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Prüfung der Sachverständigenvergütung durch Gericht

Arbeitsabschnitte sind aufzuschlüsseln

OLG Hamm – Az.: 22 U 125/15 – Beschluss vom 08.08.2022

Die dem Sachverständigen Dipl.-Ing. O auf seinen Antrag vom 18.01.2022 zu gewährende Entschädigung wird auf 3.472,78 Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird der Festsetzungsantrag zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Der Antragsteller, Dipl.-Ingenieur auf dem Gebiet der Chemischen Verfahrenstechnik, ist mit Beweisbeschluss des Senats vom 07.06.2018 zum Sachverständigen für den Bereich Entsorgung und Verwertung von Abfällen (Bodenaushub und Abbruchmaterial) bestellt worden. Neben ihm hatte der Senat drei weitere Sachverständige, nämlich Dipl.-Geol. N für den Bereich Abbruch, Dipl.-Ing. P für den Bereich Bodenschutz/Sanierung sowie Dipl.-Geol. Q für die Koordination sämtlicher Sachverständiger bestellt.

Nach Erstattung eines gemeinsamen Gutachtens in schriftlicher Form haben die Sachverständigen im Hinblick auf Einwendungen der Parteien unter dem 30.11.2021 schriftliche Stellungnahmen abgegeben und ihr Gutachten im Senatstermin vom 13.01.2022 erläutert.

Mit Schreiben vom 18.01.2022 reichte der Antragsteller eine Honorarrechnung (Abschlagsrechnung) bezogen auf seine Tätigkeiten im Zeitraum von September 2021 bis Januar 2022 ein. Darin stellte er der Landeskasse unter anderem einen Zeitaufwand von 21,5 Stunden für das „Aktenstudium aller zur Verfügung gestellter Unterlagen für Gerichtsverhandlung September 2021 – Januar 2022“, insgesamt einen Zahlbetrag in Höhe von 5.206,25 Euro brutto in Rechnung.

Die zuständige Kostenbeamtin wies unter dem 28.01.2022 nach Prüfung und Anhörung des Senats einen Betrag in Höhe von 3.472,77 Euro an. Dabei setzte sie für die geltend gemachte Position „Aktenstudium“ statt der in Rechnung gestellten 21,5 Stunden lediglich 9 Stunden an.

Mit Schreiben vom 10.02.2022 erhob der Antragsteller gegen die Kürzung seiner Rechnung von 21 auf 9 für die Position „Aktenstudium“ „Widerspruch“ ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Stunden im Abrechnungszeitraum tatsächlich angefallen und notwendig gewesen seien, um in der Verhandlung absolut verhandlungssicher zu sein. Die vom Gericht angesetzten 9 Stunden seien offensichtlich willkürlich gewählt.

Unter dem 11.04.2022 nahm die Landeskasse zu dem Vorbringen des Antragstellers Stellung und erhob keine Einwände gegen die von dem Antragsteller abgerechnete Stundenzahl. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme Bl. 1702 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Mit Schreiben vom 11.05.2022 forderte der Vorsitzende den Antragsteller auf, hinsichtlich der angesetzten 21,5 Stunden für „Aktenstudium“ im Einzelnen (unter Angabe der jeweiligen Zeitkontingente) darzutun, welche erforderlichen abrechnungsfähigen Handlungen hierunter gefallen sind.

Eine Stellungnahme des Antragstellers erfolgte nicht.

II.

Der mit Schreiben des Antragstellers vom 10.02.2022 erhobene „Widerspruch“ war als Antrag auf gerichtliche Festsetzung seiner Sachverständigenvergütung i.S.v. § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG auszulegen.

Der Antrag ist zulässig, hat jedoch nur im tenorierten Umfang Erfolg.

Der gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG zur Festsetzung der Entschädigung des Antragstellers befugte Senat hält unter Anwendung der §§ 8, 9 JVEG den von der Kostenbeamtin bereits angewiesenen  Betrag in Höhe von insgesamt 3.472,78 Euro für angemessen.

Im Einzelnen:

1. Die von dem Sachverständigen geforderte Entschädigung ist nach Auffassung des Gerichts hinsichtlich der Position „Aktenstudium“ übersetzt. Insoweit sind lediglich 9 statt in Rechnung gestellten 21,5 Stunden zu vergüten. Festzusetzen ist demnach für diese Position, unter Zugrundelegung des vom Antragsteller zutreffend gewählten Stundensatzes in Höhe von 115,00 Euro, ein Betrag in Höhe von 1.035,00 Euro netto.

Grundlage des hier zu beurteilenden Vergütungsanspruchs sind die §§ 8, 9, 12 JVEG. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 JVEG erhält der Sachverständige neben dem Ersatz von Fahrtkosten und Entschädigung für sonstigen Aufwand (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 JVEG) für seine Leistung ein Honorar, das nach Stundensätzen zu bemessen ist. Die Höhe des Stundensatzes variiert je nach der Zugehörigkeit des Gutachtens zu einer bestimmten Honorargruppe (§ 9 Abs. 1 JVEG i.V.m. Anlage 1 zu § 9 Abs. 1). Das Honorar wird gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt.

In Ansatz gebracht werden kann nach der gesetzlichen Regelung nicht die tatsächlich aufgewendete, sondern nur die erforderliche Zeit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei als erforderlich nur derjenige Zeitaufwand anzusetzen, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen abgeben zu können. Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffes, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98 m.w.N.).

Zwar darf das Gericht grundsätzlich davon ausgehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit als richtig anzunehmen sind. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Angaben des Sachverständigen jeglicher gerichtlicher Kontrolle entzogen sind. Vielmehr hat eine Plausibilitätsprüfung der Rechnung zu erfolgen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.09.2008 – 10 W 60/08; OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.03.2010, 6 W 168/09; OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.03.2016 – 8 Wx 1657/15, BeckRS 2016, 5292; OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.04.2017 – 4 W 1/16, BeckRS 2017, 121169; Toussaint/Weber, 52. Aufl. 2022, JVEG § 8 Rn. 27). Anlass zur Nachprüfung besteht insbesondere dann, wenn der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheint (OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.03.2010, 6 W 168/09), die vorgelegte Zeiterfassung widersprüchlich oder unzureichend ist oder der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheint und greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er außer jedem Verhältnis zu der tatsächlich erbrachten Leistung steht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.07.2016, 6 WF 336/15; BDZ/Binz, 5. Aufl. 2021, JVEG § 8 Rn. 12). Dabei muss die Rechnung inhaltlich mehr ausweisen als nur die Endsumme der Gesamtvergütung. Um eine Nachprüfbarkeit zu gewährleisten, ist eine angemessene Aufschlüsselung der einzelnen Arbeitsabschnitte vorzunehmen und sind die jeweils darauf entfallenden Stunden und Minuten anzugeben, auch wenn das JVEG insoweit keine Vorgaben enthält (vgl. Toussaint/Weber, 52. Aufl. 2022, JVEG § 8 Rn. 27). Die mitgeteilte Untergliederung des gesamten Zeitaufwands kann das Gericht an Hand allgemeiner Erfahrungswerte einer Plausibilitätsprüfung unterziehen (vgl. LSG BW Justiz 2005, 91). Erfolgt keine Untergliederung der einzelnen Arbeitsschritte, ist wegen der fehlenden Möglichkeit einer Plausibilitätsprüfung eine Vergütung nicht zu gewähren (vgl. LSG NRW 17.?9.?2015 – L 15 SB 183/15 B, BeckRS 2016, 72616). Ist die vorgelegte Zeiterfassung des Sachverständigen widersprüchlich oder unzureichend, kann das Gericht den Zeitaufwand schätzen und ggf. angemessen kürzen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.?07.2015, 6 W 11/15, BeckRS 2015, 19201; OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.10.2010, 11 W 24/10, BeckRS 2011, 14121; BDZ/Binz, a.a.O.).

Ausgehend von den dargelegten Maßstäben bestand für den Senat Anlass zur Nachprüfung, und zwar zum einen deshalb, weil der Antragsteller den von ihm angesetzten Zeitaufwand für das „Aktenstudium“ unzureichend dargelegt und aufgeschlüsselt hat, zum anderen deshalb, weil die von ihm angesetzte Stundenzahl verglichen mit dem von den übrigen mit der Sache befassten Sachverständigen in Rechnung gestellten Aufwand für das „Aktenstudium“ deutlich übersetzt ist.

Der Sachverständige hat in seiner Rechnung vom 18.01.2022 für das „Aktenstudium“, ohne näher zu differenzieren, welche erforderlichen abrechnungsfähigen Handlungen (unter Angabe der jeweiligen Zeitkontingente) hierunter gefallen sind, eine Stundenzahl von 21,5 Stunden angesetzt. Aufgrund fehlender Konkretisierung der einzelnen Arbeitsschritte vermag der Senat die abgerechnete Stundenzahl nicht plausibel nachzuvollziehen.

In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass die übrigen, mit der Sache befassten Sachverständigen detailliert nach Handlungen und hierauf entfallende Zeitkontingente aufgeschlüsselte Rechnungen eingereicht haben. Für das Studium der Akten haben die Sachverständigen eine deutlich geringere Stundenzahl angesetzt als von dem Antragsteller in seiner Kostenrechnung geltend gemacht worden ist.

Dem Antragsteller ist mit gerichtlichem Schreiben vom 11.05.2022 Gelegenheit gegeben worden, seine Kostenrechnung nachzubessern und seine Arbeitsschritte in Einzelnen darzulegen. Eine Stellungnahme des Antragstellers hierauf erfolgte jedoch nicht, so dass sich der Antragsteller an seiner Angabe, die angegebene Stundenzahl allein für das „Aktenstudium“ aufgewandt zu haben, festhalten lassen muss.

Nach alledem durfte der Senat den Zeitaufwand für das „Aktenstudium“ schätzen und die Rechnung des Sachverständigen angemessen – auf insgesamt 9 Stunden – kürzen. Entgegen des von dem Antragsteller erhobenen Vorwurfs hat die Kostenbeamtin den Zeitaufwand nicht „willkürlich“ festgesetzt. Der Senat hat sich zunächst an allgemeinen Erfahrungssätzen orientiert. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird im Allgemeinen als Richtwert von „Seiten je Stunde“ zugrunde gelegt (Überblick bei Toussaint/Weber, 52. Aufl. 2022, JVEG § 8 Rn. 32). Dieser variiert, je nach Relevanz des Akteninhalts, von 50 Seiten je Stunde (OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.04.2017, 4 W 1/16), 100 Seiten je Stunde (LSG Thüringen, Beschluss vom 14.02.2018, L 1 JVEG 1060/15, BeckRS 2018, 3496), bis zu 200 Seiten je Stunde (OLG Nürnberg, Beschluss vom 4. März 2016, 8 Wx 1657/15). Dabei muss jedoch besondere Berücksichtigung finden, dass sich die in den vorgenannten Entscheidungen dargelegten Richtwerte auf das erstmalige Aktenstudium und die erstmalige Einarbeitung in den Streitstoff beziehen. Demgegenüber war der Antragsteller seit 2018 mit der vorliegenden Sache betraut und hatte sich bereits bei Erstattung des schriftlichen Gutachtens mit dem Akteninhalt eingehend vertraut gemacht. Die Rechnung des Antragstellers vom 18.01.2022 verhält sich allein zu seinen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erstattung eines ergänzenden Gutachtens im Verhandlungstermin. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz von 9 Stunden ausreichend und angemessen. Dies entspricht im Übrigen auch dem Aufwand, den die übrigen Sachverständigen in ihren jeweiligen Rechnungen für das „Aktenstudium“ – soweit diese Position in Rechnung gestellt wurde – im entsprechenden Zeitraum in Ansatz gebracht haben.

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2. Die von dem Antragsteller geltend gemachten Fahrtkosten waren entsprechend §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JVEG auf 100,80 Euro netto (240 km à 0,42 Euro/km) zu kürzen. Hiergegen hat der Antragsteller keine Einwendungen erhoben.

3. Die Vergütung ist insgesamt wie folgt festzusetzen:

  • Pos. 1: Videokonferenzen 6 Std. à 115,00 Euro: 690,00 Euro
  • Pos. 2: Aktenstudium 9 Std. à 115,00 Euro: 1.035,00 Euro
  • Pos. 3: Gerichtstermin 13.01.22 Zeitaufwand 9,5 Std. à 115,00 Euro = 1.092,50 Euro + Fahrtkosten 240 km  à 0,42 Euro = 100,80 Euro

Rechnungssumme netto: 2.918,30 Euro zzgl. 19 % MwSt.: 554,48 Euro

Rechnungssumme brutto: 3.472,78 Euro

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 Abs. 8 JVEG.

 

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