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Paketverlust – Schadensersatz

Bundesgerichtshof

Az: I ZR 3/07

Urteil vom 13.08.2009


Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. August 2009 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Dezember 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand
Die Klägerin ist Transportversicherungsassekuradeurin der S. GmbH in P. (im Weiteren: Versenderin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, wegen des Verlusts von Transportgut aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versenderin auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versenderin übergab der Beklagten in deren sogenanntem EDI-Verfahren am 9. Juni 2004 zwei Standard-Pakete zur Beförderung von P. nach Spanien. Ein Paket ging während des Transports verloren. Die Beklagte zahlte für den Verlust des Pakets eine Entschädigung in Höhe von 510 EUR.

Die Klägerin hat behauptet, in dem verlorengegangenen Paket habe sich Computerware im Wert von 31.522,50 EUR befunden. Sie ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust in voller Höhe, und hat diese daher auf Zahlung von 31.522,50 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen.

Die Beklagte hat demgegenüber insbesondere geltend gemacht, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderin unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Wertdeklaration und des unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens zurechnen lassen.

Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Versenderin in Höhe von 11.137,56 EUR nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und Abweisung der Klage im Übrigen sowie unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Versenderin verurteilt, an die Klägerin 23.585,80 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die Anschlussberufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Mit der vom Senat beschränkt auf die Frage des Mitverschuldens zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat zur Frage des Mitverschuldens ausgeführt:

Die Klägerin müsse sich kein Mitverschulden gemäß § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 1 BGB wegen unterlassener Wertdeklaration anrechnen lassen, weil die Beklagte nicht hinreichend dargetan habe, inwiefern sie Wertpakete im EDI-Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiere. Im Übrigen sei der Verlust in einem Bereich eingetreten, in dem die Beklagte Wertpakete genauso wie Standardpakete behandele.

Dagegen müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden gemäß § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 2 BGB anrechnen lassen, weil die Versenderin es bei Abschluss des Frachtvertrags unterlassen habe, die Beklagte darauf hinzuweisen, dass ihr für den Fall, dass die Pakete verlorengehen, ein ungewöhnlich hoher Schaden drohe. Die Gefahr eines besonders hohen Schadens sei anzunehmen, wenn der Wert der Sendung 5.000 EUR übersteige. Maßgeblich sei der Wert der Sendung, nicht der Wert des einzelnen Pakets. Bei der Haftungsabwägung sei neben dem Wert der transportierten Ware zu berücksichtigen, dass das einem Versender nach § 254 Abs. 2 BGB anzulastende Verschulden weniger schwer wiege als das einem Versender nach § 254 Abs. 1 BGB vorzuwerfende Verschulden. Das Mitverschulden könne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht höher als 50% angesetzt werden. Es sei daher eine stufenweise Kürzung des Schadensersatzanspruchs geboten. Für die ersten 5.000 EUR Warenwert bleibe der Anspruch ungekürzt, für einen zwischen 5.000,01 EUR und 10.000 EUR liegenden Warenwert sei eine Kürzung um 20% vorzunehmen. Bei Warenwerten über 10.000 EUR sei die Quote für jede angefangenen weiteren 5.000 EUR um einen Prozentpunkt zu erhöhen.

II.

Die Revision der Beklagten führt in dem Umfang, in dem das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Rahmen der verschärften Haftung nach Art. 29 Abs. 1 CMR zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 3.7.2008 – I ZR 210/05, TranspR 2008, 406 Tz. 12).

2.

Ein Mitverschulden der Versenderin wegen unterlassener Wertdeklaration nach § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 1 BGB hat das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend wegen des insoweit fehlenden Ursachenzusammenhangs verneint. Nach seinen unangegriffenen Feststellungen hat sich der Verlust in einem Bereich ereignet, in dem die Beklagte nach ihrem eigenen Vortrag Wertpakete nicht anders als Standardpakete behandelt.

3.

Ein Mitverschulden der Versenderin hat das Berufungsgericht dagegen mit Recht darin begründet gesehen, dass diese die Beklagte nicht auf den Wert des abhandengekommenen Pakets und den deshalb im Falle seines Verlusts drohenden ungewöhnlich hohen Schaden hingewiesen hat (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Versenderin und der Beklagten.

a)

Bei der Frage, ob die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens i.S. von § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB gedroht hat, hat das Berufungsgericht auf den Wert der Sendung abgestellt, die im Streitfall aus zwei Paketen bestand. Es hat sich dabei auf Senatsentscheidungen gestützt, in denen in zumindest missverständlicher Weise auf den Wert der Sendung (nicht auf den Wert des einzelnen Pakets) abgestellt wurde. Der Senat hat nach Verkündung des Berufungsurteils jedoch klargestellt, dass es insoweit nicht auf den Wert der Sendung, sondern auf den Wert des einzelnen Pakets ankommt (vgl. nur BGH, Urt. v. 3.7.2008 – I ZR 183/06, TranspR 2008, 400 Tz. 18 m.w.N.). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lag der Wert der beiden Pakete jeweils weit über 5.000 EUR, so dass das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, im Falle eines Verlusts habe die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens gedroht.

b)

Das Berufungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass das Unterlassen eines Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens für den Schadenseintritt zumindest mitursächlich war. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Ursächlichkeit des Mitverschuldens fehlt nur dann, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (BGH, Urt. v. 3.7.2008 – I ZR 205/06, TranspR 2008, 394 Tz. 20 m.w.N.). Dies kann hier nicht ohne weiteres angenommen werden. Ohne besonderen Sachvortrag des Anspruchstellers ist im Regelfall davon auszugehen, dass der Frachtführer bei einem Hinweis auf den ungewöhnlich hohen Wert des Transportgutes entweder besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen oder den Transportauftrag abgelehnt hätte (BGH TranspR 2008, 394 Tz. 20). Die Parteien haben hierzu bislang keinen Vortrag gehalten. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren können sie dies gegebenenfalls nachholen.

c)

Die Haftungsabwägung nach § 254 BGB ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie kann im Revisionsverfahren jedoch darauf hin überprüft werden, ob alle in Betracht zu ziehenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2007 – I ZR 186/03, NJW-RR 2007, 1110 Tz. 28 = TranspR 2007, 164; BGH TranspR 2008, 394 Tz. 21). Die Abwägung darf insbesondere nicht schematisch erfolgen, sondern muss alle festgestellten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen (BGH TranspR 2008, 394 Tz. 21 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung nicht.

aa)

Wie der Senat nach Verkündung des Berufungsurteils entschieden hat (siehe nur Urt. v. 3.7.2008 – I ZR 183/06, TranspR 2008, 400 Tz. 24), trifft schon der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts nicht zu, das einem Versender anzulastende Verschulden nach § 254 Abs. 2 BGB wiege grundsätzlich weniger schwer als das einem Versender nach § 254 Abs. 1 BGB anzulastende Verschulden. Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 BGB enthält lediglich – klarstellend – besondere Anwendungsfälle des § 254 Abs. 1 BGB (MünchKomm.BGB/Oetker, 5. Aufl., § 254 Rdn. 68; Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., § 254 Rdn. 36; Erman/Ebert, BGB, 12. Aufl., § 254 Rdn. 53; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 163 ff.). Hinsichtlich der Rechtsfolgen trifft § 254 Abs. 1 BGB für sämtliche Fälle des Mitverschuldens eine einheitliche Regelung. Dementsprechend sind die Verursachungs- und Verschuldensanteile von Schädiger und Geschädigtem im Einzelfall gegeneinander abzuwägen (BGH TranspR 2008, 400 Tz. 24).

bb)

Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Wert der transportierten Ware bei der Haftungsabwägung von Bedeutung ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH TranspR 2008, 400 Tz. 25 m.w.N.). Daneben kann bei entsprechendem Sachvortrag des Frachtführers auch im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB die Reichweite des bei wertdeklarierten Sendungen gesicherten Bereichs einen für die Bemessung der Haftungsquote relevanten Gesichtspunkt darstellen (BGH TranspR 2208, 400 Tz. 25).

cc)

Die weitere – auf eine entsprechende Bemerkung in einer früheren Senatsentscheidung (BGH, Urt. v. 11.11.2004 – I ZR 120/02, TranspR 2006, 161, 165) zurückgehende – Annahme des Berufungsgerichts, dass der dem Versender anzurechnende Mitverursachungsbeitrag auch bei hohen Werten nicht höher als mit 50% angesetzt werden darf, trifft dagegen nicht zu. Wie der Senat inzwischen entschieden hat, kann nach den Umständen des Einzelfalls auch ein Mitverschuldensanteil von mehr als 50% in Betracht kommen. Dies gilt vor allem in Fällen, in denen das Paket aufgrund der Beförderungsbedingungen des Transporteurs von einem Transport ausgeschlossen ist. Ebenso kann eine höhere Quote als 50% anzunehmen sein, wenn der Wert des Pakets – unabhängig vom Überschreiten einer in den Beförderungsbedingungen gesetzten Wertgrenze – ganz erheblich über dem Betrag liegt, ab dem ein Hinweis auf einen ungewöhnlich hohen Schaden hätte erfolgen müssen (siehe nur BGH, Urt. v. 20.9.2007 – I ZR 44/05, TranspR 2008, 163 Tz. 58; BGH TranspR 2008, 400 Tz. 26 m.w.N.).

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dd)

Schließlich muss die Art und Weise der Abwägung der Mitverschuldensquote bei geringeren Paketwerten im Blick haben, dass sie bei hohen Warenwerten nicht zu unangemessenen Ergebnissen führt. Diesem Erfordernis wird die vom Berufungsgericht vorgenommene stufenweise Kürzung des Schadensersatzanspruchs nicht gerecht. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass nach der Tabelle des Berufungsgerichts bei Warenwerten, die dem Gegenwert von 50.000 US-Dollar entsprechen, der Schadensersatzanspruch im Ergebnis lediglich um einen Wert gekürzt wird, der unter 25% liegt. Nach der Rechtsprechung des Senats kann in derartigen Fällen – je nach den Umständen des Einzelfalls – jedoch ein Mitverschuldensanteil von mehr als 50% bis hin zu einem vollständigen Ausschluss der Haftung in Betracht kommen (siehe nur BGH TranspR 2008, 400 Tz. 26 m.w.N.). Die in der Tabelle des Berufungsgerichts vorgesehenen Quoten werden dem nicht gerecht.

III.

Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten im Kostenpunkt und insoweit aufzuheben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird unter Berücksichtigung der oben unter II 3 c dargestellten Grundsätze eine nochmalige Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge vorzunehmen haben.

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