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ALG II – Pkw als Vermögen zu berücksichtigen?

SOZIALGERICHT AURICH

Az.: S 15 AS 11/05 ER

Beschluss vom 24.02.2005


In dem Rechtsstreit hat das Sozialgericht Aurich -15. Jammer – am 24. Februar 2005 beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 14.02.2005 für die Dauer von 6 Monaten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne vorherige Verwertung eines Pkw als Vermögensgegenstand.

Der am E. geborene Antragsteller ist alleinstehend und bezog bis einschließlich 13.02.2005 Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt F.. Zuvor arbeitete er als Lagerarbeiter, Gartenbauhelfer und Sortierer. Am 24.01.2005 beantragte er im Hinblick auf den auslaufenden Leistungsbezug bei dem Antragsgegner die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Als Vermögen gab er u.a. einen Bausparvertrag mit einem Guthaben von 2.081,27 Euro, eine Kapitallebensversicherung mit einem Auszahlungswert von 1.347 Euro sowie einen Pkw Marke Skoda Octavia (Erstzulassung 27.06.2003, 1595 cm3 und 102 PS) an, den er im Juni 2003 als Neufahrzeug für 17.100 Euro gekauft hatte. Der Wert dieses Fahrzeugs belief sich im Zeitpunkt der Antragstellung ausweislich eines beigefügten Bewertungsbogens der Firma Fahrzeughaus G. auf 9.900 Euro. Die Gemeinde H. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03.02.2005 ab, da der Antragsteller nicht bedürftig sei. Unter Berücksichtigung eines Grundfreibetrages von 6.800 Euro sowie eines Freibetrages für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro ergebe sich, dass die beim Antragsteller vorhandenen Vermögenswerte den Freibetrag von 5.878,27 Euro überschritten. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und führte aus, ein angemessenes Kraftfahrzeug sei kein verwertbares Vermögen und müsse unberücksichtigt bleiben. Dies sei für ihn besonders wichtig, da er in der Vergangenheit oft als Saisonkraft beschäftigt sei und angesichts der unzulänglichen Infrastruktur an seinem Wohnort, insbesondere der fehlenden öffentlichen Verkehrsmittel für die Stellensuche ebenso wie für die Aufnahme einer Arbeit einen Pkw benötige. Über den Widerspruch ist – soweit ersichtlich – bis zum heutigen Tage noch nicht entschieden worden.

In seinem am 14.02.2005 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beruft sich der Antragsteller auf seine Ausführungen in der Widerspruchsbegründung und beantragt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ihm Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß SGB II für den Zeitraum ab 14.02.2005 in gesetzlicher Höhe und Laufzeit zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Er führt aus, entgegen der Begründung im angefochtenen Bescheid sei nicht der gesamte Wert des Fahrzeugs (9.900 Euro) anzurechnen, sondern ein möglicher Verkaufserlös von 9.900 Euro abzüglich 5.000 Euro mithin 4.900 Euro. Dadurch ergäbe sich anhand der durchgeführten Gesamtberechnung ein einzusetzendes Vermögen von lediglich 821,27 Euro. Er ist weitergehend der Auffassung, der Pkw sei von der Berücksichtigung als Vermögen nicht ausgeschlossen, da bei einem Verkaufserlös von mehr als 5.000 Euro keine Angemessenheitsprüfung mehr vorzunehmen sei. Im Übrigen sei angesichts der vorausgegangenen saisonal eingeschränkten und wenig qualifizierten Tätigkeiten allenfalls ein Pkw der unteren Klasse angemessen. Die Unterkunftskosten seien ungeklärt, da der Antragsteller am 01.04.2004 von seinem Vater eine Wohnung im elterlichen Haus gemietet habe, für die der Nachweis regelmäßiger Mietzahlungen nicht geführt sei.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Antragsgegners beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und inhaltlich begründet.

Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, das durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Anordnungsanspruch, also die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 SGG iVm § 920 Abs. 3 ZPO). Für beide Voraussetzungen reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. Krodel, Die Begründetheit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, NZS 2002, Seite 234 ff; Grieger, Vorläufiger Rechtsschutz in Angelegenheiten der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ZFSH/SGB 10/2004, S. 579 ff).

Unter Beachtung dieser Grundsätze liegt ein Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor.

Rechtsgrundlage sind § 19 SGB II i. V. m. §§ 9 Abs. 1 und 12 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie unter den Voraussetzungen des § 24 einen befristeten Zuschlag. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Als Vermögen sind dabei alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II), nicht zu berücksichtigen ist u.a. ein angemessenes Kraftfahrzeug (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 2 SGB II). Für die Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs
der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend (§ 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II).

An der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bestehen nach Aktenlage keine Zweifel. Der Antragsteller ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch, hilfebedürftig. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist dabei der Pkw des Antragstellers nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Bei dem Begriff „angemessen“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. In der Begründung des Regierungsentwurfs findet sich zur Ausfüllung dieses Begriffs lediglich der Hinweis, maßgebliches Kriterium sei die aktuelle Lebenssituation des Bezuges einer staatlichen Fürsorgeleistung und nicht der vorherige Lebenszuschnitt (vgl. BT-Drucksache 15/1516, S. 53), was letztlich in § 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II seinen Niederschlag gefunden hat. Nach der Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Arbeit zu der wortgleichen Regelung in § 1 Abs. 3 Ziffer 2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung ist ein Kraftfahrzeug geschützt, das abzüglich ggf. bestehender Kreditverbindlichkeiten einen Verkaufserlös von maximal 5.000 Euro hat. In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, dass es sich dabei um eine Untergrenze handele und die Schmerzgrenze bei einem Mittelklassewagen liegen dürfe; gerade zu Beginn der Arbeitslosigkeit seien auch Kraftfahrzeuge angemessen, für die ein höherer Verkaufserlös erreichbar ist (Brühl in LPK-SGB II, Rn 36 zu § 12). Ein bereits vor der Arbeitslosigkeit vorhandener Wagen sei wegen seines altersbedingten Wertverlustes in der Regel nicht mehr unangemessen (Ebsen in Gagel, Kommentar zum SGB III, Rn 151 zu § 193).

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kann es keine starre Wertgrenze für das Kriterium angemessen geben. Entscheidende Bedeutung kommt dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu. Historisch ist es so gewesen, dass ein Kraftfahrzeug im Bereich des BSHG in der Regel einsetzbares Vermögen war (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, Rn 9 zu § 12 SGB II ). In der Arbeitslosenhilfe war ein Kraftfahrzeug bis zum 31.12.2001 nur dann vor der Verwertung geschützt, wenn es zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich war (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 Ziffer 4 der bis zum 31.12.2001 gültigen Arbeitslosenhilfeverordnung vom 07.08.1974, zuletzt geändert durch Artikel 26 des Gesetzes vom 26.06.2001 -BGBI. I S. 1310 -). Wohl aus Gründen der Vewaltungsvereinfachung und Praktikabilität (vgl. Ebsen in Gagel, Kommentar zum SGB III, Rn 150 zu § 193) war ab dem 01.01.2002 auch in der Arbeitslosenhilfe ein angemessenes Kraftfahrzeug generell nicht mehr als Vermögen zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 Ziffer 2 der Arbeitslosenhilfeverordnung 2002 vom 13.12.2001 – BGBI. I, S. 3734 -). Diese Regelung wurde auch für das SGB II übernommen.

Der Gesetzgeber hat damit der Tatsache Rechnung getragen, dass im Zuge der allgemein gestiegenen Mobilität der Arbeitnehmer und der gestiegenen Zumutbarkeitsanforderungen (vgl. § 121 Abs. 4 SGB III und § 10 Abs. 2 Ziffer 3 SGB II) immer mehr Arbeitnehmer weitere Strecken zurücklegen müssen, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Da gleichzeitig der öffentliche Personenverkehr, nicht zuletzt bedingt durch die leeren Kassen der öffentlichen Haushalte insbesondere im ländlichen Raum immer weiter eingeschränkt wurde, ist die Benutzung des Pkw in vielen Fällen eine Notwendigkeit geworden, zumal viele Betriebe in Gewerbegebieten, Stadtrandlagen und ähnlichen schlecht durch den öffentlichen Personenverkehr erschlossenen Regionen angesiedelt sind. Dem wollte der Gesetzgeber ersichtlich Rechnung tragen, indem er nicht nur im Falle einer im konkreten Einzelfall nachgewiesenen Erforderlichkeit (wie in der bis zum 31.12.2001 gültigen Arbeitslosenhilfe-Verordnung), sondern generell ein Kraftfahrzeug von der Anrechnung als Vermögen ausgenommen hat.

Das Kriterium der Angemessenheit ist vor dem Hintergrund dieses Verwendungszwecks auszulegen. Das Kraftfahrzeug wird nicht als Vermögensgegenstand, sondern als Verkehrsmittel geschützt. Angemessen ist damit ein Kraftfahrzeug, das ein zuverlässiger, möglichst wenig reparaturanfälliger, sicherer und arbeitstäglich benutzbarer Gebrauchsgegenstand ist, der weder übertriebenen Luxus, noch eine deutlich über dem Durchschnitt liegende Motorleistung aufweist. Vor diesem Hintergrund ist in aller Regel ein Mittelklassefahrzeug, das bereits definitionsgemäß nicht als Luxusgegenstand eingestuft wird, mit mittlerer Motorisierung als angemessen anzusehen. Dies gilt jedenfalls für Fahrzeuge, die sich bereits vor der Arbeitslosigkeit und damit auch bevor sich ein reduzierter Lebensstandard abzeichnete im Besitz der Betroffenen befanden.

Dem aktuellen Fahrzeugwert kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu. Einmal abgesehen davon, dass es generell nicht sinnvoll erscheint und vom Gesetzgeber mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch nicht beabsichtigt war, die Leistungsberechtigten des SGB II zu veranlassen ein solides, zuverlässiges und ihnen bekanntes Auto gegen ein geringwertigeres, damit im Zweifel aber auch reparaturanfälligeres und mit dem Risiko unbekannter Mängel behaftetes Kfz einzutauschen, relativiert sich das Wertproblem durch die weitere Entwicklung. Findet der Leistungsberechtigte kurz nach Beginn des Alg-II-Bezuges wieder eine Arbeit, wäre die vorgenommene Verwertung und der Umstieg auf ein geringwertigeres Fahrzeug unwirtschaftlich gewesen. Bleibt er hingegen längerfristig arbeitslos, ist das Kfz einem – gerade in der Anfangszeit erheblichen Wertverlust ausgesetzt, so dass sich der „zu hohe“ Wert in überschaubarer Zeit verbraucht. Auch unter Billigkeitsgesichtspunkten ist es sachgerecht, in der ersten Phase des ALG II – Bezuges einen höheren Wert für angemessen zu erachten, als in späteren Phasen. Eine starre Wertgrenze wird mithin dem Begriff der Angemessenheit nicht gerecht.

Angemessen ist daher ein Mittelklassewagen ohne besonderen Luxus und mit durchschnittlicher Motorisierung, der sich bereits vor der Arbeitslosigkeit im Eigentum des Arbeitslosen befand, ohne dass es auf den aktuellen Marktwert ankäme.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Skoda Octavia und damit eines Fahrzeugs, dass eindeutig der Mittelklasse zuzuordnen ist. Das Fahrzeug hat – soweit ersichtlich – keinen besonderen Luxus und mit 102 PS nach aktuellen Vergleichsmaßstäben auch noch keine übertriebene Motorleistung: Der Erwerb erfolgte im Juni 2003 und damit vor der aktuellen, im Herbst 2004 eingetretenen Arbeitslosigkeit. Es ist daher als angemessen anzusehen und von der Verwertung ausgenommen.

Unter Berücksichtigung des von dem Antragsgegner errechneten Freibetrages verbleibt mithin kein einzusetzendes Vermögen, so dass dem Antragsteller dem Grunde nach Arbeitslosengeld II nach §§ 19 ff SGB II zu gewähren ist. Die Bedenken des Antragsgegners hinsichtlich der Unterkunftskosten teilt das Gericht nicht. Zumindest im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist die Vorlage des Mietvertrages und eines Beleges über die Zahlung einer Monatsmiete ausreichend. Der Behörde bleibt es unbenommen vor Entscheidung über den Widerspruch weitere Ermittlungen anzustellen und dem Antragsteller den lückenlosen Nachweis der Mietzahlung aufzugeben, was bislang nicht geschehen ist.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nach Aktenlage nicht auf andere Weise sicherstellen kann, so dass die von ihm erstrebte Regelung auch eilbedürftig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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