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Verkehrsunfall mit Personenschaden – entgangener Gewinn

Bundesgerichtshof

Az: VI ZB 53/08

Beschluss vom 20.10.2009


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2009 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 14. Juli 2008 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 56.000 EUR.

Gründe:

I.
Der Antragsteller erlitt am 31. Oktober 2005 einen Verkehrsunfall, für den die volle Haftung der Antragsgegnerin dem Grunde nach unstreitig ist. Seit diesem Unfall kann er seiner früheren Arbeitstätigkeit nicht mehr nachgehen. Er begehrt im Wege des selbständigen Beweisverfahrens die Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu, in welcher Höhe ihm im Zeitraum vom 1. November 2005 bis zum 31. Dezember 2006 als Inhaber einer Polsterei für Sitz- und Liegemöbel sowie als 60-prozentiger Gesellschafter der Firma S. GmbH durch den Verkehrsunfall ein Gewinn im Sinne des § 252 BGB entgangen ist.

Zur Begründung hat er vorgetragen, seinem Steuerberatungsbüro sei es aufgrund fehlender Sachkunde nicht möglich, eine Berechnung des ihm entgangenen Gewinns durchzuführen. Auch sei eine umfangreiche Außenprüfung des Finanzamts erfolgt, durch die es zu umfangreichen Berichtigungen der Steuerbescheide für die Jahre 1998 bis 2002 gekommen sei. Es sei ihm nicht zuzumuten, seinen Verdienstausfallschaden pauschal anhand der korrigierten Steuerbescheide ins Blaue hinein zu schätzen, oder ein Privatgutachten eines Wirtschaftssachverständigen einzuholen.

Das Landgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil es sich bei der Ermittlung des entgangenen Gewinns nicht um die Feststellung des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens handele (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob es sich um die „Feststellung des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens“ handele. Der Antrag sei bereits mangels hinreichender Konkretisierung unzulässig. Zwar sei zur Vermeidung eines Rechtsstreits nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO ein rechtliches Interesse des Antragstellers in der Regel anzunehmen. Auch bei einer Beweiserhebung nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO sei aber nach § 487 Nr. 2 ZPO ein gewisses Maß der Substantiierung des Beweisthemas und des Vortrags zu fordern. Aufgrund der Steuerprüfung mit anschließender Berichtigung der Steuerbescheide, der erstellten Bilanzen bzw. Einnahmen-Überschuss-Berechnungen und des seit dem Unfall vergangenen Zeitraums, aufgrund dessen entsprechende Angaben auch für die Folgejahre vorliegen müssten, verfüge der Antragsteller (zumindest unter Mithilfe seines Steuerberaters) über hinreichende Kenntnisse, die zumindest eine grobe, vom Sachverständigen überprüfbare Darstellung des behaupteten entgangenen Gewinns erlaubten. Der Antragsteller habe diesen aber nicht einmal grob dargetan. Ebenso wie im Rahmen des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO der erlittene Personenschaden zumindest hinsichtlich der erlittenen Verletzungen oder der gefühlten Gesundheitsbeeinträchtigungen zu konkretisieren sei, sei auch ein Minimum an Substantiierung in Bezug auf den angeblich erlittenen Vermögensschaden zu fordern. Dazu gehöre die Darstellung des vor dem Unfall erzielten Gewinns und die Darstellung des danach erzielten, wenn die Firma fortgeführt werde. Haben – wie vom Antragsteller behauptet – Dritte überobligatorische Leistungen zur Minimierung des Schadens erbracht, gehöre ferner zur Substantiierung die Darstellung dieser Leistungen und ein zumindest kurzer Vortrag dazu, weshalb es sich um „überobligatorische“ Leistungen handele. Eine andere Sichtweise liefe auf eine auch im Rahmen des § 485 Abs. 2 ZPO unzulässige Ausforschung hinaus, obgleich im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens an die Substantiierung der Beweisfragen keine hohen Anforderungen zu stellen seien.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 575 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, im Streitfall bestehe kein Anspruch auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens, hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1.

Im selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es allerdings grundsätzlich möglich, nach einem Personenschaden den entgangenen Gewinn mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens ermitteln zu lassen. § 485 Abs. 2 ZPO hat eine Sonderregelung für Fälle geschaffen, in denen ein selbständiges Beweisverfahren unabhängig vom drohenden Verlust eines Beweismittels zweckmäßig erscheint, weil es eine vorprozessuale Einigung der Parteien erleichtert. Dies sind Fälle, in denen es in erster Linie auf die Feststellung tatsächlicher Umstände durch eine schriftliche Begutachtung durch Sachverständige ankommt. Gegenstand des Gutachtens kann der Zustand einer Person, der Wert einer Sache, die Ursache eines Personen- oder Sachschadens oder Sachmangels und der Aufwand für die Beseitigung solcher Schäden und Mängel sein, ohne dass ein Sicherungszweck erforderlich ist (vgl. BT-Drucks. 11/3621 vom 1. Dezember 1988, S. 23, 41 f.). Voraussetzung ist lediglich, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung hat; ein solches ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Der Begriff des „rechtlichen Interesses“ ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse nur in völlig eindeutigen Fällen verneint werden, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2004 – III ZB 33/04 – NJW 2004, 3488).

Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Ermittlung des dem Antragsteller entgangenen Gewinns grundsätzlich zulässig, weil der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran hat, den Aufwand für die Beseitigung eines von ihm erlittenen Personenschadens festzustellen (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Die Feststellung des dem Antragsteller möglicherweise entgangenen Gewinns durch eine schriftliche Begutachtung kann der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen. Es handelt sich auch um die Feststellung des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens. Zu den Personenschäden gehören nämlich auch solche Nachteile, die auf die Gesundheitsverletzung zurückzuführen sind, also sich als Folge aus dem in der Person entstandenen Schaden ergeben. Ist wegen der Verletzung einer Person Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte gemäß § 249 BGB Ersatz der erforderlichen Herstellungskosten verlangen, d.h. insbesondere die Kosten für notwendige Heilbehandlungen sowie Kur- und Pflegekosten. Daneben umfasst der zu ersetzende Schaden gemäß §§ 252, 842 BGB auch den entgangenen Gewinn. Wird infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder gemindert oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist ihm darüber hinaus gemäß § 843 BGB Schadensersatz durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten (vgl. Senatsurteil vom 10. Januar 2006 – VI ZR 43/05 – VersR 2006, 521). Der Begriff des Personenschadens bezieht sich somit auch auf den erlittenen Erwerbsschaden oder entgangenen Gewinn und erfasst alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann, die also der Mangel der vollen Einsatzfähigkeit seiner Person mit sich bringt (vgl. Senat BGHZ 176, 109 Rn. 9; vgl. auch OLG Oldenburg VersR 1967, 900, 901; Erman/Ebert, BGB, 12. Aufl., § 252 Rn. 1 ff.; Geigel/Pardey, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 4 Rn. 1, 56 ff.; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 8. Aufl., Rn. 1; Wussow/Schneider, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kap. 80 Rn. 27). Demgemäß handelt es sich bei dem entgangenen Gewinn um einen „Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens“ im Sinne des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO, der alle anfallenden Kosten für eine notwendige Leistung in Geld oder Zeit zur Minderung eines Personenschadens, auch durch einen Dritten, erfasst (vgl. OLG Nürnberg VersR 2009, 803, 805; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. § 485 Rn. 13; MünchKommZPO/-Schreiber, 3. Aufl., § 485 Rn. 16; Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl., § 485 Rn. 12).

2.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist allerdings nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht im konkreten Fall den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen hat. Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass der Antragsteller keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für die begehrte Feststellung durch den Sachverständigen dargetan hat.

Das Sachverständigengutachten soll als Grundlage für einen Anspruch aus §§ 842, 843 Abs. 1 BGB dienen, über den gegebenenfalls unter Berücksichtigung der durch §§ 287 Abs. 1 ZPO, 252 Satz 2 BGB gewährten Erleichterungen in einem Hauptsacheverfahren zu entscheiden ist. Nach der Rechtsprechung des Senats dürfen zwar im Allgemeinen für die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbständigen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 2004 – VI ZR 138/03 – VersR 2004, 874, 875 m.w.N.). Für die Schätzung des Erwerbsschadens eines Verletzten müssen aber hinreichende Anknüpfungstatsachen dargelegt werden. Der zu ersetzende Schaden setzt voraus, dass sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt hat. Deshalb bedarf es grundsätzlich der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadensermittlung, um dem Sachverständigen eine ausreichende Grundlage für die sachlichrechtliche Wahrscheinlichkeitsprognose des § 252 BGB und in der Folge für eine gerichtliche Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu geben (vgl. Senat BGHZ 54, 45, 49 ff.; 90, 334, 336; Urteile vom 22. Dezember 1987 – VI ZR 6/87 – VersR 1988, 466, 467; vom 17. Januar 1995 – VI ZR 62/94 – VersR 1995, 422, 424).

Auch wenn man berücksichtigt, dass sich aus dem besonderen Charakter des selbständigen Beweisverfahrens und dem mit ihm verfolgten Zweck, einen Rechtsstreit zu vermeiden, möglicherweise niedrigere Anforderungen an die Darlegungslast ergeben und deshalb die Angabe der Beweistatsachen in groben Zügen ausreichen soll (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 487 Rn. 5; MünchKommZPO/Schreiber, aaO, § 487 Rn. 4; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 12. Aufl. Rn. 54, jeweils m.w.N.), ist jedenfalls ein Minimum an Substantiierung in Bezug auf den angeblich erlittenen Vermögensschaden zu fordern. Nur so ist der Verfahrensgegenstand zweifelsfrei abgrenzbar und hat der Sachverständige eine ausreichende Grundlage für die ihm übertragene Tätigkeit, ohne dass er die rechtlichen Voraussetzungen für die Ermittlung des Schadens selbst bewerten muss. Es handelt sich dabei nicht um eine im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich nicht zulässige Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung, sondern nur um die Darlegung der Anknüpfungstatsachen, die für die Einholung eines Sachverständigengutachtens unerlässlich ist.

Im Hinblick darauf hat das Beschwerdegericht nicht zu viel verlangt, wenn es vom Antragsteller zumindest eine grobe Darlegung des behaupteten entgangenen Gewinns und der behaupteten überobligatorischen Tätigkeiten seiner Mitgesellschafterin und Ehefrau in der Zeit nach dem Unfall verlangt hat. Eine solche grobe Darlegung ist im Hinblick auf ergangene Steuerbescheide, vorhandene Bilanzen und Einnahmen-Überschuss-Berechnungen und des Umstandes zumutbar, dass nur der Antragsteller weiß, welche überobligatorischen Tätigkeiten seine Ehefrau geleistet haben soll.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

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