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OEG – Entschädigung nach einem Nasenbeinbruch in einer Zelle


Nasenbeinbruch

Zusammenfassung:

Das OEG (Opferentschädigungsgesetz) regelt Kompensationen für Opfer staatlicher Gewalt. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hatte zu entscheiden, ob ein Opfer zu entschädigen ist, dass bei einer Auseinandersetzung mit einem Polizeibeamten in einer Zelle einen Nasenbeinbruch erleidet. Das Opfer hatte den Polizeibeamten zuvor in die Wade gebissen, der genaue Geschehensablauf ließ sich schwerlich rekonstruieren.


Landessozialgericht Rheinland-Pfalz

Az: L 4 VG 5/14

Urteil vom 09.01.2015


Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12.02.2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Gewalttat im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG).

Der im Jahr 1971 geborene Kläger stellte im Januar 2009 beim Amt für soziale Angelegenheiten Landau/Pfalz einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG unter Verweis auf eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft F vom 25.11.2008.

Darin ist ausgeführt, ein vom Kläger angezeigtes Verfahren werde bezüglich des PHK R gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Am 21.12.2007 habe der Kläger im Polizeigewahrsam in der Zelle der Polizeiinspektion Sch eine durch ärztliches Attest nachgewiesene Nasenbeinfraktur erlitten. Nach seiner am 23.12.2007 erhobenen Strafanzeige habe ihn PHK R mit einem Schuhabsatz drei- bis fünfmal ins Gesicht getreten und dabei sein Nasenbein getroffen. Danach habe er den PHK R in die Wade gebissen. Ihm seien dann Handschellen angelegt worden. Nach dem Anlegen der Handschellen hätten die Polizeibeamten ihn losgelassen, und er habe dann mit PHK R diskutiert. R sei allein mit ihm in der Zelle gewesen, die Zellentür sei einen Spaltbreit offen, die anderen Polizeibeamten draußen gewesen. In dieser Situation habe R auf ihn eingetreten, ihn an den Ohren gepackt und seinen Kopf mehrfach auf die Holzpritsche geschlagen. Später auf dem Weg zur erkennungsdienstlichen Behandlung habe ihm R gedroht, er werde ihn „richtig abziehen“. Außerdem habe ihn R als „dreckiger Polak“ beschimpft. Der Beschuldigte sei verantwortlich vernommen worden. Er habe erklärt, er habe den Kläger nicht ins Gesicht getreten und verweise auf seinen Ermittlungsbericht vom 22.12.2007 im Verfahren gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Dort werde berichtet, wie sich der Kläger gegen seine Fixierung gewehrt habe, die im Zusammenhang mit der -in anderer Sache angeordneten- erkennungsdienstlichen Behandlung notwendig geworden sei. Die Fixierung sei außer von PHK R von PK Sp, PK S und PK K in der Zelle vorgenommen worden. Zum entscheidenden Punkt heißt es in dem Bericht: „Ich nahm nun wieder den Kopf von Herrn W in beide Hände und fixierte ihn auf der Zellenpritsche, zwischen meinen beiden Füßen. Mit beiden Händen habe ich dann auf die Schulter von Herrn W in Richtung Zellenpritsche gedrückt. Plötzlich verspürte ich einen starken Schmerz am rechten Bein, schrie schmerzbedingt auf und sah beim Herunterblicken, dass mich Herr W ins rechte Bein, oberhalb des Knöchels, biss. Instinktiv zog ich mein rechtes Bein nach rechts, von Herrn W weg, verlor dadurch das Gleichgewicht und fiel auf Herrn W. Dadurch stieß dieser mit seinem Kopf gegen die Holzzellenpritsche.“ Die Polizeibeamten Sp, S und K seien vernommen worden und hätten diese Einlassung bestätigt. Auch ihre früheren Berichte in dem Verfahren gegen den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte würden damit übereinstimmen. Die – vom Kläger eingeräumte – Bissverletzung des PHK R sei ebenfalls durch Attest und fotografisch dokumentiert. Auch zu den anderen genannten Vorwürfen sei der beschuldigte Polizeibeamte vernommen worden. Er sei nicht mit dem Kläger allein in der Zelle gewesen und habe ihn auch nicht geschlagen. Auch diese Einlassung werde von den Zeugen S, Ka, Sp und K bestätigt, soweit diese anwesend gewesen seien und dazu hätten etwas sagen können. Ein Abdruck des genannten Eintrags des Einsatztagebuches sei zur Akte genommen worden und bestätige ebenfalls die Einlassung. Am 27.05.2008 habe der Kläger zu Protokoll der Staatsanwaltschaft einen weiteren Strafantrag gestellt, und zwar gegen „den Polizeibeamten Spi “ wegen Körperverletzung im Amt. Er habe „auf seine Aussage“ verwiesen und einen Arztbericht über die Nasenbeinfraktur vorgelegt, der bereits Bestandteil der Akte gewesen sei. Das Verfahren sei gegen PK Sp eingeleitet und inzwischen ebenfalls gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Die ihm angebotenen Gelegenheiten zur Konkretisierung seines weiteren Strafantrags habe der Kläger nicht wahrgenommen. Er habe angekündigt, durch einen neuen Rechtsanwalt eine Stellungnahme bis 25.07.2008 abzugeben, was aber nicht geschehen sei.

Dem Antrag des Klägers waren ferner Befundunterlagen des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses S, des Klinikums M und der HNO-Klinik des Klinikums L sowie ein nervenfachärztliches Attest des Dr. H vom 18.08.2008 beigefügt.

Die Versorgungsverwaltung zog von der Staatsanwaltschaft F die das Er-mittlungsverfahren gegen PHK R betreffenden Akten bei. Darin befindet sich auch ein Abdruck des Strafbefehls des Amtsgerichts Speyer (5213 Js 12365/08), in welchem dem Kläger zur Last gelegt wird, am 21.12.2007 in S Vergehen des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, der Körperverletzung und der Beleidigung begangen zu haben. Zum betreffenden Sachverhalt heißt es u. a., ihm sei durch PHK R eröffnet worden, dass gegen ihn die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung angeordnet worden sei, und zwar im Verfahren der Staatsanwaltschaft F Az.: 5187 Js 15460/07 wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung und aufgrund polizeilicher Verfügung vom 22.05.2007, die durch den Widerspruchsbescheid des Polizeipräsidiums Rheinland-Pfalz vom 11.09.2007 bestätigt worden sei. Aufgrund der Weigerung, die erkennungsdienstliche Behandlung zu dulden, und seines aggressiven Verhaltens sei die kurzfristige Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung der erkennungsdienstlichen Behandlung erforderlich geworden. PHK R habe den Angeschuldigten aufgefordert, in der Gewahrsamszelle seinen Gürtel und seine Schuhe auszuziehen und angedroht, dies notfalls zwangsweise durchzusetzen. Als er den Angeschuldigten am Gürtel habe packen wollen, habe dieser mit seiner linken Hand auf das Handgelenk von PHK R geschlagen und mit der rechten Hand zu einem Schlag gegen ihn ausgeholt. Die Polizeibeamten R, Sp und S hätten den Angeschuldigten daraufhin zu Recht auf die Zellenpritsche gedrückt und dort fixiert. Hiergegen habe sich der Angeschuldigte durch Drehen und Winden des Oberkörpers sowie ruckartiges Vor- und Zurückziehen seiner Arme gewehrt und den PHK R oberhalb des Knöchels ins rechte Bein gebissen. Währenddessen habe er die genannten Polizeibeamten beleidigt.

Mit Bescheid vom 12.05.2009 lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten den Antrag des Klägers ab. Nach Auswertung aller Angaben und unter Berücksichtigung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft könne es nicht als erwiesen angesehen werden, dass ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff auf ihn stattgefunden habe. Das Vorgehen der Polizei am 21.12.2007 stelle keinen rechtswidrigen tätlichen Angriff auf den Kläger dar. Da sich der Kläger der rechtmäßig angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung widersetzt habe, hätten die Polizeibeamten entsprechend den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) unmittelbaren Zwang gegen ihn durchsetzen dürfen. Anhaltspunkte dafür, dass die Handlungen der Polizisten das zulässige Maß überschritten hätten, hätten sich nicht ergeben. PHK R habe damit am 21.12.2007 rechtmäßig gehandelt. Es fehle an dem Nachweis eines zum Nachteil des Antragstellers begangenen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG.

Den dagegen vom Kläger ohne weitere Begründung erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2009 zurück. Der schädigende Vorgang, die Vorsätzlichkeit und die Rechtswidrigkeit der Tat würden zu den anspruchsbegründenden Tatsachen des § 1 Abs. 1 OEG zählen und müssten bewiesen sein. Soweit dieser Vollbeweis nicht erbracht sei, habe der Antragsteller auch nach dem im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast die nachteiligen Folgen der Nichtfeststellbarkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zu tragen. Der objektive Nachweis eines schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG sei nicht erbracht worden.

Im vor dem Sozialgericht Speyer durchgeführten Klageverfahren hat der Kläger u. a. ein Farbfoto vorgelegt, das ihn mit Gesichtsverband und vergipster Nase zeigt.

Das Sozialgericht hat u. a. die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft F mit den Aktenzeichen 5213 Js 12363/08, 5213 Js 12364/08 und 5213 Js 12365/08 beigezogen. Aus diesen ergibt sich, dass die vom Kläger gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft im Verfahren bezüglich PHK R eingelegte Beschwerde von der Generalstaatsanwaltschaft Z am 20.04.2009 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die beantragte gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO hat das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken mit Beschluss vom 29.07.2009 als unzulässig verworfen. Der Strafbefehl des Amtsgerichts Speyer gegen den Kläger vom 22.12.2008 wurde rechtskräftig, nachdem die Rechtsbehelfe des Klägers hiergegen erfolglos waren.

Das Sozialgericht hat die vollständigen Krankenunterlagen des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses S, der HNO-Klinik im Klinikum der Stadt L und der Orthopädischen Abteilung des Klinikums der Stadt M beigezogen, ferner Befundberichte von Dr. L und Dr. M. Der Allgemeinmediziner Dr. L berichtete am 16.11.2012 diagnostisch u. a. von einer Depression, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schizotypen Störung des Klägers. Der Neurologe/Psychiater Dr. M teilte unter dem Datum vom 19.11.2012 mit, der Patient habe große Probleme im Sozialleben, er ecke überall an, sei auch delinquent geworden und habe eine Haftstrafe abgesessen. Er habe große Mühe, die Trauer um den Tod seiner Tochter zu verwinden. Es zeige sich auch eine erhebliche Störung der Impulskontrolle bei einem hohen Aggressionsniveau. Diagnostisch handele es sich um eine Persönlichkeitsstörung mit narzißtischen und impulsiven Zügen, eine Störung der Impulskontrolle und eine rezidivierende depressive Störung.

In einem Beweisaufnahmetermin vom 23.08.2012 hat das Sozialgericht den Kläger angehört und den Zeugen Ri vernommen.

Der Kläger hat vorgetragen, er könne sich eigentlich noch gut an die Vorfälle vom 21.12.2007 erinnern. Er habe sich bei der Polizei nach seinem Fahrrad erkundigt. Dann habe man ihm – für ihn überraschend – auch etwas von einer erkennungs-dienstlichen Behandlung gesagt. Dies hätten ihm der PHK R und ein Kollege in drohender Haltung gesagt. Er habe dazu gesagt, so gehe es mal gar nicht und wenn, dann bitte höflicher. Die Situation habe sich dann gewissermaßen „hochgeschaukelt“. Man habe ihm bedeutet, wenn er nicht wolle, dann gehe es ab in die Arrestzelle. Dorthin sei er freiwillig mitgegangen. Dann sei es letztlich ausgeartet. R habe ihn einen dreckigen Polak genannt. Er, der Kläger, habe ihm dann gesagt, er habe gar nicht gewusst, dass der R in der Schule nicht gelernt habe, eine Landkarte zu lesen. Dann sei er von mehreren Polizisten auf eine etwa 70 cm hohe Pritsche (in Bettgröße) mit Massivholzplattenabdeckung gedrückt worden, inzwischen so etwa 7, 8 oder 9 Leute. Er sei längs auf die Pritsche niedergedrückt worden. Er habe auf dem Bauch und mit dem Kopf zur Seite gedreht auf der Pritsche gelegen. R habe über ihm auf dieser Pritsche gestanden und ihn mit dem Schuhabsatz ins Gesicht getreten. Es seien mindestens sechs oder sieben Tritte gewesen, die sehr heftig gewesen seien; immerhin sei dadurch sein Nasenbein gebrochen worden. Er meine, dass ihm gegen die linke Gesichtsseite getreten worden sei. Er wisse noch genau, dass er daraufhin geblutet habe, denn er habe auf seinem hellblauen Pullover Blutspuren gehabt. Um sich zu wehren habe er dem R ins Bein gebissen. Dieser sei daraufhin nicht auf ihn gefallen. Vielmehr habe R ihn einige Minuten später an beiden Ohren gepackt und mit dem Kopf auf die Pritsche geknallt, bestimmt sieben- oder achtmal. Er sei mit der Stirn aufgekommen, auch etwas mit der Nase. Es habe jetzt noch stärker geblutet als zuvor, besonders aus der Nase. Einige Minuten später, während er gefesselt auf der Pritsche gelegen habe, habe ihm R Fußtritte gegen die Außenseite seines Oberschenkels – welche Seite, wisse er nicht mehr – versetzt. Er habe dort später einen großen Bluterguss gehabt. Zu diesem Zeitpunkt sei R mit ihm allein in der Zelle gewesen. Vor diesen Misshandlungen durch R seien ihm von dem Polizisten Sp die Arme hinter dem Rücken so weit nach oben gedreht worden, dass es in der linken Schulter geknallt habe. Hierbei sei er schon mit Schellen gefesselt gewesen. R habe ihn die ganze Zeit über als „Hurensohn“, „Bastard“ usw. beschimpft. Er selbst habe zu ihm gesagt, er sei ein Arschloch, charakterlos, kein richtiger Mann usw. und habe ihn aufgefordert, es mit ihm allein auszutragen. Dieses Rededuell habe zeitlich etwa in der Mitte der von ihm beschriebenen Misshandlungen stattgefunden. Erst später seien die erkennungsdienstlichen Maßnahmen durchgeführt worden. Neben den körperlichen Beeinträchtigungen durch die erfolgten Gewalttaten mache er auch eine Angststörung geltend.

Der Zeuge R hat ausgesagt, er könne sich noch im Groben an die Vorfälle vom 21.12.2007 erinnern. Der Kläger sei wegen seines Fahrrades auf die Dienst-stelle gekommen. Bei der Überprüfung der Sache hätten sie bemerkt, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers angestanden habe. Dies habe er dem Kläger eröffnet. Dieser habe sich darüber furchtbar aufgeregt, herumgeschrien und sich nicht beruhigen lassen. Er habe gedroht, alles zusammenzuschlagen. Zur Vermeidung von Straftaten habe er, der Zeuge, sich daher dazu entschlossen, den Kläger in Gewahrsam zu nehmen. Der Kläger sei freiwillig in die Arrestzelle mitgegangen, wo er durchsucht werden sollte. Das habe der Kläger aber nicht gewollt. Es sei zum Eklat gekommen. Der Kläger sei laut geworden und habe ein Kleidungsstück in seine Richtung geworfen. Daraufhin habe er, der Zeuge, ihn darauf hingewiesen, dass er jetzt fixiert werde. Er habe den Kläger von früher gekannt, deshalb habe er ihm diesen Hinweis mehrfach gegeben. Da sich der Kläger immer noch nicht habe durchsuchen lassen, sei es zur Fixierung gekommen, d. h. zum Runterdrücken auf die Pritsche. Es seien neben dem Kläger mindestens drei Polizisten in der Zelle gewesen, das sei so vorgeschrieben. Gemeinsam hätten sie den Kläger auf die Pritsche runtergedrückt. Die Pritsche habe eine Höhe von etwa 80 oder 90 cm. Der Kläger habe dabei geschrien, sie sollten ihn loslassen. Er sei zu dem Kläger auf die Pritsche gestiegen und mit beiden Beinen seitlich des Kopfes des auf dem Bauch liegenden Klägers gestanden. Dann habe ihn der Kläger ins Bein gebissen. Bis dahin habe er versucht, den Kläger festzuhalten. Entgegen den ihm vorgehaltenen heutigen Angaben des Klägers habe er diesen nicht getreten oder mit dem Schuhabsatz bearbeitet. Auch seine Kollegen hätten dem Kläger durch Tätlichkeiten o. ä. keinen Grund zum Beißen gegeben. Er glaube nicht, dass der Kläger im Zeitpunkt des Beißens schon Handschellen getragen habe. Nach dem Biss des Klägers habe er, der Zeuge, vor Schmerzen aufgeschrien, das verletzte Bein weggezogen, das Gleichgewicht verloren und sei dadurch gefallen. Er meine, dass er mit dem ganzen Körper auf den Kläger gefallen sei, d. h. auf seinen Kopf, wohl auf seinen Hinterkopf. Blut habe er am Kläger nicht bemerkt. Nach seinem Sturz auf den Kläger hätten sie diesen gemeinsam fixiert, wie genau, wisse er heute nicht mehr. Nach Vorhalt der heutigen Angaben des Klägers, er habe diesen an den Ohren gepackt und mehrfach mit dem Kopf auf die Pritsche gestoßen, könne er sagen, dass er das nicht gemacht habe. Danach sei nach seiner Erinnerung Ruhe gewesen. Er sei wegen der Gefahr einer evtl. Infektion durch den Biss ins Krankenhaus gefahren.

Die heutigen Angaben des Klägers, er habe ihn gegen den Oberschenkel getreten, würden auch nicht zutreffen. Dass dem Kläger die gefesselten Arme auf dem Rücken hochgedreht worden seien, habe er, der Zeuge, nicht mitbekommen. Seine ihm zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens vorgelesenen früheren schriftlichen Sachverhaltsangaben vom 22.12.2007 seien zutreffend. Während der erkennungsdienstlichen Behandlung seien ihnen keine Verletzungen am Kläger aufgefallen, auch nicht im Bereich seiner linken oberen Extremität. Wie bei dem Kläger ein Ohrriss habe entstehen können, wisse er nicht. Da der Kläger nicht erkennbar verletzt gewesen sei bzw. nicht geblutet habe, habe kein Grund bestanden, eine ärztliche Behandlung zu veranlassen.

Das Sozialgericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. U, dem Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin M. Dieser führte zusammenfassend aus, grundsätzlich würden sich die vom Kläger erlittenen Verletzungen sowohl durch mehrfache stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf durch Tritte oder Schläge, wie von ihm selbst angegeben, als auch durch multiple stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf, wie sie im Rahmen des von den Polizeibeamten geschilderten Gerangels mit zusätzlichem unkontrolliertem Sturz eines der Polizeibeamten auf den Kläger möglich sei, erklären. Dies gelte auch für die Nasenbeinfraktur. Die Verletzung im Bereich des Oberarmkopfes als isolierte Schulterverletzung ohne weitere Begleitverletzungen sei dagegen ausschließlich durch die Schilderungen der Polizeibeamten zwanglos nachvollziehbar. Berücksichtige man das gänzliche Fehlen geformter Hautveränderungen im Bereich des Kopfes und des Gesichts des Klägers, so würden die Angaben des Klägers zum Vorfallshergang bei weitem unwahrscheinlicher erscheinen als die Hergangsschilderungen durch die Polizeibeamten. Tritte mit beschuhten Füßen, insbesondere mit festem Schuhwerk, wie z. B. den Dienstschuhen von Polizeibeamten, würden in der Regel wie geformt erscheinende Hautschürfungen und Unterblutungen hinterlassen, die oftmals sogar dem eingesetzten Trittwerkzeug unmittelbar zuzuordnen seien.

Dagegen hat der Kläger angeführt, das Begutachtungsergebnis sei nicht nachvollziehbar. Der Gutachter gehe von völlig falschen Grundvoraussetzungen aus. Das Gutachten sei nicht verwertbar. Selbst der qualitativ schlechten digitalen Reproduktion der Fotos seien die durch Gewalteinwirkung geformten Hautveränderungen im Bereich des Kopfes und des Gesichtes zu entnehmen. Es werde beantragt, die Originalfotos seitens des Gerichts von dem Krankenhaus anzufordern, da auf diesen in zweifelsfreier Qualität die Schäden im Kopfbereich zu erkennen seien. Bereits nach eigener Einlassung der Polizeibeamten K und S könne die Nasenbeinfraktur gerade nicht so, wie vom Zeugen R geschildert, entstanden sein. Auf die erlittene Angststörung des Klägers gehe der Gutachter überhaupt nicht ein. Der Gutachter sei eine nachvollziehbare Erklärung dazu schuldig geblieben, wie der linksseitige Ohrriss ohne die vom Kläger geschilderte Verhaltensweise des R überhaupt habe entstehen können. Ungeachtet der Tatsache, dass der Gutachter die Schulterseite verwechselt habe, gehe er auch hier von völlig falschen Voraussetzungen aus. Eingetreten sei diese Verletzung dadurch, dass dem Kläger vom Zeugen Sp die Arme nach hinten auf den Rücken gedreht worden seien, und zwar sehr weit nach oben, und nicht etwa durch einen heftigen Tritt gegen die Schulter.

Hierzu gab Prof. Dr. Dr. U am 19.11.2013 eine ergänzende Stellungnahme ab. Auch nach nochmaliger Durchsicht der Akten sei festzustellen, dass die erlittenen Verletzungen, auch die Nasenbeinfraktur, durch beide Sachverhaltsschilderungen erklärbar seien. Die Oberarmfraktur lasse sich dagegen am besten durch die Hergangsschilderung der Polizeibeamten nachvollziehen. Auch die im Gutachten getroffenen Feststellungen zur Glaubhaftigkeit des Klägers und/oder des Zeugen R würden nach nochmaliger Durchsicht der Akten in vollem Umfang aufrecht erhalten. Nach wie vor sei davon auszugehen, dass Tritte bei entsprechender Wucht weitaus häufiger mit geformten Hauterscheinungen verbunden seien. Da derartige Hauterscheinungen beim Kläger fehlten, ließen sich die Verletzungen deutlich wahrscheinlicher den Angaben zum Vorfallshergang durch die Polizeibeamten erklären. Die von den kurativ tätigen Ärzten im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus S beschriebenen Prellungen seien nicht unter dem Begriff „geformte Hautveränderung“ zu subsumieren. Die aktenkundigen fotografischen Aufnahmen würden dies nachdrücklich belegen. Unabhängig davon, dass diese Aufnahmen relativ unscharf seien, würden sie eine unregelmäßig begrenzte Hautrötung im Bereich der rechten Stirn und eine weitere, zweifelsfrei nicht geformte Hautrötung im Bereich der Hinterhauptregion rechts zeigen. Die Aufnahme des linken Ohres zeige eine kleinfleckige Rötung an der Außen- bis Rückseite des äußeren Ohrrandes im unteren Drittel. Gehe man davon aus, dass hier ein Knorpeleinriss bestanden habe, so lasse sich dieser eher durch ein unmittelbares Trauma, denn durch einen Mechanismus, wie im Schriftsatz der Klägervertretung vorgetragen, erklären, zumal bei einem solchen Mechanismus dann entsprechende Hautschürfungen und Verletzungen im Kopfbereich in weitaus erheblicherem Umfang, als tatsächlich geschehen, zu erwarten gewesen seien. Betrachte man die Ausführungen zum Sturz des Zeugen R nach Biss in den Unterschenkel, so sei unabhängig von den Aussagen zunächst festzustellen, dass offensichtlich der Unterschenkel sich unmittelbar im Bereich des Kopfes des Klägers befunden haben müsse. Unterstelle man jetzt einen Sturz nach vorne, so würde nur dann der distale Unterschenkel und der Fuß nicht in den Bereich des Kopfes des Klägers gelangen, wenn es sich um einen Sprung nach vorne gehandelt hätte. Dies lasse sich nach hiesiger unfallmechanischer Einschätzung keiner der Zeugenangaben zu diesem Geschehen entnehmen. Prüfe man erneut die Krankenakten des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses S, so finde sich im Aufnahmebericht u. a. der Vermerk, dass an den beiden Unterschenkeln zwei symmetrische Prellmarken vorgelegen hätten. Gehe man von Schlägen und Tritten aus, so seien symmetrische Verletzungen an zwei unterschiedlichen Extremitäten nicht zu erwarten. Im Bereich des linken Ohres sei eine „Hämatomfärbung und Schwellung mit Druckschmerz der kranialen Helix“ geschrieben. In einem weiteren Bogen des Krankenhauses in S sei hierzu vermerkt: „Linkes Ohr mit Schwellung und Knorpeleinriss, leichte Blutung dort“. Auch hier sei eine begleitende geformte Hämatombildung oder Schürfung nicht beschrieben. Betrachte man die Verletzung im Bereich der linken Schulter – hier finde sich ein für die Beurteilung unerheblicher Fehler auf Seite 9 des Gutachtens -, so handele es sich, wie bereits beschrieben, um eine so genannte Hill-Sachs-Läsion, die vom Unfallmechanismus her mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als Folge eines heftigen Tritts gegen die Schulter anzusehen sei. Auch diese Einschätzung sei bereits im Gutachten vom 04.06.2013 so getroffen worden.

Mit Urteil vom 12.02.2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Versorgungsverwaltung habe es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 21.12.2007 als Gewalttat anzuerkennen. Das Gericht könne sich ohne Rest vernünftiger Zweifel keine Überzeugung davon verschaffen, dass der Kläger am 21.12.2007 Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei.

Auf der Grundlage der vom Kläger und dem Zeugen R abgegebenen und sich völlig widersprechenden Sachverhaltsversionen habe das Gericht sich auch unter Berücksichtigung der gewonnenen persönlichen Eindrücke keine Überzeugung vom tatsächlichen Sachverhaltshergang verschaffen können. Die Darstellung des Klägers sei auch durch die Feststellungen des Prof. Dr. Dr. U nicht zweifelsfrei bestätigt worden. Als Gesamtergebnis der rechtsmedizinisch gutachtlichen Beurteilung sei festzuhalten, dass sämtliche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Ereignis aufgetretenen körperlichen Schadensbilder des Klägers sowohl mit den Angaben des Klägers vor Gericht als auch mit den Angaben des Zeugen R vor Gericht vereinbar seien, die Schulterverletzung dagegen ausschließlich durch die Hergangsschilderungen der Polizeibeamten. Nach dieser rechtsmedizinischen Beurteilung könne die Kammer jedenfalls nicht ohne Rest vernünftiger Zweifel feststellen, dass die Hergangsschilderung des Klägers den Tatsachen entspreche, während die Hergangsschilderung durch den Zeugen R, die ihrerseits während des Ermittlungsverfahrens durch die Aussagen der sonstigen Polizeibeamten bestätigt worden sei, nicht den Tatsachen widerspreche. Das Sozialgericht könne sich keine Überzeugung davon verschaffen, welche der beiden widersprüchlichen Versionen der Wahrheit entspreche. Mangels vollbeweislich feststellbarer rechtswidriger Gewalttat im Sinne des OEG könne das streitgegenständliche Ereignis als Gewalttat keine Anerkennung finden.

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Am 22.04.2014 (Dienstag nach Ostern) hat der Kläger gegen das ihm am 19.03.2014 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor,

aufgrund seiner unterlegenen Beweissituation müsse es zu einer Umkehr der Beweislast kommen. Dem Gutachten des Prof. Dr. U sei nicht zu folgen, da dieser mit Mutmaßungen argumentiere und geformte Hautverletzungen nicht berücksichtigt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12.02.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Ereignis vom 21.12.2007 als Gewalttat i.S.d. OEG anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor,

gegen den Kläger sei wegen des Vorfalls ein Strafbefehl wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung ergangen. Prof. Dr. U habe alle aktenkundigen Befunde zu den vom Kläger erlittenen Verletzungen berücksichtigt.

Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagte sowie der Archivakte des Sozialgerichts Speyer und der Prozessakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.


Entscheidungsgründe

Über die zulässige Berufung des Klägers konnte der Senat in Abwesenheit des Klägers entscheiden und war nicht gehalten, den Rechtsstreit zu vertagen. Denn, dass der Kläger, wie er am Terminstag vor der Sitzung telefonisch mitgeteilt hat, im Betrieb sei und aus zeitlichen Gründen nicht an der Sitzung teilnehmen könne, stellt keinen Vertagungsgrund dar. Zwischen der Ladung und dem Termin lag ein Monat, in dem der Kläger seine Zeitplanung hätte einrichten und ggf. mit entsprechender Begründung Vertagung beantragen können. Dass er, vor mehr als einen Monat, seinem ehemaligen Prozessbevollmächtigten das Mandat entzogen hat, begründet ebenfalls keinen Vertagungsantrag. Einen neuen Bevollmächtigten hat der Kläger nicht bestellt. Die Mitteilung, er sei vor einiger Zeit krank gewesen, begründet ebenfalls nicht einen Vertagungsgrund, da er nicht wegen Krankheit an der Teilnahme an der Sitzung gehindert war.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet, da ihm kein Anspruch auf Feststel-lung, dass er am 21.12.2007 Opfer einer Gewalttat gewesen ist, zusteht, wie das Sozialgericht und der Beklagte zu Recht entschieden haben.

Voraussetzung für die Anerkennung von Schädigungsfolgen gemäß § 1 OEG ist, dass der Kläger an Gesundheitsstörungen leidet, die rechtlich wesentlich durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff verursacht worden sind. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. SozR 3-3800 § 1 Nr. 23) eine unmittelbare Schädigung des Opfers voraus, was grundsätzlich einen engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder voraussetzt. Als Schädigungsfolgen sind dabei nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind.

Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs zählt, müssen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch hieran noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N., in SozR 3-3900 § 15 Nr. 3). Fehlt es daran, geht dies zu Lasten des Klägers (objektive Beweis- oder Feststellungslast).

Die im Verfahren nach dem OEG häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen keine generelle Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr, wie sie der Kläger hier geltend macht. Vielmehr gelten auch hier die allgemein anerkannten Beweisgrundsätze. Zu diesen zählen freilich auch die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sowie die für Kriegsopfer geschaffene besondere Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung – KOVVfG-, die auch für Gewaltopfer gilt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R; Urteil des Senats vom 18.05.2011, Az.: L 4 VG 14/09 mwN).

Im vorliegenden Fall ist nicht nachgewiesen bzw. glaubhaft, dass im Zuge der polizeilichen Maßnahmen am 21.12.2009 durch die handelnden Polizeibeamten vorsätzlich und rechtswidrig gegenüber dem Kläger als rechtswidrige Gewalttat eine Körperverletzung begangen worden ist.

Danach ist festzustellen, dass es zwei Versionen des Geschehensablaufs gibt: diejenige des Klägers und diejenige des vom Sozialgericht gehörten Zeugen. Dessen Aussage stimmt mit derjenigen seiner Kollegen überein. Davon, dass die vom Kläger geschilderte Version den wahren Geschehensablauf richtig wiedergibt, kann sich der Senat nicht überzeugen. Sie widerspricht den Angaben der übrigen Zeugen. Sie widerspricht ebenso den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. U. Nach dessen Feststellungen ist es unter Annahme des vom Kläger geschilderten Geschehensablaufs eher unwahrscheinlich, dass es dann zu Verletzungen mit den festgehaltenen Befunden beim Kläger gekommen wäre. Hingegen sind die objektiven Befunde zwanglos mit dem vom Zeugen R geschilderten Hergang in Einklang zu bringen.

Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers einerseits oder der Angaben des Zeugen R andererseits zu dem Verletzungsbild des Klägers nach dem Ereignis vom 21.12.2007 hat der Sachverständige Prof. Dr. U im Gutachten vom 04.06.2013 u.a. auf die Ausdrucke digitaler Aufnahmen des Klägers hingewiesen. Dort fänden sich diffuse und im Randbereich unscharf begrenzte Rötungen im Bereich der Stirn, der Nasenregion und des übrigen Gesichts. Darüber hinaus finde sich eine deutliche Schwellung über der Stirn rechts sowie eine deutliche Rötung im Bereich beider Ohrmuscheln, links stärker als rechts. Entsprechende Aufnahmen, insgesamt jedoch von deutlich schlechterer Qualität, würden sich in der Prozessakte finden, datiert auf den 21.12.2007, 21.15 Uhr. Dort erkenne man eine umschriebene rötliche Verfärbung im Bereich des Hinterrandes der linken Ohrmuschel, ohne dass ein Hautdefekt unmittelbar abgrenzbar sei. Ausweislich eines Arztbriefes vom 08.01.2008 in der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte werde über eine computertomographische Untersuchung des Schädels vom 07.01.2008 berichtet; unter Beurteilung finde sich u. a.: “ Asymmetrie der vorderen Nase. Nasenbeinfraktur ohne knöcherne Durchbauung beidseits. Nasenseptumdeviation nach rechts.“ In den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten werde über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 05. bis 11.02.2008 in der HNO-Klinik des Klinikums L berichtet. Als Diagnose sei dort angegeben: Posttraumatische Schiefnase, Septumdeviation nach Septumfraktur, Muschelhyperplasie beidseits. Unter Anamnese sei angegeben, dass die Schiefnase seit dem 21.12.2007 bestehe. Es sei die Indikation zu einer operativen Revision gestellt worden, die ohne Komplikation verlaufen sei. Ausweislich eines handschriftlichen Untersuchungsbogens aus dem Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus S in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sei der Kläger in dortiger ambulanter Behandlung gewesen am 21.12.2007 ab 20.51 Uhr. Unter Befund sei dokumentiert: „Prellmarke Stirn, Hinterhaupt, Nasenrücken. Beide Handgelenke mit Hämatom nach Anlage von Handschellen, Unterarme ventral mit Hämatom. Schwellung linker Oberschenkel und Hämatom dort. Linkes Ohr mit Schwellung und Knorpeleinriss, leichte Blutung dort.“ Nach Dokumentation und Wundversorgung sei der Kläger offensichtlich mit der Maßgabe, die Prellungen zu kühlen, entlassen worden. Ausweislich eines Arztbriefes vom 11.01.2008 des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus S werde über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 23. bis 26.12.2007 berichtet. Als Diagnosen seien angegeben: Prellung Kopf sonstige Lokalisation, Erbrechen ohne Angabe, Schwindel ohne Angabe, Prellung Schulter und Oberarm, Prellung Ohr, Oberschenkelprellung, Perianalabszess, ängstliche Depression. In einem Arztbrief des Klinikums M vom 01.02.2008 werde über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 29.01. bis 01.02.2008 berichtet. Als Diagnosen seien angegeben: Flache Impressionsfraktur Humeruskopf links 3×2 cm, Nasenbeinfraktur, Angststörung. Zudem finde sich die Feststellung, dass im Rahmen der Bildgebung der Verdacht auf eine so genannte Slap-Läsion (Verletzung der Knorpellippe am Oberrand der Schulterpfanne) gestellt worden sei, die sich im Rahmen der Arthroskopie nicht bestätigt habe. Es habe sich jedoch eine Impressionsfraktur des Humeruskopfes (Gelenkkopf des Oberarmes am Schulterblatt) gefunden, die konservativ mit krankengymnastischer Mobilisation unter Schmerzmedikation behandelt worden sei.

Nach Aktenlage ergebe sich, so Prof. Dr. Dr. U, als objektiver Sachverhalt, dass es am 21.12.2007 gegen 17.20/17.30 Uhr in der Polizeiinspektion S zu einer zunächst verbalen und schließlich körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und mehreren Polizeibeamten gekommen sei, da polizeiliche Maßnahmen durchgeführt werden sollten und sich der Kläger geweigert habe bzw. schließlich gewehrt habe, diese durchführen zu lassen. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung habe schließlich PHK R eine Bissverletzung im Bereich des rechten Unterschenkels und der Kläger Verletzungen im Sinne so genannter Prellmarken, teils mit Unterblutung (Hämatombildung) und Gewebeschwellung, neben einer Fraktur des Nasenbeins und der knorpeligen Anteile des Nasenseptums (Nasenscheidewand) sowie einer Impressionsfraktur des Gelenkkopfes des rechten Oberarmes erlitten.

Prüfe man zunächst die vom Kläger erlittenen multiplen so genannten Prellmarken, teils mit Unterblutung, teils mit deutlicher Gewebeschwellung, teilweise auch (linkes Ohr) mit Einriss der Haut und des Knorpels, so würden diese Verletzungen insgesamt Folgen mehrfacher stumpfer Gewalteinwirkung gegen den Kopf und das Gesicht des Klägers darstellen. Dabei sei es für das auch auf den fotografischen Aufnahmen sichtbare Resultat unerheblich, ob es sich um eine stumpfe Gewalteinwirkung in der Weise gehandelt habe, dass ein Gegenstand, z. B. der Fuß einer anderen Person oder ein Möbelstück, gegen die Körperregion geführt werde, oder aber das entsprechende Körperteil gegen ein feststehendes Möbelstück pralle. Insoweit sei eine Unterscheidung der beiden Versionen zum Vorfallshergang nicht ohne Einschränkung möglich. Es falle jedoch auf, dass ausweislich der in den Akten enthaltenen fotografischen Aufnahmen im Bereich des gesamten Kopfes und Gesicht des Klägers an keiner Stelle geformt erscheinende Hautmarken erkennbar seien, die nach den Schilderungen des Klägers zum Vorfallhergang zu erwarten gewesen wären. Damit würden sich seine Angaben zum Vorfallhergang, insbesondere betreffend die sichtbaren Veränderungen im Bereich des Kopfes und Gesichts, nicht zwanglos mit den dokumentierten Befunden in Einklang bringen lassen, im Gegensatz zu den Vorfallhergangsschilderungen der Polizeibeamten. Bei letzteren scheine die Entstehung flächenhafter, insgesamt unregelmäßig im Randbereich konfigurierter und vor allem nicht geformter Hautveränderungen im Rahmen multipler Anstöße während des Gerangels und des unkontrollierten Sturzes von PHK R auf den Kläger zwanglos nachvollziehbar. Prüfe man die Frage der Nasenbeinfraktur, so stelle sich auch diese Verletzung als Folge einer umschriebenen stumpfen Gewalteinwirkung gegen die Nasenregion dar, ohne dass sicher zwischen den beiden Vorfallhergangsschilderungen differenziert werden könne. Auch hier gelte jedoch, dass sich die Verletzung zwanglos als Folge des von den Polizeibeamten geschilderten Sturzgeschehens erkläre und keinesfalls zwingend Folge einer umschriebenen Gewalteinwirkung im Sinne eines gezielten Trittes sein müsse. Die im Bereich der rechten Schulter bzw. des rechten Oberarmkopfes festgestellte Verletzung stelle eine typische Verletzung dar, wie sie im Rahmen einer so genannten Schultergelenksluxation beschrieben werde. Ursache für solche Schultergelenksluxationen und damit auch die beim Kläger beschriebene Verletzung seien eine forcierte Abduktion, d. h. Abspreizung des Oberarms, und Außenrotation, wie sie im Rahmen der von den Polizeibeamten beschriebenen Maßnahmen, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Gegenmaßnahmen durch den Kläger, zwanglos nachvollziehbar seien. Berücksichtige man, dass es sich um eine isolierte Impressionsfraktur ohne Stufenbildung ausweislich der vorliegenden Krankenakten gehandelt habe, so erscheine eine Genese durch einen heftigen Tritt gegen die Schulter nicht wahrscheinlich.

§ 15 KOV-VfG findet im vorliegenden Fall keine Anwendung zu Gunsten des Klägers. Soweit danach die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, scheidet vorliegend eine entsprechende Unterstellung der Angaben des Klägers zu den polizeilichen Maßnahmen vom 21.12.2007 als wahr aus, weil die Angaben des Klägers zur Überzeugung des Senats nach eingehender und Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 128 Abs. 1 SGG) nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht als glaubhaft erscheinen. Anhaltspunkte dafür, dass die ergriffenen polizeilichen Maßnahmen gegen den Kläger rechtswidrig gewesen sein könnten, ergeben sich aufgrund der Ermittlungen und der Aktenlage unter keinem Gesichtspunkt. Insbesondere fand die Untersuchung des Klägers im Rahmen einer rechtmäßig angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung statt. Die vorliegenden medizinischen Befunde lassen die Angaben des Klägers nicht als glaubhaft erscheinen, wie schon oben ausgeführt.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 199 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.


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