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Polizeiklausel in Kfz-Vermieter-AGB – Unwirksamkeit

LG Frankfurt a. M. – Az.: 2-13 O 333/20 – Urteil vom 04.08.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert wir auf bis 6.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über vermeintliche Schadensersatzansprüche aus einem Mietvertrag über ein Kraftfahrzeug.

Die Klägerin betreibt eine gewerbliche Autovermietung. Sie vermietete an den Beklagten das in ihrem Eigentum stehende Kraftfahrzeug mit dem amtlichen […] unter Vereinbarung einer Haftungsreduzierung mit Selbstbeteiligung in Höhe von 950,00 € pro Vorfall nach dem Leitbild einer Kaskoversicherung. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGB) der Klägerin heißt es unter § 4 mit dem Titel „Wesentliche Pflichten des Mieters“ unter b) (ii):

„Der Mieter hat jeden Diebstahl oder Verlust (oder gegebenenfalls jeden Unfall) sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten.“

Wegen der weiteren Einzelheiten der AGB wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 29.04.2021, Bl. 94 d. A., Bezug genommen.

Der Beklagte verursachte mit dem gemieteten Fahrzeug einen Unfall, den er aber nicht sofort der Polizei anzeigte. Durch den Unfall entstand der Klägerin ein Schaden von 6.560,51 € (Nettoreparaturkosten von 6.515,51 € sowie Gutachterkosten von 45,00 €), worauf der Beklagte einen Selbstbeteiligungsbeitrag in Höhe von 950,00 € leistete.

Mit der Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten Zahlung der restlichen 5.610,51 €. Sie ist der Ansicht, dass die vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung auf die Selbstbeteiligung von 950,00 € nach § 7 a) (ii) der AGB in Wegfall geraten sei, weil der Beklagte entgegen oben zitierter Verpflichtung den Unfall nicht sofort bei der Polizei anzeigte.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.610,51 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Haftung auf den Selbstbehalt reduziert sei; die Regelung über die Verpflichtung „gegebenenfalls jeden Unfall sofort der Polizei anzuzeigen“ halte einer AGB-Prüfung nicht stand.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen überreichten Anlagen Bezug genommen.

Die Klage ist dem Beklagten am 10.02.2021 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Zwar steht der Klägerin gegen den Beklagten dem Grunde nach wegen der Verletzung seiner Obhutspflicht ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu (vgl. BGH, Urteil vom 28.2.2018 – VIII ZR 157/17 = NJW 2018, 1746).

Der Höhe nach ist dieser jedoch auf die bereits geleisteten 950,00 € begrenzt. Die Haftungsreduzierung ist nicht gemäß § 7 a) (ii) wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung aus § 4 b) (ii) in Wegfall geraten. Die Frage offen lassend, ob letztgenannte Klausel wegen ihrer Mehrdeutigkeit vielleicht nach § 305c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB schon nicht als vereinbart gilt, ist sie jedenfalls nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, wobei sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben kann, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Letzteres ist hier der Fall.

1. Der Klägerin ist noch zuzustimmen, dass eine sogenannte Polizeiklausel grundsätzlich keinen Bedenken begegnet. In den von Klägerseite zitierten Gerichtsentscheidungen handelte es sich jedoch um eindeutige Formulierungen (so etwa BGH, Urt. v. 02.12.2009, Az.: XII ZR 117/08; BGH, Versäumnisurteil vom 10. 6. 2009 – XII ZR 19/08; OLG Saarbrücken (2. Senat), Urteil vom 24.06.2015 – 2 U 73/14).

2. Die hier in Klammern gesetzte Formulierung „gegebenenfalls jeden Unfall“ ist demgegenüber nicht klar und verständlich (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).

a) Bereits die Formulierung „gegebenenfalls“ legt dem typischerweise angesprochenen Kunden nahe, dass die Verpflichtung nur eingeschränkt gilt.

b) Dies wird verstärkt durch den Umstand, dass der der Zusatz „oder gegebenenfalls jeden Unfall“ in Klammern gesetzt ist, wohingegen die anderen beiden Ereignisse Diebstahl oder Verlust ohne Klammer und ohne einschränkenden Zusatz genannt werden.

c) Der Eindruck des typischerweise angesprochenen Kunden, dass es hier ein Stufenverhältnis zwischen Diebstahl und Verlust einerseits und Unfall andererseits gibt und dass eine Verpflichtung im Falle eines Unfalls nicht uneingeschränkt gilt, wird auch dadurch erzeugt, dass es im selben Paragrafen nur einen Abschnitt darüber unter (i) heißt: „Der Mieter hat dem Vermieter den Unfall, Diebstahl oder Verlust unverzüglich – gleich auf welche Weise – anzuzeigen.“ So dort die Ereignisse gleichberechtigt nebeneinander genannt werden, vermutet der typischerweise angesprochene Kunde einen Unterschied zur Regelung unter (ii). Denn sonst hätte es unter (ii) ebenso zwanglos heißen können:

„Der Mieter hat jeden Diebstahl, Verlust oder Unfall sofort der Polizei anzuzeigen und den Vermieter unverzüglich in Textform über die Anzeige zu unterrichten.“

d) Dass es abgestufte Verpflichtungen bei den Ereignissen Diebstahl und Verlust einerseits und Unfall andererseits geben mag, beim Unfall die Verpflichtung nicht immer, sondern eben nur in einigen Fällen (=gegebenenfalls) besteht, ist auch keinesfalls so fernliegend, als dass der typischerweise angesprochene Kunde eine Anzeigeverpflichtung trotz der einschränkenden Formulierung in jedem Falle annehmen müsste.

Denn während beim Diebstahl eine Straftat vorliegt und auch der Verlust eines Fahrzeugs fast immer auf eine Straftat zurückzuführen ist, also die Hinzuziehung der Polizei die ganz typische, natürliche Erstreaktion ist, verhält es sich bei einem Unfall anders. So gibt es Unfallsituationen, in denen die Hinzuziehung der Polizei nötig ist oder naheliegt. Hingegen bei kleineren Unfällen ohne Personenschaden, bei denen auch keine Verkehrsstraftat (§§ 142, 315b ff. StGB o.ä.) im Raum steht und bei denen – wie wohl hier – kein anderer Verkehrsteilnehmer beteiligt ist, ist es untypisch, den Unfall der Polizei anzuzeigen.

Wollte die Klägerin als Verwenderin der AGB, dass der andere Teil ausnahmslos jeden Unfall anzeigt, so hätte sie dies auch uneingeschränkt, eben klar und verständlich, formulieren müssen. Eine klar und verständliche Formulierung wäre auch ohne Weiteres möglich gewesen (siehe oben I.2.c)).

3. So bleibt es aber im Dunkeln, unter welchen einschränkenden Umständen ein Unfall anzuzeigen ist und wann nicht. In dieser Intransparenz liegt eine unangemessene Benachteiligung (vgl. BGH, Urteil vom 5. 11. 1998 – III ZR 95-97 = NJW 1999, 635).

4. In Konsequenz der Unwirksamkeit richtet sich das Verhältnis der Parteien gemäß § 306 Abs. 2 BGB insoweit nach den gesetzlichen Vorschriften.

5. Anders als die Klägerin meint, ergibt sich eine der (unwirksamen) AGB-Regelung entsprechende Obliegenheit nicht aus dem Gesetz, insbesondere nicht aus § 28 Abs. 2 und 3 VVG. Denn diese setzen eine wirksame und ausdrückliche vertragliche Vereinbarung der Anzeigeobliegenheit voraus (BeckOK VVG/Marlow, 11. Ed. 3.5.2021 Rn. 15, VVG § 28 Rn. 15; Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 28 Rn. 3 mwN), an der es hier aber wegen der Klauselunwirksamkeit fehlt. Auch sonst ergibt sich aus dem Gesetz, etwa den §§ 19, 30, 31, 77 VVG, keine Anzeigepflicht gegenüber der Polizei.

 

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