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Privathaftpflichtversicherung und Sexspiele

Oberlandesgericht Hamm

Az: I-20 U 10/11

Beschluss vom 27.04.2011


Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I. Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers aus einer bei der Beklagten bestehenden Privathaftpflichtversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) sowie die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung (AH 501 – 02.99) der Beklagten zugrunde liegen. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind danach u.a. „Versicherungsansprüche aller Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben“ (§ 4 Ziff. II. Nr. 1 AHB) sowie „Gefahren … einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung“ (Buchstabe A. Ziff. I. der o.g. besonderen Bedingungen).

Am Abend des 27.02.2009 hielten sich der Kläger, die später Geschädigte … sowie eine weitere Person in der Wohnung des Klägers in … auf. Bereits in der Vergangenheit war es zwischen dem Kläger und der Geschädigten wiederholt zu sexuell motivierten, der Geschädigten (nach der Behauptung des Klägers: leichte) Schmerzen bereitenden „Spielchen“ (so die Wortwahl des Klägers) gekommen. Im Verlauf des Abends legte sich die Geschädigte einen Gürtel um den Hals, was der Kläger, da es in der Vergangenheit schon häufiger zu ähnlichen Situationen gekommen war, als Aufforderung dazu verstand, den Gürtel leicht zuzuziehen. Alsdann lockerte er den Gürtel etwas und wandte sich zunächst von der Geschädigten ab, die sich daraufhin auf die Couch setzte. Etwa 5 Minuten später ging der Kläger erneut auf die Geschädigte zu und zog sie – sinngemäß begleitet von den Worten „Auf die Knie, Sklavin“ – am Gürtel zu Boden und führte sie wie einen Hund hinter sich her durch das Wohnzimmer. Nach einigen Metern brach die Geschädigte – kurz vor der Schlafzimmertür – zusammen. Der Kläger zog dann – offenbar um sie zum Fortkommen zu bewegen – noch einmal am Gürtel, lockerte ihn aber sofort, als er realisierte, dass die Geschädigte bewusstlos war. Nachdem der Gürtel gelockert war, kam die Geschädigte (wohl) kurz darauf wieder zu Bewusstsein.

Die Geschädigte befand sich in der Zeit vom 28.02.2009 bis zum 06.03.2009 in stationärer ärztlicher Behandlung im ……. GmbH, wo eine Schädelprellung, eine HWS-Distorsion, eine akute Belastungsreaktion, eine schwere depressive Episode mit psychosomatischen Symptomen sowie eine partielle Lähmung der Stimmlippen bei Subluxation des Aryknorpels diagnostiziert wurden.

Aufgrund dieses Vorfalls verurteilte das Amtsgericht … – den Kläger am 11.02.2010 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25,00 € sowie im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Geschädigte in Höhe von 2.500,00 € zzgl. Zinsen. Die dem Strafverfahren zugrunde liegenden Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft … sind vom Landgericht beigezogen worden und liegen dem Senat vor.

Den sich aus dem Urteil des Amtsgerichts ergebenden Gesamtschadensbetrag von 2.625,00 € macht der Kläger nun gegenüber der Beklagten als seinem Privathaftpflichtversicherer klageweise geltend und beantragt des weiteren festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn hinsichtlich etwaiger weiterer Schadensersatzansprüche aus dem in Rede stehenden Vorfall freizustellen. Das Landgericht hat die Klage unter Verweis auf den Ausnahmetatbestand des Buchstaben A. Ziff. I. der vereinbarten der o.g. besonderen Bedingungen („ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung“) abgewiesen.

II. Die Berufung des Klägers hat nach Überzeugung des Senats keine Aussicht auf Erfolg; die angefochtene Entscheidung trifft in Begründung und Ergebnis zu. Zu Recht hat das Landgericht eine Eintrittspflicht der Beklagten unter Verweis auf den Ausnahmetatbestand der ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung nach Buchstabe A. Ziff. I. der o.g. besonderen Bedingungen verneint.

1. Die Beklagte ist entgegen der von ihr vertretenen Auffassung indes nicht schon wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger nach § 4 Ziff. II Nr. 1 AHB i.V.m. § 103 VVG leistungsfrei. Zwar liegt unter Berücksichtigung der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse aus Sicht des Senates – insoweit abweichend von der amtsgerichtlichen Entscheidung im Strafverfahren – die Annahme einer (zumindest bedingt) vorsätzlichen Körperverletzung nahe. Der haftungsausschließende Vorsatz bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß §§ 4 Ziff. II Nr. 1 AHB, 103 VVG muss aber nicht nur die haftungsbegründende Verletzungshandlung, sondern auch die Verletzungsfolgen umfassen (vgl. BGH, Urt. v. 17.06.1998, IV ZR 163/97, Zitat nach juris = NJW-RR 1998, 1321). Das schließt es aus, dem Versicherungsnehmer Schadensfolgen zuzurechnen, die er nicht oder nicht in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts gewollt oder im Sinne bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.1979, VI ZR 238/78, Zitat nach juris = VersR 1980, 164). Insbesondere dürfen Körperverletzungsschäden nicht durch einen von den Vorstellungen des Klägers wesentlich abweichenden Geschehensablauf entstanden sein oder nach Art und Schwere von den vorgestellten Verletzungen wesentlich abweichen (vgl. Senatsurteil v. 12.11.1980, 20 U 111/80, VersR 1981, 789 – Sturz mit Knöchelbruch auf Grund Schubsens; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.03.2005, 12 U 432/04, Zitat nach juris = VersR 2005, 781 – Schüler versprüht Reizgas, Lehrerin erleidet wegen unbekannten Asthmas Lungenentzündung; vgl. a. Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., § 103 Rn 12 m.w.N.). So verhält es sich indes hier: auf der Grundlage des feststehenden Sachverhalts lässt sich allenfalls feststellen, dass der Kläger Schmerzen bzw. Luftnot der Geschädigten billigend in Kauf genommen hat. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auch die Bewusstlosigkeit der Geschädigten einschließlich der hierdurch bedingten Verletzungsfolgen billigend in Kauf genommen hätte, sind hingegen weder dargetan noch sonst ersichtlich.

2. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, scheidet eine Eintrittspflicht der Beklagten aber deshalb aus, weil sich bei dem Schadensereignis im Ergebnis die Gefahr einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung im Sinne des Buchstaben A. Ziff. I. der o.g. besonderen Bedingungen verwirklicht hat.

Vom Versicherungsschutz der Privathaftpflichtversicherung gedeckt sind Gefahren des täglichen Lebens. Aus dem Begriff der Gefahr des täglichen Lebens als solchem lässt sich keine Beschränkung des Versicherungsschutzes herleiten (vgl. BGH, Urt. v. 25.06.1997, IV ZR 269/96, Tz 12, Zitat nach juris = VersR 1997, 1091; Senatsbeschluss 25.08.2004, 20 U 124/04, Zitat nach juris, Tz 10 = VersR 2005, 680). Gedeckt sind alle Gefahren des täglichen Lebens – auch nicht alltägliche, leichtsinnige oder verbotene Tätigkeiten -, soweit sie nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH aaO.; vgl. a. Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Nr. 1 BesBed PHV Rn 8 m.w.N.). Für eine weitere Differenzierung fehlt es an einem dem Versicherungsnehmer erkennbaren Anhalt in den Versicherungsbedingungen. Demgemäß besteht auch kein Raum für eine Abgrenzung des Versicherungsschutzes danach, ob ein Verhalten des Versicherungsnehmers als „sozialwidrig“ oder als aus dem Rahmen des „Normalbürgers“ fallend einzustufen ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.06.1997, IV ZR 269/96, Tz 13, Zitat nach juris = VersR 1997, 1091). In diesem Verständnis der Klausel sieht sich der Versicherungsnehmer bestärkt, wenn er zudem in den Blick nimmt, dass der Versicherer schon außerhalb der Klausel mit § 4 Ziff. II. Nr. 1 AHB eine weitere Einschränkung des Versicherungsschutzes herbeigeführt hat. Denn nach dieser Bestimmung sind Versicherungsansprüche aller Personen von der Versicherung ausgeschlossen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben. Aus dem Zusammenwirken der Regelungen ergibt sich für den Versicherungsnehmer demgemäß, dass der versprochene Versicherungsschutz aus den Gefahren des täglichen Lebens jedes Verhalten umfasst, soweit es sich nicht um eine – nach den Besonderen Bedingungen für die Privathaftpflichtversicherung ausdrücklich ausgeschlossene – „ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung“ handelt und soweit der Versicherungsnehmer den Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt hat (vgl. BGH Urt. v. 25.06.1997, IV ZR 269/96, Tz 13, Zitat nach juris = VersR 1997, 1091; vgl. a. Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Nr. 1 BesBed PHV Rn 10).

Um einen vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossenen Fall der „ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung“ handelt es sich indes hier. Die Voraussetzungen des Risikoausschlusses der ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung sind nach ständiger Rechtsprechung – auch des Senates – zwar nicht schon dann erfüllt, wenn die schadenstiftende Handlung selbst ungewöhnlich und gefährlich ist. Sie muss vielmehr im Rahmen einer allgemeinen Betätigung erfolgen, die ihrerseits ungewöhnlich und gefährlich ist und deshalb in erhöhtem Maße die Gefahr der Vornahme schadenstiftender Handlungen in sich birgt (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.2004, IV ZR 169/03, Zitat nach juris = VersR 2004, 591; Senatsbeschluss v. 22.06.2005, 20 U 48/05, Zitat nach juris = RuS 2005, 374; jeweils m.w.N.).

Eine derartige allgemeine Betätigung setzt nach dem Wortlaut („Beschäftigung“) eine gewisse – nicht notwendig längere – Dauer voraus (vgl. Senatsbeschluss v. 22.06.2005, 20 U 48/05, Zitat nach juris = RuS 2005, 374; Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., BesBed PHV Nr. 1, Rn 17; jeweils m.w.N.). In Abgrenzung dazu ist eine impulsive, spontane Handlung keine allgemeine Betätigung (wie vor m.w.N.). Die Voraussetzung einer gewissen Dauer im v.g. Sinne sind, wie schon das Landgericht überzeugend ausgeführt hat, hier erfüllt; insbesondere liegt entgegen der Auffassung der Berufung keine impulsive, spontane Handlung des Klägers vor. Vielmehr erstreckte sich das sexuell motivierte „Spiel“ des Zuziehens und Lockerns des Gürtels sowie des Herumführens der Geschädigten an der „Leine“ schon nach eigener Darstellung des Klägers über einen Zeitraum von mehr als 5 Minuten und damit auch über „eine gewisse Dauer“ im v.g. Sinne. Dieses „Spiel“ muss zudem im Zusammenhang mit den vergleichbaren, ebenfalls sexuell motivierten Handlungen zwischen den beiden Beteiligten in der Vergangenheit gesehen werden. Wie schon das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, können die Geschehnisse am 27.02.2009 nur als Fortsetzung der früheren Handlungen verstanden werden.

Die in Rede stehende Beschäftigung war auch gefährlich. Das Merkmal der Gefährlichkeit ist zu bejahen, wenn sich durch die Beschäftigung das Risiko für einen – in der Haftpflichtversicherung allein relevanten – Fremdschaden erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.2004, IV ZR 169/03, Zitat nach juris, Tz 24 = VersR 2004, 591; Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Nr. 1 BesBed PHV Rn 16 m.w.N.). Dass das Zuziehen eines um den Hals gelegten Gürtels – zumal wenn es, wie hier, der Erzielung von Luftnot dient und mit einem „Hinterherziehen“ der auf allen Vieren kriechenden Geschädigten durch die Wohnung verbunden ist – objektiv gefährlich ist, liegt auf der Hand.

Auch das für die Annahme des Ausschlusstatbestandes weiter erforderliche Merkmal der Ungewöhnlichkeit ist im Ergebnis erfüllt. Ungewöhnlich ist die allgemeine Betätigung dann, wenn sie objektiv ihrer Art nach auch bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs deutlich aus dem Rahmen der gewöhnlichen Betätigungsarten herausfällt (vgl. Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Nr. 1 BesBed PHV Rn 18). Ob bzw. wann dies der Fall ist, kann regelmäßig nur im Wege der Einzelfallbetrachtung beantwortet werden. Die in diesem Zusammenhang notwendige Differenzierung hat nach Auffassung des Senates danach zu erfolgen, was nach heutiger Verkehrsauffassung allgemein und nicht nur in Einzelfällen noch als gewöhnliche Betätigung im Rahmen eines Privathaushalts angesehen werden kann, wobei der Durchschnittsbürger, nicht aber die Gepflogenheiten bestimmter Kreise als Maßstab zu dienen haben (so auch OLG Oldenburg, Beschluss v. 20.04.2004, 3 W 5/04, Zitat nach juris, Tz 13 = VersR 2005, 262 – zur Heimwerkertätigkeit). Die Grenzen der Gefahren des täglichen Lebens, für die die Beklagte einzustehen hat, sind nach Auffassung des Senats jedenfalls dann erreicht, wenn die fragliche Tätigkeit wegen der mit ihr verbundenen Gefahren von einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht mehr ausgeübt würde (vgl. OLG Oldenburg aaO.). So verhält es sich hier. Das Herumführen eines auf allen Vieren kriechenden Menschen an einem um den Hals gelegten Gürtel ist, zumindest vom Standpunkt des Durchschnittsbürgers aus betrachtet, sicherlich schon als ungewöhnlich anzusehen. Vor allem aber ist es – wie ausgeführt – mit erheblichen Gefahren verbunden, wenn der Gürtel dabei, wie vorliegend, immer wieder zum Zwecke der Herbeiführung von – und sei es kurzfristiger – Luftnot zugezogen wird. Dies gilt umso mehr, als der Kläger die Geschädigte schon nach eigenem Vorbringen an dem um den Hals gelegten Gürtel regelrecht durch die Wohnung hinter sich her gezogen und selbst, als diese schon regungslos am Boden lag, nochmals zugezogen hat, um sie zum „Weitermachen“ zu ermuntern. Schnell ist bei einem solchen Vorgehen angesichts der im Bereich des Halses kaum durch den Körper geschützten Luftröhre die Grenze zur Lebensbedrohlichkeit überschritten, was jedem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer einleuchtet und aus diesem Grund von einem solchen Verhalten auch in der Regel Abstand nimmt.

III. Auf die Gebührenermäßigung bei Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222) wird hingewiesen.

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