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Parkplatz – Vorbeifahren an stehendem Auto – Mitverschulden?


Parkplatzschaden

Zusammenfassung:

Muss sich ein Kraftfahrzeugführer nach einem Verkehrsunfall die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges anrechnen lassen, wenn er auf einem Parkplatz an einem stehenden Fahrzeug langsam vorbeifährt und das zunächst stehende Fahrzeug sodann rückwärts im Rahmen eines Wendemanövers in das Fahrzeug hineinfährt? Wer trägt die Beweislast dafür, dass das rückwärts fahrende Fahrzeug zunächst stand? Verbietet die StVO das Vorbeifahren an stehenden Fahrzeugen auf Parkplätzen?


Landgericht Wuppertal

Az: 9 S 25/15

Urteil vom 16.07.2015


Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Solingen, 11 C 518/14, vom 10.12.2014 in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 17.2.2015 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt an die Klägerin 3.658,25 EUR und 186,45 EUR jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 1.227,75 EUR und 186,45 EUR seit dem 9.7.2014und aus weiteren 2.430,50 EUR seit dem 13.9.2014 (Beklagter zu 1)) bzw. seit dem 23.9.2014 (Beklagte zu 2)) zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites werden den Beklagten auferlegt. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.


Gründe

I.

Die Klägerin hat restlichen Schadensersatz nach einer Haftungsquote von 100 % nach einem Verkehrsunfall verlangt, der sich am Morgen des 28.5.2014 auf dem Gelände des Aldi Parkplatzes in der C-Straße in Solingen ereignet hatte. Die Klägerin befuhr den Parkplatz. Der Beklagte zu 1) befand sich vor ihr, wobei streitig ist, ob sein Fahrzeug stand oder in Bewegung war. Als die Klägerin den Beklagten zu 1) links passierte, scherte der Beklagte zu 1), der wenden wollte, nach links aus und die Fahrzeuge kollidierten vorne rechts bzw. vorne links. Das Amtsgericht hat der Klage nur zum geringeren Teil stattgegeben und ist dabei von einer Haftungsverteilung von 1 zu 2 zulasten der Beklagten ausgegangen. Der Beklagte zu 1) habe gegen § 9 V StVO verstoßen. Der Klägerin sei der Vorwurf zu machen, dass für sie eine unklare Verkehrssituation vor der Vorbeifahrt an dem Beklagtenfahrzeug und unter Berücksichtigung der besonderen Gefahrenlagen auf Parkplätzen bestanden habe. Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie weiterhin eine Haftungsquote von 100 % erstrebt. Soweit eine Mithaftung der Klägerin in Betracht kommen solle, sei es an den Beklagten, ein solches Fehlverhalten zu beweisen. Demgegenüber sei hier streitig, ob das Fahrzeug des Beklagten zu 1) gestanden habe. Es sei keine Norm der StVO bekannt, die es untersage, an einem stehenden Fahrzeug vorsichtig vorbeizufahren. Im Übrigen wird von der Darstellung eines Tatbestandes gemäß §§ 540 II, 313a ZPO, 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat auch in der Sache im Wesentlichen Erfolg.

1.

a) Die Klägerin hat gemäß §§ 7 I, 17, 18 I, III StVG, 823 I, II BGB i. V. m. 9 V StVO, 115 I 1 Nr. 1 VVG, 426, 249 BGB gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf vollständigen Ersatz ihres unfallbedingten Schadens.§ 17 II StVG ist anwendbar. Denn zu Gunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass der Unfall für keine der Parteien durch höhere Gewalt – von außen wirkende betriebsfremde Ereignisse aufgrund elementarer Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen – verursacht oder auch bei Wahrung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abzuwenden gewesen ist (unabwendbares Ereignis), so dass die Ersatzpflicht der einen oder anderen Seite nicht von vornherein gemäß §§ 7 II, 17 III StVG, 115 I 1 Nr.1 VVG ausgeschlossen ist. Gemäß §§ 17 I, II, 18 I, III StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz, wie auch der Umfang der Ersatzpflicht in diesem Fall von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Halter und Fahrer der beteiligten Fahrzeuge und unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach §§ 17 I, II, 18 I, III StVG, 254 BGB sind neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden. Danach ist es vorliegend gerechtfertigt, dass die Klägerin vollständig ihren unfallbedingten Schadens ersetzt erhält.§ 9 V StVO ist jedenfalls dem Sinngehalt nach anzuwenden. Danach hätte sich der Beklagte zu 1) bei seinem Wendemanöver so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (äußerste Sorgfalt). Hiergegen hat er nicht nur nach dem Beweis des ersten Anscheins, sondern eingestandenermaßen – und entgegen dem anwaltlich gefertigten schriftsätzlichen Vortrag – verstoßen. Ein unfallursächliches Verschulden der Klägerin ist nicht bewiesen. Insbesondere hat sie schon deshalb nicht bei unklarer Verkehrslage überholt (§ 5 III Nr. 1 StVO), weil auch nach dem Ergebnis der von der Kammer wiederholten persönlichen Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 1) nicht feststeht, dass das Auto des Erstbeklagten durchgehend in Bewegung war. Zwar spricht für die Richtigkeit der Unfalldarstellung des Beklagten zu 1), dass er – eben entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag – im Rahmen seiner Anhörung sein Fehlverhalten eingeräumt hat und dass er keinen bekannten Grund hatte, auf dem Parkplatz überhaupt anzuhalten. Eine hinreichend sichere Überzeugung, wonach vernünftige Zweifel nicht verbleiben, konnte die Kammer jedoch nicht gewinnen, weil es andererseits vielfältige Gründe gibt, die den Beklagten hätten veranlassen können, kurzfristig anzuhalten. Wenn aber zu Gunsten der Klägerin mangels eines gegenteiligen Beweises davon auszugehen ist, dass das Beklagtenfahrzeug stand, als sie sich entschloss vorbeizufahren, dann ergibt sich nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung der besonderen Gefahrenlagen auf Parkplätzen und auch des Umstandes, dass sie gesehen hat, dass jemand in dem Fahrzeug der Beklagten saß und das Fahrzeug eben nicht in einer Parktasche abgestellt war, kein Vorwurf im Sinne eines unfallursächlichen Verschuldens, dass sie überhaupt zum Vorbeifahren angesetzt hat. Dies gilt erst recht, da keine Anhaltspunkte dafür erwiesen sind, dass sie das Beklagtenfahrzeug zu schnell oder zu dicht passiert hat. Es mag sein, dass ein Idealfahrer den Unfall durch einen (noch) größeren seitlichen Abstand oder durch Ankündigung des Vorbeifahrens durch Hupen vermieden hätte, der Unfall für die Klägerin also nicht unabwendbar war. Angesichts des groben Verkehrsverstoßes des Erstbeklagten ist es jedoch gerechtfertigt, die Betriebsgefahr zurücktreten zu lassen. Dies gilt umso mehr, als nach den unstreitigen Schäden der beteiligten Fahrzeuge (Klägerin: u.a. vordere rechte Felge; Beklagter zu 1): u.a. Nebelscheinwerfer) der Beklagte zu 1) in das Fahrzeug der Klägerin gefahren ist und nicht umgekehrt.

b) Die Schadenshöhe ist unstreitig und beläuft sich auf insgesamt 7.291,49 EUR, wobei wegen der Einzelheiten auf die Darstellung in der Klageschrift, Seite 4 = Bl. 4 der Akten, Bezug genommen wird. Hierauf haben die Beklagten vorprozessual 3.658,25 EUR gezahlt, so dass die aus dem Tenor ersichtliche Summe als erstattungspflichtig verbleibt.

2.

Hinsichtlich der Nebenforderungen ist einerseits zu berücksichtigen, dass nur die Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hat, so dass eine Abänderung zu ihrem Nachteil nicht in Betracht kam, und andererseits, dass die Klägerin erst am 14.8.2014 durch Bezahlung des Sachverständigen unter Reparaturwerkstatt die Sicherungsabtretungen abgelöst und damit ihre Aktivlegitimation auch hinsichtlich dieser Schadenspositionen erlangt hat. Abgesehen von den erstinstanzlich zugesprochenen Nebenforderungen kamen deshalb nur Rechtshängigkeitszinsen in Betracht.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 und 97 ZPO einerseits und §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO andererseits.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 2.500 EUR (§§ 43 I, 48 I GKG, 6 S. 1 ZPO).Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 I Nr. 1, II ZPO), bestand nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.


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