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Quarantäne-Verordnung – Keine Befreiung von der Absonderungspflicht für von Corona Genesene

VG Lüneburg – Az.: 6 B 131/20 – Beschluss vom 21.12.2020

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Absonderung- und Hinweispflicht aus der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung.

Quarantäne-Verordnung - Keine Befreiung von der Absonderungspflicht für von Corona Genesene
(Symbolfoto: Von oatawa/Shutterstock.com)

Der Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in A-Stadt, der in B. in Polen studiert. Nach einem Attest von Dr. med A., seinem Vater, war er im November 2020 nach einer Covid-19 Erkrankung in Behandlung. In der Infektionsserologie hätten Antikörper auf das Nukleocapsidprotein von SARS-COV-2 und auf das SARS-COV-2 S1-Protein nachgewiesen werden können. Die angegebene Konzentration der Titer sei sehr hoch ausgefallen. Daher könne eine Immunität gegen das SARS-COV-2-Virus einwandfrei nachgewiesen werden. Dem Attest beigefügt war ein Endbefund des Labors Dr. C. vom 4. Dezember 2020.

Am 14. Dezember 2020 hat sich der Antragsteller mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Gericht gewandt. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Antragsteller mitgeteilt, dass sich sein Antrag gegen das Land Niedersachsen als Erlassbehörde der Quarantäne-Verordnung in der aktuell gültigen Fassung richten solle. Die Hin-und Rückreise vom Studienort zu seinem Elternhaus habe in der Addition der niedersächsischen und polnischen Quarantänevorschriften eine Gesamtdauer von 34 Tagen zur Folge, welche bei einem nachweislich genesenen ehemaligen COVID-19-Patienten keineswegs einen Sinn ergebe.

Die Kammer hat infolge der Eilbedürftigkeit von einer Anhörung der Antragsgegnerin abgesehen.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist auszulegen als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, gerichtet auf die Feststellung, dass der Antragsteller nicht der Absonderung- und Hinweispflicht aus der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung unterliegt.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen notwendig erscheint. Voraussetzung dafür ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihm steht nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung nach dem aktuellen Erkenntnisstand des Gerichtes kein Anspruch auf Freistellung von der Absonderung- und Hinweispflicht zu.

Nach § 1 Abs. 1 der niedersächsischen Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Eindämmung des Corona-Virus (Niedersächsische Quarantäne-Verordnung) vom 6. November 2020 (Nds. GVBl. S. 380) sind Personen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg aus dem Ausland nach Niedersachsen einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb von 10 Tagen vor ihrer Einreise in einem Risikogebiet nach Abs. 4 aufgehalten haben, verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung, an den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder in eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 10 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern. Gemäß § 1 Abs. 2 der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung sind die von Abs. 1 erfassten Personen verpflichtet, unverzüglich nach der Einreise die für sie zuständige Behörde zu kontaktieren und auf das Vorliegen der Verpflichtungen nach Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, hinzuweisen. Nach § 2 Abs. 1 der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung endet die Absonderung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 frühestens ab dem 5. Tag nach der Einreise, wenn die Person über ein negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit Corona-Virus SARS-CoV-2 in Papierform oder einem elektronischen Dokument in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfügt und sie dieses innerhalb von 10 Tagen nach der Einreise der zuständigen Behörde auf Verlangen unverzüglich vorlegt.

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er dieser Absonderungs- und Hinweispflicht nicht unterliegt. Aus dem vorgelegten Attest ergibt sich zwar, dass er bereits mit dem Corona-Virus infiziert war und zum Zeitpunkt der Laboruntersuchung Antikörper gegen das Virus gebildet hatte. Zu der Frage der sich bildenden Immunität heißt es auf der Website des Robert Koch Instituts – Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand 11. Dezember 2020 – unter Punkt 17 „Immunität“:

„Eine Infektion mit SARS-CoV-2 induziert die Bildung verschiedener Antikörper, die im Median in der zweiten Woche nach Symptombeginn nachweisbar sind (221). Auch neutralisierende Antikörper sind in der Regel am Ende der zweiten Woche nach Symptombeginn nachweisbar (138, 222, 223), jedoch nimmt der Titer neutralisierender Antikörper wie auch der Gesamt-IgG-Antikörper, insbesondere bei Personen mit milder oder asymptomatischer Infektion, ab (224-226). Es ist nach wie vor unklar, zu welchem Grad die Titer neutralisierender Antikörper bzw. der Antikörper, die das SARS-CoV-2 Spike- bzw. Nukleocapsid-Protein binden, mit einem Schutz vor einer Reinfektion oder schweren Erkrankung korrelieren.

Bisher sind nur wenige Fälle von Reinfektionen beschrieben worden, bei denen Veränderungen im viralen Genom der Viren vorlagen, welche in den verschiedenen Infektionsepisoden nachweisbar waren (227-234). Dies spricht – in Abgrenzung zu einer länger anhaltenden PCR-Positivität nach Infektion – für eine Reinfektion. Allerdings existiert bislang keine Reinfektions-Definition, in der Mindestunterschiede einer phylogenetischen Analyse sowie das Intervall zwischen den Erkrankungsepisoden festgelegt sind und der sowohl klinische als auch epidemiologische Daten zugrunde liegen. Es ist nicht bekannt, ob eine Reinfektion mit einer Transmission einhergehen kann. Da Reinfektionen bei endemischen Coronaviren (HCoV) vorkommen und die HCoV-Immunität mit der Zeit abnimmt, ist denkbar, dass auch – möglicherweise unbemerkt – Reinfektionen mit SARS-CoV-2 nicht ungewöhnlich sind (235, 236).

Eine vorangegangene Infektion mit HCoV kann eine kreuzreaktive Immunantwort sowohl auf B- als auch auf T-Zell-Ebene auslösen. Bei Personen verschiedener Altersstufen ohne SARS-CoV-2-Infektion wurden HCoV-Antikörper gemessen, die mit dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 kreuzreagieren und neutralisierende Wirkung besitzen (237). Im Gegensatz hierzu waren in zwei weiteren Studien entweder keine kreuzreaktiven neutralisierenden Antikörper nachweisbar (238) bzw. es konnten kreuzreaktive Antikörper nachgewiesen werden, die nicht protektiv waren (239). Darüber hinaus ist über eine T-Zell-Kreuzreaktivität von HCoV und SARS-CoV-2 berichtet worden, die möglicherweise Schutz vor einer schweren COVID-19-Erkrankung bietet. Bei ca. einem Drittel der Probanden ohne nachweisliche SARS-CoV-2-Infektion waren reaktive CD4 T-Zellen gegen SARS-CoV-2 vorhanden, die allerdings bei schwerem Erkrankungsverlauf eine niedrige Avidität und Klonalität aufwiesen (240). Bei Erkrankten wurde eine T-Zell-Reaktivität gegen das Spike-Protein (241, 242) sowie gegen weitere SARS-CoV-2-Proteine festgestellt (243, 244), die mit dem Nachweis neutralisierender (244, 245) bzw. Nukleocapsid-Antikörper korrelierten (246). T-Zellen wurden auch bei Infizierten festgestellt, die keine Antikörpertiter aufwiesen und asymptomatisch waren (247). Ein Nachweis SARS-CoV-2-reaktiver T-Zellen früh nach Infektionsbeginn nimmt möglicherweise Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung (248). Darüber hinaus ist der Nachweis sowohl naiver als auch CD4- und CD8-positiver T-Zellen mit einem milderen Verlauf assoziiert (249). Sechs Monate nach Symptombeginn konnten Antikörper gegen das Spike-Protein und auch mehrheitlich Spike-Protein-spezifische B-Zellen nachgewiesen werden, dagegen wurde ein Abfall CD4- und CD8-spezifischer T-Zellen mit einer Halbwertzeit von 3-5 Monaten beobachtet (250). Ähnliche Ergebnisse wurden in einer anderen Studie innerhalb von drei Monaten erhoben (251). Diese Nachweise lassen jedoch nicht auf eine protektive Immunität schließen; auch sind weitere Longitudinalstudien erforderlich, um diese Belege zu untermauern.

Bei schweren COVID-19-Verläufen mit Todesfolge wurde eine Störung des B-Zell-Reifungsprozesses beschrieben (252). Es ist nicht bekannt, ob diese Störung der B-Zell-Reifung auch bei milderen Verläufen auftritt. Typ I Interferone scheinen vor einem schweren COVID-19-Verlauf Schutz zu bieten, da eine lebensbedrohliche COVID-19-Pneumonie bei mindestens 10% der Erkrankten mit Nachweis neutralisierender Autoantikörper gegen Typ I-Interferone auftrat (253). Darüber hinaus existieren Hinweise, dass sowohl beim Menschen als auch im Tiermodell eine geschlechtsspezifische Immunantwort die Schwere der Erkrankung beeinflusst (254, 255).“

Angesichts dieser Erkenntnislage lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, ob und vor allem wie lange der Antragsteller selbst gegen eine Neuinfektion mit SARS-CoV-2 immun ist; ohne derartige sichere Feststellungen besteht aber auch kein Anspruch auf Freistellung von der Quarantäne- und Hinweispflicht. Es ist für das erkennende Gericht nachvollziehbar, dass die für den Antragsteller für den Fall seiner Reise vom und zum Studienort geltenden Quarantäne- und Hinweispflichten in Deutschland und Polen außerordentliche Belastungen mit sich bringen und kaum noch zumutbar sind. Gleichwohl sieht sich das Gericht im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Schutzgutes der Gesundheit der Allgemeinheit bei dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand nicht in der Lage, die vom Antragsteller begehrte Feststellung zu treffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Niedersächsischen Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013.

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