OLG Düsseldorf
Az.: I-10 U 109/03
Urteil vom 25.03.2004
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17. Juni 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, die im Souterrain des Hauses Auf dem H. W. 3 in 4. D. gelegenen Räume 5, 6 und 7 gemäß der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 18. April 2002 als Anlage K 8 überreichten und diesem Urteil in Fotokopie beigefügten Skizze zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen zu 9/10 der Klägerin und 1/10 der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500 EUR abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Mit Vertrag vom 27.11.1988 (Bl. 6 ff. GA) verpachtete die Klägerin der Beklagten den Gastraum, 2 Toiletten und einen Nebenraum im Hause Auf dem H. W. 3 in D. auf die Dauer von 10 Jahren zum Betriebe einer Imbissstube. Durch Zusatzvereinbarung vom 19.01.1999 (Bl. 17 GA) wurde die Laufzeit bis zum 31.12.2008 verlängert und der Mietzins auf monatlich 3.230 DM zzgl. einer Nebenkostenvorauszahlung von 200 DM festgesetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Vertragsurkunden Bezug genommen.
Im Dezember 1991 schloss die Beklagte mit Zustimmung der Klägerin einen Unterpachtvertrag mit ihrer Schwägerin D. P. über das eingangs bezeichnete Objekt. Diese zahlte in der Folgezeit den von der Beklagten geschuldeten Pachtzins unmittelbar an die Klägerin.
Mit Schreiben vom 24.11. und 05.12.2001 (Bl. 19/20 GA) kündigte die Klägerin das Pachtverhältnis mit der Beklagten fristlos. Zur Begründung gab sie an, es bestehe ein Zahlungsrückstand von 11 Monatspachten bzw. ein solcher von 67.140 DM.
Die Beklagte widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 27.11.2001 (Bl. 12/13 GA). Am 30.11.2001 überwies sie der Klägerin einen Betrag von 48.020 DM zwecks Tilgung des Pachtrückstandes.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin die Beklagte zunächst auf Räumung und Herausgabe der eingangs beschriebenen Räumlichkeiten in Anspruch genommen. Mit Schriftsatz vom 18.04.2002 (Bl. 57 GA) hat sie Klage dahingehend erweitert, dass sie auch die Räumung und Herausgabe weiterer Räume im gleichen Objekt verlangte, weil die Beklagte diese „ohne vertragliche Vereinbarung“ nutzte.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie macht geltend, der Pachtzinsrückstand, auf den die Kündigungen der Klägerin gestützt worden seien, sei von dieser im Wege kollusivem Zusammenwirkens mit der Unterpächterin P. herbeigeführt worden. Dies zeige vor allem der Umstand, dass beide bereits unter dem 04./05.11.2001 einen Pachtvertrag geschlossen hätten (Bl. 25/26 GA).
Durch das angefochtene Urteil (Bl. 161 ff. GA) hat das Landgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Ein Räumungs- und Herausgabeanspruch der Klägerin bestehe nicht, weil das von den Parteien begründete Pachtverhältnis nicht beendet worden sei. Die Kündigungen der Klägerin sei nämlich wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam. Die Klägerin habe nämlich erkennbar lediglich beabsichtigt, mit der Unterpächterin kollusiv zusammenzuwirken, um einen Rechtsverlust der Beklagten zu begründen, ohne diese über die Pachtzinsrückstände, die ihr aufgrund der praktizierten Handhabung nicht bekannt sein mussten, zu informieren.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr ursprüngliches Klageziel weiter verfolgt. Dazu wiederholt und ergänzt sie ihr früheres Vorbringen.
Die Beklagte beantragt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Zusätzlich zieht sie die Prozessfähigkeit der Klägerin in Zweifel.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Parteien, die bei den Akten befindlichen schriftlichen Unterlagen und den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Ihre Prozessfähigkeit steht nicht in Frage. Nach der Lebenserfahrung sind Störungen der Geistestätigkeit Ausnahmeerscheinungen (vgl. z.B. BGHZ 86, 184, 189 = NJW 1983, 996, 997). Dies hat zur Folge, dass es der hierauf sich berufenden Partei obliegt, entsprechende Tatsachen vorzutragen. Daran fehlt es vorliegend. Nach den Feststellungen des Notars Dr. S., der die Vorsorgevollmacht vom 10.01.2001 beurkundet hat, war die Klägerin seinerzeit geschäftsfähig (Bl. 148 GA). Nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen in der Berufungsbegründung (Bl. 197 GA) hat sich ihr Gesundheitszustand seither (noch) verbessert. Anhaltspunkte für das Fehlen der Prozessfähigkeit der Klägerin sind somit nicht gegeben.
II.
In der Sache hat das Rechtsmittel der Klägerin nur zum Teil Erfolg. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
1. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, soweit sie die Räumung und Herausgabe der Räume Nr. 1a, 1b, 2, 3 und 4 entsprechend der von ihr mit Schriftsatz vom 18.04.2002 als Anlage K 8 überreichten Skizze begehrt. Ein Räumungs- und Herausgabeanspruch auf der Grundlage der §§ 581, 546 Abs. 1 BGB besteht insoweit nicht, weil die Kündigungen der Klägerin vom 24.11.2001 und vom 05.12.2001 (Bl. 19/20 GA) das zwischen den Parteien bestehende, mit Zusatzvereinbarung vom 19.01.1999 (Bl. 17 GA) auf den 31.12.2008 befristete Pachtverhältnis nicht beendet haben. Mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung hat das Landgericht festgestellt, dass zwar die formellen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3a BGB vorliegen, die Kündigungen der Klägerin jedoch wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles gegen Treu und Glauben verstießen und daher unwirksam waren.
Es ist allgemein anerkannt (vgl. z.B. OLG Hamm ZMR 1998, 493 und LG Berlin WuM 1997, 216) und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt DWW 2002, 260), dass der Vermieter vor einer fristlosen Kündigung ausnahmsweise gehalten ist, den Mieter unter konkreter Darstellung des Zahlungsrückstandes abzumahnen, wenn sich ihm der Schluss aufdrängen muss, dass die Nichtzahlung der Miete nicht auf Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit, sondern auf einem bloßen Versehen und auf sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen beruht. Daran hat die Neuregelung des § 543 Abs. 3 Nr. 3 BGB nichts geändert. Fehlt es bei einer derartigen Sachlage an einer Abmahnung, verstößt die Kündigung des Vermieters gegen Treu und Glauben. Ein derartiger Fall ist auch vorliegend gegeben.
Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin (Bl. 192 GA) hat deren Tochter die Beklagte erstmals „Ende September 2001“ darüber informiert, dass „ganz erhebliche“ Pachtrückstände angefallen waren. Die Annahme der Klägerin, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sich daraufhin bei ihrer Unterpächterin darüber zu vergewissern, welche Pachtrückstände „konkret“ bestanden, teilt der Senat nicht. Vor allem im Hinblick darauf, dass die Zahlungen der Unterpächterin im Einvernehmen mit der Klägerin seit längerer Zeit unmittelbar an diese erfolgten und dieser somit genaustens bekannt waren, wäre es deren Sache gewesen, die Beklagte alsbald über die diesbezüglichen Unregelmäßigkeiten in Kenntnis zu setzen. Darüber hinaus oblag es der Klägerin, die genauen Rückstände gegenüber der Beklagten zu beziffern, weil sie im Gegensatz zu dieser als Zahlungsempfängerin genaue Kenntnis über deren Umfang hatte. Dass zuverlässige Angaben hinsichtlich der offenstehenden Pachtzinszahlungen umgehend zu deren Ausgleich durch die Klägerin geführt hätten, zeigt die unmittelbare nach der ersten Kündigung noch am 30.11.2001 veranlasste „Abschlagszahlung“ in Höhe von 48.000 DM (Bl. 56a GA). Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Beklagte gewillt und in der Lage gewesen wäre, zwecks Vermeidung des Eintritts der Kündigungsvoraussetzungen die der Unterpächterin überlassenen Pachtzinszahlungen wieder selbst an die Klägerin zu leisten, wenn sie von den aufgetretenen Unregelmäßigkeiten rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden wäre. Bei dieser Sachlage erschiene es in der Tat rechtsmissbräuchlich, wenn die Klägerin das vorübergehende Vorliegen der formellen Kündigungsvoraussetzungen zum Anlass nehmen könnte, sich aus dem von ihr offenbar als lästig empfundene Vertragsverhältnis mit der Beklagten zu lösen.
Darauf, ob die Kündigung der Klägerin auch wegen kollusivem Zusammenwirkens mit der Unterpächterin mit dem Ziel, die Beklagte aus dem Vertrag zu drängen, unwirksam ist, kommt es aus den vorstehenden Gründen nicht mehr an. Es fällt allerdings auf, dass der Abschluss eines Mietvertrages mit der Unterpächterin der Beklagten bereits am 04./05.12.2001 erfolgt ist, obgleich der Klägerin deren schleppende Zahlungsweise genaustens bekannt war.
2. Soweit vorstehend ein Räumungs- und Herausgabeanspruch der Klägerin mangels Vorliegens eines Grundes zur fristlosen Kündigung verneint worden ist, kann die Klägerin ihr Klagebegehren auch nicht mit der Begründung auf eine ordentliche Kündigung stützen, der bestehende Pachtvertrag gelte nach § 550 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen, weil die von der Beklagten behaupteten nachträglichen Nutzungsvereinbarungen nicht schriftlich erfolgt seien. Der durch gegnerisches Vorbringen Begünstigte kann sich nämlich dieses nur dann hilfsweise zu eigen machen, wenn es mit seinem eigenen Vorbringen nicht in Widerspruch steht oder er von seiner Unrichtigkeit nicht überzeugt ist (vgl. z.B. Zöller/Greger, 24. Aufl., § 138 ZPO Rdn. 4 und 11 im Anschluss an BGH NJW-RR 1995, 284 sowie BGH NJW 1995, 2843, 2846). Gerade letzteres ist vorliegend der Fall, weil die Klägerin die von der Beklagten behaupteten mündlichen Abreden ausdrücklich und unmissverständlich bestreitet.
3. Begründet ist die Berufung der Klägerin hinsichtlich der Räume 5, 6 und 7 der von ihr überreichten Skizze (Bl. 66 GA), mit denen sich das Landgericht im angefochtenen Urteil nicht befasst hat. Insoweit steht ihr auf der Grundlage des § 985 BGB ein Herausgabeanspruch zu. Ein Besitzrecht im Sinne des § 986 BGB steht der Beklagten insoweit nicht zur Verfügung. Die vorstehend bezeichneten Räume sind nämlich unstreitig weder Gegenstand des Mietvertrages vom 27.11.1988 noch der Zusatzvereinbarung vom 19.01.1999. Die Behauptung der Beklagten, es habe in dieser Hinsicht mündliche Vereinbarungen über die Nutzung gegeben (Bl. 209 GA), ist, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, auch nicht andeutungsweise substantiiert und daher unbeachtlich, so dass insbesondere auch die von der Beklagten beantragte Vernehmung des Zeugen P. nicht in Betracht kommt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 21.044,77 EUR (1.753,73 EUR x 12) + 2.400 EUR (200 EUR x 12) = 23.444,77 EUR.