Kammergericht Berlin
Az: 3 Ws (B) 582/10 – 2 Ss 335/10
Beschluss vom 25.11.2010
In der Bußgeldsache gegen pp. wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 25. November 2010 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 26. August 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 18 Abs. 7 und 8, 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 250.—Euro verurteilt und nach § 25 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet, das entsprechend § 25 Abs. 2a StVG wirksam werden soll. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die zulässig erhobene Rüge, der Antrag auf Abspielen einer DVD sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, dringt durch.
Auf Anregung des Betroffenen, dem vorgeworfen wird, er habe mit der von ihm geführten Taxe auf der BAB 111 im Tunnel Tegel neben einer Nothaltebucht angehalten und sei sodann ein Stück zurückgefahren, um einen Fahrgast, der mit seinem Pkw wegen Treibstoffmangels liegen geblieben war, mit einem Ersatzkanister aussteigen zu lassen, hatte der Tatrichter veranlasst, dass der Polizeibeamte B. zu seiner Vernehmung am 26. August 2010 die zum Tatzeitpunkt gespeicherte Aufzeichnung der Überwachungskamera des Tunnels Tegels mitbringt, weil sie den verfahrensgegenständlichen Geschehensablauf dokumentiert habe. Die von diesem mitgebrachte DVD wurde nach der Vernehmung des Zeugen versucht, auf dem gerichtseigenen Wiedergabegerät abzuspielen. Da dies nicht gelangt, beantragte der Betroffene „eine abspielbare DVD und/oder Videoaufzeichnung… zu beschaffen und in einem neuen Termin als Beweismittel abzuspielen, so wie schon im heutigen Termin am 26.08.2010 beabsichtigt“. Diesen Antrag hat der Tatrichter nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt und in den Urteilsgründen u.a. ausgeführt, die Zeugen hätten bestätigt, „dass die DVD insgesamt auch nicht sehr viel hergebe, sehe man davon ab, dass deutlich sei, dass der Betroffene mit seiner Taxe auf der Autobahn gehalten habe.“ Darüber hinaus habe sich nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen ergeben, dass die – auch den Zeugen bekannte – DVD den rückwärtigen Fahrvorgang der Taxe nicht etwa deshalb nicht deutlich zeige, weil dieser nicht stattgefunden habe, sondern weil die Aufnahme in technischer Hinsicht dafür nichts hergebe und die Aufnahme nicht hinreichend klar und deutlich wäre. Das Beweismittel in Form der DVD sei daher „völlig ungeeignet“.
Diese Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Versucht der Tatrichter ein Beweismittel auszuschöpfen, auf dessen Beschaffung er ursprünglich drängte, gibt er damit zu erkennen, dass er eine weitere Sachaufklärung durch Verwertung eben dieses Beweismittel für geboten erachtet. Ohne Änderung des diese Einschätzung tragenden Beweisergebnisses kann er daher einen auf die Erhebung dieses Beweises gerichteten Beweisantrag nicht nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen. Die schriftlichen Urteilsgründe lassen jedoch nicht erkennen, welche Umstände nach der Vernehmung des Zeugen B. und nach den sich anschließenden Versuchen, die DVD abzuspielen, das Beweisergebnis verändert haben könnten. Entgegen der Ansicht des Tatrichters ist das Beweismittel auch nicht völlig ungeeignet. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn eine Inanspruchnahme der DVD von vorneherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpft [vgl. BGH NStZ-RR 2010, 211]. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann, liegt auf der Hand und bedarf keiner besonderen Erörterung.
2. Es leidet auch auf der Rechtsfolgenseite an Rechtsfehlern, denn es ist lückenhaft, widersprüchlich und enthält unrichtige Feststellungen. Lückenhaft ist es, soweit der Tatrichter meint ausführen zu müssen, dass frühere verkehrsrechtliche Vorbelastungen des Betroffenen getilgt und dementsprechend in dem verlesenen Auszug nicht mehr enthalten seien. Insoweit erschließt sich nicht, auf welcher Grundlage er diese Feststellung getroffen hat. Soweit der Tatrichter in den schriftlichen Urteilsgründe dem Betroffenen eine Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. März 1999 (391-232/99) wegen fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe zugeschrieben hat, ist dies objektiv unrichtig. Tatsächlich handelt es sich hierbei nicht um eine Verurteilung des Betroffenen, sondern diejenige einer gänzlich anderen Person. Soweit der Tatrichter dazu ausgeführt hat, diese Eintragung sei tilgungsreif und ergäbe sich auch nicht aus der verlesenen Registerauskunft, bleibt offen, auf welcher Grundlage er zu dieser Feststellung gelangt ist. Soweit er schließlich hervorhob, sie wie auch die getilgten „früheren verkehrsrechtlichen Vorbelastungen“ seien bei der Bemessung der Geldbuße außer Betracht geblieben, ist dies zumindest widersprüchlich, weil es nicht erklärt, weshalb er diesen Tatsachen in den schriftlichen Urteilsgründen dann einen so breiten Raum gegeben hat.
3. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen auf und verweist die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück.