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PKW-Fahrerhaftung gegenüber Beifahrer bei Griff ins Lenkrad und § 8 Nr. 2 StVG

Ein Beifahrer greift ins Lenkrad und stürzt sich und seine Mitfahrer in einen schweren Unfall. Das Landgericht Memmingen musste nun klären, wer für die entstandenen Kosten von über 50.000 Euro aufkommt – und entschied, dass der Eingriff des Beifahrers die Haftung des Fahrzeughalters ausschließt. Damit steht die Krankenversicherung des Verletzten vor einem finanziellen Scherbenhaufen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Memmingen
  • Datum: 15.09.2023
  • Aktenzeichen: 32 O 1552/22
  • Verfahrensart: Schadensersatzklage nach Verkehrsunfall
  • Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Schadensersatzrecht

Beteiligte Parteien:

  • Klägerin: Die gesetzliche Krankenversicherung eines Mitglieds, das bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Sie verlangte Ersatz der Kosten für die medizinische Versorgung ihres Mitglieds.
  • Beklagter: Der Fahrer des Fahrzeugs, das Unfallfahrzeug selbst (über den Halter) und die Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs. Sie argumentierten, dass der Unfall durch das Eingreifen des Beifahrers (Mitglied der Klägerin) ins Lenkrad verursacht wurde.

Um was ging es?

  • Sachverhalt: Bei einem Verkehrsunfall wurde das Versicherungsmitglied der Klägerin verletzt. Der Unfall ereignete sich, als der Fahrer während der Fahrt abgelenkt wurde, um die Fensterscheibe zu schließen, was zur Kollision des Fahrzeugs mit einem Baum führte. Jedoch griff der Beifahrer, das Mitglied der Klägerin, ins Lenkrad.
  • Kern des Rechtsstreits: Es wurde darüber gestritten, ob die Beklagten zu 100% haften, trotz des Eingreifens des Beifahrers ins Lenkrad, das als Mitverursachung des Unfalls angesehen wurde.

Was wurde entschieden?

  • Entscheidung: Die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten.
  • Begründung: Das Gericht stellte fest, dass der Beifahrer ins Lenkrad griff, was eine Tätigkeit im Betrieb des Fahrzeugs darstellt und somit die Haftung der Beklagten nach § 8 Nr. 2 StVG ausschließt. Diese Regelung schließt die Halterhaftung aus, wenn der Verletzte im Betrieb des Fahrzeugs tätig war. Es konnte nicht bewiesen werden, dass die Verletzungen des Mitglieds der Klägerin auf eine Handlung der Beklagten zurückzuführen waren.
  • Folgen: Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits und erhält keine Schadensersatzansprüche. Es zeigt sich, dass die Darlegungs- und Beweislast auf der Seite der Klägerin lag, die den Eingriff des Beifahrers ins Lenkrad nicht ausreichend widerlegen konnte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung.

Fahrer- und Beifahrerhaftung: Wer trägt die Verantwortung im Unfallfall?

Beifahrerhand greift nach Lenkrad eines fahrenden Mercedes auf Landstraße
(Symbolfoto: Flux gen.)

Eine Verkehrsunfallgeschehen kann komplexe Haftungsfragen aufwerfen, insbesondere wenn es um die Verantwortung zwischen Fahrer und Beifahrer geht. Gemäß § 8 StVG spielt die Fahrerhaftung eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, wer für verursachte Schäden aufkommt. In Situationen, in denen ein Beifahrer ins Lenkrad greift, entsteht schnell die Frage nach dem Mitverschulden. Solche Fälle betreffen nicht nur das Verkehrsrecht, sondern auch das Versicherungsrecht, da sie entscheidend für die Festlegung der Haftungsquote und die damit verbundenen Schadensersatzansprüche sein können.

Besonders herausfordernd ist die Klärung, inwieweit der Fahrer aufgrund seines eigenen Handelns oder des Verhaltens des Beifahrers in die Verantwortung genommen werden kann. Diese Risikoverteilung ist zentral für die Aufarbeitung von Verkehrsdelikten und den Schutz der Rechtsansprüche aller Beteiligten. Im Folgenden wird ein konkreter Fall vorgestellt, der diese Fragestellungen aufgreift und analysiert.

Der Fall vor Gericht


Griff ins Lenkrad schließt Haftung des PKW-Halters nach Verkehrsunfall aus

Ein folgenschwerer Verkehrsunfall auf der Kreisstraße NU 10 bei Memmingen führte zu einem wegweisenden Urteil des Landgerichts Memmingen zur Halterhaftung. Die gesetzliche Krankenversicherung eines schwerverletzten Beifahrers scheiterte mit ihrer Klage auf vollständigen Schadensersatz gegen den Fahrzeughalter, den Fahrer und die Haftpflichtversicherung.

Unfallhergang mit schweren Verletzungsfolgen

Am 17. März 2017 befand sich der Versicherte als Beifahrer in einem BMW 316i, der mit einer Geschwindigkeit von 70-80 km/h von Biberachzell in Richtung Asch unterwegs war. Als der Fahrer während der Fahrt die Fensterheber betätigen wollte und seinen Blick kurz zur Mittelkonsole wandte, kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall. Das Fahrzeug kollidierte mit einem Baum, wodurch der Beifahrer schwerste Verletzungen erlitt. Ein dreiwöchiger Krankenhausaufenthalt und mehrere Folgebehandlungen bis Ende 2020 verursachten Behandlungskosten von über 50.000 Euro.

Streit um die Haftungsquote

Die Beklagten hatten bisher lediglich eine Haftungsquote von einem Drittel anerkannt. Die Krankenversicherung des verletzten Beifahrers forderte nun die vollständige Übernahme der entstandenen und zukünftigen Behandlungskosten. Als entscheidend für den Ausgang des Verfahrens erwies sich die Aussage einer Zeugin, die sich zum Unfallzeitpunkt auf dem Rücksitz des Fahrzeugs befand. Sie bestätigte übereinstimmend mit der Darstellung des Fahrers, dass der Beifahrer in das Lenkrad gegriffen hatte.

Rechtliche Bewertung des Lenkradeingriffs

Das Landgericht Memmingen kam zu dem Schluss, dass der Griff ins Lenkrad den Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG begründet. Diese Vorschrift schließt die Halterhaftung aus, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Nach Auffassung des Gerichts setzte sich der Beifahrer durch den Eingriff in die Lenkung freiwillig und in deutlich stärkerem Maße als die Allgemeinheit der Betriebsgefahr des Fahrzeugs aus. Auch wenn diese Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen ist, sah das Gericht die Voraussetzungen als erfüllt an.

Beweisfragen zum Unfallhergang bleiben offen

Die Krankenversicherung konnte nicht nachweisen, dass die Verletzungen ihres Versicherten durch ein Verschulden des Fahrers verursacht wurden. Nach den Zeugenaussagen befand sich das Fahrzeug vor dem Griff ins Lenkrad noch in einer Geradeausfahrt und war nicht ins Bankett geraten. Ob der Unfall durch die kurze Unaufmerksamkeit des Fahrers bei der Suche nach dem Fensterheberschalter oder erst durch den Lenkradeingriff des Beifahrers verursacht wurde, ließ sich nicht mehr aufklären. Diese Beweislastfrage ging zu Lasten der klagenden Versicherung.


Die Schlüsselerkenntnisse


Ein aktiver Eingriff des Beifahrers in die Fahrzeugführung, wie das Greifen ins Lenkrad, schließt die Halterhaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz aus. Dies gilt auch dann, wenn der Fahrer zuvor möglicherweise unaufmerksam war. Wer als Beifahrer in die Steuerung eingreift, setzt sich den Gefahren des Fahrzeugbetriebs freiwillig aus und verliert dadurch seinen besonderen gesetzlichen Schutz. Die Beweislast für einen ursächlichen Fahrfehler des Fahrers liegt bei der geschädigten Person.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Wenn Sie als Beifahrer in einem Auto mitfahren und aktiv in die Fahrzeugführung eingreifen – etwa durch einen Griff ins Lenkrad – riskieren Sie nicht nur einen Unfall, sondern auch den Verlust Ihrer Schadensersatzansprüche. Selbst wenn der Fahrer einen Fehler macht, wie kurze Unaufmerksamkeit beim Bedienen der Fensterheber, berechtigt Sie das nicht zum Eingreifen in die Steuerung. In solchen Fällen müssen Sie als Geschädigter beweisen können, dass der Unfall eindeutig durch das Fehlverhalten des Fahrers und nicht durch Ihren Eingriff verursacht wurde – was in der Praxis sehr schwierig sein kann.


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Bei komplexen Haftungsfragen nach einem Verkehrsunfall ist eine präzise rechtliche Einordnung entscheidend für Ihre Ansprüche. Unsere erfahrenen Verkehrsrechtsexperten analysieren Ihre individuelle Situation und zeigen Ihnen auf, welche Möglichkeiten Sie haben – besonders wenn es um die heikle Abgrenzung zwischen Fahrer- und Beifahrerverantwortung geht. Lassen Sie uns gemeinsam die optimale Strategie für Ihren Fall entwickeln.Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an!


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Welche Folgen hat ein Eingriff des Beifahrers ins Lenkrad für die Haftung nach einem Unfall?

Ein Griff des Beifahrers ins Lenkrad stellt eine aktive Handlung im deliktshaftungsrechtlichen Sinne dar, auch wenn dieser aus Schreck oder als Affekthandlung erfolgt. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Haftungssituation.

Haftungsausschluss für den Fahrzeughalter

Der Fahrzeughalter haftet dem Beifahrer gegenüber nicht aus § 7 StVG, wenn dieser ins Lenkrad gegriffen hat. Dies liegt daran, dass nach § 8 Nr. 2 StVG die Halterhaftung ausgeschlossen ist, wenn der Verletzte beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war.

Beweislast und Rechtfertigung

Der Beifahrer trägt die Beweislast, wenn er sich darauf beruft, der Griff ins Lenkrad sei zur Abwendung eines drohenden Unfalls erforderlich gewesen. Auch ein vermeidbarer Irrtum über die Notwendigkeit des Eingriffs schließt die Haftung des Beifahrers nicht aus.

Mitverschulden des Fahrers

Wenn der Fahrer durch unachtsame Fahrweise zum Irrtum des Beifahrers beigetragen hat, kann dies als Mitverschulden gewertet werden. In solchen Fällen kann das Mitverschulden des Fahrers mit bis zu 50% angesetzt werden.

Versicherungsrechtliche Aspekte

Die Kfz-Haftpflichtversicherung muss grundsätzlich für Schäden eintreten, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs entstehen. Dies gilt auch für Schäden, die durch Mitfahrer verursacht werden, sofern diese zum Betrieb des Kraftfahrzeugs gehören.

Deliktische Haftung

Der Beifahrer kann nach § 823 BGB haftbar gemacht werden. Auch eine Schreck- oder Affekthandlung entbindet nicht von der Haftung, da es sich nicht um eine unwillkürliche, der Bewusstseinskontrolle entzogene Reflexhandlung handelt.


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Wann gilt ein Beifahrer als „beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig“ nach § 8 StVG?

Ein Beifahrer gilt als „beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig“, wenn er durch seine Handlungen in einer unmittelbaren Beziehung zum Fahrzeugbetrieb steht und sich dadurch den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs stärker aussetzt als die Allgemeinheit.

Voraussetzungen für die Betriebstätigkeit

Die Tätigkeit muss der Förderung des Fahrzeugbetriebs dienen und eine gewisse Dauer aufweisen. Eine bloße gelegentliche Hilfeleistung reicht nicht aus. Die Tätigkeit muss in einer so nahen und unmittelbaren Beziehung zu den Triebkräften des Kraftfahrzeugs stehen, dass der Handelnde den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs mehr ausgesetzt ist als andere Personen.

Abgrenzung zur reinen Beförderung

Ein Beifahrer, der lediglich befördert wird und aussteigt, gilt nicht als beim Betrieb tätig. Auch das Öffnen der Tür oder das Aussteigen reichen nicht aus, um als Betriebstätigkeit zu gelten.

Aktive Eingriffe in den Fahrbetrieb

Wenn ein Beifahrer aktiv in den Fahrbetrieb eingreift, etwa durch einen Griff ins Lenkrad, wird dies als Tätigkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs gewertet. In diesem Fall setzt sich der Beifahrer durch seine Handlung den Betriebsgefahren des Fahrzeugs freiwillig und in deutlich stärkerem Maße aus als die Allgemeinheit.

Rechtliche Konsequenzen

Die Einstufung als „beim Betrieb tätig“ hat erhebliche Auswirkungen auf die Haftung: Der Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG greift ein, wenn der Beifahrer durch seine Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig ausgesetzt war. Dies bedeutet, dass der erhöhte Schutz der Gefährdungshaftung demjenigen nicht zugutekommt, der sich durch seine Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig aussetzt.


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Welche Beweismittel sind bei Unfällen durch Beifahrereingriffe relevant?

Bei Unfällen durch Beifahrereingriffe, wie etwa einem Griff ins Lenkrad, sind mehrere Beweismittel von zentraler Bedeutung für die rechtliche Bewertung des Unfallhergangs.

Zeugenaussagen und persönliche Beweise

Die Aussagen der unmittelbar Beteiligten spielen eine wichtige Rolle bei der Beweisführung. Besonders wertvoll sind dabei die Aussagen unbeteiligter Zeugen, da diese als neutral eingestuft werden. Auch wenn es sich bei Zeugen um Familienangehörige handelt, können deren Aussagen als glaubwürdig eingestuft werden, sofern sie detailgenau, widerspruchsfrei und von innerem Erleben geprägt sind.

Technische Beweismittel

Dashcam-Aufnahmen können als Beweismittel zugelassen werden, wenn sie verhältnismäßig sind und ein berechtigtes Interesse an der Beweisführung besteht. Bei der Verwendung von Dashcam-Aufnahmen findet eine Abwägung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Interesse an der Wahrheitsfindung statt.

Sachverständigengutachten

Ein Sachverständigengutachten ist bei der Beweisführung nicht immer zielführend. Wenn es um die zeitliche Abfolge der Ereignisse geht – etwa ob der Beifahrer erst nach einem Fahrfehler ins Lenkrad gegriffen hat oder ob der Griff ins Lenkrad die Unfallursache war – kann ein Sachverständiger keine verlässlichen Aussagen treffen.

Beweislastverteilung

Die Beweislast für einen Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG trägt der Fahrzeughalter. Wenn sich ein Beifahrer darauf beruft, der Griff ins Lenkrad sei zur Unfallvermeidung notwendig gewesen, muss er dies beweisen. Bei einem Irrtum über die Notwendigkeit des Eingreifens trägt der Beifahrer die Beweislast für die Unvermeidbarkeit dieses Irrtums.

Dokumentation des Unfallorts

Die Unfallspuren und Beschädigungen sollten unmittelbar nach dem Unfall dokumentiert werden. Fotos von Unfallspuren und Fahrzeugschäden können wichtige Hinweise zum Unfallhergang liefern. Der polizeiliche Unfallbericht bietet eine neutrale Dokumentation des Geschehens und dient als wichtiges Beweismittel.


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Wie wirkt sich ein Beifahrereingriff auf Versicherungsansprüche aus?

Ein Beifahrereingriff ins Lenkrad führt zu einem vollständigen Ausschluss der Halterhaftung nach § 8 Nr. 2 StVG. Dies gilt auch für die Fahrerhaftung nach § 18 Abs. 1 S. 1 StVG.

Rechtliche Konsequenzen des Lenkradeingriffs

Wenn Sie als Beifahrer ins Lenkrad greifen, gelten Sie als „beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig“. Durch diesen Eingriff setzen Sie sich den Betriebsgefahren des Fahrzeugs freiwillig und in stärkerem Maße aus als die Allgemeinheit. Der Gesetzgeber sieht vor, dass in solchen Fällen der besondere Schutz der Gefährdungshaftung nicht greifen soll.

Versicherungsschutz bei anderen Beifahrerhandlungen

Anders verhält es sich bei normalen Beifahrerhandlungen. Die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung haftet grundsätzlich für Schäden, die ein Beifahrer im Rahmen des normalen Fahrzeugbetriebs verursacht. Wenn Sie beispielsweise beim Aussteigen versehentlich die Wagentür gegen ein anderes Fahrzeug schlagen, übernimmt die Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters den Schaden.

Besonderheiten bei Unfällen

Bei einem Verkehrsunfall ohne Lenkradeingriff haben Sie als Beifahrer Anspruch auf vollen Schadenersatz gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Ein Mitverschulden des eigenen Fahrers wird Ihnen dabei nicht angerechnet. Allerdings kann ein eigenes Mitverschulden vorliegen, wenn Sie nicht angeschnallt waren oder trotz erkennbarer Alkoholisierung des Fahrers mitgefahren sind.

Strafrechtliche Dimension

Der Ausschluss der Halterhaftung betrifft nur die zivilrechtlichen Ansprüche. Strafrechtliche Konsequenzen bei fahrlässiger Unfallverursachung durch den Beifahrer bleiben davon unberührt.


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Welche Rechte hat ein verletzter Beifahrer trotz eigenem Eingriff ins Lenkrad?

Ein Beifahrer, der während der Fahrt ins Lenkrad greift, verliert seine Ansprüche aus der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG gegen den Halter und Fahrer des Fahrzeugs. Dies liegt daran, dass der Beifahrer durch den Eingriff ins Lenkrad „bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig“ wird und sich damit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig aussetzt.

Verbleibende Anspruchsmöglichkeiten

Wenn Sie als Beifahrer ins Lenkrad greifen und dabei verletzt werden, können Sie dennoch Ansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen geltend machen. Diese sind jedoch deutlich schwieriger durchzusetzen als die Gefährdungshaftung.

Voraussetzungen für weitere Ansprüche

Verschulden des Fahrers: Ein Anspruch aus § 823 BGB kann bestehen, wenn der Fahrer schuldhaft gehandelt hat. Sie müssen in diesem Fall jedoch das Verschulden des Fahrers konkret nachweisen können.

Kausalität der Verletzung: Für einen erfolgreichen Anspruch muss die erlittene Verletzung auf das Verschulden des Fahrers und nicht auf den eigenen Eingriff ins Lenkrad zurückzuführen sein.

Rechtliche Einschränkungen

Der Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG greift bereits bei einem kurzzeitigen Eingriff in die Steuerung des Fahrzeugs. Dies gilt auch dann, wenn der Beifahrer nur kurz ins Lenkrad greift, während der Fahrer beispielsweise die Fensterscheibe herunterkurbelt.

Die Darlegungs- und Beweislast für den Haftungsausschluss liegt beim Fahrzeughalter. Dieser muss nachweisen, dass der Beifahrer tatsächlich in das Lenkrad gegriffen hat und dadurch bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden ist.


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Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Halterhaftung

Der Fahrzeughalter ist grundsätzlich für Schäden verantwortlich, die durch den Betrieb seines Kraftfahrzeugs entstehen, auch wenn er selbst nicht der Fahrer war. Diese Gefährdungshaftung basiert auf § 7 StVG und besteht unabhängig von einem Verschulden. Der Halter muss für die typischen Gefahren einstehen, die von seinem Fahrzeug ausgehen. Ein Beispiel wäre ein Unfall durch einen technischen Defekt am Fahrzeug. Die Haftung kann in bestimmten Fällen, wie bei höherer Gewalt oder Eingriffen Dritter, ausgeschlossen sein.


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Betriebsgefahr

Bezeichnet die typischen Gefahren, die vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgehen und ist in § 7 StVG geregelt. Sie umfasst alle mit dem Fahrzeugbetrieb verbundenen Risiken wie Geschwindigkeit, Masse oder technische Störungen. Die Betriebsgefahr besteht unabhängig von einem Verschulden und ist Grundlage der Gefährdungshaftung. Beispiel: Auch bei einem Unfall ohne Fahrfehler, etwa durch Aquaplaning, greift die Haftung wegen Betriebsgefahr.


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Mitverschulden

Eine Mitverantwortung am Schadenseintritt gemäß § 254 BGB, die zu einer Minderung der Schadensersatzansprüche führt. Wenn sowohl der Geschädigte als auch der Schädiger zum Schaden beigetragen haben, wird der Schaden anteilig nach Verschuldensanteilen aufgeteilt. Beispiel: Wenn ein Fußgänger bei Rot über die Ampel geht und von einem zu schnell fahrenden Auto erfasst wird, können beide Parteien mitverantwortlich sein.


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Haftungsquote

Der prozentuale Anteil, zu dem verschiedene Beteiligte für einen Schaden aufkommen müssen. Sie wird nach dem Grad des jeweiligen Verschuldens und der Betriebsgefahr bestimmt und ist in §§ 254, 840 BGB geregelt. Die Quote legt fest, wie der Gesamtschaden zwischen den Beteiligten aufgeteilt wird. Beispiel: Bei einem Auffahrunfall kann die Haftung 70/30 zwischen Auffahrendem und Vorausfahrendem aufgeteilt werden.


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Beweislast

Die rechtliche Pflicht einer Prozesspartei, die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen. Grundsätzlich muss nach § 286 ZPO derjenige die Beweise erbringen, der sich auf eine für ihn vorteilhafte Rechtsfolge beruft. Gelingt der Beweis nicht, trägt diese Partei die negativen Folgen. Beispiel: Die Versicherung muss beweisen, dass der Unfall durch Verschulden des Fahrers und nicht durch den Lenkradeingriff verursacht wurde.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 8 Nr. 2 StVG: Diese Vorschrift regelt den Haftungsausschluss, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Sie besagt, dass die Haftung des Halters entfällt, wenn der Geschädigte durch eine eigene Tätigkeit im Fahrzeug zur Gefährdung beigetragen hat. Im vorliegenden Fall begründet das Gerichtsverfahren, dass der Beifahrer durch das Greifen in das Lenkrad als „tätig beim Betrieb“ des Fahrzeugs galt, wodurch die Halterhaftung nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen wurde.
  • § 7 StVG: Diese Bestimmung regelt die Haftung des Fahrzeughalters bei Schäden, die durch den Betrieb seines Kraftfahrzeugs verursacht werden. Grundsätzlich haftet der Halter für alle Schäden, die im Straßenverkehr durch sein Fahrzeug entstehen. In diesem Fall wurde § 7 StVG zunächst als Grundlage für den Schadensersatzanspruch der Klägerin herangezogen, jedoch durch § 8 Nr. 2 StVG modifiziert.
  • § 18 StVG: Diese Vorschrift erweitert die Haftung nach § 7 StVG auf den Fahrzeugführer. Sie besagt, dass die Haftungsbeschränkungen des § 8 StVG auch für den Fahrer gelten. Im vorliegenden Fall wurde gemäß § 18 StVG festgestellt, dass die Haftungsbeschränkung auch auf den Beklagten als Fahrer zutrifft, da der Beifahrer durch sein Handeln zur Gefährdung des Fahrzeugbetriebs beigetragen hat.
  • § 823 Abs. 1 BGB: Dieser Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuchs regelt den Schadensersatzpflicht bei unerlaubten Handlungen. Er verlangt, dass der Schädiger eine widerrechtliche und schuldhafte Handlung vorgenommen hat, die zu einem Schaden geführt hat. Im vorliegenden Fall wurden Ansprüche aus § 823 BGB geprüft, scheiterten jedoch daran, dass den Beklagten keine zurechenbare Verletzungshandlung nachgewiesen werden konnte.
  • Zivilprozessordnung (ZPO) § 286: Diese Vorschrift regelt die Voraussetzungen für Verzugszinsen bei Zahlungen. Sie bestimmt, dass ein Schuldner in Verzug gerät, wenn er nicht innerhalb der gesetzten Frist leistet. In diesem Urteil wurde gemäß § 286 ZPO festgestellt, dass die Beklagten Verzugszinsen über dem Basiszinssatz schulden, da die Klage teilweise anerkannt wurde und die Zahlung verspätet erfolgt.

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Das vorliegende Urteil

LG Memmingen – Az.: 32 O 1552/22 – Endurteil vom 15.09.2023


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