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Pflegeheimvertrag – Kündigungsgründe

LG Freiburg

Az.: 3 S 48/12

Urteil vom 05.07.2012


Leitsatz (nicht amtlich – vom Verfasser): Der beharrliche Verstoß gegen das in einem Heimvertrag festgelegte Rauchverbot kann ein Kündigungsgrund des Heimvertrages auch bei eingeschränkter Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Heimbewohners sein. Vorgänge wie das Ausspucken oder Werfen von Essensresten sind in einem Pflegeheim nicht so ungewöhnlich, dass einzelne Vorfälle ohne Hinzutreten weiterer Umstände einen Kündigungsgrund darstellen könnten. Das Betteln in der Umgebung eines Heimes ist ebenfalls kein Kündigungsgrund. Wird auf Grund jeweils getrennter Heimverträge an Eheleute ein Doppelzimmer vermietet, kann die Pflichtverletzung nur eines der Beiden dem jeweils Anderen nicht zugerechnet werden.


1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 20. Januar 2012 – 7 C 2476/11 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, das ihr als Wohnraum überlassene Zimmer Nr. 101 im ersten Obergeschoss des „(…)“ zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagten zu 1 wird eine Räumungsfrist bis 31. Oktober 2012 gewährt.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden wie folgt verteilt:

Der Kläger trägt die Hälfte der Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2.

Die Beklagte zu 1 trägt die Hälfte der Gerichtskosten sowie die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Im Übrigen behalten die Parteien ihre Kosten auf sich.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 1 kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten zu 2 wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte zu 2 vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

6. Beschluss

Der Streitwert (§ 63 Abs. 2 GKG) des Berufungsverfahrens wird festgesetzt auf 25.909,00 EUR.

Gründe

I.

Der Kläger, ein gemeinnütziger Verein, betreibt in F. das Pflegeheim (…). Die beklagten Eheleute zogen im April 2005 in das Pflegeheim ein. Sie bewohnen im ersten Obergeschoss gemeinsam ein Doppelzimmer. Im März 2010 wurden die beiden Heimverträge erneuert, wobei die Beklagten bei Vertragsschluss durch ihre Betreuerin vertreten wurden (zu den Einzelheiten vgl. die mit der Klage vorgelegten Heimverträge, AS. I 29 und I 141).

Mit Schreiben vom 25. Juli 2011 (I 251) hat der Kläger beide Vertragsverhältnisse fristlos sowie hilfsweise zum 30. September 2011 gekündigt. Der Kläger stützt sich jeweils auf § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG i.V.m. § 13 Abs. 5 c der jeweiligen Heimverträge. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 (I 413) hat der Kläger gegenüber dem Beklagten zu 2 eine weitere Kündigung ausgesprochen.

Der Kläger hat behauptet, beide Beklagten hätten in der Vergangenheit wiederholt und beharrlich die vertraglich übernommenen Pflichten verletzt, sodass eine weitere Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar sei. Insbesondere hätten beide Beklagten wiederholt und beharrlich gegen das Rauchverbot innerhalb des Heimgebäudes verstoßen und in ihrem Zimmer geraucht. Trotz mehrfacher Aufforderungen, das Rauchen zu unterlassen, hätten die Beklagten ihr Verhalten nicht geändert. Wiederholt hätten die Beklagten Essensreste im Zimmer ausgespuckt oder aus dem Fenster geworfen sowie außerhalb des Heims gebettelt. Insbesondere der Beklagte zu 2 habe dieses Verhalten teilweise auch nach der ersten Kündigung fortgesetzt. Ferner habe er sich anderen Heimbewohnerinnen gegenüber in sexuell belästigender Weise verhalten. Dies rechtfertigte die zweite Kündigung.

Die Beklagten haben den Vortrag des Klägers in erster Instanz überwiegend bestritten. Eingeräumt haben sie, dass sie gebettelt haben. Sie haben ferner geltend gemacht, nicht oder jedenfalls nur eingeschränkt schuldfähig zu sein.

Nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Pflegehelferin P. hat das Amtsgericht mit Urteil vom 20. Januar 2012 der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Beklagten zu 1 und 2 dem Antrag der Klägerin entsprechend verurteilt, das ihnen als Wohnraum überlassene Zimmer Nr. (…) im ersten Obergeschoss des (…) zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben.

Mit der Berufung greifen die beiden Beklagten das Urteil des Amtsgerichts in vollem Umfang an. Nach Zustellung des Urteils an den Beklagtenvertreter am 26. Januar 2012 haben die Beklagten am 15. Februar 2012 beim Landgericht Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungsverfahren gestellt. Die Kammer hat dem Antrag mit Beschluss vom 16. März 2012 stattgegeben. Am 23. März 2012 ist die mit einem Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der Berufungsfrist verbundene und mit gleichem Schriftsatz bereits begründete Berufung beim Landgericht eingegangen.

Die Beklagten bringen im Wesentlichen vor:

Das erstinstanzliche Urteil sei unter Verletzung rechtlichen Gehörs zu Stande gekommen, weil der vom Amtsgericht in der Verhandlung beigezogene Dolmetscher für Rumänisch sich mit den Beklagten nicht habe verständigen können. Ferner habe das Amtsgericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, indem es zugelassen habe, dass der Zeugin P. durch den Klägervertreter Vorhaltungen aus der Pflegedokumentation über die beiden Beklagten gemacht worden seien, ohne dass diese Dokumentation zu dem Zeitpunkt dem Beklagtenvertreter vorgelegen habe. Das Urteil sei auch materiell nicht rechtmäßig. Eine Pflichtverletzung sei nur hinsichtlich der Beklagten 1 (in Form von Verstößen gegen das Rauchverbot) nachgewiesen. Bezüglich des Beklagten zu 2 sei dies nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Fall. Eine Zurechnung könne hier nicht stattfinden, es lägen getrennte Mietverträge vor. Die Einsicht- und Steuerungsfähigkeit der Beklagten sei zumindest herabgesetzt; falls ein Verschulden danach überhaupt vorliege, wiege es nicht hinreichend schwer. Der Vortrag der Klägerin zu anderen Kündigungsgründen sei unsubstantiiert und von vornherein nicht geeignet, eine Kündigung zu tragen. Insbesondere sei Betteln per se weder polizeirechts- noch vertragswidrig.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 20. Januar 2012 – 7 C 2476/11 – aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens und Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das amtsgerichtliche Urteil Bezug genommen. Die Kammer hat die beiden Beklagten im Termin am 21. Juni 2012 unter Vermittlung einer Dolmetscherin für die serbokroatische Sprache persönlich angehört.

II.

Die Berufung der Beklagten ist nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

1.

Die Kammer gewährt den Beklagten Wiedereinsetzung in die von ihr zunächst versäumte Frist zur Einlegung der Berufung (§ 233 ZPO). Die Voraussetzungen hierfür liegen nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. nur BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 290/10 – , NJW 2010, Seite 2567 Rn. 17) vor.

Auch im Übrigen ist die Berufung zulässig.

2.

Soweit die Beklagte zu 1 zur Räumung und Herausgabe verurteilt worden ist, hat die Berufung jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Amtsgericht vielmehr entschieden, dass dem Kläger gegen die Beklagte zu 1 ein Räumungs- und Herausgabeanspruch aus § 985 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien geschlossen Vertrag besteht. Die Kündigung vom 25. Juli 2011 war der Beklagten gegenüber nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, Abs. 4 WBVG wirksam, wobei es zum jetzigen Zeitpunkt dahinstehen kann, ob die Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erfolgen konnte oder ob nur die hilfsweise erklärte Kündigung zum 30. September 2011 wirksam ist.

a)

Die Beklagte zu 1 hat vertragliche Pflichten verletzt, indem sie wiederholt und beharrlich in ihrem Zimmer entgegen § 15 Abs. 5 des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geraucht hat. Die diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts hat die Berufung nicht angegriffen. Soweit sich die Beklagte zu 1 bei ihrer persönlichen Anhörung dahin geäußert hat, dass sie immer nur draußen rauche, stehen die amtsgerichtlichen Feststellungen dem entgegen. Sie sind auf der Grundlage der Vernehmung der Zeugin P. in nicht zu beanstandender und für die Kammer nachvollziehbarer Weise getroffen worden.

b)

Der Pflichtverstoß wurde nach Überzeugung der Kammer von der Beklagten zu 1 schuldhaft begangen und wiegt auch hinreichend schwer, um als gröblich im Sinne des Gesetzes gewertet zu werden.

aa)

Die Kammer hält es für möglich und unterstellt zu Gunsten der Beklagten zu 1, dass sie in ihrer Einsichts- und Steuerungsfähigkeit durchaus eingeschränkt ist. Überzeugt ist die Kammer nach ihrem persönlichen Eindruck von der Beklagten zu 1 in der mündlichen Verhandlung jedoch, dass die Verschuldensfähigkeit der Beklagten nicht ausgeschlossen ist (§ 276 Abs. 1 Satz 2, § 827 BGB).

Die Tatsache, dass die Beklagte zu 1 unter Betreuung steht, genügt nicht, um ihre Schuldfähigkeit auszuschließen (vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 71. Auflage 2012, § 827 Rn 2). Eine Verständigung auch mit der Beklagten zu 1 war der im Termin anwesenden Dolmetscherin möglich, auch wenn sie nachvollziehbar angegeben hat, dass es einfacher sei, mit dem Beklagten zu 2 zu sprechen. Die Beklagte zu 1 hat auf Frage des Gerichts bzw. der Dolmetscherin verneint, im Zimmer zu rauchen. Sie hat ferner angegeben, ca. eine Schachtel Zigaretten am Tag zu rauchen, dies jedoch ausschließlich draußen zu tun. Auf die Frage nach dem Grund hat sie angegeben, sie dürfe im Zimmer nicht rauchen. Die Beklagte zu 1 hatte die ihr gestellten Fragen verstanden und konnte darauf sinnvolle Antworten geben. Insbesondere hat sie offensichtlich verstanden, dass es ihr nicht gestattet ist, in ihrem Zimmer zu rauchen. Sie war zeitlich und räumlich durchaus orientiert und hat offensichtlich verstanden, dass sie sich vor Gericht befand und in einer Situation, in der die Frage ihres Rauchverhaltens Konsequenzen haben konnte. Nach alledem kann die Kammer nicht annehmen, dass die Beklagte zu 1 von vornherein nicht in der Lage wäre, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Sie sieht sich zu dieser Feststellung auch ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen aufgrund eigener Sachkenntnis in der Lage. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehlt es aus Sicht der Kammer auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen.

bb)

Auch wenn man von einer durchaus etwa den Grad § 21 StGB erreichenden Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Beklagten zu 1 ausgeht, folgt doch aus den Wahrnehmungen der Kammer, die bereits geschildert wurden, dass die Beklagte zu 1 gerade das hier gegenständliche Rauchverbot durchaus verstanden hat und auch in der Lage ist – und sich selber dazu in der Lage sieht – , diesem nachzukommen. Angesichts der Häufigkeit der vom Amtsgericht festgestellten und dokumentierten Verstöße und der Gefahren, die aus dem vertragswidrigen Rauchen im Zimmer resultieren, bewertet die Kammer den Pflichtverstoß auch als gröblich.

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c)

Bei wertender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist die Kammer schließlich auch der Auffassung, dass dem Kläger ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. Zwar geht die Kammer, wie dargelegt, von einer nur eingeschränkten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Beklagten aus. Auf der anderen Seite ist jedoch zu sehen, dass der Verstoß häufig und letztlich vorsätzlich geschehen ist. Die Kammer sieht ferner nicht, dass der Kläger vertraglich gehalten wäre, bessere Rauchmöglichkeiten für die Bewohner, insbesondere die Beklagte zu 1 zu schaffen. Es bestehen Rauchmöglichkeiten auf den Terrassen und – überdacht – im Eingangsbereich. Die Beklagte zu 1 hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass es für sie mit besonderen, unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden wäre, diese Rauchmöglichkeiten wahrzunehmen. Schließlich sind ganz entscheidend die aus dem Rauchen resultierenden Gefahren für die anderen Heimbewohner zu sehen. Zwar wurde in der mündlichen Verhandlung erörtert, dass der Kläger bereits einen Rauchmelder im Zimmer der Beklagten angebracht hat. Dieser reagiert nach letztlich übereinstimmendem Vorbringen in der Berufungsverhandlung allerdings nicht auf den Rauch einzelner Zigaretten, sondern würde erst bei stärkerer Rauchentwicklung, etwa bei einem beginnenden Brand reagieren. Die Kammer hält den Kläger jedoch nicht für verpflichtet, weitere Brandvorbeugung dadurch zu betreiben, dass ein sensiblerer Rauchmelder angebracht wird. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass dies, um sinnvoll zu sein, mit einem erheblichen Personal- und Überwachungsaufwand verbunden wäre. Bei der gegebenen Vertragskonstruktion (vgl. unten 3.b.ee) kann es sich schließlich auch nicht entscheidend zu Gunsten der Beklagten zu 1 auswirken, dass ihr Ehemann und Mitbewohner keinen Kündigungstatbestand verwirklicht hat.

d)

Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 WBVG sind, wie bereits vom Amtsgericht festgestellt, eingehalten.

e)

Soweit in erster Instanz die Beklagten persönlich mangels geeignetem Dolmetscher nicht angehört werden konnten, ist dies durch die nun erfolgte Anhörung in zweiter Instanz geheilt worden. Mit der Rüge der Gehörsverletzung kann die Berufung daher nicht durchdringen. Auch mit der Berufung auf ein unfaires Verfahren hat die Berufung keinen Erfolg. Die Eintragungen in der Pflegedokumentation, zu denen der Beklagtenvertreter ausweislich der Berufungsbegründung (unter II. 3. d) noch Fragen stellen wollte, sind in der Klageschrift (dort Seite 6) vollständig wiedergegeben. Es ist daher nicht zu sehen, dass sich die erst später erfolgte Vorlage der kompletten Pflegedokumentation auf die Zeugenbefragung gerade auch durch den Beklagtenvertreter ausgewirkt hätte.

f)

Die Kammer hält es für angemessen, der Beklagten zu 1 eine Räumungsfrist bis Ende Oktober zu gewähren. § 721 ZPO ist anwendbar, da er nur voraussetzt, dass „auf Räumung von Wohnraum erkannt“ wird; das ist hier der Fall, auf den Rechtsgrund des Innehabens des Wohnraums kommt es nicht an (Stöber, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 721 Rn. 2). Die Kammer muss nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, dass es der Beklagten zu 1 sehr schwer fallen wird, eine neue Wohn- und Betreuungsmöglichkeit zu finden. Ihren Zahlungspflichten kommt die Beklagte zu 1, soweit ersichtlich, stets nach. Für einen begrenzten Zeitraum von noch knapp vier Monaten kann dem Kläger das Verbleiben der Beklagten in ihrem Zimmer trotz der mit der Kontrolle der Einhaltung des Rauchverbots einhergehenden praktischen Probleme noch zugemutet werden.

3.

Erfolg in der Sache hat die Berufung, soweit sie sich gegen die Verurteilung des Beklagten zu 2 wendet. Die vertraglichen Beziehungen zwischen diesem und dem Kläger sind weder durch die Kündigung vom 25. Juli noch durch die Kündigung vom 30. Dezember 2011 wirksam beendet worden.

a)

Als Kündigungsgrund gegenüber dem Beklagten zu 2 kommt lediglich der Tatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 WBVG in Betracht. Die Voraussetzungen einer verschuldensunabhängigen Kündigung insbesondere nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 WBVG sind von Klägerseite nicht vorgetragen worden und werden auch insbesondere nicht in den schriftlichen Kündigungen angeführt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 WBVG).

b)

Zur Kündigung vom 25. Juli 2011:

aa)

Dass der Beklagte zu 2 in seinem Zimmer in einer Häufigkeit und Beharrlichkeit geraucht hätte, die sich als gröbliche Pflichtverletzung qualifizieren ließe, hat die Klägerin nicht nachzuweisen vermocht. Die Zeugin P. hat insofern beim Amtsgericht eindeutig ausgesagt, sie selbst habe den Beklagten nie beim Rauchen persönlich erwischt. Auch das Amtsgericht hat in seiner Urteilsbegründung dies deutlich herausgestellt und sich deshalb auch entscheidend nicht auf die Zeugin, sondern auf die vorgelegte Pflegedokumentation gestützt. Aus dieser ergeben sich jedoch, wie die Berufung zu Recht rügt, für den in der Kündigung angesprochenen Zeitraum seit Mai 2011 lediglich die von der Zeugin P. beschriebenen Vorfälle, mithin solche, bei denen die „Täterschaft“ des Beklagten zu 2 nicht feststeht. Insofern ist grundsätzlich zu bedenken, dass die Beklagte zu 1 immer wieder im Zimmer raucht und dass der Beklagte zu 2 offensichtlich ein Interesse daran hat, solche Vorfälle zu verhindern bzw. zu vertuschen. Dies wird auch und gerade aus dem Vorbringen der Klägerin selbst deutlich, die dem Beklagten zu 2 ja durchaus auch vorgeworfen hat, schon einmal seiner Frau gegenüber tätlich geworden zu sein, um sie vom Rauchen abzuhalten. Es gibt aus Sicht der Kammer keine tragfähigen Indizien, die den Schluss rechtfertigen würden, bei den Vorfällen am 12. Juni, 10. Juli und 14. Juli 2011 müsse der Beklagte zu 2 selbst geraucht haben, und die es ausschließen, dass nicht vielmehr seine Frau geraucht hat und er allenfalls versucht hat, dies zu unterbinden bzw. die Spuren hiervon zu beseitigen. Soweit Verstöße vor Mai 2011 im Raum stehen, sind diese in der Kündigung selbst als Kündigungsgrund nicht angegeben. Dies hält die Kammer auch durchaus für folgerichtig, da die Kündigung maßgeblich darauf abstellt, dass die Beklagten ihr Verhalten nach vorhergehenden Mahnungen nicht geändert hätten. Wenn es aber umgekehrt so ist, dass man davon ausgehen muss, dass jedenfalls seit Mai 2011 keine Rauchverstöße durch den Beklagten zu 2 mehr stattgefunden haben, so lässt dies auf eine Verhaltensänderung schließen, was etwaigen früheren Pflichtverletzungen jedenfalls den Charakter der Gröblichkeit im Sinne des Gesetzes nehmen würde, der aber Voraussetzung einer Kündigung wäre.

bb)

Soweit der Kläger dem Beklagten zu 2 einen unhygienischen Umgang mit Speiseresten zur Last legt (insbesondere Ausspucken und Werfen von Speiseresten aus dem Fenster), ist der Vortrag nicht hinreichend substantiiert, um eine Kündigung aus wichtigem Grund zu tragen. Dies haben die Beklagten auch von Anfang an und insbesondere auch im Berufungsverfahren beanstandet, so dass kein Anlass besteht, hierzu nochmals einen Hinweis zu erteilen. So weist die Pflegedokumentation für den hier besonders interessierenden Zeitraum ab Mai 2011, soweit für die Kammer ersichtlich, letztlich einen Eintrag aus, wonach der Beklagte zu 2 am 08. Mai Milch aus einer Plastikschüssel aus dem Fenster gegossen habe. Dem Lichtbild Anlage K 8 (I 259) ist schon nicht zu entnehmen, wer hier einen Speiserest an die Wand gespuckt hat. Nach den Erfahrungen der Kammer sind Vorgänge wie das Ausspucken von Essen in einem Pflegeheim der vom Kläger betriebenen Art nicht so ungewöhnlich, dass einzelne Vorfälle ohne Hinzutreten weiterer Umstände einen Kündigungsgrund nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG darstellen könnten. Dass diese Vorfälle ein außergewöhnliches Ausmaß oder eine besondere Bedeutung gehabt hätten, ist dem klägerischen Vortrag nicht zu entnehmen. Soweit in der mündlichen Verhandlung thematisiert wurde, dass das Werfen von Speiseresten aus dem Fenster Ratten anlocken würde, ist dieser Vortrag erst (spät) in zweiter Instanz erfolgt. Zudem liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, die es erlauben würden, auf das Verhalten des Beklagten zu 2 als ursächlich für ein Auftreten von Ratten im Umfeld des Heims zu schließen.

cc)

Schließlich kann die Kammer nicht der Auffassung des Amtsgerichts folgen, dass die Beklagten sich vertragswidrig verhielten, wenn sie in der Umgebung des Heims betteln. Betteln im öffentlichen Raum ist straßen- und polizeirechtlich zulässig. Ob die Klägerin ein solches Verhalten wegen der von ihr befürchteten, vom Amtsgericht näher dargestellten Folgewirkungen vertraglich überhaupt unter Berücksichtigung auch der grundrechtlich geschützten Freiheiten der Beklagten verbieten könnte, erscheint fraglich, braucht aber letztlich nicht entschieden zu werden. Denn vorliegend findet sich ein solches Verbot im Vertragstext nicht. Die Annahme einer ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflicht, insbesondere nach § 241 Abs. 2 BGB, verbietet sich angesichts der Tatsache, dass ein sich räumlich über den Bereich des Pflegeheims erstreckendes Bettelverbot aus Sicht der Kammer höchst ungewöhnlich wäre und zudem einen Grundrechtseingriff darstellen würde, der beispielsweise auf polizeirechtlicher Grundlage unzulässig wäre.

dd)

Andere Verhaltensweisen, insbesondere der Umgang mit Fäkalien, sind nicht Gegenstand der schriftlichen Kündigung vom 25. Juli 2011.

ee)

Ein Kündigungsrecht gegenüber dem Beklagten zu 2 folgt auch insbesondere nicht aus dem durch dessen Frau, die Beklagte zu 1, verwirklichten Kündigungstatbestand. Eine gesetzliche Grundlage für eine solche Zurechnung fremder Pflichtverletzung bzw. fremden Verschuldens besteht nicht. Der Kläger hat mit beiden Beklagten getrennte Verträge abgeschlossen. Diese bilden auch keine wirtschaftliche oder sonst sachliche Einheit. Der Geschäftsführer des Klägers hat in der Berufungsverhandlung bestätigt, dass es eher untypisch ist, dass ein Doppelzimmer von einem Ehepaar bewohnt wird, und dass Doppelzimmer gerade auch in dem hier gegenständlichen Heim häufig auch mit nicht verheirateten, einander fremden Personen belegt werden. Von daher gibt es gerade aus Sicht des Klägers keinen Grund, warum man die beiden Verträge anders als getrennt betrachten sollte. Der Kläger kann sich insbesondere auch nicht auf die Rechtsprechung zu § 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Kündigung von Mietverträgen bei schuldhafter Pflichtverletzung nur einer der zu Vertragsparteien gewordenen Mieter berufen (zur Anwendbarkeit des Mietrechts auf Verträge nach dem WBVG vgl. hierbei Weidenkaff, in: Palandt, a.a.O., § 1 WBVG Rn 3). Diese Rechtsprechung (vgl. etwa Weidenkaff, a.a.O., § 543 BGB Rn 20; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. März 1987 – 15 U 183/86 – , NJW-RR 1987, Seite 1370) betrifft nämlich gerade den Fall, dass nur ein Vertrag besteht. Sie verhindert, dass die Rechte eines Vermieters, der einen Vertrag mit mehreren Vertragsparteien geschlossen hat, von denen sich nur eine vertragswidrig verhält, ins Leere laufen, weil ein Kündigungs- und Herausgaberecht nur gegenüber einem der Mieter nicht weiterhelfen würde. Hier ist die Situation, wie dargelegt, eine ganz andere.

ff)

Ein Verschulden seiner Betreuerin wäre dem Beklagten zu 2 zwar zuzurechnen (§ 278 BGB), ein solches ist jedoch nicht ersichtlich. Die Betreuerin der Beklagten hat vorgetragen und auch in der mündlichen Berufungsverhandlung noch einmal dargelegt, dass sie das in ihrer Macht Stehende getan hat, um auf eine Besserung des Verhaltens der Beklagten hinzuwirken oder diese auch in einem anderen Heim unterzubringen. Wie konkret sie im Gegensatz zu den Beschäftigten des Klägers die Möglichkeit gehabt haben sollte, mögliche Pflichtverletzungen zu verhindern, ist nicht zu sehen. Um eine bloße Wissenszurechnung nach § 166 Abs. 1 BGB geht es vorliegend nicht, zumal die Kammer (auch) beim Beklagten zu 2 durchaus von einer zumindest eingeschränkten Schuldfähigkeit und einer ausreichenden Einsicht in das Rauchverbot ausgeht.

c)

Zur Kündigung vom 30. Dezember 2011:

Auch diese Kündigung ist von der Kammer zu prüfen. Sie wurde in erster Instanz prozessual zulässig mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2011 (I 403 ff) in den Prozess eingeführt. Auch aus dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers ergibt sich jedoch, wie auch von den Beklagten wiederholt bemängelt, letzten Endes kein Kündigungsgrund. Bezüglich des Bettelns kann auf die bereits gemachten Ausführungen verwiesen werden, bezüglich des Vorwurfs, dass zwei Mal Essen aus dem Fenster geworfen wurde, ebenfalls. Bezüglich der Vorfälle mit Zigaretten am 28.10. und 18.11.2011 lässt sich nach dem klägerischen Vorbringen wiederum nicht sagen, ob es denn – was er bestreitet – wirklich der Beklagte zu 2 war, der geraucht hat.

Das Verhalten des Beklagten zu 2 gegenüber einer anderen Heimbewohnerin in jüngerer Zeit beschreibt der Kläger wie folgt:

Im September 2011, nämlich am 10.09.2011 vermerkte die zuständige Pflegekraft in der Pflegedokumentation, dass Herr B. abends immer wieder eine Heimbewohnerin in ihr Zimmer bringe. Die Pflegekraft äußerte aufgrund des Verhaltens von Herrn B. Bedenken, dass dies in lauterer Absicht geschehe. – Am 12.09.2011 trug die stellvertretende Heimleiterin entsprechende Hinweise für die anderen Pflegekräfte in die Pflegedokumentation ein. – Noch am gleichen Tag wurde eine Abmahnung erteilt, die der Betreuerin des Beklagten Ziffer 2 zugesandt wurde. – Trotz dieser Abmahnung ließ der Beklagte Ziffer 2 von seinem Verhalten nicht ab. Bereits am 17.10.2011 ist in der Pflegedokumentation erneut vermerkt, dass er sich „sehr freundlich“ gegenüber einer anderen Bewohnerin des Pflegeheimes verhalten habe, es handelte sich dabei um diejenige Person, welche bereits im Jahr 2009 Opfer seiner sexuellen Belästigung gewesen war.

Die Kammer sieht keine rechtlichen Maßstäbe, nach denen das hier vom Kläger geschilderte Verhalten des Beklagten zu 2 als rechts- oder vertragswidrig angesehen werden könnte. Selbstverständlich trifft den Kläger die Pflicht, seine Bewohner und Bewohnerinnen, sofern diese nicht mehr einwilligungsfähig sind, vor sexuellen Avancen anderer Heimbewohner zu bewahren. Dies kann aber nicht dadurch geschehen, dass jegliches Verhalten anderer Heimbewohner, welches sich (auch) als sexuell motiviert darstellen mag, als die Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung gewertet werden könnte. Das geschilderte Verhalten des Klägers bewegt sich jedenfalls noch in einem Bereich, der sicherlich nicht als schuldhafte Pflichtverletzung gewertet werden kann. Das gilt auch, wenn man den weiteren Vortrag des Klägers zum Vorfall im April 2009 berücksichtigt. Nachdem der Beklagte zu 2 sich auch nach Darstellung der Klägerin auf die seinerzeitige Besprechung hin über zwei Jahre völlig unauffällig verhalten hatte, kann nach Auffassung der Kammer aus den behaupteten seinerzeitigen Geschehnissen nichts mehr hergeleitet werden, zumal im März 2010 neue Heimverträge vereinbart wurden.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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