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Quarantäne für Reiserückkehrer aus europäischen Ländern – Vorläufiger Rechtsschutz

OVG Lüneburg – Az.: 13 MN 195/20 – Beschluss vom 05.06.2020

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97) in der neuen Fassung der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 (Nds. GVBl. 134) bleibt ohne Erfolg. Er ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 – 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Quarantäne für Reiserückkehrer aus europäischen Ländern - Vorläufiger Rechtsschutz
Symbolfoto: Von Irina VIV/Shutterstock.com

1. Der Normenkontrolleilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die (5.) Niedersächsische Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97), zuletzt geändert durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 (Nds. GVBl. 134), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 – 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. – juris Rn. 16 ff.).

Der Antragsteller ist antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da er geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die ihn bei einem Aufenthalt auf seiner Ferienhausimmobilie in Südschweden und anschließender Rückkehr nach Deutschland treffende Quarantänepflicht nach § 5 Abs. 1 der Verordnung lässt jedenfalls eine Verletzung seines Grundrechts auf Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie seines Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG möglich erscheinen.

Streitgegenstand des Normenkontrolleilverfahrens ist nach dem vom Antragsteller ausdrücklich gestellten Antrag nur die einstweilige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 der (5.) Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97) in der neuen Fassung der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 (Nds. GVBl. 134), wonach für Personen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, Island, dem Fürstentum Liechtenstein, Norwegen, der Schweiz oder dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland nach Niedersachsen oder zunächst in ein anderes Land der Bundesrepublik Deutschland und dann nach Niedersachsen einreisen, eine Pflicht zur Absonderung (Quarantäne, § 5 Abs. 2 der Verordnung), eine Pflicht zur Meldung gegenüber der zuständigen Behörde (§ 5 Abs. 3 der Verordnung) und eine Beobachtung durch die zuständige Behörde (§ 5 Abs. 4 der Verordnung) angeordnet wird, wenn nach einer Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts nach den statistischen Auswertungen und Veröffentlichungen des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) in dem betreffenden Staat der Ausreise eine Neuinfiziertenzahl im Verhältnis zur Bevölkerung von mehr als 50 Fällen pro 100.000 Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen besteht. Die übrigen Regelungen des § 5 der Verordnung, insbesondere die in Absatz 5 angeordnete Quarantäne für Personen, die aus anderen als den in Absatz 1 genannten Ländern einreisen, sind hingegen (anders als im vorausgegangenen Verfahren 13 MN 143/20) nicht Streitgegenstand dieses Normenkontrolleilverfahrens und stehen daher nicht zur Überprüfung durch den Senat.

Der Antrag ist zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 – BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 – 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 – 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 – 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 der (5.) Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97) in der neuen Fassung der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 (Nds. GVBl. 134) keinen Erfolg. Ein in der Hauptsache zu stellender Normenkontrollantrag des Antragstellers wäre voraussichtlich nicht begründet (a.). Zudem überwiegen die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe die für die einstweilige Außervollzugsetzung der Norm sprechenden Gründe (b.).

a. Ein gegen die Regelung des § 5 Abs. 1 der Verordnung gerichteter Normenkontrollantrag hätte voraussichtlich keinen Erfolg.

(1) Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Regelung bestehen derzeit nicht.

(2) Auch materiell-rechtlich bestehen bei der im vorliegenden Eilverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Vorschrift.

Die Regelung in § 5 Abs. 1 der Verordnung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers noch hinreichend bestimmt (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 29.4.2020 – 13 MN 120/20 -, juris Rn. 18 m.w.N.). Entscheidend für die Verwirklichung des Tatbestands des § 5 Abs. 1 der Verordnung und die Auslösung der Pflichten nach § 5 Abs. 2 bis 4 der Verordnung ist, dass am Tag der Einreise der betreffenden Person in das Bundesgebiet eine Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts existiert, die auf den statistischen Auswertungen und Veröffentlichungen des ECDC beruht und die feststellt, dass in dem betreffenden Staat der Ausreise eine Neuinfiziertenzahl im Verhältnis zur Bevölkerung von mehr als 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern kumulativ in den letzten sieben Tagen besteht. Da es auf eine tagesgenaue Berechnung ankommt, ist Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit, dass das Robert Koch-Institut eine entsprechende Veröffentlichung täglich aktualisiert. Auch ein erneutes Absinken der Neuinfiziertenzahl unter die genannte Schwelle ist unverzüglich zu veröffentlichen. Welches Medium das Robert Koch-Institut zur Veröffentlichung wählt, ist dabei unerheblich. Im Hinblick auf die Gewährleistung von Aktualität und Verfügbarkeit dürfte sich insoweit allerdings der Internetauftritt des Instituts anbieten, wie er auch derzeit genutzt wird (siehe www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Quarantaene_Einreisen_Deutschland.html).

In der Sache hat der Senat in seinem Beschluss vom 11. Mai 2020 (- 13 MN 143/20 -, juris Rn. 20 ff.) zu der vorangehenden Quarantäneregelung in § 5 der (5.) Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97) ausgeführt:

„Der Regelung des § 5 der (5.) Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.

Einzig in Betracht kommende und in der Verordnung auch genannte Rechtsgrundlage für den Erlass dieser Regelung ist § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), in der hier maßgeblichen zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) mit Wirkung vom 28. März 2020 geänderten Fassung.

Gemäß § 32 Satz 1 IfSG dürfen unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden.

Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 IfSG hat die zuständige Behörde anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich in einem Krankenhaus oder einer für diese Krankheiten geeigneten Einrichtung abgesondert werden. Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden. § 30 Abs. 2 bis 7 IfSG befassen sich mit den Einzelheiten der Durchführung der Quarantäne.

Aus § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG ergibt sich mithin, dass nur Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider Quarantänemaßnahmen unterzogen werden dürfen. Diese Adressatenkreise sind in § 2 Nr. 4 bis Nr. 7 IfSG legaldefiniert. Danach ist Kranker eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist, Krankheitsverdächtiger eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen, und Ausscheider eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein. Ansteckungsverdächtiger ist schließlich eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Die Aufnahme von Krankheitserregern im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „anzunehmen“, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Annahme eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist (anders die abweichende Formulierung in § 1 Abs. 2 Nr. 7 des Tierseuchengesetzes – TierSG – zur Legaldefinition des ansteckungsverdächtigen Tieres). Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme „geradezu aufdrängt“. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 – BVerwG 3 C 16.11 -, juris Rn. 31 m.w.N.).

Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt allerdings kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Es ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Im Falle eines hochansteckenden Krankheitserregers, der bei einer Infektion mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer tödlich verlaufenden Erkrankung führen würde, drängt sich angesichts der schwerwiegenden Folgen auf, dass die vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit eines infektionsrelevanten Kontakts genügt. Das Beispiel zeigt, dass es sachgerecht ist, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., Rn. 32 m.w.N.).

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Ob gemessen daran ein Ansteckungsverdacht im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit. Es ist erforderlich, dass das zugrundeliegende Erkenntnismaterial belastbar und auf den konkreten Fall bezogen ist. Die Feststellung eines Ansteckungsverdachts setzt voraus, dass die Behörde zuvor Ermittlungen zu infektionsrelevanten Kontakten des Betroffenen angestellt hat; denn ohne aussagekräftige Tatsachengrundlage lässt sich nicht zuverlässig bewerten, ob eine Aufnahme von Krankheitserregern anzunehmen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., Rn. 33). Allerdings hat der Gesetzgeber in § 32 Satz 1 IfSG den Erlass von Rechtsverordnungen und damit von abstrakt-generellen Regelungen vorgesehen. Eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Ermittlungstätigkeit kann vom Verordnungsgeber infolgedessen nicht erwartet werden. Wohl aber hat er seine Regelungen, die nur „unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind“, erlassen werden können, auf konkret nachvollziehbare und belastbare tatsächliche Grundlagen zu stützen. Das ist hier jedoch nicht geschehen.

Es wurden zwar weltweit zahlreiche Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt. Die Ausbreitung von COVID-19, die offizielle Bezeichnung der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, wurde am 11. März 2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Weltweit sind derzeit in 215 Ländern mehr als 4 Millionen Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert und mehr als 278.000 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019, Stand: 11.5.2020). Derzeit sind im Bundesgebiet fast 170.000 Menschen infiziert und mehr als 7.400 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben und in Niedersachsen mehr als 10.800 Menschen infiziert und nahezu 500 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. Robert Koch Institut (RKI), COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 11.5.2020).

COVID-19 ist eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Die Erkrankung manifestiert sich als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen Fieber, Husten und Halsschmerzen. Bei der deutlich überwiegenden Zahl der Patienten ist der Verlauf mild. 8 bis 10% der Patienten müssen hospitalisiert werden. Zur Aufnahme auf die Intensivstation führt im Regelfall Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz (> 30/min), dabei steht eine Hypoxämie im Vordergrund. Mögliche Verlaufsformen sind die Entwicklung eines akuten Lungenversagens (Acute Respiratory Distress Syndrome – ARDS) sowie, bisher eher seltener, eine bakterielle Koinfektion mit septischem Schock. Weitere beschriebene Komplikationen sind zudem Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung sowie das Auftreten eines akuten Nierenversagens (vgl. zum Krankheitsbild im Einzelnen mit weiteren Nachweisen: Kluge/Janssens/Welte/Weber-Carstens/Marx/Karagiannidis, Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19, in: Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin v. 12.3.2020, veröffentlicht unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00063-020-00674-3.pdf, Stand: 30.3.2020). Obwohl schwere Verläufe auch bei Personen ohne Vorerkrankung auftreten und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden, haben ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50 bis 60 Jahren), Raucher (bei schwacher Evidenz), stark adipöse Menschen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (z.B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck) und der Lunge (z.B. COPD) sowie Patienten mit chronischen Lebererkrankungen, mit Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), mit einer Krebserkrankung oder mit geschwächtem Immunsystem (z.B. aufgrund einer Erkrankung, die mit einer Immunschwäche einhergeht oder durch Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr schwächen, wie z.B. Cortison) ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Eine Impfung oder eine spezifische Medikation sind derzeit nicht verfügbar. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf bis sechs Tage bei einer Spannweite von einem bis zu 14 Tagen. Der Anteil der Infizierten, der auch tatsächlich erkrankt (Manifestationsindex), beträgt bis zu 86%. Die Erkrankung ist sehr infektiös, und zwar nach Schätzungen von etwa zwei Tagen vor Symptombeginn bis zum achten Tag nach Symptombeginn. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Untersuchungen weisen darauf hin, dass auch eine Übertragung durch Aerosole möglich ist. Auch eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen kann nicht ausgeschlossen werden. Es ist zwar offen, wie viele Menschen sich insgesamt in Deutschland mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren werden. Schätzungen gehen aber von bis zu 70 % der Bevölkerung aus, es ist lediglich unklar, über welchen Zeitraum dies geschehen wird. Grundlage dieser Schätzungen ist die so genannte Basisreproduktionszahl von COVID-19. Sie beträgt ohne die Ergreifung von Maßnahmen 2,4 bis 3,3. Dieser Wert kann so interpretiert werden, dass bei einer Basisreproduktionszahl von etwa 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssen, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen (vgl. zu Vorstehendem im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html?nn=13490888, Stand:7.5.2020; Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, veröffentlicht unter: www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 7.5.2020).

Auch wenn nach derzeitigen Erkenntnissen nur ein kleiner Teil der Erkrankungen schwer verläuft, könnte eine ungebremste Erkrankungswelle aufgrund der bisher fehlenden Immunität und nicht verfügbarer Impfungen und spezifischer Therapien zu einer erheblichen Krankheitslast in Deutschland führen. Bei vielen schweren Verläufen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) – vermutlich sogar deutlich – längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert. Dieser Gefahr für das Gesundheitssystem und daran anknüpfend der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung kann derzeit, da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie in konkret absehbarer Zeit zur Verfügung stehen, nur dadurch begegnet werden, die Verbreitung der Erkrankung so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen (vgl. zur aktuellen Zahl – gemeldeter – freier Krankenhausbetten mit Beatmungskapazität: DIVI Intensivregister, Tagesreport, veröffentlicht unter: www.divi.de, Stand: 11.5.2020). Neben der Entwicklung von Impfstoffen und spezifischen Therapien sowie der Stärkung des Gesundheitssystems und der Erhöhung der medizinischen Behandlungskapazitäten, die indes nicht sofort und nicht unbegrenzt möglich sind, bedarf es hierzu zuvörderst der Verhinderung der Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko, des Schaffens sozialer Distanz und ähnlich wirkender bevölkerungsbezogener antiepidemischer Maßnahmen sowie des gezielten Schutzes und der Unterstützung vulnerabler Gruppen (vgl. hierzu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, Aktuelle Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und Public Health, Epidemiologisches Bulletin Nr. 12/2020 v. 19.3.2020, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/ 2020/Ausgaben/12_20.pdf?__blob=publicationFile; Risikobewertung zu COVID-19, veröffentlicht unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand: 30.4.2020).

Die so beschriebene Ansteckungsgefahr mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sowie der Charakter und der Verlauf der Erkrankung COVID-19 rechtfertigen die Quarantäneregelung in § 5 der Verordnung nicht. Der Antragsgegner führt zur Begründung der grundsätzlich alle nach Deutschland Ein- und Rückreisenden treffenden Quarantäneanordnung aus, eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Reiseländern sei nicht geboten. Aufgrund der globalen Verbreitung des Corona-Virus seien alle Einreisenden zugleich Krankheitsverdächtige und Ansteckungsverdächtige. Auch das Robert Koch-Institut weise deshalb keine besonderen Risikogebiete mehr aus.

Dieses Vorgehen wird dem tatsächlichen Infektionsgeschehen und auch den durchaus unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Ländern Europas und der übrigen Welt nicht gerecht. So gibt es durchaus Länder, in denen die Infektionsrate und/oder auch Sterberate derzeit deutlich unter der im Bundesgebiet liegt. Der Antragsteller selbst hat für die Region Südschwedens, in der sich seine Immobilie befindet, eine geringere Infektionsrate angegeben als für den Landkreis Harburg, in dem er seinen ersten Wohnsitz hat. Einzelne Länder oder Regionen, in denen tatsächlich ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht, werden in § 5 der Verordnung bewusst nicht genannt. Aber auch die Gesamtzahl der weltweit ermittelten Infizierten stützt die pauschale Einordnung der aus dem Ausland Einreisenden als Ansteckungs- oder Krankheitsverdächtige nicht. Setzt man die Zahl der derzeit weltweit bestätigten Infektionsfälle von mehr als 4 Millionen in Relation zur derzeitigen Zahl der Weltbevölkerung von fast 7,8 Mrd. Menschen, so reicht die Zahl der Infizierten selbst bei Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer aufgrund der teilweise symptomlos erfolgenden Erkrankung zur unterschiedslosen Kategorisierung aller nach Deutschland Einreisenden als Ansteckungs- oder Krankheitsverdächtige nach keiner vertretbaren Betrachtungsweise aus. Gleiches ergibt sich unter Berücksichtigung der Infektionsraten einzelner Länder, die in kaum einem Einzelfall eine Inzidenz von 1.000 Infizierten je 100.000 Einwohnern, also von einem Prozent der Bevölkerung, erreicht, sondern regelmäßig deutlich darunter liegt (vgl. die Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) unter https://qap.ecdc.europa.eu/public/extensions/COVID-19/COVID-19.html, Stand: 11.5.2020). Hinzu kommt, dass diese Infektionsraten anhand der während des gesamten bisherigen Infektionsgeschehens schlicht aufsummierten Zahl der Infizierten ermittelt worden sind, so dass zur Ermittlung des derzeit bestehenden Infektionsrisikos noch die Zahlen der Genesenen und der Verstorbenen in Abzug zu bringen sind, da beide Fallgruppen kein aktuelles Infektionsrisiko mehr begründen. Wollte man angesichts dieses in der vom Antragsgegner gewählten Pauschalität geringen Infektionsrisikos bei aus dem Ausland Einreisenden dennoch die Voraussetzungen eines Ansteckungs- oder Krankheitsverdachts bejahen, könnten mit gleicher Begründung auch alle in Deutschland lebenden Personen im Hinblick auf die hiesigen Infektions- und Sterberaten einer Quarantäne unterworfen werden. Dass der Verordnungsgeber selbst die tatsächliche Gefährdung durch aus dem Ausland Einreisende nicht hoch einschätzt, wird aus den zahlreichen und weitreichenden Ausnahmeregelungen in den § 5 Abs. 3 bis 7 der Verordnung deutlich, die jede für sich gut begründbar sein mögen, insgesamt aber die Quarantänepflicht und auch deren Bedeutung für die Pandemiebekämpfung weitgehend außer Kraft setzen. Das gilt insbesondere für die im Gesundheitswesen und im Pflegebereich Tätigen, deren Einreise zwar zur Aufrechterhaltung des hiesigen Gesundheitswesens und der Pflegestrukturen unabdingbar sein mag, die aber aufgrund ihres engen Kontakts mit dem besonders verletzlichen Teil der Bevölkerung im Falle ihrer Infektion ein nicht vertretbares Infektions- und Sterberisiko herbeiführte. Vor diesem Hintergrund kommt auch dem vom Antragsgegner bemühten Reiseweg und dort bestehenden erhöhten Ansteckungsgefahren keine eigenständige Bedeutung zu, zumal diese stark abhängig vom gewählten Verkehrsmittel sein dürfte.

Der Hinweis auf die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes überzeugt ebenfalls nicht, ist diese doch mit anderer Zielrichtung ausgesprochen worden und kann nicht Rechtsgrundlage für eine die Freiheit beschränkende Quarantänemaßnahme sein. Das Auswärtige Amt warnt vor nicht notwendigen touristischen Reisen ins Ausland, da weiterhin mit drastischen Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr, weltweiten Einreisebeschränkungen, Quarantänemaßnahmen und der Einschränkung des öffentlichen Lebens in vielen Ländern zu rechnen sei. Das Risiko, die Rückreise aufgrund der zunehmenden Einschränkungen nicht mehr antreten zu können, sei in vielen Destinationen derzeit hoch. (vgl. www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/10.2.8Reisewarnungen, Stand: 28.4.2020). Vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus wird bezeichnenderweise nicht gewarnt.

Angesichts der detaillierten Regelung der Quarantänemaßnahmen in § 30 IfSG kommt ein Rückgriff auf andere Vorschriften, insbesondere auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, als Ermächtigungsgrundlage für § 5 der Verordnung nicht in Betracht (a.A. offenbar OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 7.4.2020 – 3 MB 13/20 -, juris Rn. 10). Selbst wenn man dies anders sehen wollte, so fehlte es angesichts der vorstehenden Ausführungen an der von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG geforderten Notwendigkeit der umfassenden Quarantänemaßnahme.

In der Sache wird durch § 5 der Verordnung, an den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes vorbei, neben den in § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG genannten Personenkreisen mit der Gruppe der aus dem Ausland Einreisenden ein weiterer, eigenständig beschriebener Personenkreis Quarantänemaßnahmen unterworfen. Eine derartige Erweiterung ist – im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen – dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG).“

An dieser grundlegenden Einschätzung und Maßstabsbildung hält der Senat unverändert fest.

§ 5 der (5.) Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 (Nds. GVBl. S. 97), den der Senat mit vorstehend zitiertem Beschluss vom 11. Mai 2020 – 13 MN 143/20 – vorläufig außer Vollzug gesetzt hat, ist durch Artikel 1 Nr. 12 der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 (Nds. GVBl. 134) mit Wirkung 25. Mai 2020 neu gefasst worden, so dass die Fassung vom 8. Mai 2020 mit Ablauf des 24. Mai 2020 aufgehoben und die Neufassung vom 22. Mai 2020 mit Wirkung vom 25. Mai 2020 neu erlassen worden ist.

Dabei hat der Verordnungsgeber die hier allein streitgegenständliche Regelung für Einreisende aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aus Island, dem Fürstentum Liechtenstein, aus Norwegen, der Schweiz sowie dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland in § 5 Abs. 1 der Verordnung in entscheidender Weise inhaltlich geändert. Einreisende aus diesen Ländern unterliegen grundsätzlich keiner Quarantäne mehr. Anderes gilt nur, wenn nach einer Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts nach den statistischen Auswertungen und Veröffentlichungen des ECDC in dem betreffenden Staat der Ausreise eine Neuinfiziertenzahl von mehr als 50 Fällen pro 100.000 Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen besteht.

Diese Regelung dürfte mit der Ermächtigungsgrundlage des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG unter Anlegung der dargestellten materiellen Maßstäbe noch vereinbar sein. Allerdings wird weder in der in den Verwaltungsvorgängen (Blatt 233 ff. der Beiakte 1) befindlichen Begründung zu der von den Gesundheitsministerien von Bund und Ländern erarbeiteten Muster-VO in der Fassung vom 15. Mai 2020 noch in der Stellungnahme des Antragsgegners der Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von 7 Tagen näher erläutert. Der auch öffentlich geführten Diskussion lässt sich jedoch entnehmen, dass dieser Wert die Grenze markieren soll, bis zu der die öffentliche Gesundheitsverwaltung in Deutschland zu einer Rückverfolgung der Infektionsketten maximal in der Lage ist und so das wichtige und legitime Ziel der Verhinderung der weiteren Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko (vgl. hierzu zuletzt Senatsbeschl. v. 26.5.2020 – 13 MN 182/20 -, juris Rn. 30) noch erreicht werden kann (vgl. etwa das Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder v. 6.5.2020, dort Nr. 3, veröffentlicht unter www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-06-mai-2020-1750988, Stand: 4.6.2020). Mit Überschreitung dieses Grenzwerts besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Gesundheitsverwaltung aufgrund der schieren Anzahl der Neuinfektionen (für Deutschland mit seinen ca. 83 Mio. Einwohnern wären dies mehr als 41.500 Neuinfektionen innerhalb von 7 Tagen) die Fähigkeit verliert, das Infektionsgeschehen ohne weitere einschneidende Maßnahmen unter Kontrolle zu halten. In Abgrenzung zur insoweit nur wenig aussagekräftigen Gesamtzahl aller jemals Infizierten ergibt sich aus diesem Wert von Neuinfektionen innerhalb nur kurzer Zeit aus Sicht des Senats ein entscheidender Hinweis auf eine signifikante Dynamik eines Infektionsgeschehens. Dieser Wert ist im Hinblick auf die bei einem ungebremsten, also von Maßnahmen unbeeinflussten Verlauf exponentielle Ausbreitung einer Pandemie aussagekräftiger als die Rate aller jemals Infizierten in Bezug zur Gesamtbevölkerung der jeweiligen Region. Ab dieser tatsachenbasierten „Eingriffsschwelle“ von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen sollen die örtlichen Gesundheitsbehörden daher die Rückkehr zu einschränkenden Maßnahmen prüfen, ohne dass dies im Bundesgebiet allerdings ohne Weiteres die Verhängung einer Quarantäne hinsichtlich der betroffenen Gebiete rechtfertigt.

Die Übertragung der so beschriebenen Grenzen für die Rückverfolgung und Fallfindung in Deutschland auf die Situation der in § 5 Abs. 1 der Verordnung genannten Länder ist zwar nicht zwingend; im Sinne einer notwendigerweise typisierenden Betrachtungsweise in einer Rechtsverordnung dürfte sie aber durchaus zulässig sein. Einige Länder mögen über eine höhere, andere über niedrigere Kapazitäten in der öffentlichen Gesundheitsverwaltung verfügen. Mangels konkreter und objektivierbarer Einschätzungen zu den Kapazitäten der anderen Länder im Hinblick auf eine Rückverfolgung und Fallfindung ist eine Orientierung an dem für Landkreise und kreisfreie Städte im Bundesgebiet gebildeten Wert für eine Überforderung der Gesundheitsverwaltung, der zudem eher optimistisch angesetzt sein dürfte, jedenfalls nicht offensichtlich fehlsam. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ab diesem Wert auch in den genannten anderen Ländern ein Infektionsgeschehen eine Dynamik gewinnt, die ohne einschneidende Maßnahmen außer Kontrolle zu geraten droht. Die vom RKI nach den statistischen Auswertungen und Veröffentlichungen des ECDC zu veröffentlichende Feststellung einer Überschreitung des Grenzwerts beruht zudem auf hinreichend konkret nachvollziehbaren und belastbaren tatsächlichen Grundlagen. Dies kann es letztlich rechtfertigen, ein derartiges Land als Risikogebiet anzusehen und einen aus einem solchen Land Einreisenden unter Anlegung des gebotenen „flexiblen“ Maßstabs für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit als ansteckungsverdächtig zu betrachten (so wohl auch OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 25.5.2020 – 3 MR 32/20 -, zitiert nach der Pressemitteilung v. 26.5.2020). Die danach einheitliche Beurteilung eines ganzen Landes kann sich dabei sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten eines aus diesem Land Einreisenden auswirken. Die Betrachtung einzelner Regionen eines Landes, wie sie vom Robert Koch-Institut zu Beginn der Pandemie angestellt worden ist, ist durch die Regelung des § 5 Abs. 1 der Verordnung nicht ausgeschlossen und dürfte bei einem wieder regional differierenden Infektionsgeschehen innerhalb eines Staates und der Verfügbarkeit entsprechender Zahlen spätestens im Rahmen der Entscheidung über eine Befreiung nach § 5 Abs. 11 der Verordnung geboten sein.

Dem Senat drängt sich auch eine Unverhältnismäßigkeit der derart angeordneten Quarantäne für Reiserückkehrer aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Island, dem Fürstentum Liechtenstein, Norwegen, der Schweiz oder dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland nicht auf. Die Quarantäne dient in Bezug auf den in § 5 Abs. 1 der Verordnung adressierten Personenkreis dem dargestellten legitimen Ziel der Verhinderung der weiteren Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko. Zur Erreichung dieses Ziels kann die Regelung auch unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens (vgl. hierzu den Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) v. 4.6.2020, veröffentlicht unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-06-04-de.pdf?__blob=publicationFile, wonach die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland unverändert „insgesamt als hoch“ und „für Risikogruppen als sehr hoch“ eingeschätzt wird) und auch der fortbestehenden weitreichenden Ausnahmen nach den Absätzen 6 bis 10 des § 5 der Verordnung noch als geeignet und auch als erforderlich angesehen werden. Zwar sind durchaus in ihrer Eingriffsintensität mildere Maßnahmen vorstellbar (vgl. zu etwaigen Handlungsalternativen als ein Aspekt der Folgenabwägung bei einer vorläufigen Außervollzugsetzung: Senatsbeschl. v. 11.5.2020 – 13 MN 143/20 -, juris Rn. 38), sie dürften in ihrer Effektivität aber hinter der Regelung des § 5 Abs. 1 der Verordnung zurückbleiben. Die Regelung führt schließlich nicht zu einer unangemessenen Belastung der Betroffenen. Denn deren privates Interesse, der fraglos erheblichen Freiheitsbeschränkung für einen bestimmten Zeitraum nicht unterworfen zu sein, wird von dem widerstreitenden erheblichen öffentlichen Interesse an einer weiteren Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 und dem damit bezweckten und prinzipiell der staatlichen Pflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschuldeten Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung überwogen (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 31.5.2020 – 1 BvQ 63/20 -, juris Rn. 7). Gleichwohl in konkreten Einzelfällen eintretende unzumutbare Belastungen können durch Anwendung der Befreiungsregelung in § 5 Abs. 11 der Verordnung beseitigt werden.

b. Schließlich überwiegen auch die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung nicht die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe.

Dabei erlangen die erörterten Erfolgsaussichten des in der Hauptsache gestellten oder zu stellenden Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Normenkontrolleilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag in der Hauptsache noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn die angegriffene Norm erhebliche Grundrechtseingriffe bewirkt, sodass sich das Normenkontrolleilverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632 -, juris Rn. 31).

Danach wiegt das Interesse des Antragstellers an einer einstweiligen Außervollzugsetzung der ihn betreffenden Regelung der Verordnung für deren Geltungsdauer, längstens aber für die Dauer eines etwaigen Hauptsacheverfahrens, nicht schwer. Eine den Antragsteller unter der Voraussetzung der Überschreitung des Grenzwerts des § 5 Abs. 1 der Verordnung treffende Quarantäne ist auch für ihn mit einer erheblichen Freiheitsbeschränkung für einen bestimmten Zeitraum, allerdings nicht mit einer Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG verbunden. Der Antragsteller kann durch sein Verhalten aber in gewisser Weise beeinflussen, ob er der Quarantäne unterliegen wird. Damit etwa verbundene vorübergehende Einschränkungen der Nutzung seiner Ferienimmobilie in Schweden sind zwar belastend, treten aber hinter den mit der angefochtenen Regelung verfolgten Zweck, die erneute Einschleppung des Coroana-Virus aus einer Risikoregion in das Bundesgebiet und die damit verbundene Gefahr für Leib und Leben der hier aufhältigen Bevölkerung zu verhindern, deutlich zurück.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 – 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. – juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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