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Pflichtverteidigung – Längenzuschlag

 Kammergericht Berlin

Az: 1 Ws 36/07

Beschluss vom 25.05.2007


In der Strafsache wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung u. a. hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 25. Mai 2007 beschlossen:

Die Beschwerde der Pflichtverteidigerin, gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 26. Januar 2007 wird verworfen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

G r ü n d e :

Rechtsanwältin xxx ist der früheren Angeklagten am 3. April 2006 zur Pflichtverteidigerin bestellt worden. In ihrem Antrag auf Festsetzung der Vergütung hat sie zunächst für die Teilnahme an der Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer am 25., 27. Oktober, 1. und 17. November 2006 neben der Terminsgebühr (Nr. 4120 VV RVG) jeweils eine zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 4122 VV RVG (so genannter Längenzuschlag) in Höhe von 178,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat diese Zusatzgebühr im Hinblick auf den Termin am 25. Oktober 2006 wegen der nur etwa zweistündigen Anwesenheit der Rechtsanwältin und im Übrigen mit der Begründung nicht zuerkannt, dass die Hauptverhandlung an den weiteren drei Tagen nach Abzug der jeweils etwa einstündigen Mittagspause nicht über fünf Stunden gedauert habe. Die Erinnerung der Rechtsanwältin, die sich nur gegen die Versagung des Längenzuschlags für den 27. Oktober, 1. und 17. November 2006 richtet, hat das Landgericht Berlin mit dem an-gefochtenen Beschluss verworfen. Die zulässige Beschwerde der Pflichtverteidigerin bleibt ohne Erfolg.

1. Die angefochtene Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführerin steht für die Sitzungen am 27. Oktober, 1. und 17. November 2006 eine zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 4122 VV RVG nicht zu.

Der Längenzuschlag zu der Terminsgebühr wird dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt gewährt, wenn er mehr als fünf (Nrn. 4110, 4116, 4122 VV RVG) oder mehr als acht Stunden (Nrn. 4111, 4117, 4123 VV RVG) an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Er soll dadurch bei langen Sitzungen einen festen Zuschlag erhalten, um den besonderen Zeitaufwand für seine anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren, so dass er in diesen Fällen nicht ausschließlich auf die Bewilligung einer Pauschgebühr angewiesen ist (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 224). Ob und inwieweit bei der Berechnung der Zeit, die der Rechtsanwalt an dem Termin teilnimmt, Sitzungsunterbrechungen abzuziehen sind, ist gesetzlich nicht geregelt und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur nicht einheitlich beurteilt.

a) Einigkeit besteht zunächst darin, dass unvorhergesehene Pausen oder kürzere Unterbrechungen der Hauptverhandlung, die der Rechtsanwalt nicht zu vertreten hat und die er nicht anderweitig nutzen kann, ihm gebührenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen sollen (vgl. KG, Beschluss vom 28. Juni 2006 – 4 Ws 77/05 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 13. September 2005 – Ws 676/05 – und OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Februar 2006 – 1 Ws 61/06 -, jeweils bei www.burhoff.de zu Nr. 4110 VV RVG; OLG Stuttgart StV 2006, 200; Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdnr. 64; Burhoff, RVG, Vor-bemerkung 4 Rdnr. 63 und Nr. 4110 VV Rdnrn. 6, 8 ff; Hartmann, Kostengesetze 35. Aufl., VV 4110, 4111 Rdnr. 1). Diese Unterbrechungen sollen, obwohl in dieser Zeit die Hauptverhandlung nicht stattfindet und der Rechtsanwalt deshalb an ihr auch nicht teilnehmen kann, bei der Berechnung der Sitzungsdauer nicht abgezogen werden, schon um eine „kleinliche Handhabung“ der Gebührenvorschriften zu vermeiden (vgl. OLG Bamberg aaO). Dem schließt sich der Senat an. Er ist zudem der Auffassung, dass dies auch für die Fälle gelten muss, in denen es zu einer längeren Unterbrechung der Hauptverhandlung von einer unbestimmten Dauer kommt, der Rechtsanwalt jedoch in dieser Zeit „auf Abruf“ für die Hauptverhandlung zur Verfügung stehen muss und deshalb weiterhin durch das Verfahren in Anspruch genommen wird. Daraus folgt auch, dass für den Sitzungsbeginn auf den in der Ladung angeordneten Zeitpunkt und nicht auf den tatsächlichen Aufruf der Sache abzustellen ist, wenn der Rechtsanwalt pünktlich erschienen ist (vgl. OLG Düsseldorf RVGreport 2006, 170; OLG Karlsruhe RVGreport 2005, 315; KG, Beschluss vom 8. November 2005 – 4 Ws 127/05 -; a.A. OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 191; OLG Zweibrücken RVGreport 2006, 170).

b) Streitig ist, ob die gebührenrechtlich maßgebliche Dauer der Hauptverhandlung grundsätzlich nach der Zeitspanne zwischen dem angeordneten Beginn und dem tatsächlichen Ende der Sitzung ohne Abzug von auch längeren Unterbrechungen – insbesondere von „Mittagspausen“ – zu berechnen ist (so OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32; OLG Koblenz (1. Strafsenat) NJW 2006, 1150; OLG Hamm StV 2006, 201), oder ob derartige Unterbrechungen abzuziehen sind (so OLG Saarbrücken a.a.O.; OLG Koblenz (2. Strafsenat) NStZ 2006, 409; OLG Bamberg AGS 2006, 124).

aa) Der Senat ist der Auffassung, dass Sitzungspausen, die für die Dauer von mindestens einer Stunde angeordnet wurden, bei der Bestimmung der Terminsgebühr nicht einzurechnen sind.

Die Höhe der Vergütung des gerichtlichen bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts richtet sich danach, wie lange er durch die Hauptverhandlung in Anspruch genommen wird. Für die Zeit, in der er für das Gericht ständig zur Verfügung stehen muss und so seine Arbeitskraft nicht sinnvoll anderweitig nutzen kann, ist er deshalb zu entschädigen. Bei von vornherein festgelegten Unterbrechungen besteht für den Rechtsanwalt jedoch keine Veranlassung, sich in dieser Zeit für die Hauptverhandlung in irgendeiner Weise bereit zu halten. Er kann in der Pause andere Geschäfte wahrnehmen (vgl. KG, Beschluss vom 28. Juni 2006 – 4 Ws 77/05 – bei einer angeordneten Unterbrechung von 3 1/2 Stunden).

Die Gegenmeinung, nach der selbst längere Pausen nicht gene-rell von der Verhandlungsdauer abzuziehen sind, verkennt eben-falls nicht, dass es darauf ankommen muss, ob der Rechtsanwalt im Einzelfall während der Unterbrechung seine Arbeitskraft an-derweitig nutzen kann (vgl. OLG Hamm AGS 2006, 337). Aller-dings soll jedenfalls eine Pause von mindestens einer Stunde nicht abgezogen werden, weil dem Anwalt diese Zeit zur Erholung und Nahrungsaufnahme zugestanden werden müsse (vgl. OLG Hamm AGS 2006, 282; OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32) oder sie häufig nicht ausreiche, um in die Kanzlei zurückzukehren und dort andere Rechtsangelegenheiten zu bearbeiten. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

Zwar wird es die dem Gericht gegenüber den Verfahrensbeteiligten obliegende Fürsorgepflicht regelmäßig gebieten, eine „Mittagspause“ einzulegen. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Zeit der Nahrungsaufnahme und Erholung als anwaltliche Tätigkeit zu bezahlen ist. Vielmehr ist sie auch auf anderen Rechtsgebieten ausschließlich dem privaten Bereich zuzuordnen (vgl. aus sozialrechtlicher Sicht u. a. BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 – B 2 U 24/02 R – für die „Mittagspause“). Benötigt der Rechtsanwalt eine solche Pause nicht, kann er in dieser Zeit anderen Verpflichtungen nachgehen, ein für diese Zwecke ausgewähltes Dezernat in der Bibliothek oder dem Anwaltszimmer des Gerichts bearbeiten oder sich zu der Erledigung seiner Geschäfte auch der modernen elektronischen Medien bedienen, die seine Anwesenheit in den Kanzleiräumen nicht erfordern.

Da mithin eine zuvor festgelegte Pause von mindestens einer Stunde für andere Tätigkeiten sinnvoll genutzt werden kann, muss diese Zeit bei der Bestimmung der Gebührenhöhe außer Betracht bleiben. Das wird vor allem für mehrtägige Hauptverhandlungen und in Verfahren gelten, in denen sich der Angeklagte in Haft befindet, was zumeist längere Vorführzeiten zur Folge hat. Darauf kann der Rechtsanwalt sich einstellen, ohne dass er im Voraus für jeden Sitzungstag den genauen Unterbrechungszeitpunkt kennen muss. Ob der Rechtsanwalt dann von der Möglichkeit anderweitiger Tätigkeit tatsächlich Gebrauch macht, ist unerheblich. Wenn er keine anderen Rechtssachen zu bearbeiten hat, kann er durch die Unterbrechung der Sitzung keine finanziellen Einbußen erleiden.

bb) Auf den Beschluss des 3. Strafsenats des Kammergerichts vom 9. August 2005 (StV 2006, 198) kann sich die Beschwerdeführerin für die Zuerkennung des Längenzuschlags nicht berufen. Denn diese Entscheidung betraf einen Fall, bei dem keine vorab zu erwartende und in ihrer Länge von vornherein absehbare Pause vorlag, auf die der Rechtsanwalt sich hätte vorbereiten und die er für andere berufliche Aufgaben hätte nutzen können.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

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