OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
Az.: 6 U 45/00
Verkündet am 21. Dezember 2000
Vorinstanz: LG Düsseldorf – Az.: 13 O 87/99
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2000 für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 08.12.1999 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und wie folgt gefaßt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung (unter Ausschluß des Fortsetzungszusammenhangs, soweit es sich um solche Handlungen handelt, deren vorsätzliche Begehung der Kläger der Beklagten nachweist) fälligen Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, die nachfolgende oder dieser inhaltsgleiche Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen in bezug auf Kaufverträge zu verwenden, ausgenommen gegenüber einem Unternehmer (§ 24 Satz 1 Nr. 1 AGBG):
„Das Aufreißen der Ware verpflichtet zum Kauf der Ware.“
2. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf die vorstehend aufgeführte Klausel zu berufen.
Der Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Der klagende Verein beanstandet im Wege der Verbandsklage, daß die Beklagte in einem von ihr in Berlin betriebenen Einkaufsmarkt für preiswerte Artikel des täglichen Bedarfs ein über der Kasse aufgehängtes Schild verwendet mit der Aufschrift:
„Das Aufreißen der Verpackung verpflichtet zum Kauf der Ware.“
Der Kläger sieht darin eine AGB-Klausel, die den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Er hat geltend gemacht, die Klausel sei mehrdeutig und könne u.a. wie folgt verstanden werden:
Ein Kunde findet im Regal eine bestimmte Ware nicht an ihrem gewohnten Platz vor. Er bemerkt, daß ein größerer noch nicht ausgepackter Karton genau an dieser Stelle vor dem Regal auf dem Boden steht, und daß der Karton gemäß seiner Beschriftung offenbar diese Ware enthält. Der Kunde reißt sodann, statt Verkaufspersonal herbeizubemühen, den Karton auf, der z.B. 100 Einheiten der Ware enthält, entnimmt dem Karton zwei Einheiten und legt sie in den Einkaufswagen. In diesem Augenblick kommt Verkaufspersonal hinzu und fordert unter Hinweis auf die in Rede stehende Klausel auf, die restlichen 98 in dem Karton befindlichen Einheiten der Ware ebenfalls abzunehmen und zu bezahlen.
Aber auch wenn die Klausel nur den Kunden erfasse, der die Verpackung derart aufreiße, daß die Ware anschließend nicht mehr verkaufsfähig sei, werde der Kunde entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Der Kunde wisse zwar, daß er bei einem Aufreißen der Verpackung zum Schadensersatz verpflichtet sei. Die Verpflichtung zum Kauf träfe ihn aber wegen der Abnahmepflicht gemäß § 433 Abs.2 BGB schwerer. Zudem könne das Aufreißen der Verpackung fahrlässig, eventuell sogar schuldlos erfolgen. Im übrigen werde das Schild mit der Klausel nicht schon beim Betreten des Geschäftslokals, sondern erst an der Kasse wahrgenommen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung (unter Ausschluß des Fortsetzungszusammenhangs, soweit es sich um solche Handlungen handelt, deren vorsätzliche Begehung der Kläger der Beklagten nachweist) fälligen Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, die nachfolgende oder dieser inhaltliche Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen in bezug auf Kaufverträge zu verwenden, ausgenommen gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes:
„Das Aufreißen der Verpackung verpflichte zum Kauf der Ware.“
2. Die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf die vorstehend aufgeführte Klausel zu berufen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Formulierung „Aufreißen der Verpackung“ sei keineswegs mehrdeutig, sondern stelle klar, daß nur ein vorsätzliches Öffnen gemeint sei. Selbstverständlich sei nur die Verpackung der Ware selbst gemeint. Auch der rechtsunkundige Durchschnittsbürger wisse, daß dann, wenn er die Verpackung einer Ware aufreiße, die Ware unverkäuflich werde und er deshalb für den Preis der Ware aufkommen müsse. Deshalb werde er durch die Abnahmeverpflichtung nicht unangemessen benachteiligt.
Das Landgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgewiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter. Er wiederholt seine erstinstanzlichen Ausführungen, greift die Begründung des Landgerichts an und führt ergänzend aus:
Die drei Begründungen des Landgerichts hielten einer Überprüfung nicht stand. Insbesondere sei der Fall denkbar, daß ein Kunde die Verpackung eines von der Beklagten vertriebenen höherwertigen Gegenstandes Stereorecorder, Staubsauger oder Hifi-Anlage aufreiße, dann jedoch vom Kauf absehe, weil ihm die Ware nicht zusage. Dann benachteilige ihn die Rechtsfolge, zum Kauf des Gegenstandes verpflichtet zu sein, unangemessen. Denn es sei denkbar, daß die Verpackung gar nicht oder geringfügig beschädigt werde. Aber auch wenn ein Kunde die Verpackung durch Aufreißen schuldhaft beschädigt habe, stelle die Rechtsfolge, als „Strafe“ die verpackte Ware – die u.U. mehrere 100,00 DM koste – kaufen zu müssen, eine unangemessene Benachteiligung und überdies einen Verstoß gegen § 11 Ziff. 5 AGBG dar.
Der Kläger beantragt unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
1. die Beklagte zu verurteilen, es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung (unter Ausschluß des Fortsetzungszusammenhangs, soweit es sich um solche Handlungen handelt, deren vorsätzliche Begehung der Kläger der Beklagten nachweist) fälligen Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnunqshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertreters der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
die nachfolgende oder dieser inhaltsgleiche Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen in bezug auf Kaufverträge zu verwenden, ausgenommen gegenüber einem Unternehmer (§ 24 Satz 1 Nr. 1 AGBG): „Das Aufreißen der Ware verpflichtet zum Kauf der Ware.“
2. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf die vorstehend aufgeführte Klausel zu berufen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Unter Bestreiten des gegnerischen Vortrags, Wiederholung des gesamten erstinstanzlichen Vorbringens sowie Bezugnahme auf die Feststellung des angefochtenen Urteils tritt die Beklagte den Angriffen der Berufung im einzelnen entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Die Klage ist begründet.
Der Kläger kann gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 AGBG im Wege der Verbandsklage verlangen, daß die Beklagte die Verwendung der beanstandeten AGB-Klausel gegenüber Nichtkaufleuten unterläßt. Es handelt sich um eine AGB-Klausel, auch wenn sie nicht Teil eines Klauselwerks sondern als Einzelbestimmung auf einem Schild im Laden ausgehängt ist. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist unerheblich, wo das Schild im Laden aushängt und ob es erst wahrgenommen werden kann, wenn sich der Kunde nach einem Rundgang durch das Ladenlokal wieder Vor der Kasse befindet. Denn dies betrifft nur die Frage der Einbeziehung der Klausel in den mit dem Kunden zustande gekommenen Kaufvertrag gemäß § 2 AGBG, nicht aber die Frage der Wirksamkeit der Klausel.
Allerdings läßt sich auch bei kundenfeindlichster Auslegung der Klausel nicht dahin argumentieren, der Durchschnittskunde werde beim Aufreißen einer Sammelverpackung verpflichtet, sämtliche darin befindlichen Einheiten abzunehmen und zu kaufen. Diese Auslegungsmöglichkeit hat das Landgericht zu Recht als völlig fernliegend bezeichnet, von der eine Störung des Rechtsfriedens nicht zu besorgen ist. Völlig fernliegende Auslegungsmöglichkeiten, von denen Störungen des Rechtsfriedens ernstlich nicht zu besorgen sind, rechtfertigen kein Klauselverbot (vgl. Palandt-Heinrichs, 60. Aufl., § 5 AGBG Rz. 9).
Jedoch erfaßt die beanstandete Klausel auch den Fall, daß der Kunde bei einem vorsätzlichen Aufreißen der Verpackung eines höherwertigen Gegenstandes, der durch die Beschädigung selbst keinerlei Schaden nimmt und auch keine Wertminderung erleidet, zum Kauf verpflichtet wird. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Klägers vertreibt die Beklagte auch höherwertige Gegenstände, u.a. Bodenstaubsauger und Stereogeräte im Werte von etwa 130,00 DM bis 300,00 DM. Der Kunde wird entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, wenn er in einem derartigen Fall das höherwertige Gerät abnehmen und bezahlen muß, obwohl die Wiederherstellung der Verpackung möglich und deshalb die Verkäuflichkeit des betreffenden Gegenstandes nicht beeinträchtigt ist. Nach den Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs ist der Kunde, wenn er die Verpackung einer Ware beschädigt, nicht verpflichtet, diese abzunehmen und zu bezahlen. Er ist allenfalls verpflichtet, Schadensersatz in Höhe der Kosten zu leisten, die die Wiederherstellung der Verpackung erfordert. Jedenfalls bei höherwertigen Gegenständen wird von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne des § 9 Abs. 2 Ziff. 1 abgewichen, wenn der Kunde zur Abnahme und Bezahlung der Ware verpflichtet wird, obwohl diese selbst keinen Schaden genommen hat und die beschädigte Verpackung wiederhergestellt werden kann. In einem derartigen Fall wirkt sich die Verpflichtung, die Ware abnehmen und bezahlen zu müssen, wie die Pauschalierung eines Schadensersatzanspruchs im Sinne des § 11 Ziff. 5 AGBG aus. Nach dieser Vorschrift ist die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz unwirksam, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt oder dem anderen Vertragsteil der Nachweis abgeschnitten wird, ein Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale. Der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende Schaden bei dem Aufreißen einer Verpackung, welches jedoch den Inhalt nicht beschädigt, ist jedenfalls bei höherwertigen Gegenständen wesentlich geringer als der Kaufpreis; möglicherweise entsteht überhaupt kein Schaden, wenn die Verpackung nur unwesentlich beschädigt wird oder so wiederhergestellt werden kann, daß die Verkäuflichkeit der Ware nicht beeinträchtigt wird. Auch unter Hinzuziehung des Rechtsgedankens, der in § 11 Ziff. 5 AGBG zum Ausdruck kommt, belastet die beanstandete Klausel den Kunden – jedenfalls bei kundenfeindlichster Auslegung – unangemessen im Sinne des § 9 AGBG.
Soweit die Beklagte den Anwendungsbereich der Klausel im Wege der Auslegung auf den zulässigen Kern reduzieren will, handelt es sich um eine geltungserhaltende Reduktion, die nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, unzulässig ist. Allenfalls kann der zulässige Teil einer teilbaren Klausel, der selbständige Bedeutung zukommt, aufrechterhalten werden. Die streitgegenständliche Klausel ist jedoch nicht teilbar.
Somit ist dem Unterlassungsbegehren des Klägers zu entsprechen. Die Untersagung einer Verwendung von inhaltsgleichen Bestimmungen in allgemeinen Bedingungen der Beklagten anstelle der durch Aushang im Laden verwendeten Klausel beruht auf § 17 Nr. 3 AGBG.
Nach der Rechtsprechung des BGH, welcher der Senat folgt, darf sich die Beklagte auch bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge nicht mehr auf die streitgegenständliche unwirksame Klausel berufen (BGH NJW 1981, 1511, 1512).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Sicherheitsleistungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Berufungsstreitwert und die Beschwer der Beklagten betragen 5.000,00 DM.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO).