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Polizeieinsatzkosten – Beförderung einer hilflosen Person

OVG Lüneburg

Az: 11 LB 226/11

Urteil vom 26.01.2012


Der 1924 geborene, in einem Heim lebende Kläger wendet sich gegen einen Kostenbescheid der Beklagten in Höhe von 65 € für seine Beförderung in einem Polizeifahrzeug innerhalb von Hannover.

Am 7. Oktober 2009 gegen 14.15 Uhr wurde der laut Einsatzprotokoll „demenzkranke“ Kläger „auf dem Gehweg der “ 10 gegenüber der Einmündung ……in Hannover aufgegriffen und mit einem – mit zwei Beamten besetzten – Polizeikraftfahrzeug zu seinem nahegelegenen „Wohnstift“ in der ……….zurückgebracht.

Nach zwei vorhergehenden, aus formellen Gründen fehlgeschlagenen Versuchen vom 14. Dezember 2009 und 22. Februar 2010 sowie nach vorhergehender Anhörung setzte die Beklagte für den o. a. Einsatz mit dem hier streitigen, auch an den Sohn des Klägers, der u. a. für die Vertretung vor Behörden und Gerichten sowie die Vermögenssorge vom Kläger rechtsgeschäftlich bevollmächtigt ist, gerichteten, Bescheid vom 12. März 2010 Kosten in Höhe von insgesamt 65 € fest.

Hiergegen hat der Kläger am 13. April 2010 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Er sei geschäftsunfähig und könne deshalb weder Störer noch Kostenschuldner oder Beteiligter in einem Verwaltungsverfahren sein. Da er das Heim unerkannt verlassen und sich noch in dessen unmittelbarer Nähe befunden habe, wäre es günstiger gewesen, seinen Sohn, einen Heimmitarbeiter oder ein Taxi zur Rückbeförderung zu rufen. Schließlich sei die Kostenerhebung unbillig und ermessensfehlerhaft. Die Öffentlichkeit könne kein Interesse daran haben, dass die Polizei für eine nur wenige Minuten dauernde Hilfeleistung für einen orientierungslosen älteren Menschen „Gebühren“ verlange; dem stehe auch der „verfassungsrechtliche Schutzauftrag der Polizei entgegen“. Da er sich bereits mehrfach unbemerkt aus seinem Heim entfernt habe, sei das Heim Zweckveranlasser.

Der Kläger hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2010 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat auf ihre Eilkompetenz und ergänzend darauf verwiesen, dass der Kläger angesichts seiner Orientierungslosigkeit im öffentlichen Verkehrsraum gefährdet gewesen sei. Zur Abwendung dieser Gefahr sei seine Rückbeförderung die effektivste und ihn mangels Wartezeit tatsächlich am wenigsten belastende Maßnahme gewesen; die sich aus der Beförderung ergebende Kostenpflicht sei nicht Teil der Ermessensausübung (durch die Beamten vor Ort) gewesen. Ob der Kläger schuld- und geschäftsfähig (gewesen) sei, sei für die Rechtmäßigkeit seiner Beförderung unerheblich. Der Kläger sei ferner zu Recht als kostenrechtlicher Veranlasser angesehen worden. Die Kostenhöhe sei zur Verwaltungsvereinfachung auf Grund einer Mischkalkulation aller Fälle gesetzlich vorgesehen; dies schließe eine Spitzabrechnung im Einzelfall aus.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 3. März 2011 stattgegeben. Zwar sei der Tatbestand der im Oktober 2009 noch geltenden und hier maßgeblichen Tarifstellen 108.4.1 und 2 der Anlage zur AllGO (a. F.) vom Kläger verwirklicht worden. Seine Beförderung sei zudem rechtmäßig gewesen, da sie sowohl im Interesse des Klägers selbst als auch der Polizeibeamten das effektivste Mittel zur Gefahrenabwehr gewesen sei und die Beamten deshalb nicht verpflichtet gewesen seien, die Erfolgsaussichten der nunmehr geltend gemachten alternativen Rückführungsmöglichkeiten zu erkunden. Bei dieser Sachlage sei der Kläger auch Kostenschuldner; die Kostenschuldnerschaft setze lediglich die hier gegebene, von einem natürlichen Willen getragene Veranlassung der Amtshandlung voraus. Der Kostenbescheid sei gleichwohl rechtswidrig. Denn § 2 Abs. 2 NVwKostG erfordere beim Vorliegen eines öffentlichen Interesses eine einheitliche Ermessensentscheidung, die hier zu Unrecht unterblieben sei. Das eine Ermessensentscheidung gebietende „öffentliche Interesse“ ergebe sich aus der für die Behörde erkennbaren Geschäftsunfähigkeit des Klägers als beförderter Person.

Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 27. Juli 2011 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen. Die Berufung ist von der Beklagten am 23. August 2011 begründet worden. Sie verweist auf ihre bisherige sowie die Begründung in dem Senatbeschluss vom 27. Juli 2011. Wenn sie nach den Vorgaben des Verwaltungsgerichts Ermittlungen zur Geschäftsfähigkeit anstellen müsse, erforderten diese einen so großen Aufwand, dass aus wirtschaftlichen Gründen gleich von der Kostenerhebung abzusehen sei. Eine Billigkeitsmaßnahme nach § 11 Abs. 2 NVwKostG komme vorliegend nicht in Betracht. Denn weder sei eine soziale Härte für den Kläger erkennbar noch rechtfertige die Kürze der Beförderungsstrecke eine anteilige Kostenreduzierung aus sachlichen Gründen. Im Übrigen werde ihre im Laufe des gerichtlichen Verfahrens diskutierte Verwaltungspraxis bei der Kostenerhebung für die Beförderung von Kindern überprüft.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – 10. Kammer – vom 3. März 2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, dass einer Ermessensausübung nach § 2 Abs. 2 NVwKostG nicht bereits die Entscheidung des Normgebers über die Kostenpflicht der Beförderung nach der Tarifstelle 108.1.4 AllGO a. F. entgegenstehe, sondern der Beklagten auch in diesen Fällen generell ein Ermessen offen stehe und dies gemäß dem Sozialstaatsprinzip, dem Schutz der Menschenwürde sowie zur Gleichbehandlung „im öffentlichen Interesse“ beim „Transport hilfebedürftiger Personen“ – wie im Falle der Beförderung von Kindern – zum Absehen von der Kostenerhebung führen könne. Der Kläger sei im Übrigen bislang lediglich (dreimal) von seinen Angehörigen und noch nicht auf Staatskosten zurückgeführt worden. Die demnach mögliche und notwendige Ermessensausübung sei hier bei Erlass des Bescheides unterblieben; im gerichtlichen Verfahren könne sie nicht erstmals erfolgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden, und auch in der Sache begründet, da ihr angegriffener Bescheid vom 12. März 2010, soweit hierüber in diesem Verfahren auf die Anfechtungsklage zu entscheiden ist, rechtmäßig und daher das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern ist.

Streitgegenstand der Anfechtungsklage gegen einen Abgabenbescheid nach niedersächsischem Landesrecht ist die Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des Abgabentatbestandes, hier also der §§ 1, 2 Abs. 1, 5 ff. NVwKostG i. V. m. Nr. 108.1.4 der Anlage zur Allgemeinen Gebührenordnung vom 5. Juni 1997 (Nds. GVBl. S. 171, berichtigt 1998, S. 501) in der im Entstehungszeitpunkt der Abgabe (§ 6 NVwKostG) geltenden und deshalb hier maßgeblichen Fassung der Änderung vom 4. Dezember 2008 (Nds. GVBl. S. 389 – Anlage zur AllGO a. F.). Nicht mehr zu diesem Streitgegenstand gehört hingegen ein etwaiger Anspruch auf Erlass – bzw. zumindest auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung insoweit – aus Billigkeitsgründen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG; der letztgenannte, rechtliche getrennte Anspruch ist vielmehr grundsätzlich gesondert bei der Behörde geltend zu machen und bei Ablehnung ggf. mit der Verpflichtungsklage gerichtlich weiter zu verfolgen (vgl. zu einer Gebühr nach dem nds. Kommunalbeitragsrecht: Nds. OVG, Urt. v. 11.3.2011 – 9 LB 13/09 -, juris, m. w. N., zum Erlass nach § 11 Abs. 2 NVwKostG: VG Hannover, Urt. v. 10.6.2004 – 12 A 5867/02 -, sowie allgemein zum Billigkeitserlass einer Verwaltungsgebühr: VG Aachen, Urt. v. 9.9.2005 – 7 K 2270/02 -, juris, Rn. 21 f., m. w. N.). Ob Gleiches auch für die Anwendung des § 2 Abs. 2 NVwKostG, d.h. der hier vorrangig streitigen Entscheidung über das Absehen von der Gebührenerhebung im „öffentlichen Interesse“, gilt (so ohne nähere Erörterung im Ergebnis Nds. OVG, Urt. v. 25.4.2003 – 1 LB 343/02 -, juris; vgl. aber auch Senatsbeschl. v. 17.3.2003 – 11 LA 440/02 – sowie Senatsurt. v. 27.5.2004 – 11 LB 116/02 -), kann hier aus den nachfolgend genannten Gründen mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben. Dagegen spricht allerdings die systematische Gleichstellung der Gebührenbefreiung im allgemeinen öffentlichen Interesse nach § 2 Abs. 2 NVwKostG mit den in § 2 Abs. 1 NVwKostG speziell geregelten Fällen der gebührenfreien Amtshandlungen, die eine Gebührenerhebung bereits dem Grunde nach ausschließen und damit kein gesondertes, weiteres Verwaltungsverfahren neben dem Kostenerhebungsverfahren erfordern (vgl. nur Nds. OVG, Beschl. v. 4.5.2011 – 8 LA 73/10 -).

Die mit dem – nach §§ 11 Nr. 1, 14 Abs. 3, 28 VwVfG nunmehr formell rechtmäßigen – Bescheid der Beklagten vom 12. März 2010 geltend gemachte Kostenforderung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 1 ff. NVwKostG i. V. m. Nr. 108.1.4 der Anlage zur AllGO a. F.. Danach waren für die hier erfolgte Beförderung des Klägers mit einem Fahrzeug der Polizei je mit dem Fahrzeug eingesetzten Bediensteten 25 € (Tarifstelle 108.1.4.1), für zwei Beamte also 50 €, zuzüglich einem Mindestwert von 15 € für die Fahrstrecke (Tarifstelle 108.1.4.2), zusammen also die festgesetzten 65 € zu erheben.

Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Verordnungsregelung sind vom Kläger nicht substantiiert geltend gemacht worden und auch für den Senat nicht zu erkennen. Insbesondere zwingt höherrangiges Recht, etwa Verfassungsrecht, nicht dazu, staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, wie in den Fällen der Nr. 108.1.4 der Anlage zur AllGO a. F., unabhängig von den Verhältnissen des Einzelfalles kostenlos zu erbringen. Wie der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss ausgeführt hat, steht dem Normgeber vielmehr auch im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Kostenpflicht unterwerfen will. Dieser Gestaltungsspielraum wird nicht durch die verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründete Schutzpflicht des Staates für das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger eingeschränkt. Denn diese Schutzpflicht kann primär nur Handlungspflichten der staatlichen Organe im Bereich der Gefahrenabwehr begründen, nicht aber die Frage der Refinanzierung des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes determinieren (vgl. BVerfG, Besch. v. 11.8.1998 – 1 BvR 1270/94 -, NVwZ 1999, 176 f.).

Ist eine Kostenerhebung nach Nr. 108.1.4 der Anlage zur AllGO a. F. somit grundsätzlich zulässig und sind die Voraussetzungen dieser Kostentarifstelle hier gegeben, so ist weiterhin inzident die Rechtmäßigkeit der zu Grunde liegenden Amtshandlung, hier also der Beförderung des Klägers, zu prüfen, soweit – wie hier – weder dazu eine bindende Entscheidung vorliegt noch die Entscheidungskompetenz abweichend konzentriert ist. Die Beförderung des Klägers war aus den zutreffend bereits vom Verwaltungsgericht genannten Gründen rechtmäßig, da der orientierungslose Kläger zur Abwendung einer Gefahr zumindest für seine Gesundheit möglichst umgehend aus dem öffentlichen Verkehrsraum in die Obhut der Heimmitarbeiter zurückzuführen war, dies geschah und die damit grundsätzlich verbundene Kostenlast verhältnismäßig ist. Eine andere, ebenso effektive, für den Kläger aber weniger Kosten verursachende Alternative bestand nicht. Die eingesetzten Polizeibeamten waren im Kosteninteresse des Klägers und unter Zurückstellung ihrer sonstigen Dienstpflichten auch nicht verpflichtet, sich danach zu erkundigen, wer sonst – Heimmitarbeiter, Angehörige oder Bekannte des Klägers oder ein Taxi bzw. Mietwagen – den Kläger hätte befördern können, und bis zum Eintreffen vor Ort mit dem Kläger zu warten. Dies hätte zusätzliche Zeit erfordert, die Beamten von der Wahrnehmung ihrer übrigen Dienstaufgaben abgehalten und den Kläger selbst auch belastet; zudem war offen, ob zumindest eine der aufgezeigten Möglichkeiten überhaupt eine zeitnahe und sichere Rückführung des Klägers ermöglicht hätte. Es war daher rechtmäßig, dass die Beamten den Kläger stattdessen selbst in das nahe gelegene Heim zurückgefahren haben.

Das Verwaltungsgericht hat weiterhin zutreffend die Kostenschuldnerschaft des Klägers nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG bejaht, da er zu der kostenpflichtigen Amtshandlung – seiner Beförderung – jedenfalls von einem natürlichen Willen getragen (vgl. Senatsbeschl. v. 13.7.2000 – 11 L 312/00 -. juris, Rn. 13) Anlass gegeben hat und es für eine solche Kostenschuldnerschaft auf eine etwaige Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Klägers nicht ankommt. Dass daneben auch das Heim des Klägers die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG erfüllte – wie der Kläger sinngemäß geltend macht -, ist auf Grund des bekannten Sachverhalts nicht zu erkennen. Denn den unmittelbaren Anlass zu der Rückbeförderung hat der Kläger selbst gegeben. Ob das Heim oder ggf. der Sohn des Klägers berechtigt oder zivilrechtlich verpflichtet gewesen wäre, den Kläger am Vorfallstag am Verlassen des Heims zu hindern, ob es/er dazu auch tatsächlich in der Lage gewesen wäre und ob in diesem Fall zusätzlich der Heimträger oder der Sohn des Klägers als Kostenschuldner nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG in Betracht käme, musste vorliegend angesichts der feststehenden Kostenschuldnerschaft des Klägers nicht geklärt werden. Denn durch die Gesamtschuldnerschaft nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NVwKostG soll der Behörde zur Vereinfachung des Gesetzesvollzuges nach Ermessen die Wahl zwischen mehreren Kostenschuldnern ermöglicht, ihr aber nicht die Pflicht auferlegt werden, mit unsicheren Erfolgsaussichten erst noch etwaige weitere Kostenschuldner zu ermitteln (vgl. zu diesen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen bei einer Gesamtschuldnerschaft: BVerwG, Urt. v. 22.1.1993 – 8 C 57/91 -, juris; Nds. OVG, Beschl. v. 19.4.2007 – 9 LA 246/05 -, m. w. N.).

Von der Kostenerhebung war vorliegend nicht nach § 2 Abs. 2 NVwKostG abzusehen, da es jedenfalls an dem dazu erforderlichen „öffentlichen Interesse“ mangelt; es kann daher offen bleiben, ob nach § 2 Abs. 2 NVwKostG überhaupt in vollem Umfang auf eine Kostenerhebung nach Nr. 108.1.4 der Anlage zur AllGO a. F. abgesehen werden kann oder dem entgegensteht, dass § 2 Abs. 2 NVwKostG lediglich eine Gebührenbefreiung zulässt, Auslagen also in jedem Falle zu erheben sind und in der Anlage zur AllGO a. F. nicht lediglich Gebühren, sondern auch Pauschbeträge für Auslagen enthalten sind (§ 1 Abs. 1 AllGO) und dies ggf. auch für die vorliegend streitigen Sachkosten der Beförderung nach Nr. 108.1.4.2 gilt.

Ob § 2 Abs. 2 NVwKostG als sog. Koppelungsvorschrift (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 40, Rn. 21, m. w. N.) dogmatisch so zu verstehen ist, dass zunächst unter den unbestimmten Rechtsbegriff des „öffentlichen Interesses“ zu subsumieren und erst dann in einem zweiten Schritt die ggf. der Behörde eröffnete Ermessensentscheidung gesondert zu überprüfen ist (Senatsbeschl. v. 17.3.2003 – 11 LA 440/02 -), oder es sich um eine einheitliche Ermessensentscheidung (Urt. des 1. Senats des erkennenden Gerichts v. 25.4.2003 – 1 LB 343/02 -, juris, Rn. 23) oder eine einheitlich gebundene Entscheidung handelt, kann hier mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben. Selbst wenn man von einer einheitlichen Ermessensentscheidung ausgeht, muss sich diese jedenfalls an dem unbestimmten Rechtsbegriff des öffentlichen Interesse ausrichten, d.h. die Behörde darf einen Gebührenverzicht nach Ermessen erst dann aussprechen, wenn das dazu erforderliche öffentliche Interesse gegeben ist. Dieses hat sich wiederum – wie auch ein Vergleich mit den in § 2 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG ausdrücklich bezeichneten Fällen der gebührenfreien Amtshandlungen ergibt – auf die Nichterhebung der Gebühr zu beziehen (vgl. das o. a. Urt. v. 25.4.2003- 1 LB 343/02 -, Rn. 27, m. w. N.). Ein solches öffentliches Interesse, auf die hier streitigen 65 € zu verzichten, ist jedoch weder unmittelbar – da der damit verbundene Kostennachteil gerade zu Gunsten einer Privatperson und zu Lasten des Landes geht – noch mittelbar zu erkennen. Letzteres käme allenfalls in Betracht, wenn die Gebühr abschreckende Wirkung entfalten und den Schuldner zukünftig von einer im öffentlichen Interesse liegenden Tätigkeit abhalten würde. Eine solche Wirkung kann der hier streitigen Kostenerhebung für die Beförderung hilfloser Personen zur Gefahrenabwehr aber nicht zukommen, da es auf ihr Einverständnis zur Beförderung im Zustand der Hilflosigkeit nicht ankommt.

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Wie der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss ausgeführt hat, spricht weiterhin die Systematik des niedersächsischen Verwaltungskostenrechts gegen die Annahme, vorliegend könne die Beklagte im Ermessenswege von einer Gebührenerhebung absehen oder müsse für die Gebührenerhebung weitere Feststellungen treffen. Denn der Verordnungsgeber hat – in Nr. 26 für Zwangsmaßnahmen sowie in Nr. 108 für (sonstige) Maßnahmen nach dem Nds. SOG – in der Anlage zur Allgemeinen Gebührenordnung a. F. im Einzelnen festgelegt, welche (wenigen) der zahlreichen Tätigkeiten der Polizei nach dem Nds. SOG kostenpflichtig sein sollen. Nr. 108.1.4 der Anlage zur AllGO a. F. sieht ausdrücklich die Kostenerhebung für Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren nach § 11 Nds. SOG vor, soweit dabei durch Polizeifahrzeuge – wie hier – Personen befördert oder Tiere bzw. Sachen transportiert worden sind. Die Entscheidung, solche Beförderungs- bzw. Transportleistungen der Polizei grundsätzlich nicht aus Landesmitteln, sondern von dem jeweiligen Veranlasser refinanzieren zu lassen, ist nach den vorherigen Ausführungen nicht zu beanstanden. Da die Beförderung von Personen, die nach § 18 Nds. SOG in Gewahrsam zu nehmen sind, in Nr. 108.2.1 der Anlage zur AllGO a. F. nochmals gesondert geregelt ist, dürfte die Beförderung von Personen, die sich bedingt durch Alter, Krankheit, Alkohol, Drogen, Medikamente oder aus vergleichbaren Gründen (sonst) in einer hilflosen Lage befinden und deshalb – wie hier der Kläger – vorrangig zum eigenen Schutz nach Hause oder in die Obhut anderer schutzbereiter Personen verbracht werden, einen Hauptanwendungsfall der Kostenerhebung nach Nr. 108.1.4 der Anlage zur AllGO a. F. darstellen. Die Kostenerhebung dieser speziellen Tarifstelle kann schon deshalb nicht – wie im Ergebnis nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht – über den Wortlaut hinaus von der Prüfung der Geschäftsfähigkeit des Beförderten als einem weiteren, aus § 2 Abs. 2 NVwKostG abgeleiteten Tatbestandsmerkmal abhängig gemacht werden. Dagegen sprechen außerdem die mit der Feststellung einer solchen Geschäftsunfähigkeit verbundenen praktischen Probleme; wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, würde die Kostenerhebung andernfalls unwirtschaftlich werden. Schließlich besteht für die vom Verwaltungsgericht angenommene „Auslegung“ des „öffentlichen Interesses“ i. S. d. § 2 Abs. 2 NVwKostG auch in der vorliegenden Fallgestaltung zur Wahrung höherrangigen Rechts bzw. zum Schutz von geschäftsunfähigen Personen kein praktisches Bedürfnis. Vielmehr bietet § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG, wonach die Behörde die Kosten ermäßigen oder von der Erhebung absehen kann, wenn dies im Einzelfall etwa aus Billigkeitsgründen geboten ist, hinreichend Möglichkeit, den sich aus der Person des Beförderten ergebenden Besonderheiten des Einzelfalles systemgerecht Rechnung zu tragen; hierbei kann etwa auch tragend auf die spezielle Ursache der polizeilichen Einsatznotwendigkeit abgestellt werden.

Nach diesem Maßstab ist die vom Kläger thematisierte Verwaltungspraxis der Beklagten bei der Kostenerhebung für die Beförderung von Minderjährigen unerheblich. Sollte es sich dabei überhaupt um Fälle im Anwendungsbereich des NVwKostG handeln – was etwa bei der Rückführung von straffällig gewordenen Personen oder bei jugendhilferechtlichen Maßnahmen nicht der Fall ist -, so steht der Beklagten auch insoweit keine rechtmäßige Möglichkeit offen, von der Gebührenerhebung nach § 2 Abs. 2 NVwKostG abzusehen; ein Anspruch auf etwaige Gleichbehandlung im Unrecht steht dem Kläger nicht zu. Im Übrigen müsste eine solche Verwaltungspraxis selbst bei Anwendung des NVwKostG ihre Rechtsgrundlage auch gar nicht in § 2 Abs. 2 NVwKostG finden, sondern könnte ggf. auch verallgemeinernd auf § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG beruhen.

Ob nach § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG vorliegend von der Kostenerhebung ganz abgesehen werden kann oder diese Kosten zumindest ermäßigt werden können, ist aus den vorgenannten Gründen in diesem, gegen den Erlass des Kostenbescheides gerichteten Klageverfahren schon nicht zu entscheiden. Vorsorglich weist der Senat insoweit aber auf Folgendes hin: Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass ein Erlass oder eine Ermäßigung „mit Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse“ (Alt. 1) geboten sei. Ebenso wenig sind persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 NVwKostG für einen Kostenverzicht zu erkennen. Persönliche Billigkeitsgründe liegen nur vor, wenn es sich um einen atypischen, vom Normgeber so nicht vorhergesehenen Fall handelt, in dem durch die Einziehung der Kosten für den Betroffenen außergewöhnlich schwerwiegende Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung der Kosten hinausgehen, so dass es zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit geboten ist, von der Kosteneinziehung abzusehen (vgl. allgemein Nds. OVG, Beschl. v. 29.5.2007 – 2 ME 419/07 -, m. w. N.). Solche Gründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere setzt die Verwirklichung des Kostentatbestandes bewusst nicht die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen voraus; hieran dürfte es vielmehr aus den zuvor genannten Gründen häufig fehlen. Angesichts der geringen Kostenhöhe von 65 € ist auch im Übrigen nicht zu erkennen, dass der Kläger aus sozialen Gründen einzelfallbezogen besonders schutzbedürftig wäre. Nach seinem eigenen Vorbringen kommt vielmehr ein Rückgriffsanspruch im Innenverhältnis gegenüber dem Heimträger in Betracht, wenn dieser seiner vertraglichen Verpflichtung zur umfassenden tatsächlichen Betreuung des Klägers nicht hinreichend nachgekommen ist.

Eine sachliche Unbilligkeit der Kostenerhebung ist nicht ersichtlich. Dazu bedürfte es ebenfalls einer vorliegend nicht erkennbaren, dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Normgebers widersprechenden Härte. Hieran mangelt es schon deshalb, weil der Kläger nach dem eigenen Vortrag nicht erstmals, sondern schon mehrfach wegen Orientierungslosigkeit der Hilfe bedurfte und es deshalb – unabhängig davon, wer zuvor die Hilfe geleistet hat – keine ungewollte Härte darstellt, wenn die in einer solchen Situation erneut auf – diesmal staatliche – Hilfe angewiesene Person dafür im Außenverhältnis die notwendigen Kosten trägt.

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