem Kraftwagen des Klägers erfaßt worden, der mit überhöhter Geschwindigkeit von 65 – 75 km/h an der haltenden Kolonne vorbeigerast sei. Unter diesen Umständen seien die Ansprüche des Klägers durch den geleisteten Betrag ausgeglichen.

Die Beklagte zu 1) hat im Wege der Widerklage 1/3 ihres Unfallschadens geltend gemacht und diesen wie folgt berechnet:

1. Wiederbeschaffungswert 5.320,– DM

2. Verdienstausfall 3.308,75 DM

3. Abschleppkosten 94,50 DM

4. Gutachterkosten 35,65 DM

5. Nutzungsausfall 405,– DM

6. Unkostenpauschale 25,– DM

———–

9.189,– DM

hiervon 1/3 3.063,– DM

Zur Frage des Nutzungsausfalls hat die Beklagte zu 1) vorgetragen:

Sie habe die Unfalltaxe durch den Beklagten zu 2) fahren lassen, daneben habe sie die Taxe auch privat genutzt, so daß ihr die Hälfte des üblichen Nutzungsausfalls für die Ausfallzeit zustünde.

Nach Rücknahme eines Teilbetrages von 1,50 DM (anteilige, in der Abschleppkostenrechnung enthaltene Transportversicherung) hat die Beklagte zu 1) widerklagend beantragt, den Kläger zu verurteilen, an sie 3.061,50 DM nebst 4% Zinsen seit dem 12. Juni 1974 zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, die Beklagte zu 1) müsse sich eine Zahlung ihrer Kasko-Versicherung von unstreitig 3.150,– DM anrechnen lassen und könne für das gewerblich genutzte Fahrzeug keine Nutzungsausfallentschädigung verlangen; im übrigen hat er Einwendungen zur Schadenshöhe nicht erhoben.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch sein am 12. Mai 1975 verkündetes Urteil, auf das gemäß § 543 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, der Klage in Höhe von 2.896,72 DM stattgegeben und die weitergehende Klage sowie die Widerklage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Beklagte zu 1) habe die Vorfahrt verletzt, indem er zügig auf die Fahrbahn der D.-Straße gefahren sei, als sich der Wagen des Klägers bereits genähert habe. Dem Kläger sei zum Vorwurf zu machen, daß er beim Überholen der haltenden Kolonne sein Fahrverhalten nicht auf den möglichen Querverkehr aus der Verkehrslücke in Höhe der M.-Straße eingerichtet habe; hingegen sei eine überhöhte Geschwindigkeit nicht bewiesen. Bei der Abwägung nach § 17 StVG falle jedoch das grob verkehrswidrige Verhalten des Beklagten zu 2) so schwer ins Gewicht, daß eine Mithaftung des Klägers nicht gerechtfertigt sei. Der von den Beklagten voll zu ersetzende Schaden des Klägers betrage nach Abzug der geleisteten 6.000,– DM lediglich noch 2.896,72 DM. Die Widerklage sei unbegründet.

Gegen dieses Urteil, das beiden Beklagten am 19. Juni 1975, der Beklagten zu 1) nochmals am 20. Juni 1975 zugestellt worden ist, haben beide Beklagte durch die Rechtsanwälte S. und St. am 4. Juli 1975, die Beklagte zu 1) außerdem durch Rechtsanwalt B.K. am 8. Juli 1975 Berufung eingelegt; die Rechtsmittel sind jeweils zugleich begründet worden.

Die Beklagten führen aus:

Das Landgericht hätte aufgrund des von dem festgestellten Mitverschuldens des Klägers diesem eine Mithaftung auferlegen müssen. Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1) trägt außerdem vor: Neben dem fehlerhaften Verhalten des Klägers beim Überholen der haltenden Kolonne sei ihm überhöhte Geschwindigkeit vorzuwerfen, wie eine Weg-Berechnung/Zeit-Berechnung anhand des Lageplans und der Ampelschaltpläne ergebe. Auch könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte zu 2) mit dem von ihm geführten langsamen Diesel-Taxi zügig in die D.-Straße hineingefahren sei. Ihren Unfallschaden berechnet die Beklagte zu 1) nunmehr wie folgt:

a) Wiederbeschaffungswert 5.320,– DM

b) Verdienstausfall 3.308,85 DM

c) Abschleppkosten 90,– DM

d) Gutachterkosten 35,65 DM

e) Nutzungsausfall – 50% – 324,– DM

f) Nebenkosten 25,– DM

———–

Zusammen 9.103,50 DM

Hiervon macht sie 1/3 geltend und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Kläger auf die Widerklage zu verurteilen, an sie 3.034,50 DM nebst 4% Zinsen seit dem 12. Juni 1974 zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.

Er macht geltend:

Eine Fahrzeugkolonne in der zweiten Fahrspur der D.-Straße sei nur bis zur Einmündung der M.-Straße vorhanden gewesen; der Raum bis zur 40 m weiter gelegenen Fußgängerampel sei frei gewesen. Sein Mitverschulden sei vom Landgericht zu Unrecht festgestellt worden. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung sei nicht erwiesen und lasse sich auch durch eine Weg-Berechnung/Zeit-Berechnung nicht feststellen. Die Beklagten müßten den vollen Schaden tragen. Der Kläger wiederholt auch seine Einwendungen zur Höhe der Widerklageforderung.

Wegen des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszuge wird im übrigen auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Berufungen haben zum Teil Erfolg. Die Beklagten haben dem Kläger nur 3/4 seines Unfallschadens zu ersetzen (§§ 7, 18 StVG, 823, 831 BGB) und können 1/4 ihres eigenen Schadens ersetzt verlangen (§§ 7 StVG, 823 BGB).

Der Beklagte zu 2) hat die Vorfahrt des Klägers nicht beachtet und damit gegen § 8 Abs 2 StVO verstoßen. Er ist als Wartepflichtiger in die D.-Straße eingebogen, obwohl sich dort der Kläger mit seinem Kraftwagen näherte. Dem Beklagten zu 2) ist Fahrlässigkeit zur Last zu legen. Auch wenn zu seinen Gunsten davon ausgegangen wird, daß ihm die Sicht auf das herannahende Fahrzeug des Klägers durch die in der zweiten Fahrspur haltenden Kraftwagen zunächst versperrt war, hätte er sich nur mit äußerster Vorsicht langsam soweit vorantasten dürfen, bis er die dritte Fahrspur einsehen und sein Fahrzeug bei sich näherndem Verkehr sofort anhalten konnte. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Beklagte zu 2) diesen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Es war bereits nicht ungefährlich, überhaupt bis in die zweite Spur vorzufahren. Die Zeugin M. hatte zwar ihren Wagen vor der Einmündung der M.-Straße zum Stehen gebracht, wollte aber – wie sie bekundet hat – gerade wieder anfahren, weil die 40 m entfernte Fußgängerampel für ihre Fahrtrichtung auf grün umgesprungen war. Die Aussage der Zeugin ist – wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat – glaubhaft. Sie hatte aus ihrer Verkehrssituation Anlaß, den Stand der Ampel besonders genau zu beobachten. Auf weitere Verkehrsvorgänge brauchte sie sich zunächst nicht zu konzentrieren. Ihre Angaben werden bestätigt durch die Zeugin A., die aussagte, beim Abbiegen der Taxe, als diese sich noch in der M.-Straße befunden habe, sei die Ampel für die Kraftfahrzeuge auf grün geschaltet gewesen. Die Aussage des Zeugen H. hat gegenüber den Bekundungen der Zeugin M. geringeren Beweiswert, weil diese auf das Umschalten der Ampel wartete, um weiterfahren zu können, während der Zeuge H., der abbiegen wollte, sich außerdem noch auf die gesamten Verkehrsvorgänge auf der bevorrechtigten D.-Straße konzentrieren mußte. Mit Recht weist das Landgericht außerdem darauf hin, daß er den Ampelstand nach seinen Angaben nicht bis zuletzt beobachtet hat.

Die Zeugin M. hat weiter glaubhaft bekundet, daß sie dem Beklagten zu 2) kein Handzeichen zum Durchfahren gegeben hatte, vielmehr gerade selbst anfahren wollte. Der Beklagte zu 2) konnte demnach nicht einmal auf ein Abwarten der in der zweiten Spur stehenden Kraftfahrzeuge vertrauen. Weiterhin steht aber auch nach der Beweisaufnahme fest, daß er sich nicht in die dritte Spur vorgetastet hat, sondern zügig abgebogen ist. Die Zeugenaussagen ergeben allerdings, daß der Beklagte zu 2) zunächst in der M.-Straße angehalten hatte. Dies haben die Zeugen H. und F. ausdrücklich angegeben, die Zeugin M. hat hierzu nichts bekunden können, und die Zeugin A. hat jedenfalls ein Abbremsen der Taxe vor dem Einfahren in die D.-Straße bestätigt. Im Anschluß daran ist der Beklagte zu 2) aber mit normaler Anfahrgeschwindigkeit in die Kreuzung gelangt. Die Zeugin M. hatte den Eindruck, als ob die Taxe zügig im Anfahren begriffen gewesen sei. Die Zeugin A. hat ausgesagt, die Taxe sei jedenfalls „nicht direkt langsam“ gefahren. Nach der Aussage des Zeugen H. fuhr die Taxe „mit normaler Anfahrgeschwindigkeit, aber etwas verhalten“ an. In seiner schriftlichen Erklärung im Bußgeldverfahren vom 30. Mai 1974 hat der Zeuge das Anfahren der Taxe uneingeschränkt als „zügig“ bezeichnet; auf diese Erklärung hat er bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht ausdrücklich Bezug genommen und erläutert, seine damaligen Aussagen seien „auf jeden Fall richtiger“. Der Zeuge F. hat bekundet, die Taxe sei langsam angefahren und bis zum Anstoß „langsam normal“ weitergefahren, ohne nochmals anzuhalten. Bei Gesamtwürdigung dieser Aussagen steht eindeutig fest, daß sich der Beklagte zu 2) nicht langsam in die dritte Spur hineingetastet hat. Wäre aber der Beklagte zu 2) dieser Verpflichtung nachgekommen, so hätte er den Unfall vermieden. Die in seinem Fahrzeug mitfahrende Zeugin A. hat in der Aussage darauf hingewiesen, daß sie den sich nähernden Wagen des Klägers bemerkt habe, als sich das Taxi etwa in der zweiten Fahrspur der D.-Straße befunden habe. Die Zeugin hat in Übereinstimmung hiermit in der polizeilichen Vernehmung im Bußgeldverfahren (Bl 13 BA) ausgesagt, sie habe den herannahenden Mercedes-Benz-PKW so lange vor dem Zusammenstoß bemerkt, daß ihrer Auffassung nach der Beklagte zu 2) ihn auch rechtzeitig hätte sehen können. Außerdem hat die Zeugin sowohl vor dem Landgericht als auch vor der Polizei im Bußgeldverfahren angegeben, daß sie sich in Erwartung des Zusammenstoßes am Vordersitz festgehalten habe; sie ist also von dem Unfall nicht überrascht worden. Berücksichtigt man, daß der Beklagte zu 2) als Fahrer eine weit bessere Sichtposition als die hinten rechts sitzende Zeugin A. hatte, so ist als erwiesen anzusehen, daß er bei der gebotenen äußerst langsamen Geschwindigkeit und der nötigen Aufmerksamkeit sein Fahrzeug rechtzeitig hätte zum Stehen bringen können. Hinzuweisen ist auch darauf, daß der Beklagte zu 2) nach den Feststellungen des AG Tiergarten in seinem Urteil vom 29. Januar 1975 unter anderem aufgrund eigener Bekundungen des Beklagten zu 2) festgestellt hat, dieser habe vor dem Zusammenstoß lediglich nach rechts geblickt.

Da hiernach feststeht, daß der Beklagte zu 2) den Zusammenstoß fahrlässig verursacht hat, kann sich die Beklagte zu 1) nicht darauf berufen, der Unfall habe für sie ein unabwendbares Ereignis (§ 7 Abs 2 StVG) dargestellt.

Den Kläger trifft, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, ein Mitverschulden. Die Beweisaufnahme hat zwar nicht ergeben, daß der Kläger eine über 50 km/h liegende Geschwindigkeit eingehalten habe. Daß die Aussage des Zeugen F. zu dieser Feststellung nicht ausreicht, wird auf S 12 des angefochtenen Urteils überzeugend dargelegt; hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Die von den Beklagten angeregte Weg-Berechnung/Zeit-Berechnung anhand der Ampelschaltpläne sowie der Entfernung zwischen der Lichtzeichenanlage K.-Straße und der Unfallstelle verspricht keine weitere Sachaufklärung, weil die Beklagten auch in der Berufungsinstanz keinerlei Beweis für ihre zugrundelegenden Tatsachenbehauptungen angetreten haben, insbesondere nicht dafür, in welcher Fahrweise und in welchem Zeitpunkt der Kläger die Kreuzung D.-Straße/K.-Straße passiert hat. Die in den Bußgeldakten enthaltenen Äußerungen des Klägers ergeben hierfür keinen Anhaltspunkt. Die Berechnung der Beklagten geht außerdem, wie sie in der mündlichen Verhandlung erläutert haben, davon aus, daß die Fußgängerampel hinter der M.-Straße im Augenblick des Zusammenstoßes noch rotes Licht abgestrahlt habe; das war jedoch, wie bereits dargelegt wurde, nicht der Fall. Die Bremsspur von 5 m, die der Wagen des Klägers hinterlassen hat, läßt ebenfalls keinen Schluß auf eine überhöhte Geschwindigkeit zu.

Der Kläger hat nicht die beim Vorbeifahren an einer haltenden Kolonne erforderliche Sorgfalt beachtet. Der Kraftfahrer, der bei dichtem Verkehr an einer Kolonne stehender Fahrzeuge vorbeifährt, muß sich unter Umständen auf Querverkehr aus freigelassenen und für ihn erkennbaren Lücken einrichten. Er muß es insbesondere Verkehrsteilnehmern im Querverkehr ermöglichen, aus der freigehaltenen Lücke heraus bis zur Erlangung freier Sicht auf den vor der haltenden Kolonne nicht besetzten Straßenraum herauszufahren, indem er entweder mit ausreichendem Sicherheitsabstand an der Kolonne vorbeifährt oder aber eine so geringe Geschwindigkeit einhält, daß er notfalls vor einem aus der Lücke herausragenden Verkehrsteilnehmer anhalten kann (vgl KG VersR 1975 S 524 = DAR 1975 S 186 = VM 1975 Nr 43 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Der Kläger ist nach seinem eigenen Vortrag mit etwa 45 km/h an der Fahrzeugkolonne vorbeigefahren, die zum Stehen gekommen war, weil die Zeugin M. ihren Kraftwagen vor der Einmündung der M.-Straße angehalten hatte. Die Zeugin hatte eine Lücke für den Querverkehr gelassen. Unerheblich ist dabei, ob sich jenseits der M.-Straße bis zum Fußgängerüberweg weitere Fahrzeuge in der zweiten Spur befanden. Gerade wenn dies nicht der Fall war, wie der Kläger behauptet, hatte er Grund zu besonderer Vorsicht, weil dann der Umstand, daß die Zeugin M. nicht bis zur Fußgängerampel vorgefahren war, darauf hindeutete, sie habe mit Rücksicht auf herannahenden Querverkehr vor der M.-Straße angehalten. Die vom Kläger eingehaltene Geschwindigkeit war unter diesen Umständen den Verkehrsverhältnissen nicht angepaßt. Bei einer Geschwindigkeit von 45 km/h hätte er auch auf ein sich vorsichtig durch die Verkehrslücke tastendes Kraftfahrzeug nicht mehr unfallverhütend reagieren können.

Bei der Abwägung nach §§ 17 Abs 1, 18 Abs 3 StVG fällt das Verschulden des Beklagten zu 2) wesentlich schwerer ins Gewicht als der Verursachungsbeitrag des Klägers. Der Beklagte zu 2) hat in leichtsinniger Weise die Vorfahrt des Klägers mißachtet. Er mußte in Anbetracht des dichten Verkehrs – der Unfall ereignete sich an einem Wochentag gegen 17.10 Uhr, also noch im Berufsverkehr – damit rechnen, daß auch die dritte Spur befahren sein werde und hatte deshalb Anlaß zu ganz besonderer Sorgfalt. Er mußte außerdem angesichts des Umstandes, daß die Fußgängerampel hinter der M.-Straße bereits auf grün umgesprungen war, damit rechnen, daß sich die Fahrzeuge in der zweiten Spur demnächst in Bewegung setzen würden, so daß die gebotene vorsichtige Fahrweise ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs nicht möglich sein werde. Die Zeugin M. hatte ihm auch, wie bereits dargelegt, nicht zu verstehen gegeben, daß sie auf ihr Vorfahrtrecht ihm gegenüber verzichten werde.

Andererseits ist es im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts nicht gerechtfertigt, den Verursachungsanteil des Klägers bei der Abwägung völlig außer Betracht zu lassen. Die zu den sogenannten „Lückenfällen“ entwickelte Rechtsprechung trägt dem Umstand Rechnung, daß im dichten innerstädtischen Verkehr die wartepflichtigen Benutzer einer Nebenstraße häufig die Vorfahrtstraße nur überqueren oder in sie einbiegen können, wenn die Benutzer der Vorfahrtstraße ihnen dies durch Rücksichtnahme ermöglichen (vgl Senatsurteil zu 22 U 2422/74 = VM 1975 S 35). Daraus ergibt sich für den Bevorrechtigten, der an einer haltenden Kolonne vorbeifährt, daß ihn trotz seiner Vorfahrtberechtigung wesentliche Sorgfaltspflichten gegenüber dem Querverkehr treffen, deren Verletzung in der Regel seine Mithaftung begründet. Eine besonders krasse Verletzung der Wartepflicht, die möglicherweise im Einzelfall eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnte, sieht der Senat hier nicht als gegeben an. Wie bereits dargelegt, hat der Beklagte zu 2) seine Kraftdroschke vor dem Einfahren in die D.-Straße zunächst zum Stehen gebracht. Er ist dann zwar bei weitem nicht mit der nötigen Sorgfalt, aber doch andererseits nicht mit erheblicher Geschwindigkeit eingebogen, wie sich schon aus der – gerichtsbekannt – verhältnismäßig geringen Anfahrbeschleunigung eines Kraftwagens vom Typ Mercedes 200 D ergibt.

Unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände hält der Senat eine Mithaftung des Klägers in Höhe eines Viertels für angemessen. Eine entsprechende Haftungsverteilung hat das Kammergericht schon wiederholt bei sogenannten „Lückenfällen“ für angemessen erachtet (vgl zB Urteile vom 19.12.1974 – 22 U 2221/74 = VersR 1975 S 524 = DAR 1975 S 186 = VM 1975 Nr 43; vom 2.12.1974 – 12 U 1552/74 -; vom 12.11.1973 – 12 U 873/73 – = DAR 1974 S 51 = VersR 1974 S 370). Daraus ergibt sich, daß der Kläger nur drei Viertel seines Unfallschadens ersetzt verlangen kann. Da er Einwendungen zur Schadensberechnung des Landgerichts nicht erhebt, ist von einem Schadensbetrag von insgesamt 8.896,72 DM auszugehen. Auf den ihm zustehenden Anteil von drei Viertel = 6.672,54 DM hat die Haftpflichtversicherung der Beklagten 6.000,– DM gezahlt, so daß der Kläger noch einen Anspruch in Höhe von 672,54 DM hat, der gemäß §§ 288, 291 BGB seit dem 15. Dezember 1974 zu verzinsen ist.

Die Widerklage ist dem Grunde nach zu einem Viertel gerechtfertigt. Der Höhe nach streitig ist sie noch hinsichtlich des von der Beklagten zu 1) geltend gemachten Nutzungsausfalls in Höhe von unquotiert 324,– DM wegen der Frage der Anrechnung der an die Beklagte zu 1) geleisteten Zahlung der Kaskoversicherung in Höhe von 3.150,– DM.

Zur Frage der Nutzungsausfallentschädigung ist folgendes auszuführen:

In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß für den vorübergehenden Verlust der Gebrauchsfähigkeit eines Kraftfahrzeuges auch dann Entschädigung zu leisten ist, wenn sich der Geschädigte einen Ersatzwagen nicht beschafft hat (vgl BGHZ 40 S 345ff; 45 S 213ff; 56 S 214ff). Wird das Fahrzeug zu Erwerbszwecken verwendet, tritt an die Stelle dieses Anspruchs der konkret zu berechnende Anspruch auf Ersatz des Gewinnausfalls; beim Ausfall eines derartigen Nutzfahrzeuges können grundsätzlich nicht die Nutzungsausfallentschädigung und der Ersatz des konkreten Gewinnausfalls nebeneinander verlangt werden (vgl BGHZ 45 S 221). Wenn eine Kraftdroschke zur Erzielung von Einkünften durch die Beförderung von Fahrgästen und als Privatfahrzeug des Taxiunternehmers benutzt wird, wird dieser durch den Ausfall des Fahrzeuges in doppelter Weise geschädigt: Er wird gehindert, durch die gewerbliche Nutzung des Fahrzeugs Einkünfte zu erzielen, und ihm entgeht, ebenso wie jedem sonstigen Kraftfahrzeugeigentümer, die Möglichkeit, den Kraftwagen privat als Fortbewegungsmittel zu benutzen. Es erscheint deshalb gerechtfertigt, in Fällen, in denen der Taxiunternehmer seine Kraftdroschke auch als Privatfahrzeug benutzt, für den Ausfall dieser privaten Nutzung unabhängig von dem im Einzelfall darzulegenden und zu beweisenden Verdienstausfall eine Nutzungsausfallentschädigung zuzusprechen.

Die Beklagte zu 1) hat unbestritten vorgetragen, daß die bei dem Unfall beschädigte Kraftdroschke auch als Privatfahrzeug benutzt wird. Der vom Kläger hervorgehobene Umstand, daß die Beklagte zu 1) die Kraftdroschke steuerlich voll als gewerbliches Fahrzeug behandelt, schließt die Zubilligung einer Nutzungsausfallentschädigung nicht aus. Er kann lediglich als Indiz dafür gelten, daß die Kraftdroschke rein gewerblich genutzt wird – was hier unstreitig nicht der Fall ist – und kann bei der Berechnung des zuzubilligenden Anteils der Nutzungsausfallentschädigung Berücksichtigung finden. Zutreffend geht nämlich die Beklagte zu 1) selbst davon aus, daß angesichts der gewerblichen Verwendung der Kraftdroschke die volle Nutzungsausfallentschädigung nicht in Betracht kommt. Dieser Anspruch soll den zeitweisen Verlust der vermögenswerten Nutzungsmöglichkeit eines Privatwagens ausgleichen (vgl BGHZ 40 S 349; 45 S 215; 56 S 216). Einer der für die Zubilligung und Bemessung dieses Anspruchs maßgeblichen Gesichtspunkte ist die Überlegung, daß die vom Eigentümer aufzubringenden Generalunkosten (Versicherung, Steuer, Garagenmiete, Verzinsung und Abschreibung des Anlagekapitals) während der Gebrauchsmöglichkeit des Wagens „leer laufen“ und hierfür ein Ausgleich gewährt werden soll (vgl BGHZ 45 S 220, 221). Daraus rechtfertigt es sich, bei einem nur teilweise privat genutzten Fahrzeug neben der Entschädigung für den Verdienstausfall nur einen Anteil der sonst zuzubilligenden Nutzungsausfallentschädigung als Schadensersatz zuzusprechen; denn hinsichtlich des gewerblichen Nutzungsanteils werden die Generalaufwendungen im Rahmen der Verdienstausfallberechnung mit berücksichtigt.

Der von der Beklagten zu 1) in Ansatz gebrachte Anteil von 50% der vollen Nutzungsausfallentschädigung, die rechnerisch zwischen den Parteien nicht mehr im Streit ist, erscheint dem Senat angemessen (§ 287 Abs 1 ZPO), so daß der Schadensberechnung der Betrag von 324,– DM zugrunde zu legen ist.

Der Kläger beruft sich ohne Erfolg darauf, daß die Beklagte zu 1) unstreitig von ihrer Kaskoversicherung einen Betrag von 3.150,– DM auf den Fahrzeugschaden erhalten hat. Die Beklagte zu 1) braucht sich diese Zahlung auf ihre Schadensersatzforderung nicht anrechnen zu lassen. Ihr Kraftfahrzeugschaden betrug 5.320,– DM. Hiervon erhält sie lediglich ein Viertel, also 1.330,– DM, vom Kläger ersetzt. Dieser Betrag übersteigt nicht den nach Abzug der Kaskozahlung verbleibenden Restschaden von 2.170,– DM. Ein Quotenvorrecht der Versicherung ist hier nicht gegeben (§ 67 Abs 1 Satz 2 VVG).

Die Beklagte zu 1) kann hiernach ein Viertel des von ihr in der Berufungsbegründung zutreffend mit 9.103,50 DM berechneten Gesamtschadens, also 2.275,88 DM, ersetzt verlangen. Der Betrag ist gemäß § 288 Abs 1 BGB seit dem 13. Juni 1974 zu verzinsen, da die Haftpflichtversicherung des Klägers unstreitig vorgerichtlich zur Zahlung bis 12. Juni 1974 aufgefordert worden ist.

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