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Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz – Voraussetzungen

LSG NRW, Az.: L 13 VG 81/15, Urteil vom 14.11.2016

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27.10.2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 00.00.1946 geborene Kläger begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X).

Zur Begründung seines Antrags vom 21.10.2005 hatte der Kläger vorgetragen, er habe über Jahre in verschiedenen Heimen körperliche und sexuelle Gewalt erlitten. Im Einzelnen gab er an: In der Zeit vom 29.04.1959 bis zum 31.12.1960 in M habe ihn ein gewisser Bruder I o.ä. während der Aufsicht oder bei sonstiger Gelegenheit mit dem Schlüssel auf den Kopf geschlagen, so dass er immer Beulen gehabt und teilweise sogar geblutet habe. Wenn er zum Beispiel nicht habe essen wollen, habe er Ohrfeigen erhalten und ein Lehrer habe sein Ohr so kräftig gedreht, dass es zum Teil eingerissen sei. Wenn er die Tonleiter nicht beherrscht habe, habe ein Musiklehrer mit dem Rohrstock auf seine Hände geschlagen, so dass diese tagelang dick und geschwollen gewesen seien. Von älteren Zöglingen und vom Sohn des Heimleiters sei er sexuell missbraucht worden. In der Zeit vom 07.04. bis 04.08.1961 sei er im Landeserziehungsheim C von den älteren Zöglingen missbraucht worden. Außerdem seien Misshandlungen und Züchtigungen an der Tagesordnung gewesen. In der Zeit vom 04.08.1961 bis 23.07.1963 auf dem C habe es häufig sexuelle Übergriffe von Mitzöglingen gegeben sowie Prügel durch die Erzieher. In der Zeit vom 24.07.1963 bis zum 30.09.1964 in F sei einer der Schwachsinnigen bei einem Wutanfall immer mit Spaten und Mistgabel auf ihn losgegangen. Wenn er sich beschwert habe, habe er noch Prügel durch das Pflegepersonal bekommen. Er leide heute noch an Depressionen, Aggressivität sowie Alpträumen und vermeide große Menschenmengen.

Den Grad der Behinderung (GdB) hatte das Amt für soziale Angelegenheiten U mit Bescheid vom 06.08.2002 mit 30 festgestellt, und zwar für folgende Beeinträchtigungen:

„Wirbelsäulenleiden, Skoliose, degenerative Veränderungen mit Bandscheibenvorfall L5/S1“ (GdB 30) sowie „Funktionsminderung der Hüft- und Kniegelenke bei Arthrose“ (GdB 10). Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Beeinträchtigung „Kleinhirnläsion mit neurologischen Defiziten der rechten Körperhälfte“ (GdB 30) wurde der GdB mit Bescheid vom 17.07.2003 auf 40 erhöht. Im anschließenden Rechtsstreit S 5 SB 374/03 Sozialgericht Trier legte der Kläger eine Bescheinigung des Neurologen und Psychiaters S (13.04.2004) vor. Herr S führt u.a. aus, es handele sich um progrediente Hirnleistungsstörungen mit Einschränkung der Konzentration und insbesondere des Kurzzeitgedächtnisses bei wohl vaskulären ischämischen Hirnläsionen mit unklarem raumfordernden Prozess im Bereich des rechten Kleinhirns. Psychopathologisch beständen eine leichte depressive Stimmungslage, Verlangsamung und erschwerte Umstellfähigkeit sowie Einschränkungen der Konzentration und Merkfähigkeit und nicht unerhebliche Einschränkungen der Ausdauer und Belastbarkeit. Der Beklagte übersandte hierzu die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 06.07.2004. In dieser heißt es, die neurologische Einschränkung sei als Hirnschaden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 30-40 zu bewerten und die psychopathologischen Einschränkungen als leichtere psychovegetative Störung mit einem GdB von 20. Für die Beeinträchtigung „Kleinhirnläsion mit neurologischen Defiziten der linken oberen Extremität und der rechten Körperhälfte, Sehstörungen, psychische Minderbelastbarkeit“ ergebe sich danach ein GdB von 40. In Ausführung eines im Rahmen eines Rechtsstreites beim Sozialgericht Trier angenommenen Teilanerkenntnisses erging der Ausführungsbescheid vom 20.09.2004, mit dem der GdB ab 19.05.2003 mit 50 festgestellt wurde. Aufgrund des Änderungsantrages vom 30.03.2005 zog das Amt für soziale Angelegenheiten U das Rentengutachten von Dr. L vom 14.02.2005 von der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz bei. In dem Gutachten wird die Stimmungslage als niedergeschlagen beschrieben mit deutlichen Hinweisen auf Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörung. Es werden unter anderem eine Kleinhirnläsion mit neurologischen Defiziten diagnostiziert sowie ein depressives Syndrom. In dem Gutachten heißt es weiter, im Vordergrund der Symptomatik stehe offensichtlich die fortschreitende Hirnleistungsstörung mit Einschränkung der Konzentration, insbesondere des Kurzzeitgedächtnisses. Weiterhin bestehe eine depressive Stimmungslage, insgesamt eine Verlangsamung, Einschränkung von Konzentration und Merkfähigkeit sowie eine nicht unerhebliche Einschränkung auch der Ausdauer und Belastbarkeit. In der eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme (29.04.2005) blieb es bei der bisherigen Beurteilung. Der Änderungsantrag des Klägers wurde daraufhin mit Bescheid vom 01.06.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2005 abgelehnt. Aufgrund des Änderungsantrages vom 26.11.2012 holte der Kreis M einen Befundbericht des Hausarztes des Klägers Dr. N ein (06.12.2012). In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme (01.01.2013) werden folgende Beeinträchtigungen genannt: „Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Muskel- und Nervenreizungen“ (GdB 30), „Funktionsminderung der Hüft- und Kniegelenke“ (GdB 10) sowie „Kleihirnläsion mit neurologischen Defiziten der linken oberen Extremität und der rechten Körperhälfte, Sehstörungen, psychische Minderbelastbarkeit“ (GdB 40). Der Gesamt-GdB wurde weiterhin mit 50 bewertet.

In der Opferentschädigungsangelegenheit teilte der Kläger dem Versorgungsamt Bielefeld telefonisch mit, er leide unter psychischen Folgen, befinde sich deswegen allerdings nicht in Behandlung. Er könne nicht viele Leute um sich haben. Auch im Restaurant sitze er immer an der Tür. Eine Mietwohnung könne er nicht ertragen, weil er die Regeln einer Hausordnung nicht aushalte. Herr M vom Landschaftsverband habe zugegeben, dass in den Heimen solche Zustände geherrscht hätten. Die Akten enthalten des Weiteren Schreiben des Herrn M, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Abteilung Landesjugendamt und Westfälische Schulen (14.09. und 22.12.2005). Im Schreiben vom 22.12.2005 heißt es u.a., in vielfältigen Kontakten zu ehemaligen Heimkindern/Fürsorgezöglingen habe es viele Rückmeldungen über körperliche und seelische Misshandlungen durch die Bediensteten in den Einrichtungen gegeben.

Mit Bescheid vom 16.06.2006 lehnte das Versorgungsamt Bielefeld den Antrag des Klägers auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG ab. Zur Begründung ist unter anderem ausgeführt, die Härtefallregelung des § 10 a OEG finde Anwendung, da Gewalttaten vor 1976 vorgetragen worden seien. Der Antrag sei jedoch schon nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG nicht begründet. Es könne dahinstehen, ob die vorgetragenen Gewalttaten tatsächlich stattgefunden hätten, ob hierdurch gegebenenfalls eine gesundheitliche Schädigung eingetreten sei und ob heute tatsächlich eine dauerhafte psychische Erkrankung vorliege. Jedenfalls sei der ursächliche Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Schädigung und der psychischen Erkrankung nicht wahrscheinlich. Der Kläger habe nach eigenen Angaben bis zum 21. Lebensjahr im Heim gelebt. Den Antrag auf Versorgung nach dem OEG habe er erst mit 59 Jahren gestellt. Für die Ausbildung psychischer Krankheiten seien viele Faktoren (wie Veranlagung, Umwelteinflüsse, Lebensführung und andere schicksalhafte Vorgänge) ursächlich. Je länger der zeitliche Abstand zwischen der Gewalttat und dem Ausbruch einer psychischen Erkrankung sei, umso weniger spreche für die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Gewalttat und der Erkrankung. Bei einem zeitlichen Abstand von mindestens 38 Jahren sei der ursächliche Zusammenhang keineswegs mehr wahrscheinlich. Hinzu komme, dass der Lebenslauf des Klägers nach den Heimaufenthalten zusätzlich eine Vielzahl belastender Faktoren aufweise.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er machte geltend, in den Heimen habe er sehr viel Gewalt und sexuellen Missbrauch erlebt. Hierunter leide er heute noch. Er habe Angst vor Behörden und könne nie mehr als fünf Minuten in geschlossenen Räumen sein. Vor der Antragstellung habe er von der Möglichkeit einer Opferentschädigung nichts gewusst. Nach seiner Haft versuche er jetzt seit 18 Jahren ein normales Leben zu führen. Aber Angst und Depressionen seien seine ständigen Begleiter.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2006 wies der Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zurück.

Im Klageverfahren S 15 VG 158/06 Sozialgericht Detmold hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat u.a. vorgetragen, obwohl der Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahre 1950 das Schlagen verboten habe, sei es weiter gegangen, bis er 1966 aus dem Heim entlassen worden sei. Der Kläger übersandte u.a. einen Ausdruck des Schreibens des Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.02.1950 an die Heime für schulentlassene Jungen und Schulkinder.

Im Vorprozess hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie H (29.01.2007). Der Sachverständige hat die Beurteilung abgegeben, keine der Gesundheitsstörungen des Klägers sei mit Wahrscheinlichkeit zumindest annähernd gleichwertig neben anderen Ursachen auf die körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während des Heimaufenthalts zurückzuführen. Beim Kläger liegen nach den Ausführungen des Sachverständigen eine leicht ausgeprägte Angststörung (im Sinne einer Agoraphobie mit soziophoben Elementen) vor sowie eine schizoide Persönlichkeit. Es handele sich (insgesamt) um eine leichtere psychische Störung, die nach Ziffer 26.3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht einen Einzel-GdB von 10 nach dem Schwerbehindertenrecht rechtfertige. Im Rahmen der schizoiden Persönlichkeit habe sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen deutlich eine emotionale Distanziertheit gezeigt, ohne dass bedeutsame depressive Beschwerden beschrieben worden seien oder sich im psychischen Befund abgebildet hätten. Merkfähigkeit und Konzentration hätten sich im Wesentlichen unauffällig gezeigt. Die Angstsymptomatik beschränke sich im Wesentlichen auf das Meiden größerer Supermärkte oder anderer Menschenansammlungen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen H werden in der medizinischen Wissenschaft für die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen verschiedene Ursachen genannt. Der Sachverständige führt weiter aus, dass die entwicklungsgeschichtliche Erfahrung des Klägers wesentlich an der Ausbildung der psychischen Störung mitbeteiligt sei. Die Einschätzung sei aufgrund des erheblichen zeitlichen Abstands der angegebenen Erfahrungen zu den jetzigen Symptomen mit erheblicher Ungewissheit verbunden. Insbesondere sei nicht dokumentiert, ob die beschriebenen Symptome wirklich schon seit der Jugend beständen. Es sei unwahrscheinlich, dass die vom Kläger vorgetragenen Übergriffe während der Heimaufenthalte, soweit sie als rechtswidrig einzuschätzen seien, als wesentliche Teilursache zur Ausbildung der jetzigen psychischen Störung beigetragen hätten. Der Kläger habe über die gesamte Entwicklung vom Kleinkindalter bis zum jungen Erwachsenenalter (etwa 28 Jahre) eine Vielzahl traumatisierender Erfahrungen gemacht, die nicht als Folge von Straftaten anzusehen seien. Er habe berichtet, bereits im Alter von drei Jahren von seiner Mutter getrennt worden und erstmalig in ein Kinderheim gekommen zu sein. In der Zeit etwa vom 7./8. bis 12./13. Lebensjahr habe er ständig auf der Hut vor dem jähzornigen Lebensgefährten seiner Mutter sein müssen. Die Unterbringung im Behindertenheim F sowie mehrere Inhaftierungen habe er ebenfalls als traumatisierend erlebt. Ein Zusammenhang der beim Kläger vorliegenden organischen Erkrankungen (Kleinhirnschädigung unklarer Ursache, leichte Schwäche und Koordinationsstörungen der rechten Körperhälfte; Bandscheibenleiden, Hüft- und Kniegelenksarthose beidseits) mit körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während des Aufenthalts in Heimen sei mit Sicherheit zu verneinen. Im Urteil vom 25.04.2007 ist die 15. Kammer des Sozialgerichts Detmold der Beurteilung des Sachverständigen gefolgt und hat die Klage abgewiesen.

Am 28.11.2012 beantragte der Kläger erneut Opferrente nach dem OEG. Er gab an, mehr als 12 Jahre im Heim gewesen zu sein. Er sei gedemütigt, geschlagen und sexuell missbraucht worden (bis zur Vergewaltigung). Die richtige Traumatisierung sei wieder aufgekommen, seitdem er im Petitionsausschuss des Bundestages über den Leidensweg in Erziehungsheimen Bericht erstattet habe. Er übersandte ein neuropsychologisches Gutachten von Univ.-Prof. Dr. N1 (27.10.2012). In dem Gutachten heißt es u.a., Traumatisierungen würden häufig erst nach Jahrzehnten manifest. Jahrzehntelange Bindungsangst sei eine der negativen Folgen der Heimerziehung. Eine Traumatisierung durch die vielfältigen, sehr negativen Erlebnisse (z.B. Abschiebung aus dem Elternhaus, Prügelstrafe, sexueller Missbrauch, vielfacher Freiheitsentzug) sei durchaus möglich. Es sei plausibel, dass der Kläger mangels Verhaltensalternativen delinquent geworden sei. Hier sei ein Leben von Anfang an auf eine falsche Weiche gefahren. Man sollte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den psychischen Erkrankungen und im Grunde auch den körperlichen Schäden und der Heimerziehung und den damit verbundenen traumatischen Ereignissen annehmen. Spätere traumatische Erlebnisse – einschließlich Gefängnisaufenthalt – wären bei positiver Heimumgebung nicht aufgetreten. Die körperlichen und psychischen Veränderungen, die letztendlich zur Schwerbehinderung geführt hätten, seien allein auf die Heimerziehung und die mit den Heimaufenthalten verbundenen negativen Erfahrungen zurückzuführen. Die organischen Schäden (Bandscheibenleiden, Hüft- und Kniegelenksarthrosen beidseits) seien insofern ursächlich auf die Heimerziehung zurückführbar, als der Kläger ohne die stark benachteiligenden Erfahrungen der Heimerziehung mit Sicherheit ein anderes Leben geführt, andere Berufe ergriffen und stärker auf seine Gesundheit geachtet hätte.

Mit Bescheid vom 20.12.2012 lehnte der Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 16.06.2006 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006 gemäß § 44 SGB X ab. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, Prof. Dr. N1 befasse sich in dem vorgelegten Gutachten hauptsächlich mit dem Zusammenhang von frühkindlicher Prägungsphase und späterem Lebensverlauf. Grundsätzlich ergäben sich aus dem Gutachten keine neuen Anhaltspunkte, die darauf hinweisen könnten, dass ein Zusammenhang zwischen gesundheitlicher Schädigung und der heute bestehenden dauerhaften psychischen Erkrankung bestehe. Ohnehin fehle es an der nach § 10 a OEG erforderlichen Schwerbeschädigung.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er machte geltend, die Voraussetzungen des § 10 a OEG lägen vor. Er sei schwerbeschädigt mit einem GdB von 50. Die Schwerbeschädigung gehe zurück auf die Ereignisse im Rahmen seiner Heimaufenthalte. In der Zeit zwischen dem 29.04.1959 und dem 01.07.1966 habe er verschiedene Kinder- und Jugenderziehungsheime sowie die Einrichtung F besucht. In seiner Zeit in den Heimen sei er auf menschenverachtende Art und Weise erzogen, „ausgebildet“ und behandelt worden. Es sei bekannt, dass es allgemein zu körperlichen, sexuellen und psychischen Übergriffen auf die Heimkinder in dieser Zeit gekommen sei. Der kausale Bezug zwischen den Schädigungen in den Heimen und dem GdB ergebe sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. N1.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.04.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe gegen die Person des Klägers hätten sich nicht nachweisen lassen, d.h. es habe sich nicht zweifelsfrei feststellen lassen, was sich tatsächlich ereignet habe. Unabhängig davon, ob die vorgetragenen Gewalttaten tatsächlich stattgefunden hätten und ob hierdurch ggf. eine gesundheitliche Schädigung eingetreten sei, sei letztlich von entscheidender Bedeutung, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen einer heute bestehenden psychischen Gesundheitsstörung und einer damals ggf. erlittenen gesundheitlichen Schädigung nicht wahrscheinlich sei. Insoweit sei auch das Gutachten von Universitätsprofessor Dr. N1 als Beweismittel nicht geeignet. Es gebe nach wissenschaftlicher Lehrmeinung grundsätzlich kein psychopathologisches Symptom und keine psychische Störung, von dem bzw. der aus spezifisch auf ein Ereignis in der Vergangenheit zurückgeschlossen werden könne. Die Feststellung eines GdB nach dem Schwerbehindertenrecht sei für dieses Verfahren nicht ausschlaggebend. Denn nach dem Schwerbehindertenrecht würden schädigungsabhängige und schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen in der Gesamtheit bewertet. Abschließend werde nochmals auf die Urteilsgründe im Urteil vom 25.04.2007 in dem Rechtsstreit S 15 VG 158/06 Sozialgericht Detmold Bezug genommen.

Mit der zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin Entschädigung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG begehrt und vorgetragen, er sei während seiner Unterbringung in Heimen im Zeitraum vom 29.04.1959 bis 01.07.1966 sexuell, körperlich und psychisch misshandelt worden. Über das Gutachten von Universitätsprofessor Dr. N1 werde der kausale Bezug zwischen der bei ihm vorliegenden Schwerbehinderung und seinen Heimaufenthalten hergestellt. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. N1 sei die Zeit als Heimkind sowohl für die psychischen als auch für die körperlichen Schädigungen ursächlich. Dies betreffe sein Wirbelsäulenleiden, seine Skoliose, die Funktionsminderung der Hüft- und Kniegelenke bei Arthrose mit Ausstrahlung in die Extremitäten, seine raumfordernde Kleinhirnläsion rechts, seine depressive Symptomatik mit Niedergeschlagenheit und Konzentrationsstörungen, seine Gedächtnisstörungen, seine Ein- und Durchschlafstörungen und seine Sehschwächen. Während seiner Heimzeit sei er gerade auch im Wachstum massiv körperlich gezüchtigt worden. Er habe nicht ausreichend ausgewogenes Essen bekommen und gerade auch in der Wachstumszeit wie ein Erwachsener arbeiten müssen. Der daraus resultierende körperliche Verschleiß sei zwischenzeitlich wissenschaftlich belegt. Sein posttraumatisches Belastungssyndrom habe er nicht überwunden. Nach wie vor könne er sich nicht in engen Räumen aufhalten und auch keine Räumlichkeiten mit Menschenansammlungen (z.B. Wartezimmer bei einem Arzt oder einem Rechtsanwalt) aufsuchen. Prof. Dr. N1 habe im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. U diverse Mängel feststellen können. Hieraus ergäben sich Ergänzungsfragen an den Sachverständigen Prof. Dr. U. Auf die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. N1 zum Gutachten von Prof. Dr. U wird Bezug genommen. Weiter trägt der Kläger vor, das Gutachten von Prof. Dr. N1 genüge sehr wohl den allgemeinen Anforderungen an ein Sachverständigengutachten. Prof. Dr. N1 sei ein äußerst anerkannter Mediziner auf seinem Gebiet. Er habe auch keine unterschiedliche Tatsachengrundlage angenommen im Vergleich zu Prof. Dr. U.

Der Beklagte hat vorgetragen, der Nachweis eines anspruchsbegründenden Tatbestandes im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG sei nicht geführt. Die Erkrankungen des Klägers seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf körperliche und sexuelle Gewalterfahrungen während des Aufenthalts in Heimen zurückzuführen. Auch sei der Kläger hinsichtlich der psychischen Gesundheitsstörungen keinesfalls schwerbeschädigt. Die Stellungnahme von Prof. Dr. N1 sei nicht geeignet, das Gutachten von Prof. Dr. U zu entkräften. Auf die vom Beklagten übersandte gutachtliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Sozialmedizin Dr. T (04.02.2015) wird verwiesen.

Das Gericht hat die Gerichtsakten S 15 VG 158/06 Sozialgericht Detmold beigezogen und die Schwerbehindertenrechtsakten des Kreises M sowie die Gerichtsakten S 5 SB 374/03 Sozialgericht Trier eingesehen. Hiervon sind die Beteiligten benachrichtigt worden. Der wesentliche Inhalt der Gerichtsakten S 5 SB 374/03 Sozialgericht Trier ist den Beteiligten zur Kenntnis übersandt worden. Dem Beklagten ist auch der wesentliche Inhalt der Schwerbehindertenrechtsakten zur Auswertung in Kopie übersandt worden. Des Weiteren hat das Gericht ein psychiatrisches Gutachten eingeholt von Prof. Dr. U, Chefarzt des Klinikums für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums F (17.11.2014). Schließlich ist eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. U eingeholt worden zur Stellungnahme von Prof. Dr. N1 zum Gutachten und zu den vom Kläger gestellten Ergänzungsfragen (17.08.2015). Auf das Gutachten und auf die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. U wird verwiesen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 27.10.2015 als unbegründet abgewiesen und dazu ausgeführt:

„Die Klage ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 20.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2013 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn dieser Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Bescheid vom 16.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006 gemäß § 44 SGB X zurücknimmt und ihm Versorgung nach dem OEG i.V.m. dem BVG gewährt. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 i.V. m. der Härteregelung des § 10 a OEG liegen nicht vor. Insbesondere ist der Kläger nicht allein infolge der vorgetragenen Schädigungen während seiner Heimaufenthalte schwerbeschädigt.

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Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 16.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006 das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist.

Nach § 10 OEG gilt dieses Gesetz für Ansprüche aus Taten, die nach seinem Inkrafttreten begangen worden sind. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 für Ansprüche aus Taten, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10 a und 10 b. Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, erhalten nach der Härteregelung des § 10 a OEG auf Antrag nur dann Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. § 10 a OEG ist im vorliegenden Fall anwendbar. Denn der Kläger macht geltend, während seiner Aufenthalte in Heimen vom 29.04.1959 bis 01.07.1966 geschädigt worden zu sein. Ein Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) setzt nach § 10 a OEG i.V.m. § 1 Abs. 1 OEG eine gesundheitliche Schädigung infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen die Person des Klägers oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr voraus. Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits kommt es nicht darauf an, ob der Kläger während der Heimaufenthalte ab dem 12. Lebensjahr Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe gegen die Person geworden ist. Denn es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger allein infolge der angegebenen Schädigungen schwerbeschädigt ist.

Für einen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG reicht es nicht aus, dass der Kläger während seiner Heimaufenthalte körperlich misshandelt und sexuell missbraucht worden ist. Der Kläger schildert tätliche Übergriffe während der Heimaufenthalte ab dem 12. Lebensjahr. Zeugenaussagen liegen nicht vor. Wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Klägers verloren gegangen sind, sind die Angaben des Klägers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Unter Berücksichtigung der bekannt gewordenen Zustände in den Heimen zu damaliger Zeit kann wohl davon ausgegangen werden, dass auch der Kläger Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe gegen seine Person geworden ist. Dies kann jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls fehlt es an weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG. Voraussetzung ist nämlich außerdem, dass der Kläger wegen der körperlichen Misshandlungen und des sexuellen Missbrauchs während der Heimaufenthalte eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat und allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt ist. Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 festgestellt ist, wobei ein bis zu 5 vom Hundert geringerer GdS mit umfasst ist (§ 1 Abs. 1 OEG i. V. mit § 31 Abs. 2 und § 30 Abs. 2 BVG). Dass der Kläger schwerbehindert ist (Grad der Behinderung von 50) reicht zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 10 a OEG nicht aus. Der Kläger muss vielmehr allein infolge der vorgetragenen Schädigungen während der Heimzeit schwerbeschädigt sein. Hierfür ist Voraussetzung, dass eine Schwerbeschädigung mit Wahrscheinlichkeit zumindest annähernd gleichwertig neben anderen Ursachen auf die vorgetragenen körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während des Aufenthalts in Heimen zurückzuführen ist. Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Fall.

Bei keiner der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen ist es wahrscheinlich, dass sie ursächlich im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung auf die vom Kläger vorgetragenen körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während seiner Heimaufenthalte ab dem 29.04.1959 zurückzuführen ist.

Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. U. Das Gutachten ist unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen nach eingehender Untersuchung und Befunderhebung erstattet worden. Es ist schlüssig und überzeugend begründet, so dass die Kammer keine Bedenken hat, sich ihm anzuschließen. Auf psychiatrischem Gebiet liegen beim Kläger danach ab Januar 2008 folgende Gesundheitsstörungen vor: Dysthymie (im Sinne einer chronischen, leicht ausgeprägten depressiven Verstimmung), Angststörung (mit sozialphobischen und agoraphobischen Symptomen) sowie kombinierte Persönlichkeitsstörung. Diese Gesundheitsstörungen sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. U nicht mit Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung auf die vom Kläger angegebenen körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während des Aufenthalts in Heimen ab dem 29.04.1959 zurückzuführen. Der Sachverständige weist darauf hin, dass der Kläger niemals in seinem Leben – und schon gar nicht in seinen frühesten Jahren, die nach allen Erkenntnissen von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Persönlichkeit seien – stabile Beziehungspersonen gehabt habe. Die Ereignisse ab dem 12. Lebensjahr stellten seiner Ansicht nach nicht die entscheidende Traumatisierung dar. Weitaus schwerer wögen die extreme frühkindliche Vernachlässigung sowie die anhaltenden und schweren innerfamiliären Gewalterfahrungen durch den Partner der Mutter in den Jahren vor dem Heimaufenthalt ab dem 12. Lebensjahr. Diese Beurteilung hält die Kammer im Hinblick auf die Angaben in den Gutachten von Prof. Dr. U und von Herrn H zum Lebenslauf des Klägers für überzeugend. Der Sachverständige Prof. Dr. U führt hierzu aus, der Kläger habe angegeben, er kenne seinen Vater nicht. Durch Hörensagen habe er erfahren, dass dieser englischer Besatzungssoldat gewesen sei. Als der Ehemann seiner Mutter 1949 aus der Gefangenschaft zurückgekehrt sei, sei seine Mutter mit einer Halbschwester schwanger gewesen. Diese habe wiederum einen anderen leiblichen Vater gehabt. Damit konfrontiert, dass seine Frau in seiner Abwesenheit insgesamt drei Kinder von unterschiedlichen Vätern zur Welt gebracht habe, solle deren Ehemann alle aus seinem Haus geworfen haben. Der Kläger sei im Alter von etwa 3 oder 4 Jahren ins Q-heim nach E gekommen, gemeinsam mit seinen Geschwistern. Über detaillierte Erinnerungen an diese frühen Jahre verfüge er nicht. Ganz diffuse Erinnerungen habe er an die Einschulung in eine Sonderschule in Detmold, darunter auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen. Etwa im Alter von 7 oder 8 Jahren sei er zur Mutter zurückgekehrt, die damals auf einem Bauernhof gelebt habe. Die Verhältnisse seien alles andere als gut gewesen. Eine Schwester sei wegen Verwahrlosung von der Polizei abgeholt worden und sei nie wieder nach Hause zurückgekehrt. Auch eine weitere Schwester sei ins Heim gekommen. Gegenüber dem Sachverständigen H hatte der Kläger darüber hinaus angegeben, der Stiefvater habe oft mit dem Beil alles kaputt geschlagen. Die Mutter sei mit den Kindern oft zur 6 Kilometer entfernten Großmutter geflohen. Er könne sich erinnern, dass er regelmäßig mit Kleidung ins Bett gegangen sei, damit die Mutter und die Kinder schneller hätten fliehen können. Einmalig habe der Lebensgefährte der Mutter ihn krankenhausreif geschlagen und er sei drei Wochen im Krankenhaus behandelt worden. Im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. U heißt es weiter, als letztes der Kinder sei der Kläger selbst im Alter von knapp 13 Jahren wegen „Verwahrlosung“ in ein Heim in Ennepetal (M) gekommen. Zwischen den Gewalttaten und dem Auftreten der Symptome liege ein ungewöhnlich langer Zeitraum. Es gebe aber durchaus Spätfolgen früher Traumatisierungen, die dann aufträten, wenn die lebenslang bestehenden funktionalen und dysfunktionalen Bewältigungsmechanismen versagten. Grund für dieses Versagen könnten z.B. beginnende hirnorganische Beeinträchtigungen sein, die es Menschen schwerer machten, mit ihren Erlebnissen aus Kindheit und Jugend fertig zu werden. Dass der Kläger seine Erfahrungen während seiner zahllosen Gefängnisaufenthalte subjektiv als gleichermaßen traumatisierend erlebe, unterstreiche, dass nicht allein die Gewalterfahrungen in den Heimen für sein subjektives Leiden verantwortlich seien, sondern dass dabei viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielten. Mit den Ausführungen im Gutachten von Prof. Dr. N1 stimme er nicht überein. Dieser habe gerade den frühkindlichen Teil der Biographie weitgehend unberücksichtigt gelassen hinsichtlich der spezifischen Auswirkungen. Gerade hier handele es sich um die vulnerabelste Zeit in der Entwicklung eines Menschen, in der grundliegende zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Vertrauen, Empathie und Selbstsicherheit erworben würden. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.08.2015 hat der Sachverständige Prof. Dr. U die Ergänzungsfragen des Klägers beantwortet, die sich auf die Anmerkungen von Prof. Dr. N1 zum Gutachten von Prof. Dr. U beziehen. Der Sachverständige Prof. Dr. U weist darauf hin, dass das Rentengutachten von Dr. L und das Gutachten des Sachverständigen H zu völlig unterschiedlichen Fragestellungen erstattet worden sind. Insoweit ist in der Stellungnahme von Prof. Dr. N1 ausgeführt worden, das Gutachten von Dr. L sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für eine Vollzeitrente vorlägen (Gesamt-GdB 50). Der Sachverständige Prof. Dr. U hat in seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frage nach der Ursache der beschriebenen Störungen im Rentenverfahren keine Rolle spielt. Die Höhe des Gesamt-GdB ist für den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente im Übrigen nicht von Bedeutung. Weiter führt der Sachverständige aus, den Bericht des Neurologen und Psychiaters S aus dem Jahre 2004 habe er berücksichtigt. Er habe darauf hingewiesen, dass sich hieraus keine Anhaltspunkte für das Vorliegen alltagsbeeinträchtigender traumaspezifischer psychischer Störungen ergäben. Die wesentlichen Angaben aus dem Bericht von Herrn S sind im Übrigen im Gutachten auf Seite 4 und 5 zitiert. Zur Frage 3, die sich auf die Ermittlung der Konzentrationsleistung des Klägers bezieht, hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Erstellung des psychopathologischen Befundes gemäß den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie erfolgt sei. Bei der Beurteilung der Konzentrationsleistung in der freien Exploration sei es nicht zum Auftreten von Konzentrationsstörungen gekommen, die in irgendeiner Weise die Kommunikation behindert hätten. Drei Fehler seien dem Kläger bei der Aufgabe unterlaufen, die Monatsnamen in umgekehrter Reihenfolge aufzusagen. Bei der Nennung eines falschen Monats sei der Kläger nur auf den Fehler hingewiesen worden und er habe sich selbst korrigiert. Zu Fragen hinsichtlich vom Sachverständigen angegebener möglicher Verdeutlichungstendenzen und der Ausprägung der sozialen Phobie führt der Sachverständige aus, Selbstbeurteilungsfragebögen enthielten Aussagen eines Menschen über sich selbst. Sie böten grundsätzlich immer die Gefahr einer Antwortverzerrung. Bei der Offenheitsskala habe der Kläger einen niedrigen Wert erreicht. In einem solchen Fall rieten die Testautoren zur Vorsicht bei der Interpretation der Skalen. Der Sachverständige schließe aus, dass der Kläger eine extrem ausgeprägte soziale Phobie aufweise. Wenn ein Mensch mit einer sozialen Phobie keine Probleme angebe, vor einer großen Gruppe von Menschen zu sprechen oder sich beim Kellner über das Essen zu beschweren, sei dies mit der Annahme einer schwersten sozialen Phobie nicht zu vereinbaren. Im Übrigen habe der Sachverständige nicht zum Ausdruck gebracht, dass mit Sicherheit Verdeutlichungstendenzen vorlägen, sondern er habe auf die Möglichkeit einer solchen Antwortverzerrung hingewiesen. Das Ergebnis der Liebowitz-Skala habe er relativiert, weil es im Widerspruch zu den Selbstaussagen in einem anderen Fragebogenverfahren (FPI-R) stehe. Er weist darauf hin, dass die unreflektierte Übernahme von Selbstaussagen im Übrigen die Bestellung von neutralen Sachverständigen überflüssig machen würde. Selbst wenn man die „Testergebnisse“ unreflektiert übernähme, wäre damit noch nichts über den kausalen Zusammenhang ausgesagt. Auch ohne die Relativierung der „Testergebnisse“ hätte er die Frage nach dem Kausalzusammenhang nicht anders beantwortet. Soweit er im Gutachten ausgeführt habe, rein „querschnittsmäßig“ lägen kein erheblicher von der Norm abweichender psychopathologischer Befund vor sowie keine gravierenden kognitiven Defizite, beziehe sich dies auf die in der unmittelbaren Explorationssituation erhobenen Befunde. Dort seien keine depressiven oder ängstlichen Symptome aufgefallen. Die unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben festgestellten Normabweichungen hätten zu der erfolgten diagnostischen Einschätzung geführt. Der Sachverständige weist noch einmal darauf hin, dass in seinen Augen die bis zum 12. Lebensjahr anhaltende massive innerfamiliäre Vernachlässigung von herausragender Bedeutung sei, da es sich hierbei um die vulnerabelste Zeit in der Entwicklung eines Menschen handele. In Übereinstimmung mit Prof. Dr. N1 habe er im Gutachten ausführlich dargelegt, dass frühkindliche Traumatisierungen entscheidenden Einfluss auf das spätere Leben von Menschen haben könnten. Heimaufenthalte ab dem 12. Lebensjahr könnten sicherlich nicht als „frühkindliche“ Erfahrungen gewertet werden. Beweisfrage sei nicht gewesen, ob die Möglichkeit bestehe, dass die gegenwärtigen gesundheitlichen Probleme auf seine Unrechtserfahrung während der Heimzeit ab dem 12. Lebensjahr zurückzuführen seien. Die Beweisfrage, ob bei den Gesundheitsstörungen mehr für als gegen die Annahme eines Kausalzusammenhangs spreche oder die zur Rede stehenden Schädigungen als annähernd gleichwertig zu sehen seien, habe er verneint. Mit den Ausführungen des Sachverständigen H stimme er im Wesentlichen überein.

Des Weiteren hat der Sachverständige Prof. Dr. U ausgeführt, er halte aufgrund allgemeiner medizinischer Erfahrungssätze einen kausalen Zusammenhang zwischen den festgestellten degenerativen Skelettveränderungen sowie dem diagnostizierten Kleinhirntumor einerseits und den spezifischen Heimerfahrungen andererseits für ausgeschlossen. Auch der Sachverständige H hatte in seinem Gutachten vom 29.01.2007 ausgeführt, ein Zusammenhang der organischen Erkrankungen mit den körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während des Aufenthalts in Heimen sei mit Sicherheit zu verneinen. Die Kammer schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen an. Soweit Prof. Dr. N1 ausführt, ohne den Heimaufenthalt hätte der Kläger andere Berufe ergriffen und stärker auf seine Gesundheit geachtet, so dass Bandscheibenleiden, Hüft- und Kniegelenksarthrosen auf die Heimerziehung zurückzuführen seien, lässt sich hiermit ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz nicht begründen. Nach § 1 OEG müssen die Gesundheitsstörungen auf vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe gegen die Person zurückzuführen sein, nicht auf die Umstände der Heimerziehung als solche. Einen Zusammenhang degenerativer Veränderungen des Skeletts mit massiver körperlicher Züchtigung hält die Kammer in Übereinstimmung mit den Sachverständigen nicht für wahrscheinlich. Im Übrigen wird der GdB von 50 auch erst durch die neurologischen Auswirkungen des Kleinhirntumors erreicht. Insoweit hat auch der Kläger nicht dargelegt, wie ein Zusammenhang dieses Leidens mit körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch in Heimen hergestellt werden soll.

Selbst wenn man die psychischen Gesundheitsstörungen des Klägers auf tätliche Übergriffe und sexuellen Missbrauch während der Heimaufenthalte ab dem 12. Lebensjahr zurückführte, ergäbe sich kein Anspruch auf Versorgung nach dem OEG. Denn der Kläger ist nicht allein infolge der psychischen Schädigung schwerbeschädigt. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Die Einsichtnahme in die Schwerbehindertenrechtsakten des Kreises M hat ergeben, dass der Änderungsantrag des Klägers vom 26.11.2012 mit Bescheid vom 09.01.2013 abgelehnt worden ist. In der zugrundeliegenden gutachtlichen Stellungnahme (01.01.2013) sind folgende Beeinträchtigungen genannt

Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Muskel- und Nervenreizungen (GdB 30) Funktionsminderung der Hüft- und Kniegelenke (GdB 10)

Kleinhirnläsion mit neurologischen Defiziten der linken oberen Extremität und der rechten Körperhälfte, Sehstörungen, psychische Minderbelastbarkeit (GdB 40).

Eine erhebliche Verschlechterung der bekannten Erkrankungen sei aus den vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar. Der Gesamt-GdB wurde wie bisher mit 50 bewertet. Auf die „psychische Minderbelastbarkeit“ entfiel unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.07.2004, die in dem Rechtsstreit S 5 SB 374/03 Sozialgericht Trier übersandt worden war, ein GdB von 20. Berücksichtigung fanden hierbei die in der Bescheinigung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie S vom 13.04.2004 beschriebenen Befunde, die als leichtere psychovegetative Störungen angesehen wurden. Der Sachverständige H hat in seinem Gutachten vom 29.01.2007 die von ihm diagnostizierten Erkrankungen „leicht ausgeprägte Angststörung im Sinne einer Agoraphobie mit soziophoben Elementen“ und „schizoide Persönlichkeit“ zusammenfassend sogar lediglich mit einem GdB von 10 bewertet. Unter Berücksichtigung der Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. U hält das Gericht die Bewertung der beim Kläger vorliegenden psychischen Störung mit einem GdB von 50 für ausgeschlossen. Voraussetzung für einen GdB von 50 ist nach Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) eine schwere psychische Störung (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Der Sachverständige Prof. Dr. U führt aus, bei der Untersuchung habe sich kein erheblich von der Norm abweichender psychopathologischer Befund ergeben. Die Stimmungslage sei im Wesentlichen situationsadäquat und ausgeglichen und der Antrieb unauffällig gewesen. Es liege eine Dysthymie vor, also eine eher chronische und leicht ausgeprägte depressive Verstimmung. Soweit der Kläger sich in Fragebögen als einen überaus ängstlichen und misstrauischen Menschen geschildert habe, sei dies kaum mit seinen öffentlichen Auftritten in Einklang zu bringen. Eine schwerste soziale Phobie hat der Sachverständige auch in seiner ergänzenden Stellungnahme verneint. Der Kläger habe viele Radio-, Fernseh- und Zeitungsinterviews gegeben und sei von anderen Betroffenen häufig als Ratgeber angesprochen worden. Die damit verbundenen öffentlichen Auftritte hätten für ihn eine gewisse, aber immer überwindbare Belastung dargestellt. Dass es sich bei der Persönlichkeitsstörung um eine schwere Störung handelt im Sinne von Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze lässt sich aus den Gutachten nicht entnehmen. Zu einer psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung ist es nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. U bis jetzt nicht gekommen und eine solche wird vom Kläger auch nicht angestrebt. Der Sachverständige H hat die von ihm diagnostizierte „schizoide Persönlichkeit“ lediglich mit einem GdB von 10 bewertet.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers, der beantragt,

1. Das Urteil des Sozialgerichts Detmold (AZ.: S 15 VG 19/13) wird aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 16.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006 zurückzunehmen und dem Berufungskläger unter Aufhebung des Bescheides vom 20.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2013 Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG ab 01.01.2008 zu gewähren.

3. Die außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu tragen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger und der Sachverständige Dr. U sind im Berufungsverfahren ergänzend gehört worden. Auf die Niederschrift vom 14.11.2016 wird Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und die übrigen beigezogenen Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Es ist kein Grund für eine rechtliche oder tatsächliche Falschbehandlung der Sache in erster Instanz ersichtlich. Auf das angefochtene Urteil wird Bezug genommen. Der Kläger selbst hat eingeräumt, dass er noch vor der Zeit, für die er Misshandlungen geltend macht, aus seiner Herkunftsfamilie genommen wurde. Das bestätigen die überzeugenden Ausführungen von Dr. U, auf die verwiesen wird.

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