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Kündigung (personenbedingte) – häufige Kurzerkrankungen

Landesarbeitsgericht Hamm

Az: 13 Sa 26/10

Urteil vom 21.05.2010


Auf die Berufung des Klägers – unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten – wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 01.12.2009 – 2 Ca 2541/08 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2008 aufgelöst worden ist.

Der hilfsweise gestellte Antrag der Beklagten, gerichtet auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, wird zurückgewiesen.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab sofort bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung; der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung, während die Beklagte hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangt.

Der am 02.10.1966 geborene Kläger ist verheiratet und hat drei Kinder. Er war zunächst von 1984 bis zum 11.03.1993 bei der Beklagten, die mehr als 2.200 Mitarbeiter hat, beschäftigt, bevor die Parteien mit Wirkung ab 02.12.1996 erneut ein Arbeitsverhältnis begründeten.

Der Kläger kam ab dem 01.11.2003 als Bediener an einer Sandstrahlanlage im Drei-Schicht-Betrieb zum Einsatz und erhielt dafür eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.493,14 EUR; zuvor war er in der Kontrolle und als Entgrater tätig gewesen.

In den Jahren ab 1998 sind folgende Krankheitszeiten und Entgeltfortzahlungskosten zu verzeichnen:

Datum von – Datum bis – AU-Tage – EFZ-Tage – EFZ-Kosten

…………………..

Dabei gehen alle 38 Tage im Jahr 1998, jeweils drei Tage in den Jahren 1999 und 2001 und vier Tage im Jahre 2006 auf Unfälle zurück.

Der Kläger wurde am 03.05.2007 arbeitsmedizinisch untersucht, woraufhin der zuständige Facharzt für Arbeits- und Umweltmedizin Dr. …….. am 08.05.2007 dessen Einsatzfähigkeit unter Beachtung bestimmter Auflagen feststellte (Bl. 95 d.A.).

In Gesprächen der Beklagten mit dem Kläger am 14.08.2007 und 06.06.2008 wurde dessen Diabetes-Erkrankung thematisiert, nachdem er in den Monaten zuvor mehrfach am Arbeitsplatz einen Zuckerschock erlitten hatte.

Am 11.08.2008 trat der Kläger eine Kur an – nach seinen Angaben zur „Entfettung“, während die Beklagte von einer Alkoholentziehung ausging.

Nach wenigen Tagen brach er die Kur ab und kehrte in den Betrieb zurück. Er wurde vorübergehend aus dem Schichtbetrieb genommen und kam als sog. Querlenker-Prüfer im Bereich der Qualitätskontrolle zum Einsatz.

Eine erneute Einschaltung des Arbeitsmediziners Dr. ………, der den Kläger am 09.09.2008 untersuchte und sich dessen Arbeitsplatz am 15.09.2008 ansah, führte zu folgendem Ergebnis:

„Aus medizinischer Sicht sind folgende Einschränkungen/Hinweise zu beachten:

Arbeitseinsatz nur in Tagschicht bzw. Früh- und Spätschicht, nicht jedoch in Nachtschicht,

keine Arbeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten,

keine Alleinarbeit,

kein Einsatz als Staplerfahrer/Fahrer betrieblicher Kfz.

Sofern der Arbeitseinsatz an der Sandstrahlanlage auf Dauer nur in Kontischicht mit Einschluss der Nachtschicht verrichtet werden kann, ist Herr ……. für diese Tätigkeit gesundheitlich nicht mehr geeignet. Diese Arbeit wäre nur in Tagschicht oder in Früh-/Spätschicht ausführbar.“

Am 07.10.2008 kam es darüber zu einem Mitarbeitergespräch mit dem Kläger. Er wurde darüber informiert, dass er auf seinem aktuellen Arbeitsplatz nur noch vorübergehend eingesetzt werden könne. Er werde auf die Liste der leistungsgeminderten Arbeitnehmer genommen, für die ein leidensgerechter Arbeitsplatz gesucht werde.

Am 15.10.2008 fand dann eine Besprechung einer im Betrieb bestehenden, paritätisch besetzten Kommission (u.a. der Betriebsratsvorsitzende und die Vertrauensperson der Schwerbehinderten) statt, die zu dem einstimmigen Ergebnis kam, dass für den Kläger kein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden sei.

Am 23.10.2008 erhielt der im Betrieb bestehende Betriebsrat ein arbeitgeberseitiges Schreiben betreffend die Anhörung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers. Hinsichtlich des Inhalts wird verwiesen auf die Kopie als Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 07.04.2009 (Bl. 86 ff. d.A.).

Der Betriebsrat widersprach am 27.10.2009 der beabsichtigten Kündigung unter Hinweis auf eine Beschäftigungsmöglichkeit im „Öldienst B 8“ (Bl. 10 d.A.).

Mit Schreiben vom 29.10.2008, zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2009 (Bl. 9 d.A.).

Dagegen hat sich der Kläger klageweise gewandt und die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates bestritten.

Davon abgesehen hat er die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Wegen der namentlich im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat erhobenen Vorwürfe handele es sich in erster Linie um eine betriebs- bzw. verhaltensbedingte Kündigung, die als solche unwirksam sei.

Aber auch krankheitsbedingt könne sie nicht gerechtfertigt werden. So seien die Arbeitsunfähigkeitszeiten in den Jahren 2006 und 2007 im Wesentlichen auf einen im Jahr 2006 festgestellten und zunächst falsch behandelten Diabetes mellitus zurückzuführen gewesen. Nach erfolgter Neueinstellung sei jetzt nicht mehr mit entsprechenden Ausfallzeiten zu rechnen.

Er könne weiterhin als Bediener der Sandstrahlanlage in der Früh- und Spätschicht tätig werden; im Übrigen müsse bestritten werden, dass er überhaupt arbeitsvertraglich verpflichtet sei, auch in der Nachtschicht zu arbeiten.

Davon abgesehen sei er in den Bereichen „Transport/die Tischbedienung“, Packstube das Leergut“, „Beizen ……., unten“, „Roto Finish-Anlagen ……., unten“, „Hunzicker-Anlage, ……., unten“ und „Querlenkern leeren, testen, beizen“ einsetzbar.

Letztlich sei auch bis heute kein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden.

Soweit hier noch von Interesse, hat der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die am 29.10.2009 geschriebene und zugegangene Kündigung nicht aufgelöst worden ist, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungstermin hinaus fortbesteht, hilfsweise – und nur für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag nach Ziffer 1) – die beklagte Partei zu verurteilen, die klagende Partei zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber wenn möglich einen Betrag von 21.000,– EUR brutto nicht überschreiten sollte, zum Ablauf des 28.02.2009 aufzulösen.

Sie hat behauptet, durch das vierseitige Schreiben an den Betriebsrat sei dieser vollumfänglich über den Sachverhalt informiert worden.

Die Kündigung sei ausschließlich aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

Aus dem Fehlzeitenverlauf ergebe sich die notwendige negative Zukunftsprognose. Die Entgeltfortzahlungsbelastung stelle die erforderliche erhebliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen dar.

Davon abgesehen könne der Kläger nach der letzten arbeitsmedizinischen Stellungnahme gar nicht mehr dauerhaft beschäftigt werden. Sein Arbeitsplatz erfordere die regelmäßige Leistung von Nachtschichtarbeit, wozu er nicht mehr imstande sei. – Andere leidensgerechte Arbeitsplätze ständen nicht zur Verfügung. So sei namentlich die Arbeit als Querlenker-Prüfer zu Ende Oktober 2008 weggefallen, weil die Prüfung nunmehr automatisiert vorgenommen werde.

Hilfsweise hat die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung begehrt, weil eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten sei. Sie stützt sich zur Begründung auf folgende Ausführungen im klägerischen Schriftsatz vom 05.05.2009, Seite 14 f.: “ Der Kläger behauptet, die arbeitsmedizinischen Einschränkungen seien zwischen der Beklagten und dem Arbeitsmediziner „ausgehandelt“ worden; jedenfalls sei er im Hinblick auf die Festlegung des Arbeitsmediziners sehr skeptisch.“

Darin liege der Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Arbeitsmediziner; impliziert werde eine bewusst falsche ärztliche Beurteilung, um dem Kläger leichter kündigen zu können.

Darüber hinaus werde in dem genannten Schriftsatz auf Seite 12 unzulässigerweise behauptet, es sei ein (bewusst) fehlerhaftes Eingliederungsmanagement durchgeführt worden.

Der Kläger hat beantragt, den Hilfsantrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die schriftlichen Äußerungen seien noch von der korrekten Wahrnehmung prozessualer Rechte gedeckt. Angesichts der unterschiedlichen arbeitsmedizinischen Stellungnahmen im Mai 2007 und September 2008 gehe er davon aus, es liege keine ordnungsgemäße ärztliche Diagnostik vor. Nur dies habe er in die schriftsätzlichen Ausführungen aufgenommen, zugespitzt dargestellt und im letzten Halbsatz bereits wieder abgeschwächt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.12.2009 der Klage, gerichtet gegen die Kündigung, stattgegeben, sie aber im Übrigen abgewiesen und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.000,– EUR aufgelöst.

Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, es liege kein Fall der Leistungsunmöglichkeit vor, weil nicht ersichtlich sei, warum der Kläger seine Arbeit nicht ausschließlich in der Früh- und Spätschicht erbringen könne.

Auch auf häufige Kurzerkrankungen könne die Kündigung nicht gestützt werden. So habe der Kläger in den Jahren 2000 bis 2005 keine nennenswerten Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgewiesen. Angesichts der im Jahre 2006 festgestellten Diabetes mellitus, dessen Behandlung sich anfangs schwierig gestaltet habe, sei es der Beklagten im Kündigungszeitpunkt namentlich in Bezug auf die Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten noch zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

Es sei aber aufzulösen, weil der Kläger ins Blaue hinein ohne irgendwelche Anhaltspunkte gegenüber der Beklagten die ehrverletzende Behauptung aufgestellt habe, sie habe mit dem Arbeitsmediziner die festgestellten Beschränkungen ausgehandelt.

Gegen diese Entscheidung wenden sich der Kläger mit der Berufung und die Beklagte mit der Anschlussberufung.

Der Kläger nimmt Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen und weist ergänzend darauf hin, dass im Rahmen des Auflösungsbegehrens berücksichtigt werden müsse, dass die inkriminierte Äußerung zum „Aushandeln“ aus der Feder des Prozessbevollmächtigten stamme und sofort relativiert worden sei.

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Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 01.12.2009 – 2 Ca 2541/08 – teilweise abzuändern und den Antrag der Beklagten, gerichtet auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, zurückzuweisen, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab sofort bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und – im Wege der Anschlussberufung – das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 01.12.2009 – 2 Ca 2541/08 – teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Sie nimmt ebenfalls auf ihren erstinstanzlichen Vortrag Bezug. Ergänzend führt sie zur Begründung der streitbefangenen Kündigung aus, die generelle Herausnahme eines Arbeitnehmers aus einer Schicht könne nicht einfach nur mit einem erhöhten organisatorischen Aufwand aufgefangen werden.

Davon abgesehen sei die Kündigung auch wegen häufiger Kurzerkrankungen gerechtfertigt, weil in die Interessenabwägung einbezogen werden müsse, dass der Kläger mehrfach am Arbeitsplatz einen Zuckerschock erlitten habe.

Was den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag angehe, stamme der Satz betreffend die „Aushandlung“ der arbeitsmedizinischen Einschränkung vom Kläger selbst.

Eine gedeihliche Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich, wenn dieser den Betriebsparteien ein bewusst fehlerhaftes Eingliederungsmanagement und dem Arbeitsmediziner und ihr, der Beklagten, ein kollusives Zusammenwirken zu seinen Lasten unterstelle.

Der Kläger beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, während die zulässige Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen war.

I.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage, gerichtet gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2008, stattgegeben, weil die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam ist. Gründe in der Person des Klägers aus Anlass von Krankheiten liegen nämlich nicht vor, und zwar weder unter dem Aspekt der dauernden Leistungsunfähigkeit noch unter dem Gesichtspunkt häufiger (Kurz-)Erkrankungen.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG, 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398; 23.04.2008 – 2 AZR 1012/06 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 55; 19.04.2007 – 2 AZR 239/06 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 45) ist in Fällen einer krankheitsbedingten Kündigung immer eine dreistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst bedarf es einer negativen Gesundheitsprognose (erste Stufe). Aufgrund dessen muss es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen kommen (zweite Stufe). Schließlich ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die festgestellten Beeinträchtigungen arbeitgeberseits billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe).

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die streitbefangene Kündigung rechtsunwirksam.

1) Soweit sich die Beklagte, anknüpfend an die arbeitsmedizinischen Ausführungen von Dr. …. in seiner Stellungnahme vom 16.09.2008 (nicht 2009), auf eine dauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers stützt, kann dies ihr Begehren nicht rechtfertigen. Denn es wird von ihr auch in der zweiten Instanz an keiner Stelle substantiiert ausgeführt, warum der Kläger nicht als Bediener an der Sandstrahlanlage ausnahmsweise mit Rücksicht auf seine gesundheitlichen Einschränkungen nur in der Früh- und Spätschicht eingesetzt werden kann – und auf diese Weise voll leistungsfähig bleibt. Statt im Schriftsatz vom 01.03.2010 auf Seite 4 lediglich auf die generelle Verfahrensweise hinzuweisen und mögliche Folgen bei einer Herausnahme eines Arbeitnehmers nur abstrakt anzudeuten, hätte sie gerade in Anbetracht der vom Arbeitsgericht getroffenen Feststellungen im Einzelnen ausführen müssen, warum es betrieblich nicht zumutbar ist, den Kläger, arbeitsmedizinisch zwingend begründet, nur zwei- statt dreischichtig einzusetzen.

Davon abgesehen ist die Beklagte an keiner Stelle darauf eingegangen, warum ein Einsatz des Klägers in dem von ihm im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19.05.2009 genannten Bereichen auch ausscheidet.

2) Soweit sich die Beklagte auf häufige Kurzerkrankungen stützt, ist schon äußerst zweifelhaft, ob die wiedergegebenen Fehlzeiten in der Vergangenheit die erforderliche negative Zukunftsprognose (erste Stufe) rechtfertigen. So ergeben sich für das Jahr 2008 bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 29.10.2008 „lediglich“ insgesamt 19 Ausfalltage, also deutlich unter der Grenze von sechs Wochen, für die ein Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Entgeltfortzahlung zu erbringen hat. Im Verhältnis zu den Jahren 2006 mit 60 und 2007 mit 42 Ausfalltagen ergibt sich also ein Rückgang von 41 bzw. 23 Tagen der Arbeitsunfähigkeit. Dieser Verlauf passt zu der Einlassung des Klägers, dass es in den Jahren 2006 und 2007 Schwierigkeiten gegeben habe, den festgestellten Diabetes mellitus richtig zu behandeln.

Jedenfalls lässt sich aus den Zahlen nicht verlässlich ableiten, dass der Kläger auch in Zukunft in erheblichem Umfang krankheitsbedingt ausfallen wird, zumal er in den sechs Jahren zuvor von 2000 bis 2005 auch keine kündigungsrelevanten Ausfallzeiten zu verzeichnen hatte.

Damit korrespondiert, dass auf der zweiten Stufe (erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen) auch keine beträchtlichen wirtschaftlichen Belastungen in Gestalt zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen pro Jahr festgestellt werden können, gerade wenn man beachtet, dass die Beklagte im Jahre 2008 vor Ausspruch der Kündigung „nur“ für 16 von 19 Ausfalltagen Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.191,00 EUR geleistet hat – gegenüber 5.641,31 EUR bzw. 6.887,27 EUR in den Jahren 2007 und 2006.

Letztlich führt auch die gebotene Interessenabwägung (dritte Stufe) dazu, dass bei einem über 12 Jahre ununterbrochen andauernden Arbeitsverhältnis, in dem es seit dem Jahr 2000 mit Ausnahme zweier Jahre zu keinen überdurchschnittlichen Krankheitsausfällen gekommen ist, namentlich auch nicht im letzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung, eine auf häufige Kurzerkrankungen gestützte Kündigung ungerechtfertigt ist.

II.

Der für den festgestellten Fall der Sozialwidrigkeit der Kündigung gestellte Antrag der Beklagten, gestützt auf § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 KSchG, ist entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ebenfalls nicht begründet.

Nach der genannten Bestimmung kann das Arbeitsverhältnis gerichtlicherseits auf Antrag des Arbeitgebers aufgelöst werden, wenn im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lassen.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt z.B. 08.10.2009 – 2 AZR 682/08 – EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 10.07.2008 – 2 AZR 1111/06 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181; 23.06.2005 – 2 AZR 256/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52) kommt nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes bei einer sozialwidrigen Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nur ausnahmsweise in Betracht, so dass an die Gründe strenge Anforderungen zu stellen sind. Erforderlich ist ein Sachverhalt, der die Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entfallen lässt. In dem Zusammenhang ist es möglich, dass einmal bestandene Auflösungsgründe ihr Gewicht wieder verlieren, weil sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geändert haben.

Als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzenden Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder Arbeitskollegen. In dem Zusammenhang können auch vom Arbeitnehmer veranlasste Erklärungen seines Prozessbevollmächtigten, wenn er sie sich zu eigen gemacht hat, relevant sein; allerdings ist zu berücksichtigen, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse gedeckt sein können.

Nach diesen Grundsätzen kann hier nicht, bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 21.05.2010, festgestellt werden, dass die notwendige Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Parteien entfallen ist.

1) Allerdings hat der Kläger durch die von seinem Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 05.05.2009 wiedergegebene Behauptung, die vom Arbeitsmediziner Dr. Q1-B1 im September 2008 festgestellten Einschränkungen des Arbeitseinsatzes habe die Beklagte mit dem Arzt „ausgehandelt“, seinem Arbeitgeber ein unlauteres Verhalten unterstellt, ohne dafür entsprechende Belege zu haben. Die darin liegende ehrverletzende Äußerung hat er aber im folgenden Halbsatz sofort wieder dahingehend eingeschränkt, er stehe jedenfalls den ärztlichen Festlegungen skeptisch gegenüber. Letztlich ist er also nicht bei dem gravierenden Vorwurf gegenüber der Beklagten geblieben und hat diesen auch im weiteren Fortgang des Prozesses nicht wiederholt.

In dem Zusammenhang darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem Kläger noch im Mai 2007 von Seiten des Arbeitsmediziners Dr. Q1-B1 die Arbeitsfähigkeit attestiert worden war. Wenn derselbe Mediziner dann ein gutes Jahr später im September 2008 nach einer Untersuchung und einer Arbeitsplatzbesichtigung zu der Erkenntnis kam, Nachtschichtarbeit sei nicht mehr möglich, ist es nachvollziehbar, dass der um seinen Arbeitsplatz fürchtende Kläger dieses vehement in Frage stellte. Dies rechtfertigt zwar nicht die getroffene Aussage, es sei etwas ausgehandelt worden, lässt sie aber in einem weniger gravierenden Licht erscheinen, zumal sie sofort relativiert wurde.

2) Was die im Schriftsatz vom 05.05.2009 auf Seite 12 getroffene Aussage eines (bewusst) fehlerhaften Eingliederungsmanagements angeht, findet sich dieser Satz in den allgemeinen Ausführungen zur Bedeutung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, ist also gar nicht bezogen auf das Verhalten der Beklagten. Anschaulich wird dies durch die anschließenden Darlegungen unter V. 2., die sich spezifisch auf die Beklagte beziehen und wo „nur“ von einem Bestreiten die Rede ist.

III.

Der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Fortbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen ergibt sich aus den §§ 611, 613, 242 BGB i.V.m. Artikel 1, 2 Abs. 1 GG.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Großen Senats des BAG (AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14) kann der gekündigte Arbeitnehmer die arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung über den Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen Kündigung hinaus verlangen, wenn diese unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen.

In Fällen wie hier, wo die Kündigung, wie unter I. der Gründe festgestellt, rechtsunwirksam ist und der Auflösungsantrag zurückzuweisen war, überwiegt in aller Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. In einer solchen Situation ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, zusätzliche Umstände darzulegen, aus denen sich im Einzelfall ein fortdauerndes vorrangiges Interesse ergibt, den Arbeitnehmer trotzdem nicht zu beschäftigen (BAG AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14, Bl. 13 R).

Solche besonderen Umstände sind vorliegend von der Beklagten nicht dargelegt worden. So war auch dem Beschäftigungsbegehren des Klägers stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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