OLG Dresden – Az.: 4 W 876/21 – Beschluss vom 10.12.2021
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers wird der Beschluss des Landgerichts Dresden vom 5.10.2021 abgeändert. Die Kosten des Verfügungsverfahrens werden dem Verfügungsbeklagten auferlegt.
2. Der Verfügungsbeklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis zu 1500,- €.
Gründe
I.
Der Verfügungskläger ist seit 2014 Stadtrat in D…… Er betreibt die Facebook-Page „M… S… – H…… P……“. Im Zusammenhang mit der Stadtratssitzung vom 11.06.2021 äußerte er sich zu einem Rederecht des 1. Vorsitzenden des Vereins „D…… Bürger helfen D…… Obdachlosen und Bedürftigen e.V.“ und bezeichnete ein Vorstandsmitglied dieses Vereins als „Rassisten, Neonazi und Holocaustleugner“. Der Verfügungsbeklagte hat diesen Beitrag auf der Facebook-Seite des Verfügungsklägers mit den Worten kommentiert: „Was für ein kranker, alter, dummer, hasserfüllter Mensch sie doch sind. … Ihren Anfall in der gestrigen Stadtratssitzung hat dies wieder einmal gezeigt … dafür werden sie bezahlen !!!!“ Der Verfügungskläger hat zunächst Unterlassung dieser Äußerungen begehrt. Im Verfügungsverfahren haben beide Parteien den Rechtsstreit im Vergleichsweg für erledigt erklärt und eine gerichtliche Kostenentscheidung vereinbart.
Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits mit dem angefochtenen Beschluss gegeneinander aufgehoben. Der Verfügungsantrag wäre – isoliert betrachtet – zwar erfolgreich gewesen. Im Gesamtzusammenhang mit der vorangegangenen Äußerung des Verfügungsklägers stehe dem Verfügungsbeklagten aber ein Recht auf Gegenschlag zu, das nicht auf gegenseitige Angriffe und Beleidigungen beschränkt sei, weil im politischen öffentlichen Meinungsstreit bei der gebotenen lebensnahen Betrachtungsweise nicht auf einen „quasi mathematisch genauen Maßstab, auf ein streng isoliertes Verhältnis der beiden Streitparteien zueinander“ abgestellt werden könne.
Der sofortigen Beschwerde des Verfügungsklägers hat das Landgericht nicht abgeholfen. Der Verfügungsbeklagte ist im Verlauf des Beschwerdeverfahrens angehört worden.
II.
Die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers ist gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 91a Abs. 2 S. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben (§ 569 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Auferlegung der gesamten Kosten des Rechtsstreits auf den Verfügungsbeklagten. Erklären beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt, ist regelmäßig diejenige Partei mit den Kosten zu belasten, die sie – nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage – voraussichtlich auch ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung und ohne ein eventuell vorhandenes erledigendes Ereignis zu tragen gehabt hätte (allg. Auffassung vgl. nur BGHZ 67, 343; Senat, Beschluss vom 19. April 2021 – 4 W 243/21 –, Rn. 2 – 41, juris; Beschluss vom 05. August 2011 – 4 W 624/11 -, Rn. 40 – 41, juris Zöller/Vollkommer, ZPO,33. Aufl., § 91a Rn. 24, m.w.N.).
Im Streitfall wäre aller Wahrscheinlichkeit nach der Verfügungsbeklagte unterlegene Partei gewesen, wenn über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hätte streitig entschieden werden müssen. Bis zur beiderseitigen Erledigungserklärung stand dem Verfügungskläger ein Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. §§ 185, 240 StGB zu. Wie das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, handelte es sich bei der Bezeichnung als „dummer, kranker, alter hasserfüllter Mensch“ um eine Formalbeleidigung, die ohne Abwägung mit der Meinungsfreiheit des Äußernden unzulässig ist. Die Äußerung „dafür werden Sie bezahlen…“ stellt nach ihrem Wortlaut eine Nötigung i.S.d. § 240 StGB dar, weil sie nach dem objektiven Empfängerhorizont darauf abzielte, den Verfügungskläger unter Androhung von Gewalt dazu zu veranlassen, zukünftig von negativen Äußerungen über den Verein „D…… Bürger helfen D…… Obdachlosen und Bedürftigen e.V.“ abzusehen.
Auch insoweit greift das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht zugunsten des Verfügungsbeklagten ein. Insbesondere kann er sich nicht auf das vom Landgericht herangezogene „Recht zum Gegenschlag“ berufen. Ein solches Recht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen gegeben. Wer im Meinungskampf deutlich Stellung bezieht, muss damit rechnen, dass sich andere mit ihm und seiner Meinung auseinandersetzen, und dass die Reaktion im Einzelfall auch hart oder überzogen ausfällt. Er muss daher eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 10. März 2016 – 1 BvR 2844/13 –, juris; AfP 2016, 240, 242 – Es war aber so; BVerfGE 12, 113, 131 – Schmid/Spiegel, Publizistik, die auf dem Gebiet der Politik das ist, was Pornographie auf dem Gebiet der Moral; 54, 129, 138 – Kunstkritik). Allerdings ergibt sich aus dem Recht auf Gegenschlag kein Recht zur permanenten Steigerung ehrverletzender Formen der Kritik (BGH NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung). Äußerungen, die die Menschenwürde verletzen, sind daher auch als Gegenschlag nicht gerechtfertigt (BVerfG NJW 1992, 2013, 2014 – Nazi; AG Weinheim NJW 1994, 1543 – Altkommunist im Geiste des Massenmörders Stalin; Klass in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anhang zu § 12 – Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Rn. 251). Das Recht auf Gegenschlag ermächtigt überdies nicht zu Äußerungen, die – wie hier – den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen und schon daher von vornherein einer Abwägung mit der Meinungsfreiheit des Äußernden entzogen sind. Ob solche Äußerungen ausnahmsweise zulässig wären, wenn der Äußernde zuvor ebenfalls in einer solchen Weise angegangen wurde, braucht hier nicht entschieden zu werden. Unstreitig ist hier der Verfügungsbeklagte weder persönlich durch den Verfügungskläger angegriffen worden, noch kann er als aktives Mitglied dieses Vereins eine in der Äußerung des Klägers möglicherweise liegende Kollektivbeleidigung auf sich beziehen. Nichts anderes ergibt sich im Ergebnis aus der vom Landgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen Obersten Landgerichts, das ebenfalls ausdrücklich hervorgehoben hat, das Recht auf Gegenschlag sei vorrangig im Hinblick auf die „demokratische Komponente“ des Art. 5 GG, die die politische Auseinandersetzung in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gewährleisten solle anerkannt worden (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 15. Februar 2002 – 1St RR 173/01 –, Rn. 33, juris; AfP 2002, 221 – Zigeunerjude). Um eine wenngleich überspitzte Äußerung in einer politischen Debatte handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Kommentar auf der Facebook-Seite des Verfügungsklägers jedoch nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Den Streitwert des Beschwerdeverfahrens bemisst der Senat nach dem Kosteninteresse; bei der hälftigen Belastung mit den Kosten des landgerichtlichen Verfahrens aus einem Streitwert von 6000,- EUR bemisst sich dieses Interesse mit bis zu 1500,- EUR.