Online-Fahrzeugkauf: Widerruf nach Verbraucherschutzgesetz gescheitert
Widerrufsrechte beim Online-Fahrzeugkauf sind ein komplexes Thema. Verbraucher, die ein Auto über das Internet erwerben, haben grundsätzlich ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Dieses erlaubt ihnen, den Vertrag ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Allerdings gibt es einige Fallstricke zu beachten, damit der Widerruf rechtens ist. Insbesondere die Fristberechnung und die korrekte Belehrung über das Widerrufsrecht sind entscheidend. Ob ein verspäteter oder formell mangelhafter Widerruf dennoch Erfolg haben kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Übersicht:
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Widerruf des Online-Kaufvertrags durch den Kläger erfolgte zu spät, da die 14-tägige Widerrufsfrist nach Erhalt der Ware bereits abgelaufen war.
- Die Beklagte musste in ihrer Widerrufsbelehrung keine Telefonnummer angeben, da dies weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus Systematik, Sinn und Zweck der Regelung erforderlich ist.
- Die Verwendung der gesetzlichen Musterwiderrufsbelehrung ist zwar vorteilhaft, war im konkreten Fall aber nicht zwingend erforderlich.
- Ein verspäteter oder unwirksamer Widerruf führt nicht zur Rückabwicklung des Kaufvertrags nach den Widerrufsregeln.
- Das Berufungsgericht bestätigte die Klageabweisung, da dem Kläger kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nach Widerruf zustand.
- Ein Rechtsmissbrauch oder Verstoß gegen Treu und Glauben lag seitens des Klägers nicht vor.
- Die Höhe einer möglichen Wertersatzpflicht für die Nutzung des Fahrzeugs war nicht verhandlungsbedürftig.
- Der Kläger muss die Prozesskosten tragen.
➜ Der Fall im Detail
Vorgeschichte des Online-Fahrzeugkaufvertrags
Im Kern des Rechtsstreits steht der Widerruf eines Online-Kaufvertrags über einen PKW, den der Kläger als Verbraucher am 09. Februar 2022 über die Website der Beklagten abgeschlossen hatte.
Der Kaufpreis für den Tesla betrug 45.170 €. Dem Vertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, die dem Kläger ein 14-tägiges Widerrufsrecht ohne Angabe von Gründen gewährte. Der Kläger machte von diesem Widerrufsrecht Gebrauch, doch die Folgen seines Widerrufs, insbesondere die Rückzahlung des Kaufpreises, waren Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung, da es zwischen den Parteien zu Unstimmigkeiten kam.
Sachverhalt und rechtliche Herausforderung
Die juristische Herausforderung in diesem Fall lag in der Prüfung, ob die Widerrufsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen entsprach und der Widerruf somit wirksam war. Des Weiteren war zu klären, inwiefern die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung durch den Kläger erfolgte und ob die geforderten Bedingungen zur Rücksendung der Ware erfüllt wurden. Alle diese Punkte haben direkte Auswirkungen auf die Rechtsposition des Klägers und dessen Ansprüche gegenüber der Beklagten.
Entscheidung des Landgerichts Stuttgart
Das Landgericht Stuttgart wies die Klage des Verbrauchers ab. Nach der Bewertung der Beweislage und der Präsentation beider Parteien kamen die Richter zu dem Schluss, dass die vom Kläger ausgeübten Rechte keine hinreichende Erfüllung fanden, um den Ansprüchen stattzugeben. Die Details der Entscheidungsfindung zeigten, dass möglicherweise Mängel in der Ausübung des Widerrufsrechts lagen, die dazu führten, dass der Kläger den Kaufpreis nicht zurückerhalten würde.
Gerichtliche Abwägungen und Begründung
Die Abwägung des Gerichts bezog sich insbesondere auf die korrekte Anwendung des Widerrufsrechts nach dem Verbraucherschutzgesetz. Dabei war entscheidend, ob die Informationspflichten von Seiten des Verkäufers erfüllt wurden und der Kläger das Widerrufsformular ordnungsgemäß verwendet und fristgerecht übermittelt hatte. Weiterhin prüfte das Gericht, ob die Rücksendung der Ware ordentlich dokumentiert und durchgeführt wurde, was für die Rechtsansprüche des Klägers wesentlich war.
Konsequenzen aus dem Urteil des LG Stuttgart
Die Konsequenzen des Urteils sind für den Kläger insbesondere finanzieller Natur. Er trägt nicht nur die Kosten des Fahrzeugs, sondern auch die des Rechtsstreits. Dieses Urteil könnte zudem für andere Verbraucher relevant sein, die ähnliche Online-Verträge abschließen. Es betont die Bedeutung der Einhaltung aller formalen Anforderungen bei der Ausübung des Widerrufsrechts im Online-Handel, um effektiven Rechtsschutz zu genießen.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was sind die Voraussetzungen für ein wirksames Widerrufsrecht beim Online-Kauf?
Damit ein Verbraucher sein Widerrufsrecht beim Online-Kauf wirksam ausüben kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Der Verkäufer muss den Verbraucher vor Vertragsschluss klar und verständlich über das Widerrufsrecht informieren. Dazu gehört insbesondere eine Belehrung über Bedingungen, Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts. Diese Widerrufsbelehrung muss dem vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Muster entsprechen. Zusätzlich muss der Verkäufer dem Verbraucher auch ein Muster-Widerrufsformular zur Verfügung stellen.
Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt erst zu laufen, wenn der Verbraucher die Ware erhalten hat und über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Fehlt die Widerrufsbelehrung, die Bestätigung des Vertrags oder das Muster-Widerrufsformular oder sind diese nicht ordnungsgemäß, kann sich die Widerrufsfrist auf bis zu 12 Monate und 14 Tage verlängern.
Um das Widerrufsrecht auszuüben, muss der Verbraucher dem Unternehmer mittels einer eindeutigen Erklärung über seinen Entschluss informieren, den Vertrag zu widerrufen. Dafür kann er das Muster-Widerrufsformular verwenden oder eine andere eindeutige Erklärung abgeben. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, wenn die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist abgesendet wird.
Besonderheiten gelten für digitale Inhalte. Hier kann das Widerrufsrecht vorzeitig erlöschen, wenn der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt und seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er durch seine Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrags sein Widerrufsrecht verliert.
Welche Fristen müssen beim Widerruf eines Online-Kaufvertrags beachtet werden?
Beim Widerruf eines Online-Kaufvertrags durch den Verbraucher sind zwei Fristen zu beachten:
- Die Frist für die Erklärung des Widerrufs beträgt 14 Tage. Sie beginnt bei Kaufverträgen in der Regel am Tag nach Erhalt der Ware durch den Verbraucher. Voraussetzung ist, dass der Verbraucher zuvor ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Fehlt die Widerrufsbelehrung oder ist sie fehlerhaft, kann sich die Frist auf bis zu 12 Monate und 14 Tage verlängern.
- Für die Rücksendung der Ware an den Händler hat der Verbraucher nach Erklärung des Widerrufs nochmal 14 Tage Zeit. Entscheidend für die Wahrung dieser Frist ist die rechtzeitige Absendung, nicht der Zugang beim Händler.
Wichtig: Der Widerruf muss gegenüber dem Händler eindeutig erklärt werden, z.B. per E-Mail oder Brief. Die bloße Rücksendung der Ware genügt nicht. Ein Grund muss nicht angegeben werden.
Sendet der Verbraucher die Ware nach Widerruf nicht fristgerecht zurück, bleibt der Widerruf trotzdem wirksam. Der Händler kann dann aber die Rückzahlung des Kaufpreises so lange verweigern, bis er die Ware zurückerhalten hat.
Bei bestimmten Verträgen, z.B. über digitale Inhalte, kann das Widerrufsrecht unter Umständen vorzeitig erlöschen, wenn der Verbraucher ausdrücklich zustimmt, dass der Unternehmer schon vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Ausführung beginnt.
Welche Formalitäten müssen beim Widerruf eines Online-Fahrzeugkaufvertrags eingehalten werden?
Beim Widerruf eines Online-Fahrzeugkaufvertrags durch den Verbraucher sind einige Formalitäten zu beachten, damit der Widerruf wirksam ist:
Der Widerruf muss durch eine eindeutige Erklärung gegenüber dem Verkäufer erfolgen, z.B. per Brief, Fax oder E-Mail. Eine Begründung ist nicht erforderlich. Dafür kann das vom Verkäufer zur Verfügung gestellte Muster-Widerrufsformular verwendet werden, dies ist aber nicht zwingend vorgeschrieben.
Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist. Der Zugang beim Verkäufer muss nicht innerhalb der Frist erfolgen.
Nach erklärtem Widerruf muss der Verbraucher das Fahrzeug unverzüglich, spätestens binnen 14 Tagen ab Widerrufserklärung an den Verkäufer zurücksenden oder übergeben. Versendet der Käufer die Ware, trägt er die unmittelbaren Kosten der Rücksendung.
Achtung: Ein Widerrufsrecht besteht nicht immer. Es kann bei Verträgen über Dienstleistungen vorzeitig erlöschen, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht und mit der Ausführung erst begonnen hat, nachdem der Verbraucher dazu seine ausdrückliche Zustimmung gegeben und gleichzeitig seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung verliert.
Fazit: Für einen wirksamen Widerruf müssen die Formvorschriften penibel eingehalten werden. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, rechtlichen Rat einzuholen, um Fehler zu vermeiden und keine Fristen zu versäumen. Nur dann kann der Verbraucher die Rechtsfolgen des Widerrufs, insbesondere die Rückabwicklung des Vertrags, in Anspruch nehmen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 355 BGB (Widerrufsrecht): Regelt das gesetzliche Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen. Verbraucher haben bei Fernabsatzverträgen ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Für den Online-Fahrzeugkaufvertrag ist diese Vorschrift zentral.
- § 356 BGB (Beginn der Widerrufsfrist): Legt den Fristbeginn für die Ausübung des Widerrufsrechts fest. Bei Kaufverträgen beginnt die 14-tägige Frist mit Erhalt der Ware. Wichtig für die Fristberechnung beim Widerruf.
- Art. 246a EGBGB (Informationspflichten bei Fernabsatzverträgen): Enthält Vorgaben zur Widerrufsbelehrung bei Fernabsatzverträgen wie Online-Verträgen. Der Unternehmer muss über Bedingungen, Fristen und Verfahren des Widerrufs informieren. Für den konkreten Fall des Fahrzeugkaufs maßgeblich.
- § 357 BGB (Rechtsfolgen bei Widerruf): Regelt die Rückabwicklung nach Widerruf, insbesondere Rückzahlung des Kaufpreises und Rücksendung der Ware durch den Verbraucher. Grundlage für den Rückzahlungsanspruch nach Widerruf.
- § 357a BGB (Wertersatz bei Widerruf): Kann Anspruch des Unternehmers auf Wertersatz bei übermäßiger Nutzung der Sache durch den Verbraucher begründen. Relevant für die Einrede der Beklagten.
- Treu und Glauben (§ 242 BGB): Kernvorschrift des Grundsatzes von Treu und Glauben. Könnte die Rechtsausübung des Widerrufs als rechtsmissbräuchlich einstufen lassen, wie von der Beklagten geltend gemacht.
Das vorliegende Urteil
LG Stuttgart – Az.: 48 O 163/23 – Urteil vom 02.02.2024
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 45.170,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises nach erklärtem Widerruf eines über die Internet-Seite der Beklagten geschlossenen PKW-Kaufvertrages geltend.
Der Kläger schloss als Verbraucher am 09.02.2022 über die Internetseite der Beklagten einen Kaufvertrag über einen PKW Modell Tesla … zum Kaufpreis von 45.170 €. Dem Kaufvertrag war die folgende Widerrufsbelehrung beigefügt:
„Widerrufsbelehrung
Widerrufsrecht
Wenn Sie ein Verbraucher sind und diesen Vertrag ausschließlich unter der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (wie z.B. über das Internet, per Telefon, E-Mail o.ä.) geschlossen haben, haben Sie das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag nach den nachstehenden Regelungen zu widerrufen.
Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat.
Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns (T. Germany GmbH, L.-P.-Straße … – …, … B., ….com) mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist.
Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.
Folgen des Widerrufs
Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrags bei uns eingegangen ist. Für diese Rückzahlung verwenden wir dasselbe Zahlungsmittel, das Sie bei der ursprünglichen Transaktion eingesetzt haben, es sei denn, mit Ihnen wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart; in keinem Fall werden Ihnen wegen dieser Rückzahlung Entgelte berechnet. Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.
Sie haben die Waren unverzüglich und in jedem Fall spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag, an dem Sie uns über den Widerruf dieses Vertrags unterrichten, an T. Germany GmbH, L.-P.-Straße … – …, … B. oder an Ihr örtliches T. D. Center zurückzusenden oder zu übergeben. Die Frist ist gewahrt, wenn Sie die Waren vor Ablauf der Frist von vierzehn Tagen absenden.
Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
Sie müssen für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur aufkommen, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit ihnen zurückzuführen ist.“
Eine Telefonnummer der Beklagten war in der Widerrufsbelehrung unstreitig nicht angegeben. Die Parteien streiten darüber, ob diese für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erforderlich ist.
Nach Kaufpreiszahlung wurde dem Kläger das Fahrzeug mit der FIN … am 11.11.2022 übergeben. Mit E-Mail vom 28.09.2023 widerrief der Kläger den Kaufvertrag und versuchte am 05.10.2023 vergeblich das Fahrzeug in der Niederlassung der Beklagten in H. zurückzugeben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.10.2023 ließ der Kläger die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises unter Fristsetzung bis zum 27.10.2023 auffordern.
Der Kläger ist der Auffassung, dass sein Widerruf fristgerecht ausgeübt wurde, da die Widerrufsfrist mangels Angabe einer Telefonnummer nicht zu laufen begonnen habe.
Der Kläger beantragt:
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 45.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2023 nach Rückübereignung des Fahrzeugs Model …, Fahrgestellnr. (VIN) …, zu zahlen.
Hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 45.170,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2023 nach Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Model …, Fahrgestellnr. (VIN) …, zu zahlen.
2. es wird festgestellt, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 13.10.2023 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den vorgerichtlichen nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.013,11 EUR freizustellen.
Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass der Widerruf bereits nicht fristgerecht ausgeübt wurde. Eine Telefonnummer habe nicht angegeben werden müssen. Bei der verwendeten Widerrufsbelehrung habe es sich nicht um das Muster für die Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB gehandelt.
Jedenfalls sei der Widerruf rechtsmissbräuchlich und verstoße gegen Treu und Glauben, wenn der Kläger staatliche Förderungsmittel für den Erwerb und das Halten eines Elektrofahrzeugs einbehalten wolle, obwohl er den Vertrag widerrufen habe. Zudem handele er auch widersprüchlich, wenn er den Vertrag widerrufe jedoch zugleich das Fahrzeug weiterhin nutze.
Hilfsweise werde die Einrede nach § 357 Abs. 4 BGB erhoben.
Schließlich macht die Beklagte mittels Hilfsaufrechnung einen Wertersatz nach § 357a Abs. 1 BGB geltend, der mit 19.770 € zu beziffern sei.
Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren bestreite sie, dass diese bezahlt worden seien.
Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Stuttgart sowohl örtlich (§ 29 ZPO) als auch sachlich (§§ 71, 23 GVG) zuständig.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 45.170,00 €. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den Haupt- als auch den Hilfsantrag.
1. Der Kläger hat insbesondere keinen Rückzahlungsanspruch aus § 357 Abs. 1 BGB wonach spätestens 14 Tage nach Widerruf die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren sind. Der Kläger hat den Vertrag nicht wirksam nach §§ 312g Abs. 1, 355 BGB widerrufen, da die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt des erklärten Widerrufs bereits abgelaufen war.
1.1 Die Widerrufsfrist beträgt gem. § 355 Abs. 2 BGB vierzehn Tage. Gem. § 356 Abs. 2 Nr. 1 a) BGB beginnt die Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen sobald der Verbraucher die Ware erhalten hat. Übergabe war vorliegend der 11.11.2022, so dass die Widerrufsfrist mit Ablauf des 25.11.2022 endete. Der Widerruf wurde jedoch erst mit E-Mail vom 28.09.2023, also nach Fristablauf, erklärt.
1.2 Entgegen der Auffassung des Klägers war der Widerruf nicht deshalb noch möglich, weil er keine den Anforderungen nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB entsprechende Widerrufsbelehrung erhalten hat und deshalb die Frist nicht zu laufen begonnen hat (§ 356 Abs. 3 S. 1 BGB). Die Beklagte kann sich zwar nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Muster-Widerrufsbelehrung berufen, da sie – entgegen der Behauptung der Klägerseite – nicht die Muster-Widerrufsbelehrung gem. Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB verwendet hat. Bereits aus der Einleitung der verwendeten Widerrufsbelehrung ergibt sich, dass es sich nicht unverändert um die Muster-Widerrufsbelehrung handelt. Die verwendete Individual-Widerrufsbelehrung gibt jedoch keinen Anlass zu einer Beanstandung. Ungeachtet der Frage, ob die Beklagte über eine Telefonnummer verfügte, war deren Angabe für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erforderlich. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der Systematik, Sinn und Zweck und auch den Vorgaben des Europarechts.
1.2.1 Aus dem Wortlaut des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ergibt sich unmittelbar kein Erfordernis, für die Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung. Danach wird der Unternehmer lediglich verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren sowie über das Muster-Widerrufsformular aus der Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB. Anders als bei § 356e BGB i. V. m. Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 EGBGB wird in dieser Vorschrift die Angabe einer Telefonnummer nicht ausdrücklich genannt. Entgegen der Auffassung der Klägerseite handelt es sich auch bei „diesen“ Informationspflichten nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB nicht um die Informationspflichten aus Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB, sondern um diejenigen aus S. 1 dieses Absatzes.
1.2.2 Auch aus der Systematik des Widerrufsrechts ergibt sich nicht, dass die Angabe einer Telefonnummer für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erforderlich ist. Eine systematische Auslegung erfolgt in der Weise, dass einzelne Rechtssätze, die in einem Zusammenhang stehen, so auszulegen sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Insoweit kommt es auf den Rang, die Zeitenfolge und die Spezialität an (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 17. Aufl. 2022, Art. 20 Rn. 62aGG). Der Gesetzgeber hat in den Art. 246 ff. EGBGB für die verschiedenen Verbraucherverträge unterschiedliche Informationspflichten sowie unterschiedliche Anforderungen an die Inhalte der Widerrufsbelehrungen geregelt. Es ist nicht ersichtlich – und von der Klägerseite auch nicht plausibel ausgeführt – dass sich bei einer Gesamtbetrachtung der verschiedenen Regelungen ergebe, dass in der Widerrufsbelehrung der Beklagten zum vorliegenden Fernabsatzgeschäft eine Telefonnummer anzugeben wäre, weil sich aus der Systematik des Widerrufsrechts ergebe, dass bei jeder Widerrufsbelehrung die Angabe der Telefonnummer des Unternehmers erforderlich ist.
Insbesondere ergibt sich aus dem Umstand, dass in der Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB unter Gestaltungshinweis [2] vorgesehen ist, dass dort Name, Anschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse anzugeben ist, nichts anderes. Aufgrund der Systematik von Gesetz, Anlage und hierin befindlichem Gestaltungshinweis kann nicht abgeleitet werden, dass sich aus einem Gestaltungshinweis in einem Muster eine Verpflichtung für die Beklagtenseite zur Angabe einer Telefonnummer in einer Individual-Widerspruchsbelehrung ergibt. Im Gesetz selbst ist eine solche Pflicht nicht normiert. Bei der Anlage handelt es sich lediglich um ein Muster für die Widerrufsbelehrung, für welches kein Verwendungszwang besteht. Wird dieses vollständig und zutreffend ausgefüllt, kann sich der Verwender darauf berufen, dass er ordnungsgemäß über das bestehende Widerrufsrecht belehrt hat. Wird dieses fehlerhaft ausgefüllt, kann sich der Unternehmer nicht auf deren Gesetzlichkeitsfiktion berufen. Aus dem Gestaltungshinweis ergibt sich jedoch keine gesetzliche Pflicht zur Angabe der Telefonnummer.
Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.09.2020 (I ZR 169/17 – zitiert nach juris). Die entscheidungstragenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs beziehen sich zum Einen auf die Anforderungen, die zu beachten sind, wenn die Muster-Widerrufsbelehrung – anders als im vorliegenden Fall – verwendet wurde (vgl. Rn. 28, 29, 31), zum anderen betreffen diese lediglich das Verhältnis von Mitbewerbern zueinander. Zu der Frage, welche Auswirkungen ein Verstoß gegen eine Verpflichtung zur Angabe der Telefonnummer im Verhältnis Unternehmer – Verbraucher hat, hat sich der Bundesgerichtshof (da im dortigen Fall nicht entscheidungserheblich) nicht geäußert.
1.2.3 Auch aus teleologischer Sicht gibt es keinen Anlass, die Regelung des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB in der Weise auszulegen, dass diese die Angabe einer Telefonnummer für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erfordert. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck einer Norm soll gewährleisten, dass eine Norm ihrer Funktion gerecht wird und ist insbesondere einer nach dem Wortlaut unklaren Rechtslage bedeutsam. Zu berücksichtigen sind die Wertungen und Zielvorstellungen des Gesetzes. Zudem kann gesetzgeberisches Versehen korrigiert werden (Jarass, aaO, Rn. 63a). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber versehentlich beim Fernabsatzvertrag „vergessen“ hat, eine Telefonnummer in den Katalog der einzuhaltenden Angaben in der Widerrufsbelehrung mit aufzunehmen. Gerade mit Blick auf die unterschiedliche Gestaltung der einzelnen Vertragstypen hinsichtlich der einzuhaltenden Informationspflichten kann von keinem gesetzgeberischen Versehen ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat bei Verträgen über Finanzdienstleistungen bewusst weitere Informationspflichten aufgenommen, als bei allgemeinen Fernabsatzverträgen. So ergibt sich aus § 356 Abs. 3 S. 1 BGB i. V. m. Art. 246b § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 1 EGBGB, dass bei Finanzdienstleistungen weitere Informationen in der Widerrufsbelehrung angegeben werden müssen, wobei jedoch auch im dortigen Katalog eine Telefonnummer gerade nicht aufgeführt wird (vgl. zum Erfordernis der Angabe der Telefonnummer bei Finanzdienstleistungen: Grüneberg in ders, BGB-Kommentar, 83. Aufl. 2024, EGBGB Art. 246b § 1 Rn. 5). Dies zeigt auch die von Klägerseite ausgeführte Gesetzesbegründung: „Allerdings wird der Beginn der Widerrufsfrist mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen zukünftig nicht mehr von der Erfüllung der sonstigen Informationspflichten abhängen, wie dies bislang der Fall ist, § 312d Abs. 2 BGB“ (S. 8 der Klageschrift, Bl. 8 d. A.). Anders wiederum hat der Gesetzgeber die Regelung beim Verbraucherbauvertrag getroffen. Nach Art. 249 § 3 EGBGB ist dort ausdrücklich die Telefonnummer bei den Pflichtangaben der Widerrufsbelehrung aufgeführt. Gerade durch diese unterschiedliche Ausgestaltung zeigt sich, dass der Gesetzgeber sich bewusst dazu entschieden hat, die Anforderungen an die Widerrufsbelehrungen je nach Vertragstyp unterschiedlich auszugestalten.
1.2.4 Schließlich ergibt sich auch nicht aus dem Europarecht ein Erfordernis der Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung. In Art. 6 Abs. 1 lit. c Richtlinie (EU) 2011/83 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: RL 2011/83/EU) heißt es lediglich, dass die Kontaktdaten des Unternehmers dem Verbraucher, bevor ein Vertrag geschlossen wird, genannt werden soll bzw. dieser informiert werden soll, dabei soll auch eine Telefonnummer aufgeführt werden. Bezüglich des Widerrufsrechts ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 lit. h RL 2011/83/EU – insoweit wortgleich zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB lediglich, dass der Unternehmer „die Bedingungen, Fristen und Verfahren über die Ausübung des Rechts gem. Art. 11 Abs. 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gem. Anhang I Teil B“ mitgeteilt werden müsse.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des EuGHs (Urt. V. 14.05.2020, C-266/19, EIS GmbH/TO, NJW 2020, 2389). Dieses (ebenfalls) im Wettbewerbsrecht ergangene Urteil betraf die Frage, ob bei Verwendung des Muster-Widerrufsformulars die Angabe einer Telefonnummer zwingend ist. Mit der Frage, welche Konsequenzen das Fehlen der Telefonnummer im Muster-Widerrufsformular im Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher hat musste sich auch dieses Gericht nicht auseinander setzen.
1.2.5 Da die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß erfolgte, ist der Widerruf im September 2022 nicht fristgerecht erfolgt.
1.3 Mangels wirksamen Widerrufs muss nicht entschieden werden, ob der Widerruf treuwidrig war und ob der Beklagten Wertersatz zusteht. Auch das Zurückbehaltungsrecht, welches die Beklagte geltend gemacht hat, ist nicht entscheidungserheblich.
2. Weitere Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch sind nicht ersichtlich; insbesondere scheidet ein Rückabwicklungsanspruch nach §§ 437, 323, 346 BGB aus. Ein Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs wurde nicht vorgebracht.
III.
Mangels Hauptanspruchs stehen dem Kläger auch die geltend gemachten Nebenforderungen nicht zu.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
V.
Die Streitwertfestsetzung folgt §§ 43, 48 Abs. 1, 63 GKG. Da über die Hilfsaufrechnung nicht zu entscheiden war, erhöht diese den Streitwert nicht. Dem begehrten Feststellungsantrag zum Annahmeverzug kommt kein eigenständiger Streitwert zu (BGH, Beschl. v. 13.10.2020, VIII ZR 290/19).