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Rotlichtverstoß: Vergleich des Fotos mit dem Passfoto rechtmäßig?

Amtsgericht Stuttgart

Az.:. 8 OWi 71 Js 98447/01

Urteil vom 14.02.2002


Das Amtsgericht Stuttgart – Strafrichter – hat in der Sitzung vom 14.02.2002 für          Recht  erkannt:

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

 

G r ü n d e :

I.

Im form- und fristgerecht angefochtenen Bußgeldbescheid des Ordnungsamts der Landeshauptstadt Stuttgart vom 27.09.2001 wird dem in Stuttgart wohnhaften Betroffenen eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 24 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit §§ 37 Abs. 2, 49 Straßenverkehrsordnung (StVO) zur Last gelegt.

Ihm wird vorgeworfen, er habe als Lenker eines Pkw, der nicht auf ihn, sondern auf eine in Stuttgart ansässige GmbH zugelassen war, am 15.06.2001, um 16:19 Uhr in Stuttgart an der Kreuzung Cannstatter Straße / Schillerstraße Richtung Arnulf-Klett-Platz fahrend, das Rotlicht der dort angebrachten Lichtzeichenanlage nicht befolgt.

Wegen dieser Ordnungswidrigkeit, deren rechtskräftige Feststellung die Eintragung von 3 Punkten im Verkehrszentralregister zur Folge hat, wurden dem Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 100.- DM und Verfahrenskosten im Gesamtbetrag von 36.- DM auferlegt.

II.

Das Gericht konnte in der Hauptverhandlung folgende Feststellungen treffen:

1. Neben anderen stationären und ambulanten Verkehrsüberwachungsanlagen, betreibt das Ordnungsamt der Landeshauptstadt Stuttgart an der in der Stadtmitte in der Nähe des Hauptbahnhofs gelegenen Kreuzung Cannstatter Straße / Schillerstraße eine Rotlichtüberwachungsanlage.

Mit dieser Anlage wurden im Zeitraum 15.06.2001 bis 22.06.2001 Messungen durchgeführt.

Hierbei wurden insgesamt 34 641 Fahrzeuge angemessen. Verfahrensmäßig unter den Buchungszeichen von 505.21.862114.1 bis 505.21.862196.6  erfasst sind 825 Vorgänge.

Beanstandet aus diesem Kontrollintervall wurden letztendlich  83 Fahrzeuge.

2. Die Auswertung der am 15.06.2001 um 16:19 Uhr aufgenommenen Messbilder führte zur Beanstandung des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen xxxxxxx.

Die gleichfalls dem Ordnungsamt der Landeshauptstadt Stuttgart angegliederte Bußgeldstelle ermittelte nach Erhalt der ausgewerteten Unterlagen den Halter dieses Fahrzeugs, ohne dass dieser Ermittlungsvorgang in den Akten allerdings dokumentiert ist.

Für Außenstehende kann nicht nachvollzogen werden,  wann und wo (Zentrales Fahrzeugregister des KBA oder örtliches Fahrzeugregister der Zulassungsstelle) mit welcher  (inhaltlichen) Anfrage und mit welchem Ergebnis diese Ermittlungsmaßnahme durchgeführt worden ist.

3. Am 13.07.2001 wurde ein Schreiben, betitelt als „Anhörung / Zeugenfragebogen“ erstellt, das an eine in Stuttgart ansässige GmbH & Co wohl in ihrer Eigenschaft als Fahrzeughalterin gerichtet ist.

Diese Firma wird gebeten, den Namen und die Anschrift der Person anzugeben, die als „Führerin/Führer des PKW, XXXXXXXX am 15.06.2001 um 16.19 Uhr eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG begangen“ habe.

Angaben zum Tatort und zur näheren Konkretisierung der Ordnungswidrigkeit fehlen.

4. Von einer  namentlich nicht bekannten Person wurde mit diesem Fragebogen die auf der  Rückseite vorformulierte Frage, wem das Fahrzeug zur Tatzeit überlassen worden war, mit den Personaldaten (Vorname/Familienname/Anschrift/Geburtsdatum/Geburtsort) des Betroffenen am 27.07.2001 beantwortet, unterschrieben und mit dem Stempel der angeschriebenen Firma versehen an die Bußgeldstelle zurückgeschickt, wo er am 01.08.2001 eingegangen ist.

5. Bereits am 02.08.2001 wurde die an den Betroffenen gerichtete Anhörung mit der vorgeschriebenen Unterrichtung über den tatsächlichen Vorwurf erstellt. In der Anhörung wird diesem mitgeteilt,  er sei, was tatsächlich nicht zutraf, „vom Fahrzeughalter als Fahrer benannt“ worden und als Beweismittel stünden zum Nachweis der Ordnungswidrigkeit ein „Foto“, ein „Meß-/Frontfoto“ einer Überwachungsanlage und das Zeugnis einer nicht benannten Person der Verkehrsüberwachung des Ordnungsamts der Stadt Stuttgart zur Verfügung.

Verbunden damit wurde der Hinweis: „Wenn Sie sich nicht äußern wollen, kann das Foto mit ihrem im Paß- oder Personalausweisregister hinterlegten Foto verglichen werden“.

6. Der mit den angefragten Personaldaten des Betroffenen ausgefüllte Anhörungsbogen wurde der Bußgeldstelle von der Verteidigerin mit Schreiben vom 13.08.2001 zurückgereicht. Dabei wurde die Frage der Bußgeldstelle, ob der Verstoß zugegeben wird, verbunden mit dem Zusatz, die Angelegenheit einem Verteidiger anvertraut zu haben, mit einem „Nein“ beantwortet.

7. Der  ausgefüllte Anhörungsbogen war am 15.08.2001 bei der Verwaltungsbehörde eingegangen. Am 13. September erreichte die Bußgeldstelle ein Fragenkatalog der Verteidigung zur Funktionsweise, -tauglichkeit und -genauigkeit der Messanlage.

Noch bevor diese Fragen beantwortet wurden, verfügte die Sachbearbeiterin am 26.09.2001 den Erlass des Bußgeldbescheids, der dem Betroffenen 04.10.01 zugestellt wurde.

8. Auf den zulässigen Einspruch des Betroffenen gab die Bußgeldbehörde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft am 10.12.2001 ab. Diese veranlasste ihrerseits am  19. 12.2001 die Vorlage der Akte an das Gericht.

9. Mit der Terminsverfügung vom  24.01.2002  erbat das Gericht bei der Bußgeldstelle um Aufklärung, woher das in die Akte ohne Herkunftshinweis und Aufnahmedatum einblattierte Lichtbild herrührt, das mit der Angabe des Vornamens, des Familiennamens und des Geburtsdatums des Betroffenen versehen ist.

Dem Lichtbild selbst wie auch der Akte insgesamt ist nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt dieses gefertigt worden ist.

Mit Schreiben vom  07.02.2002 erklärte die Bußgeldstelle, die zuständige Sachbearbeiterin habe am 24.08.2002 das Lichtbild des Betroffenen, das beim Passregister der Landeshauptstadt Stuttgart in digitalisierter Form hinterlegt sei,  dort über ihren mit diesem vernetzten PC von ihrem Arbeitsplatz abgerufen, um dieses mit dem Messfoto zu vergleichen.

Gleichzeitig wurde, was bis dahin in den Akten ebenfalls nicht registriert war, eine Ermächtigung des Leiters des Ordnungsamtes der Landeshauptstadt Stuttgart vom 19.07.1996 gemäß § 22 Abs. 3 Passgesetz und § 2 b Abs. 3 Personalausweisgesetz vorgelegt, wonach diese Sachbearbeiterin befugt ist, „Auskunftsersuchen an andere Pass- bzw. Personalausweisbehörden zu richten“.

Auf der Rückseite dieser Ermächtigung sind  die in Bezug genommenen Vorschriften im vollen Wortlaut abgedruckt. Die Sachbearbeiterin hat unterschriftlich bestätigt, „die für eine Datenübermittlung gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen (§ 22 Abs. 2 PaßG sowie § 2 b Abs. 2 PAuswG)“ zu kennen.

 

III.

Der Nachweis, der auf dem Meßfoto abgebildete Fahrzeuglenker sei mit dem Betroffenen identisch, konnte durch einen Vergleich mit dem in den Akten befindlichen Lichtbild aus rechtlichen Gründen nicht geführt werden.

Der Betroffene hat der Verwendung seines aus dem Paß- oder Personalausweisregister der bei der Passbehörde der Landeshauptstadt Stuttgart an die Bußgeldverfolgungsbehörde übermittelten Lichtbildes widersprochen.

Ohne das Einverständnis des Betroffenen  darf das digitalisierte Lichtbild zu einem Vergleich mit dem Messfoto der Bußgeldbehörde zum Zwecke der Identifizierung im gegen den Betroffenen gerichteten Bußgeldverfahren nicht herangezogen werden, da es entgegen den zwingenden, dem Schutz von Bürgerdaten dienenden Rechtsvorschriften erhoben wurde.

1.   Die Datenübermittlung aus dem Personalausweis- und dem Passregister ist in § 2 b Personalausweisgesetz (PAuswG) und § 22 Paßgesetz (PaßG) geregelt. Beide Vorschriften stimmen weitgehend überein.

Da von der Verwaltungsbehörde mitgeteilt wurde, das in den Ermittlungsakten befindliche Lichtbild sei aus dem Paßregister der Stuttgarter Passbehörde entnommen worden, wird bei den nachfolgenden Ausführungen lediglich auf die Vorschriften des Passgesetzes abgehoben.

Nach der gesetzgeberischen Vorgabe, die in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Paßgesetzes (PaßVwV) ihren Niederschlag gefunden hat, ist „das Paßregister kein Auskunftsregister“ (Nr. 22.1 PaßVwV zu § 22 PaßG).

Es soll „deshalb für Datenübermittlungen nur in äußerst begrenztem Umfang zur Verfügung stehen“  (Medert/Süßmuth, Paß- und Personalausweisrecht, Band 2, Erl. § 22 PaßG, Rdnr. 8)

Ein deutscher Passbewerber hat bei Antragstellung auf seine Kosten ein Lichtbild vorzulegen, das bestimmten Anforderungen zu genügen hat.

Dieses Lichtbild verkörpert personenbezogene Daten über das Aussehen des Antragstellers und wird in das Passregister der für die Ausweisausstellung zuständigen Behörde aufgenommen. Es dient damit den in § 21 Abs. 3 PaßG aufgeführten Zwecken, die vorrangig auf die Ausstellung der Pässe und die Identitätsfeststellung der Ausweisbesitzer gerichtet sind.

Nach Nr. 22.7 PaßVwV  gehört auch das im Passregister hinterlegte Lichtbild eines Passinhabers zu den übermittlungsfähigen Informationen.

Für die Datenübermittlung bestimmt § 22 Abs. 1 PaßG: „Personenbezogene Daten dürfen die Paßbehörden nur nach Maßgabe dieses Gesetzes, anderer Gesetze oder Rechtsverordnungen erheben, übermitteln, sonst verarbeiten oder nutzen“.

Da eine besondere Reglung für die Übermittlung von Daten und Informationen aus dem Paßregister an für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständige Behörden  in anderen Gesetzen oder Rechtsverordnungen fehlt,  ist die Weitergabe des Lichtbildes in welcher Form auch immer  nur zulässig, sofern die in § 22 Abs.2 und Abs. 3 PaßG normierten materiellen und formellen Voraussetzungen vorliegen.

An zwingenden Voraussetzungen verlangt Absatz 2 dieser Vorschrift:

„ Die Passbehörden dürfen anderen Behörden auf deren Ersuchen Daten aus dem Paßregister übermitteln. Voraussetzung ist, dass

  1. die ersuchende Behörde auf Grund von Gesetzen oder Rechtsverordnungen berechtigt ist, solche Daten zu erhalten,
  2. die ersuchende Behörde ohne Kenntnis der Daten nicht in der Lage wäre, eine ihr obliegende Aufgabe zu erfüllen und

3.      die Daten bei dem Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erhoben werden können oder nach der Art der Aufgabe, zu deren Erfüllung die Daten erforderlich sind, von einer solchen Datenerhebung abgesehen werden muss.“

Die vorliegend wesentlichen Regelungen in § 22 Abs. 3 PaßG lauten:

„Die ersuchende Behörde trägt die Verantwortung dafür, dass die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, Ein Ersuchen nach Absatz 2 darf nur von Bediensteten gestellt werden, die vom Behördenleiter dafür besonders ermächtigt sind. Die ersuchende Behörde hat den Anlaß des Ersuchens und die Herkunft der übermittelten Daten und Unterlagen aktenkundig zu machen.“

a. Hinsichtlich der formellen Voraussetzungen wurde von der Verwaltungsbehörde zwischenzeitlich zwar dargelegt, dass die zuständige Bußgeldsachbearbeiterin ermächtig war, Datenübermittlungsersuchen nach § 22 Abs. 2 Paßgesetz zu stellen, auch wenn die Formulierung in der Ermächtigung („an andere Paß- oder Personalausweisbehörden“) Zweifel erwecken könnte, diese Befugnis erstrecke sich nur auf Passbehörden außerhalb des Ordnungsamts der Landeshauptstadt Stuttgart.

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Der Aufzeichnungspflicht ist die Verfolgungsbehörde als an der personenbezogenen Information interessierten Stelle bis zur gerichtlichen Anfrage jedenfalls nicht nachgekommen.

In § 22 Abs. 3 PaßG wird nicht vorgeschrieben, wo diese Aufzeichnungen anzubringen sind. In Betracht kommen sachgerechter Weise jedoch nur die den konkreten Fall betreffende Akte.

Mit Sicherheit war die Aufzeichnung nicht in der Ermittlungsakte erfolgt.

Eine Dokumentation über den Anlass der Lichtbildabfrage und die Herkunft der Unterlage ist nach der Auskunft des Vertreters der Verwaltungsbehörde weder im Bereich der Bußgeldstelle an einem anderen Ort außerhalb der Ermittlungsakte  (z.Bsp. einer Auskunftsliste oder Generalakte) noch bei einer anderen Stelle (z.Bsp. der Pass- oder Meldebehörde) erfolgt.

 

b.  Weit gewichtiger erscheint, dass nach der seit langer Zeit gehandhabten Praxis innerhalb der Verwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart die Bußgeldbehörde im automatisierten Online-Verfahren direkten Zugriff auf bestimmte Daten und Unterlagen aus dem Passregister der Passbehörde der Landeshauptstadt Stuttgart hat, ohne dass es dazu des in § 22 Abs. 2 Satz 1 PaßG zwingend vorgeschriebenen Ersuchens noch bedarf.

Für Datenübermittlungen, die nicht aufgrund materiell-gesetzlicher Vorschriften vorzunehmen sind, ist, wie oben dargelegt,  eine ausdrückliche Anforderung der an den Registerdaten interessierten Behörde an das Passregister im Einzelfall vorgeschrieben.

Diese nicht abdingbare Übermittlungsvoraussetzung lässt ein automatisiertes Abrufverfahren, bei dem  die nachfragende Behörde oder Stelle ohne vorherige Anforderung und Anmeldung direkten Zugriff auch auf nur bestimmte Informationen aus dem Bestand der Passbehörde hat, nicht zu.

„Schon wegen des späteren Nachweises, dass ein solches Ersuchen vorgelegen hat, wird es nach Möglichkeit in schriftlicher Form zu stellen sein. Das Ersuchen des Übermittlungsempfängers bildet eine formale Zulässigkeitsvoraussetzung der Datenübermittlung, die nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn eine Übermittlung kraft Gesetzes vorzunehmen ist“ (Medert/Süßmuth, a.a.O. Erl. § 22 PaßG Rdnr. 10).

Der von der Bußgeldbehörde in der Hauptverhandlung vertretenen Auffassung, das förmlichen Ersuchen wie auch andere für die Datenübermittlung gesetzlich vorgeschriebenen Förmlichkeiten seien dann überflüssig, wenn die anfragende Stelle zur selben Verwaltungseinheit gehört wie die Passbehörde, kann nicht beigetreten werden.

Dies ergibt sich bei grundgesetzkonformer Auslegung aus Sinn und Zweck der Datenschutzbestimmung. Danach ist der Übermittlungsvorschrift ein funktionaler Behördenbegriff zugrunde zu legen, die lediglich organisatorische Zusammenfassung in einer regelmäßig die gesamte Gemeinde umfassenden Verwaltungseinheit ist nicht maßgeblich.

Diese Auffassung wird auch in den amtlichen Durchführungsvorschriften vertreten. Nr. 22.4 PaßVwV  enthält die ausdrückliche Klarstellung, dass die formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 22 Absatz 3 Satz 1 bis 3 PaßG  für „die Weitergabe von Paßregisterdaten innerhalb der Verwaltungseinheit, der die Passbehörde angehört“ nicht suspendiert, sondern entsprechend anzuwenden sind.

Die an Informationen aus dem Passregister interessierte Stelle einer Verwaltungseinheit trägt demnach wie die organisatorisch getrennte Behörde die volle und alleinige Verantwortung dafür, dass die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 2 PaßG vorliegen.

Als formelle Voraussetzung einer Datenübermittlung ist in dieser Vorschrift an erster Stelle das an die Passbehörde zu richtende Ersuchen genannt, ohne das, von den im Gesetz selbst genannten, aber vorliegend nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, jegliche Weitergabe von personenbezogenen Daten unzulässig ist.

Auch bei gleichzeitiger Zugehörigkeit der Passbehörde und der an Passregisterdaten interessierten Stelle zu einer (organisatorischen) Verwaltungseinheit darf nur ein besonders ermächtigter Bediensteter, für den die gesetzlich vorgeschriebene Aufzeichnungspflicht gleichfalls gilt, dieses Ersuchen stellen.

Es kann daher nicht die Rede davon sein,  diese (förmlich und nachvollziehbar zu gestaltende) Einzelanforderung sei entbehrlich.

Von der Erforderlichkeit eines förmlichen Ersuchens gehen auch das für die Bußgeldstelle zuständige  Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg und das Innenministerium Baden-Württemberg aus.

In seinem Erlass vom 17.02.1997 betreffend u.a. die Ermittlungen bei Kennzeichenanzeigen zur Fahrerfeststellung, der im Einvernehmen mit dem Innen- und Justizministerium ergangen ist, schreibt das Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg zum Abgleich des Beweisfotos mit dem Lichtbild des Personalausweis- oder Passregisters für die Bußgeldstellen u.a. vor:

  • „Das Ersuchen an die Ausweisbehörde darf nur von Bediensteten gestellt werden, die vom Behördenleiter der Bußgeldstelle besonders dazu ermächtigt sind……
  • Die Bußgeldbehörde wird ihr Ersuchen in der Regel an die Meldebehörde richten. Aus den Meldeunterlagen kann die Ausweisbehörde ermittelt werden, die den Paß- und Personalausweis ausgestellt hat. Die Meldebehörde leitet das Ersuchen an die entsprechende Ausweisbehörde weiter“.

Noch deutlicher verlangt das Innenministerium Baden-Württemberg in seinem Erlass vom 27.05.1997 betreffend den „Abgleich von Beweisfotos in OWi-Verfahren mit Lichtbildern der Ausweisbehörden“ ein ausdrückliches Ersuchen an die Ausweisbehörde zur „Übermittlung entsprechender Daten – hier i.d.R. Kopien von Lichtbildern – aus dem Personalausweis- bzw. Paßregister“, wenn es  anordnet,

·        dass „die Prüfung der Ausweisbehörde insoweit darauf beschränkt bleibt, ob von der Bußgeldbehörde das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen für die Datenübermittlung dargetan wurde.“

Das von der Verwaltungsbehörde vorliegend praktizierte Abrufverfahren, bei dem noch nicht einmal der Zugriff auf das Paßregister dokumentiert wurde, lässt sich demnach weder mit den Vorgaben der ministeriellen Erlasse noch mit den zwingenden Datenschutzregelungen des Pass- oder Personalausweisgesetzes in Einklang bringen.

Faktisch bedeutet diese Handhabung der Datenbeschaffung nicht nur eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschten „höheren Zugangsbeschränkung“ zu den Datensammlungen der Paß- und Personalausweisregister (zitiert nach Medert/Süßmuth, Paß- und Personalausweisrecht, Band 1, Erl. § 2b PAuswG, Rdnr. 9), sondern die Einrichtung und Vorhaltung einer erkennungsdienstlichen Lichtbilddatei, in der alle Stuttgarter Bürger, die einen Paß (oder Personalausweis) in ihrer Heimatgemeinde beantragt haben, vorsorglich zur Verfolgung mehr oder weniger bedeutender Verkehrsordnungswidrigkeiten erfasst sind, unabhängig davon, ob sie verkehrsbußgeldrechtlich bereits einmal aufgefallen sind oder nicht.

Damit werden aber nicht nur die datenschutzrechtlichen Vorschriften des Paßgesetzes und damit das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Bürger verletzt, sondern auch die Vorschriften umgangen über die Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen, die auch im Bußgeldverfahren, wenngleich nur unter erschwerten Voraussetzungen, gemäß § 46 OWiG in Verbindung mit § 81 a StPO möglich ist,

Die Daten werden zweckentfremdet. Das im Passregister verwahrte Lichtbild dient nicht, wie gesetzlich vorgesehen,  der Identitätsfeststellung der Paßbesitzer, sondern  vorwiegend der Identifizierung von einer Verkehrsordnungswidrigkeit verdächtigen Bürgern.

Dabei ist diese Zweckentfremdung nicht auf wenige und vielleicht besonders bedeutende Ordnungswidrigkeiten beschränkt. Nach Berichten in der Tagespresse erfolgen solche Zugriffe in Stuttgart etwa 1600 Mal im Monat und selbst bei Ordnungswidrigkeiten, die lediglich mit 100.- DM Geldbuße zu ahnden sind.

c.

Aber auch die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Datenweitergabe aus dem Paßregister sind vorliegend nicht eingehalten.

In § 22 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 PaßG schreibt das Gesetz vor, dass eine Datenübermittlung nur dann zulässig ist, wenn die ersuchende Behörde ohne Kenntnis der Daten nicht in der Lage wäre, eine ihr obliegende Aufgabe zu erfüllen, und wenn die Datenerhebung beim Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder aus bestimmten Gründen von dieser Art der Datenerhebung abgesehen werden muss.

Bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten der vorliegenden Art ist von vorrangiger Bedeutung das aktuelle Erscheinungsbild eines Verdächtigen und nicht sein Aussehen vor 2, 5, 10 oder noch mehr Jahren, wie es regelmäßig in den Ausweisbildern vermittelt wird.

In diesen Zeiträumen kann sich das Aussehen beträchtlich verändern.

Das Datum der Herstellung des Bildes ist nicht bekannt. Deshalb kann die Wahrscheinlichkeit, dass der Abgebildete im Zeitpunkt der Verfolgung noch gleich aussieht wie bei der Herstellung seines Passbildes nicht eingeschätzt werden. Daß im Zeitpunkt der Abfrage das aktuelle Erscheinungsbild registriert ist, erscheint höchst zufällig.

Da auf den Messbildern Individualmerkmale einer Person meistens nicht zu erkennen sind, ist eine Identifizierung durch einen Abgleich mit dem Ausweisbild, dessen Alter sich nicht bestimmen lässt, vielfach auch nicht möglich.

Ob die Daten beim Betroffenen faktisch nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erhoben werden können, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

Vorliegend wäre die Vorlage eines Abzugs des Meßfotos an den Fahrzeughalter bzw. Arbeitgeber des Betroffenen, dem man bei der durchgeführten Zeugenanhörung den Verdacht, dass mit seinem Fahrzeug eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen wurde, ohnehin offenbart hat, naheliegend und ohne nennenswerten Mehraufwand möglich gewesen.

Darüber hinaus hat die Verfolgungsbehörde die rechtliche und auch erzwingbare Möglichkeit, den zwar nach seinen Namen bekannten, aber nach seinem  Aussehen unbekannten Tatverdächtigen zu einer Vernehmung zu laden, um ihn in Augenschein zu nehmen und sein Aussehen mit der auf dem Messfoto abgebildeten Person zu vergleichen oder die Anfertigung von Lichtbildern, die sein aktuelles Aussehen dokumentieren, durch ihre Ermittlungsbeamten anzuordnen.

Die Behauptung, ohne Kenntnis der Bilder aus dem Paß- oder Personalausweisregister, müsste die Bußgeldbehörde das Ermittlungsverfahren vielfach einstellen oder eine den Betroffenen belastende Nachbarschaftsbefragung durchführen, lässt daher die zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten völlig außer Betracht

Weshalb solche vom Gesetz zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten vorgesehenen und grundsätzlich zulässigen Ermittlungsmaßnahmen unverhältnismäßig, der aus  verfassungs- und datenschutzrechtlich Gründen beschränkte Zugriff auf personenbezogene Daten,  deren Brauchbarkeit zu dem vorgesehenen Zweck im Einzelfall und im vorhinein noch nicht einmal abzuschützen ist, aber verhältnismäßig sein soll, ist nicht nachvollziehbar.

Der automatisierte Abruf von personenbezogenen Daten des Betroffenen aus dem Paßregister durch die Bußgeldbehörde verstößt demnach gegen die datenschutzrechtlichen Übermittlungsvorschriften des Paßgesetzes. Die Zweckentfremdung dieser Informationen ohne das Einverständnis des Betroffenen und Ausschaltung jeglicher Kontrollmöglichkeit beinhaltet eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts, die, da anerkennenswerte Gegeninteressen der Verwaltungsbehörde nicht vorliegen, eine Verwertung im Bußgeldverfahren gegen den Willen des Betroffenen nicht zulässt.

 

2.  Der Verwertbarkeit des aus dem Paßregister abgerufenen Lichtbildes des Betroffenen stehen aber auch die vom Bundesverfassungsgericht in der sog. Gemeinschuldnerentscheidung (BVerfG NJW 1981, 1431) entwickelten Verfassungsgrundsätze entgegen.

Das Bundesverfassungsgericht führt dort aus, dass die Verwertung erzwungener Aussagen gegen den Willen des Betroffenen unzulässig ist.

Jeder Deutsche, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist verpflichtet, einen Personalausweis oder einen gültigen Paß zu besitzen. Zur Ausstellung muss der Personalausweis- oder Passbewerber sein Lichtbild vorlegen, das in den Ausweis übernommen bzw. übertragen und danach im jeweiligen Register verwahrt wird.

Die Ausstellung eines Ausweises kann erzwungen werden. Verstöße gegen die Ausweispflicht sind mit Geldbuße bewehrt.

Könnten die vom Ausweispflichtigen gelieferten Informationen über sein Aussehen, deren Kosten er zudem zu tragen hat, ohne sein Wissen oder gegen seinen Willen der Verwertung für eine Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zugeführt werden, so läge darin ein Zwang,  an der eigenen Überführung und bußgeldrechtlichen Verurteilung mitzuwirken, der mit dem aus der Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten des Art. 2 GG fließenden Selbstbelastungsverbot nicht zu vereinbaren ist.

 

IV.

1.

Bedenken bestehen aber auch hinsichtlich der Verwertung der Messfotos, da diese aus einer polizeilichen Maßnahme stammen, für die eine ausreichende Zuständigkeitsnorm nicht vorliegt.

„Verkehrsüberwachung“  als Gesamtheit aller Maßnahmen zur Beobachtung und Kontrolle des Straßenverkehrs, ohne dass der Verdacht einer polizeirechtlichen Gefahr oder einer Verkehrsordnungswidrigkeit besteht, erfordert eine sachliche Zuständigkeitszuweisung (vgl. Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt G,  Rdnr. 63 ff), die für Baden-Württemberg nicht ersichtlich ist.

Der vom Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg im Erlass vom 17.02.1997 vertretenen Auffassung, „der Betrieb von Verkehrsüberwachungsanlagen durch Landratsämter, Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in ihrer Funktion als Bußgeldbehörde“ sei „durch § 47 OWiG gedeckt“, kann nicht gefolgt werden.

§ 47 OWiG begründet zwar die Zuständigkeit zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, aber keine Verkehrsüberwachungszuständigkeit (vgl. Lisken/Denninger, a.a.O., Rdnr. 65).

Jede Maßnahme und Tätigkeit zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit setzt immer den Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit voraus, der bei der präventiven Verkehrsüberwachung gerade nicht gegeben ist.

Das Aufstellen und Bedienen von Verkehrsüberwachungsgeräten, in der aus der Erfahrung begründeten Erwartung, damit auch Regelverletzer feststellen und bußgeldrechtlich verfolgen zu können, kann diesen Tatverdacht nicht ersetzen.

So wie „Verkehrsüberwachung nicht ausschließlich oder vorrangig dem Ziel der Ermittlung von Regelverletzungen dienen darf“ (Lisken/Denninger, a.a.O., Rdnr. 65), so lässt sich umgekehrt eine „vorbeugende Verkehrsüberwachung nicht auf die Verfolgungskompetenz stützen“ (Lisken/Denninger, a.a.O., Rdnr. 65).

Die „Verkehrsüberwachung“ durch das Ordnungsamt der Landeshauptstadt Stuttgart beinhaltet aber ausschließlich repressive Maßnahmen, nämlich die Feststellung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten.

 

2.

Auch wenn die rechtlichen Bedenken gegen die Verwertbarkeit des aus der rein repressiven Verkehrsüberwachung stammenden Messfotos nicht geteilt wird, war ein zu einer Verurteilung ausreichender Nachweis durch Vergleich der abgebildeten Person mit dem Aussehen des Betroffenen nicht zu führen.

Dieses Messfoto lässt keine zur Identifizierung ausreichenden Individualmerkmale erkennen. Selbst nach der Auffassung des Vertreters der Verwaltungsbehörde sind mit diesem Bild zwar Ähnlichkeiten festzustellen, aber nicht auszuschließen, dass die auf dem Messbild abgebildete Person ein Bruder des Betroffenen ist.

Da der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, Ermittlungen zu ähnlich aussehenden Angehörigen nicht durchgeführt wurden, dem Betroffenen aber, wie von der Verwaltungsbehörde verlangt, unter der Geltung der Mitwirkungsfreiheit im Bußgeldverfahren eine Last zur Darlegung, er habe zum Verwechseln ähnlich aussehende Verwandte, nicht aufgebürdet werden kann, und der Aussage des nicht namhaft gemachten Zeugen auch nicht zu entnehmen war, der Betroffene habe das beanstandete Fahrzeug zum Tatzeitpunkt auch gelenkt, wäre dieser auch bei seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung mit großer Wahrscheinlichkeit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden.

V.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung ist gestützt auf §§ 46, 71 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.

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