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Quotenvorrecht – gebrauchte Motorradkleidung

OLG Frankfurt/Main

Az: 22 U 162/08

Urteil vom 08.02.2011


Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 13.8.2008 wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1) 4.244,09 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.462,69 € seit dem 17.9.2007 und aus 781,40 € seit dem 7.7.2008 sowie weitere 446,- € zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 2) 552,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.9.2007 sowie weitere 465,65 € zu zahlen.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 3) ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.9.2007 zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägern 30 % aller zukünftigen oder noch nicht bezifferbaren Schäden aus dem Unfallereignis vom ….2007 zu ersetzen, soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen.

5. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

6. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

7. Von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Auslagen der Beklagten tragen die Klägerin zu 1) 10 %, der Kläger zu 2) 43 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 47 %. Von den außergerichtlichen Auslagen der Klägerin zu 1) tragen diese 29 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 71 %. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) tragen dieser 67 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 33 %.

8. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

9. Der Streitwert wird auf 18.618,54 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I. Die Parteien streiten über den Hergang des Verkehrsunfalls vom ….2007 in ….. Der Beklagte zu 1) befuhr mit dem PKW Marke ., …, die ……-Straße in Richtung …….-Straße. Er hielt an der Einmündung in die A-Straße an dem dortigen Stoppschild an, bog dann nach rechts in die ..-Straße ab, um nach wenigen Metern in die schräg gegenüberliegende Straße „……“ nach links abzubiegen. Der Kläger zu 2) näherte sich auf der B-Straße mit dem Motorrad …, welches im Eigentum der Klägerin zu 1) steht und dessen Halter diese ist. Der Kläger zu 2) versuchte, an dem PKW des Beklagten links vorbeizufahren. Dabei kollidierte er mit dem Fahrzeug, stürzte und verletzte sich. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Unfallereignis ausschließlich durch den Kläger zu 2) verursacht worden sei. Dem Beklagten zu 1) könne ein pflichtwidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden. Der Beklagte zu 1) habe sich bereits längere Zeit auf der B-Straße befunden, er sei sehr langsam gefahren. Aufgrund der Zeugenaussagen der Zeugen Z1 und Z2 stehe fest, dass sich das Fahrzeug bereits schräg nach links eingeordnet habe. Die Insassen des Beklagtenfahrzeugs hätten im Rahmen der Ermittlungen des Regierungspräsidiums O2 angegeben, der Beklagte zu 1) habe vor dem Abbiegevorgang den linken Blinker gesetzt. Entsprechendes könne dem Beklagten zu 1) zumindest nicht widerlegt werden. Der Kläger zu 2) sei nach den Zeugenaussagen mit gänzlich unangepasster Geschwindigkeit gefahren. Dem Beklagten zu 1) sei demgegenüber ein Verstoß gegen seine Rückschaupflicht nicht vorzuwerfen, da er mit dem rücksichtslosen und gefährlichen Fahrverhalten des Klägers zu 2) nicht habe rechnen müssen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie die erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen. Sie rügen einerseits die Beweiswürdigung des Landgerichts, das Zeugenaussagen aus der Ermittlungsakte verwertet habe, ohne die Zeugen selbst zu vernehmen. Aus den erstinstanzlichen Zeugenaussagen könne außerdem keine erhöhte Geschwindigkeit des Klägers zu 2) hergeleitet werden. Den Beklagten zu 1) treffe eine Verletzung der zweiten Rückschaupflicht beim Linksabbiegen, wodurch vorliegend eine Kollision hätte vermieden werden können.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 13.8.2008 abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 5.951,06 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 5.232,66 € seit dem 17.9.2007 sowie aus 781,40 € seit Rechtshängigkeit sowie weitere 875,60 € zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 2) 2.667,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.9.2007 sowie weitere 465,65 € zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 2) auf das ihm zustehende Schmerzensgeld einen angemessenen Vorschuss nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.9.2007 zu zahlen, der einen Betrag in Höhe von 2.000,00 € nicht unterschreiten soll; festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägern sämtliche zur Zeit noch nicht bezifferbaren Schäden aus dem Unfallereignis vom ….2007 zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie mündliche Vernehmung der Zeuginnen Z3 und Z4. Die schriftlichen Aussagen der Zeugen Z5, Z6 und Z7 sind mit Einverständnis der Parteien verwertet worden. Außerdem wurden die Parteien angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten, die schriftlichen Zeugenaussagen sowie das Verhandlungsprotokoll vom 13. April 2010 Bezug genommen.

II. Die Berufung ist zulässig, sie ist auch teilweise begründet.

Das angefochtene Urteil begegnet rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Frage der Haftungsverteilung sowie hinsichtlich der Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch Verwertung von Zeugenaussagen aus einem Ermittlungsverfahren.

Die Kläger haben gemäß den §§ 7, 18 StVG, 3 PflichtVersG (in der Fassung bis zum 31.12.2007) Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz der ihnen entstandenen Schäden in Höhe von 30 %.

1. Aufgrund der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der Unfall wie folgt abgespielt hat: Der Beklagte zu 1) hielt sein Fahrzeug an der Einmündung zur B-Straße am Stoppschild an und beobachtete den bevorrechtigten Verkehr. Zu diesem Zeitpunkt konnte er das Fahrzeug des Klägers zu 2) noch nicht sehen. Er bog nach rechts ab und ordnete sich gleich etwas nach links ein, um anschließend links abzubiegen. Während dieses Fahrvorgangs, der langsam durchgeführt wurde und einige Sekunden gedauert hat, kam der Kläger zu 2) mit seinem Motorrad angefahren, wobei er nicht die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 50 km/h einhielt, sondern mit einer Geschwindigkeit von 57 – 67 km/h fuhr. Der Kläger zu 2) wollte an dem Fahrzeug der Beklagte links vorbeifahren; es konnte nicht ausreichend aufgeklärt werden, ob das Fahrzeug den linken Blinker gesetzt hatte. Als der Kläger zu 2) vorbeifahren wollte, bog das Fahrzeug der Beklagten nach links ab, so dass es zur Kollision kam. Dabei stürzte der Kläger zu 2) und rutschte mit seinem Motorrad gegen einen Laternenmast, wobei das Motorrad zerbrach.

Das Motorrad der Klägerin zu 1) wurde vollständig zerstört. Es musste abgeschleppt werden, außerdem mussten die ausgelaufenen Betriebsstoffe des Motorrads beseitigt werden. Die Klägerin hatte weiterhin Fahrtkosten durch Fahrten für den Kläger zu 2) zum Krankenhaus und zur Krankengymnastik.

Der Kläger zu 2) erlitt Beschädigungen seiner Motorradkleidung, außerdem hatte er Kosten für Kleidung im Krankenhaus, Eigenanteile für Rezepte, Heilbehandlungen sowie Mehrkosten für die Unterbrechung der Führerscheinprüfung. Der Kläger erlitt eine Talusfraktur links sowie Prellungen an der rechten und linken Hand. Die im Rahmen der Operation eingebrachten Metallteile wurden im Februar 2008 wieder entfernt. Der Kläger musste vier Wochen lang eine Unterschenkelgipsschiene tragen und beim Gehen Krücken benutzen. Arbeitsunfähigkeit bestand für mehr als 3 Monate. Der Kläger zu 2) erhielt Lohnfortzahlung und anschließend Krankengeld. Die Differenz für die Zeit vom …. – ….2007 ergibt einen Betrag von 439,99 €.

2. Dieses Ergebnis folgt für den Senat aus den Angaben der Beteiligten, Zeugen und den Berechnungen des Sachverständigen. Der Sachverständige hat die überhöhte Geschwindigkeit des Klägers zu 2) anhand der Spurenlage nachvollziehbar errechnet. Er hat weiter feststellen können, dass der Abbiegevorgang des Beklagten zu 1) einen Zeitraum von mehreren Sekunden in Anspruch genommen hat. In dieser Zeit konnte der Kläger zu 2) das Fahrzeug der Beklagten erkennen und musste auch sehen, dass sich dieses, wie sich aus den vom Landgericht zutreffend gewürdigten und gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen ergibt, bereits zur Straßenmitte nach links eingeordnet hatte. Die Angaben des Sachverständigen sind nachvollziehbar und werden von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.

Ob der Beklagte zu 1) in diesem Zeitpunkt bereits den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte, hat der Senat nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen können. Zwar haben die Zeugen ………übereinstimmend bekundet, dass sie zum einen auf das Geräusch des Fahrtrichtungsanzeigers geachtet und zum anderen ein charakteristisches Knacken gehört hätten, das entsteht, wenn der Fahrrichtungsanzeiger von der einen in die andere Richtung betätigt wird, ohne dass er zwischenzeitlich ausgeschaltet wurde.

Dennoch reichen die Aussagen nicht aus, um dem Gericht die gemäß § 286 ZPO notwendige Überzeugung davon zu verschaffen, dass der linke Fahrtrichtungsanzeiger tatsächlich gesetzt wurde. Aufgabe des Beweises ist es, die größtmögliche Übereinstimmung zwischen dem vom Gericht beurteilten und dem wahren Sachverhalt zu gewährleisten. Nach § 286 ZPO muss das Gericht eine persönliche Gewissheit davon gewinnen, dass das zu beweisende Ereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, die vernünftige Zweifel ausschließt, so geschehen ist (Zöller/Greger 28. Aufl. § 286 ZPO Rz. 18).

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Vorliegend waren sich die Zeugen ganz sicher. Fehler in der Wahrnehmung waren bei der Vernehmung nicht erkennbar. Die Aussagen zeigen auch sonst keine Anhaltspunkte, die für eine Beeinflussung der Zeugen durch andere Faktoren sprechen könnten. Beide Zeugen haben auch einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um die Voraussetzungen zu erfüllen, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Würdigung von Zeugenaussagen gefordert werden.

Wie die Wahrnehmungspsychologie durch zahlreiche Experimente herausgefunden hat, gibt es von der Wahrnehmung eines Sachverhalts bis hin zur Wiedergabe der Erinnerung viele Fehlermöglichkeiten, die zu einer Veränderung des erinnerten Geschehens führen und in weiten Teilen kognitiv nicht beeinflussbar sind. Dies beginnt bei einfachen Wahrnehmungsfehlern, die daraus resultieren, dass jeder Mensch nur einen Bruchteil von dem wahrnimmt, was an Informationen auf ihn einströmt, und die Auswahl der wahrzunehmenden Signale völlig unbewusst nach individuellen Kriterien erfolgt. Im Langzeitgedächtnis wird wiederum nur ein geringer Prozentsatz dessen gespeichert und bleibt während der Erinnerung auch nicht unverändert. Spätere Ereignisse oder auch Assoziationen und Neubewertungen haben starken Einfluss auf den erinnerten Sachverhalt, ohne dass dies durch die Person bemerkt wird. (vgl. nur Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007; Sporer/Meurer, Die Beeinflussbarkeit von Zeugenaussagen, 1987; Kotre, Weiße Handschuhe. Wie das Gedächtnis Lebensgeschichten schreibt, 1996; Scholz StV 04, 104, Kühne NStZ 85, 252).

Gerade bei schnell ablaufenden Vorgängen, deren Grundmuster, wie beim Verkehrsunfall bestimmte Fahrsituationen, häufig erlebt werden, gibt es zahlreiche Fehlerquellen, die der Vernehmungsperson regelmäßig nicht bewusst sind. Dies haben auch Experimente mit Richtern bewiesen (Kirchhoff MDR 01, 661). Deshalb kann auch bei noch so wahrheitsliebenden und objektiven Zeugen – wie z.B. auch Polizeibeamten – nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass der bekundete Sachverhalt mit der Realität übereinstimmt. Auch ist die Sicherheit der Aussage kein ausreichender Indikator dafür, dass ihr Inhalt objektiv richtig ist.

Es ist deshalb erforderlich (BGH 30.7.99 – 1 StR 618/98 – NJW 99, 2746; BVerfG 30.4.2003 – 2 BvR 2045/02 – NJW 2003, 2444), in erster Linie Anhaltspunkte zu finden, die dafür sprechen, dass die Auskunftsperson die Wahrheit sagt (BGH 29.4.2003 – 1 StR 88/2003 – NStZ-RR 03, 245). Dabei nimmt man zunächst an, die Aussage sei unwahr (so genannte „Nullhypothese“ – BGH aaO.). Diese Annahme überprüft man anhand verschiedener Hypothesen. Ergibt sich, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt die Alternativenhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt. Dies bedeutet, dass jede Zeugenaussage solange als unzuverlässig gilt, als die Nullhypothese nicht eindeutig widerlegt ist.

Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man bei der Bewertung von Aussagen von einer neutralen Anfangswahrscheinlichkeit für deren Zuverlässigkeit ausgeht und sodann überprüft, ob anhand von Qualitätsmerkmalen, so genannten Realkennzeichen oder Realitätskriterien, eine (ausreichend) hohe Wahrscheinlichkeit für die Zuverlässigkeit der Aussage erreicht werden kann.

Ist das der Fall, so kann grundsätzlich von „subjektiver Wahrheit“ ausgegangen werden. Es ist nun festzustellen, ob diese Erinnerungen durch Irrtümer verfälscht sind. Die Auskunftsperson muss die Geschehnisse zutreffend wahrgenommen haben und es muss sich um echte Erinnerungen handeln, die durch den Zeitablauf nicht verändert worden sind (OLG Stuttgart 15.10.03 – 2 Ss 437/03 – zitiert nach juris; OLG Stuttgart 8.12.05 – 4 Ws 163/05 – NJW 06, 3506; Wendler/Hoffmann, Technik und Taktik der Befragung im Gerichtsverfahren 2009, Rz. 125).

Als Realitätskennzeichen gelten beispielsweise der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, deliktstypische Einzelheiten, individuelle Prägung, Schilderung von gefühlsmäßigen Reaktionen; psychische Folgewirkungen, Verflechtung der Angaben mit anderen Geschehnissen und das Nichtsteuerungskriterium (inhaltlich und chronologisch nicht geordnete, sprunghafte Wiedergabe; vgl. zu allem die ausführlichen Darstellungen bei BGH NJW 99, 2746; Wendler/Hoffmann, Technik und Taktik der Befragung im Gerichtsverfahren, 2009; Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Auflage 2007; Nack JA 93, 161, Wendler ZfS 03, 529, Kirchhoff MDR 99, 1473, Rüssmann DRiZ 85, 41).

Vorliegend sind solche Merkmale nicht ausreichend erkennbar.

Das Gericht hat zwar keine unmittelbaren Anhaltspunkte für Wahrnehmungsfehler, aus den Aussagen selbst ergeben sich aber auch keine Hinweise, die für die objektive Richtigkeit der Schilderung sprechen. Die Aussagen waren weder besonders detailreich, noch liegen besondere Umstände vor, die sie für das Gericht psychologisch stimmig und emotional nachvollziehbar machen. Aus den Aussagen ist auch nicht deutlich geworden, warum ein alltägliches Geschehen wie die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers so in den Fokus der Wahrnehmung und Erinnerung gekommen ist, dass es bereits vor dem Unfallereignis als wesentlich eingeschätzt wurde.

Das Gericht hat in der Beweisaufnahme versucht, entsprechende Realitätskriterien herauszufinden oder die Verflechtung oder Übereinstimmung mit objektiven Randbedingungen festzustellen. Dafür gibt es jedoch auch keine ausreichenden Anhaltspunkte, zumal nach maßgeblichen Literaturstimmen mindestens drei valide Realitätskriterien vorliegen müssen (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. 2007, Rz. 504).

Das Gericht hat auch eine Gesamtwürdigung der Aussagen im Zusammenhang mit den übrigen Angaben der Unfallbeteiligten und der Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ablaufs vorgenommen. Auch danach verbleibt das offene Ergebnis, dass es keine weiteren Anhaltspunkte für den maßgeblichen Vorgang gibt als die Aussagen der Zeugen.

Dem Gericht ist bewusst, dass es gerade im Bereich des Verkehrsunfalls viele Vorgänge gibt, bei denen eine Zeugenaussage von vornherein wenig inhaltliche Realitätskriterien aufweisen kann, weil der Ablauf sehr schnell ist und häufig auch keine besondere emotionale Beteiligung des Zeugen vorhanden ist.

Auch in diesem Bereich gilt aber das beschriebene Beweismaß des § 286 ZPO (allgemeine Ansicht; anders nur Meyke NJW 89, 2032; ihm folgend OLG Frankfurt 6.5.09 – 13 U 170/08-; ähnlich Einmahl NJW 01, 469), wonach für die richterliche Überzeugung ausreichend valide Realitätskriterien vorliegen müssen. Beweiserleichterungen gibt es nur in besonderen Fällen (§§ 287, 294 ZPO), die nicht vorliegen. Andernfalls wäre gerade in diesem Bereich das Risiko einer Beeinflussung durch Wahrnehmungsfehler ganz erheblich.

Dies kann – wie vorliegend – dazu führen, dass das Beweisthema nicht bewiesen wird, obwohl sich der Vorgang objektiv entsprechend den Aussagen abgespielt haben mag. Das Gericht geht nicht von einer Falschaussage der Zeugen aus, sondern unterstellt, dass diese – subjektiv – die Wahrheit gesagt haben.

Fehlurteile aufgrund unrichtiger Zeugenaussagen sind empirisch erwiesen keine Seltenheit. Um dies zu vermeiden, führt das Fehlen ausreichend vorhandener Realkriterien dazu, dass die notwendige richterliche Überzeugung nicht gewonnen werden kann und deshalb der Beweis nicht geführt ist.

3. Aus dieser Situation folgt folgende rechtliche Bewertung:

Die Beklagten haften gemäß den §§ 7, 18 StVG, 3 PflichtVersG (idF bis 31.12.07) für den aus dem Unfall entstandenen Schaden. Der Unfall hat sich bei Betrieb ihres Fahrzeugs ereignet und auch die weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG liegen vor. Der Haftungsausschluss des § 7 Abs. 2 StVG greift nicht ein. Die Beklagten haben auch nicht beweisen können, dass für den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG vorlag. Die Beklagten haben nicht beweisen können, dass der Beklagte zu 1) seiner Verpflichtung, den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen, nachgekommen ist.

Steht mithin die grundsätzliche Haftung der Beklagtenseite fest, ist weiter zur Frage der Haftungsverteilung gemäß § 17 StVG zu prüfen, ob auch für die Klägerseite die Voraussetzungen einer Haftung für die aus dem Unfall entstandenen Schäden gegeben sind. Gemäß § 17 Abs. 1 StVG ist dafür allerdings zunächst die Feststellung erforderlich, dass beide beteiligten Halter kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind. Deshalb ist zu prüfen, ob auch die Klägerseite entsprechend haftet. Die Klägerin zu 1) haftet als Halterin gemäß § 7 Abs. 1 StVG, während der Kläger zu 2) als Fahrer gemäß § 18 Abs. 1 StVG für sein vermutetes Verschulden haftet. Auch hier liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG unzweifelhaft vor. Ein Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG kommt nicht in Betracht. Die Klägerseite hat auch nicht vermocht, den Beweis eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG zu erbringen oder die Vermutung des Verschuldens des Klägers zu 2) gemäß § 18 StVG zu widerlegen. Dies scheitert schon daran, dass vorliegend aufgrund des Sachverständigengutachtens zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Kläger zu 2) mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist, die sich auch im Unfall niedergeschlagen hat.

Die Haftungsverteilung erfolgt auch für den Fahrer über die Verweisung des § 18 Abs. 3 StVG nach § 17 Abs. 1 StVG.

4. Liegen mithin die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG vor, richtet sich die Haftungsverteilung nach den Umständen, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile können allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die entweder unstreitig sind oder bewiesen sind. Dabei hat jede Seite die Umstände zu beweisen, die für sie günstig, für die Gegenseite also ungünstig sind.

Bei der Bewertung des Verursachungsanteils der Beklagten ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) vor dem Abbiegen nach links nicht ausreichend seiner Pflicht zur zweiten Rückschau (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) nachgekommen ist. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der Beklagte zu 1), wenn er vor dem Abbiegen nach hinten geschaut hätte, das Motorrad des Klägers zu 2) hätte erkennen können; dann hätte er den Abbiegevorgang nicht fortsetzen dürfen. Dagegen geht nicht zu seinen Lasten, dass nicht feststeht, ob der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war. Zwar konnte im Rahmen des § 17 Abs. 3 StVG die Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers nicht durch die Zeugenvernehmung be-stätigt werden. Dies führt allerdings nicht dazu, im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1 StVG diesen Umstand zu Lasten der Beklagten als Verursachungsmoment zu würdigen. Denn es steht gerade nicht fest, ob der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war oder nicht. Der mangelnde Beweis geht insoweit zu Lasten der Klägerseite, für die dieser Umstand günstig wäre.

Bei der Beurteilung der Verursachungsanteile der Klägerseite geht zu ihren Lasten die deutlich überhöhte Geschwindigkeit des Motorrads, die durch die erstinstanzlich vernommenen Zeugen anschaulich geschildert wurde. Hinzu kommt, dass der Kläger zu 2) das Fahrzeug der Beklagten ausreichend sehen konnte, wie der Sachverständige nachvollziehbar festgestellt hat. Das Fahrzeug der Beklagten befand sich mindestens mehrere Sekunden auf der B-Straße, wie der Sachverständige durch eigene Fahrversuche festgestellt hat. Das Fahrzeug war bereits nach links eingeordnet, so dass bei verständiger Betrachtung der Kläger zu 2) den Abbiegewunsch des Beklagten zu 1) hätte erkennen können. Der Kläger zu 2) hätte auch ausreichend Gelegenheit gehabt, sein Fahrzeug abzubremsen, eventuell rechts an dem Fahrzeug vorbeizufahren. Er hat sich allerdings entschlossen, links an dem Fahrzeug vorbeizufahren, obwohl eine unklare Situation erkennbar war.

Nicht zu Lasten der Kläger geht allerdings der Umstand, dass das Motorrad für den Kläger zu 2) bei einem Sturz weitaus schadens- und verletzungsanfälliger war, als dies einer vergleichbaren Situation ein KFZ gewesen wäre (BGH 1.12.2009 – VI ZR 221/08 -).

Bei der Abwägung sämtlicher Umstände gelangt der Senat zu der Auffassung, dass die Verursachungsanteile des klägerischen Fahrzeugs deutlich die Verursachungsanteile des Fahrzeugs der Beklagten überwiegen. Die Verletzung der Rückschaupflicht durch den Beklagten zu 1) ist zwar ein erheblicher Verkehrsverstoß, der regelmäßig zur hälftigen Haftungsverteilung führen kann (vgl. die Aufstellung bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen); er muss vorliegend allerdings milder beurteilt werden, da ein von hinten herankommendes Motorrad schwieriger zu erkennen ist, als dies bei einem KFZ der Fall wäre. Demgegenüber hatte der Kläger zu 2) die Situation voll im Blick und hätte bei einer defensiveren Fahrweise mit mehr Übersicht ohne weiteres den Unfall vermeiden können. Dennoch ist im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts der Verkehrsverstoß des Klägers zu 2) nicht so grob und rücksichtslos, dass der Verursachungsanteil der Beklagtenseite, der auch eine verkehrsrechtliche Pflichtverletzung umfasst und sich nicht lediglich auf bloße Betriebsgefahr beschränkt, in vollem Umfang zurücktreten müsste. Der Senat hält deshalb eine Haftungsverteilung von 30 zu 70 zu Lasten der Klägerseite für angezeigt.

5. Schadenspositionen der Klägerin zu 1)

Die Klägerin zu 1) hat ausreichend dargelegt und nachgewiesen, dass ihr die geltend gemachten Schadenspositionen entstanden sind und diese auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Die Klägerin kann allerdings eine Unkostenpauschale nicht verlangen, da diese vom Kläger zu 2) ebenfalls geltend gemacht wird. Bei einem einheitlichen Unfall kann die Unkostenpauschale nur einfach geltend gemacht werden, auch wenn unterschiedliche Schäden auf verschiedene Rechtsgutsinhaber entfallen (OLG Celle 24.10.2007 – 14 U 85/07 -). Für zusätzliche Kosten verbleibt immer die Möglichkeit der konkreten Berechnung.

a) Bei der Abrechnung des Schadens der Klägerin zu 1) ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 1) ihre Kaskoversicherung in Anspruch genommen und diese einen Betrag von 8.400,00 € gezahlt hat. Die Klägerin zu 1) macht auch lediglich den Restbetrag geltend.

Um festzustellen, in welcher Höhe durch die Zahlung ein Forderungsübergang nach § 67 Abs. 1 VVG (idF bis 31.12.07) auf die Versicherung stattgefunden hat, ist zunächst zwischen den einzelnen Schadenspositionen zu unterscheiden. Denn der Forderungsübergang kann sich nur auf solche Forderungen beziehen, die in den Schutzbereich der Kaskoversicherung fallen, also kongruent sind.

Dies sind nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 12.1.1982 – VI ZR 265/80, MDR 1982, 398) – ausgehend vom Tatbestand des § 12 AKB (idF bis 31.12.07) – die Reparaturkosten, Sachverständigenkosten, Wertminderung und Abschleppkosten. Dass die Wertminderung dazu gehört, obwohl deren Ersatz nach § 13 AKB (idF bis 31.12.07) ausgeschlossen ist, folgt daraus, dass sich der Schutzbereich der Kaskoversicherung aus der Definition des unmittelbaren Sachschadens in § 12 AKB a.F. ergibt, wozu nach ständiger Rechtsprechung auch die Wertminderung gehört (BGH v. 8.12.1981 – VI ZR 153/80, BGHZ 82, 338 [343] = MDR 1982, 227; Groß, DAR 1999, 338).

b) Außerdem hält der Senat auch die der Klägerin zu 1) gegenüber ihrer Kaskoversicherung aufgewandten Rechtsanwaltskosten für ersatzfähig, und zwar nicht lediglich in Höhe der Haftungsquote, sondern in vollem Umfang. Es handelt sich bei dem Tätigwerden gegenüber der Kaskoversicherung und gegenüber der Haftpflichtversicherung um zwei selbständige Gegenstände, so dass auch für beide die entsprechende Geschäftsgebühr angefallen sein kann. Zwar hatte die Vertretung der Klägerin gegenüber der Vollkaskoversicherung den Fahrzeugschaden der Klägerin aus dem Verkehrsunfall zum Gegenstand, dessen Ersatz die Klägerin auch im vorliegenden Verfahren geltend macht. Es fehlt aber schon an dem personellen Zusammenhang, da es sich um zwei unterschiedliche Gegner handelt.

Die Anrechenbarkeit der Geschäftsgebühr ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass es angesichts der Schadensminderungspflicht der Klägerin der Billigkeit entspricht, dass der Haftpflichtversicherer hinsichtlich seiner Verpflichtung zum Ersatz der Rechtsverfolgungskosten nicht schlechter gestellt werden darf, als wenn der gesamte Schaden von ihm selbst verlangt worden wäre. Denn der Geschädigte verstößt durch die Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung dann nicht gegen seine Schadensminderungsverpflichtung, wenn der Haftpflichtversicherer in Verzug geraten ist. Dies ist vorliegend der Fall; die Gegenseite hat eine Haftung komplett verneint. Es handelt sich deshalb um einen ungekürzt zu ersetzenden Verzugsschaden (vgl. ebenso OLG Düsseldorf 16.1.2006 – 1 U 159/05; OLG Karlsruhe 27.6.90 – 1 U 317/89 – NZV 90, 431; Lachner ZfS 98, 161; AG Ansbach 28.12.2007 – 1 C 1266/07 -; AG Herford 8.3.02 – 12 C 1609/01 -; AG Kirchhain 29.1.2008 – 7 C 359/07; AG Syke 10.3.2008 – 24 C 1602/07). In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des BGH vom 13.1.2005 (VI ZR 73/04) zu verstehen. Für eine Gebäudesachversicherung hat der BGH dort entschieden, dass Rechtsverfolgungskosten dann als Kosten zur Wiederherstellung des zerstörten Gebäudes anzusehen sind, wenn sie sich auf die für die Wiederherstellung des Gebäudes erforderlichen Kosten beschränken und sich nicht nach der Versicherungsleistung bemessen.

Die vorliegend auch geltend gemachten Schadenspositionen Fahrkosten und Betriebsmittelbeseitigung fallen nicht in den Bereich der Kaskoversicherung und sind deshalb vom Forderungsübergang des § 67 VVG nicht erfasst. Die Klägerin zu 1) macht in diesem Bereich einen Betrag von 2.402,81 € geltend.

Von diesem steht ihr die oben errechnete Quote von 30 %, mithin ein Betrag von 720,84 € zu.

Hinsichtlich der im Übrigen geltend gemachten kongruenten Positionen macht die Klägerin nicht ihren gesamten Schaden von 11.923,25 €, sondern nur die Differenz zur Zahlung der Kaskoversicherung i.H.v. 8.400,- € geltend.

Unabhängig von der Zahlung der Kaskoversicherung stünde ihr nach den obigen Grundsätzen ein Anspruch i.H.v. 30 %, mithin 3.576,97 € zu.

Dieser Betrag ist geringer als die Leistung der Kaskoversicherung; deshalb ist zu klären, inwieweit die Forderung insgesamt gem. § 67 VVG a.F. auf die Kaskoversicherung übergegangen ist.

c) Nach der Rechtsprechung des BGH zum Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers (st. Rspr. seit BGHZ 13, 28; vgl. Groß, DAR 1999, 339; zuletzt BGH 25.11.09 – XII ZR 211/08 -) soll der Versicherungsnehmer durch die Leistung der Versicherung nicht schlechter gestellt werden. Die Zahlung der Versicherung bewirkt danach erst dann einen Forderungsübergang, wenn ein Restschaden bei dem Versicherungsnehmer nicht mehr verbleibt. Der Versicherungsnehmer behält deshalb seinen schuldrechtlichen Anspruch, soweit er ihn benötigt, um den restlichen kongruenten Schaden, der von der Versicherungsleistung nicht gedeckt ist, geltend zu machen. Erst in Höhe der Differenz zwischen dem ohne Leistung der Versicherung bestehenden – gedachten – Schadensersatzanspruch und dem bei ihm verbleibenden Restschaden geht der Anspruch auf die Versicherung über.

Im vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Der mit der Klage geltend gemachte kongruente Restschaden der Klägerin beträgt 3.523,25 €. Ihr schuldrechtlicher Anspruch ohne Berücksichtigung der Kaskoleistung würde 3.576,97 € betragen.

Damit kann die Klägerin ihren kongruenten Restschaden in voller Höhe geltend machen, da ihr schuldrechtlicher Anspruch über dem Restschaden liegt. In Höhe der verbleibenden Differenz ist der Anspruch auf den Kaskoversicherer übergegangen.

Zusammen mit dem oben errechneten Betrag der inkongruenten Positionen ergibt dies einen Gesamtbetrag i.H.v. 4.244,09 €.

6. Schäden des Klägers zu 2)

a) Der Kläger zu 2) kann keinen Nutzungsausfallschaden geltend machen. Dieser entfällt allerdings nicht bereits deshalb, weil dem Kläger zu 2) vielleicht die Benutzung eines vorhandenen PKW zumutbar war (vgl. dazu LG Wuppertal 20.12.2007 – 9 S 415/06 -). Vorliegend geschah der Unfall im Frühling, so dass die Nutzungsmöglichkeit eines Motorrads in dieser Jahreszeit nicht mit dem Nutzungswert eines PKW vergleichbar ist (vgl. nur OLG Düsseldorf 10.3.2008 – 1 U 198/07 -).

Vorliegend fehlt es allerdings an der Nutzungsmöglichkeit. Der Kläger zu 2) wurde bei dem Unfall erheblich verletzt und war deshalb nicht in der Lage, ein Motorrad jedenfalls für den Wiederbeschaffungszeitraum zu nutzen. Deshalb ist ihm für den Wiederbeschaffungszeitraum kein entsprechender Ausfall entstanden. Dass die Klägerin zu 1) selbst das Motorrad genutzt hätte, ist weder vorgetragen noch spricht dafür irgendetwas. Die Klägerin zu 1) hätte mithin das neue Motorrad bereits in der Zeit erwerben können, in der der Kläger zu 2) selbst nicht in der Lage war, ein Motorrad zu fahren.

b) Der Kläger zu 2) hat Anspruch auf 70 % des Wertes seiner Motorradkleidung. Zwar hat der Kläger zu 2) keinen wirklichen Nachweis dahingehend führen können, wann er die Kleidung angeschafft hat. Es spricht jedoch viel dafür, dass dies zeitgleich mit der Anschaffung des Motorrades erfolgt ist, so dass die Kleidungsstücke beim Unfall lediglich ein Jahr alt waren. Grundsätzlich ist bei gebrauchten Gegenständen der Wiederbeschaffungswert zu ersetzen, wobei ein solcher vorliegend allerdings nicht erkannt werden kann. Wiederbeschaffungswert setzt voraus, dass entsprechende Gegenstände auf einem Gebrauchtmarkt erworben werden können. Dies ist für Motorradkleidung nach Kenntnis des Gerichts nicht der Fall. Es ist deshalb grundsätzlich vom Neuwert auszugehen und ein entsprechender Abzug „neu für alt“ zu machen, der sich aus der Lebensdauer der Gegenstände ergibt. Im Rahmen der gemäß § 287 ZPO zulässigen Schätzung hält der Senat deshalb eine Lebensdauer von durchschnittlich 4 Jahren für angemessen, so dass unter Berücksichtigung auch sonstiger Unsicherheiten ein ersatzfähiger Betrag von 70 % als ausreichend und angemessen erscheint.

Dies ergibt dann für die Motorradkleidung einen Gesamtbetrag von 917,57 €. Im Übrigen hat der Kläger zu 2) die von ihm geltend gemachten Schadenspositionen ausreichend nachgewiesen, so dass sich ein Gesamtbetrag von 1.840,74 € ergibt. Davon kann der Kläger zu 2) die Haftungsquote in Höhe von 30 % verlangen, was einen Gesamtbetrag von 552,22 € ergibt.

c) Der Kläger zu 2) hat gegen die Beklagten auch einen Anspruch gemäß § 253 BGB auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Die Bemessung des Schmerzensgeldes ist grundsätzlich nicht an der Quotierung der Haftungsverteilung auszurichten, es ist allerdings eine Gesamtschau vorzunehmen, die auch diesen Bereich berücksichtigt.

Unter Abwägung aller Umstände, insbesondere Dauer der Arbeitsunfähigkeit, der Schmerzen und der Nachoperation hält der Senat ein Gesamtschmerzensgeld in Höhe von 3.000,00 € für angemessen. Dabei handelt es sich nicht um einen Vorschuss, sondern um das Gesamtschmerzensgeld. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat auch berücksichtigt, dass nicht lediglich der jetzige Zustand maßgeblich ist, sondern sämtliche objektiv, das heißt nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung (BGH NJW 88, 2301; BGH NJW 04, 1243; OLG Jena 16.1.2008 – 4 U 318/06). Hier hat der Kläger zu 2) dargelegt, dass er heute noch nicht völlig belastungsfrei gehen kann. Bei Talusfrakturen kann es auch nach anatomischer Wiederherstellung der Gelenkflächen als Spätfolge zu Gelenkverschleiß und Funktionsbeeinträchtigungen kommen. Im Extremfall ist eine Versteifung des Gelenkes nicht ausgeschlossen (Sprunggelenksarthrodese).

7. Auch der Feststellungsantrag ist in der tenorierten Form begründet.

Hinsichtlich des Höherstufungsschadens (inkongruenter Schaden) kann die Klägerin zu 1) die ausgewiesene Quote verlangen, auch wenn die Höherstufung schon auf Grund der Zahlung der Kaskoversicherung auf den von ihr selbst zu tragenden Haftungsanteil eintreten würde (BGH MDR 1992, 853 [BGH 03.12.1991 – VI ZR 140/91]; MDR 06, 1344; Kirchhoff, MDR 1998, 251 m.w.N.). Hinsichtlich des zukünftigen Schadens kommt allerdings lediglich die Feststellung der Ersatzpflicht in Betracht, woraus sich das Feststellungsinteresse für die Klägerin zu 1) ergibt.

Hinsichtlich des Klägers zu 2) folgt das Feststellungsinteresse bereits daraus, dass künftige Schadensfolgen möglich sind. Bei Personenschäden ist ein Feststellungsinteresse nur dann zu verneinen, wenn auch nicht nur die entfernt in Betracht zu ziehende Möglichkeit besteht, dass körperliche Beschwerden in Zukunft zunehmen (BGH 9.1.2007 – VI ZR 133/06 -; OLG Frankfurt am Main 20.4.2007 – 18 U 53/05 -; OLG Brandenburg 20.12.2007 – 12 U 141/07 -).

Der Senat hat bei der Formulierung des Feststellungstenors die Möglichkeit des Anspruchsübergangs auf Dritte (z.B. gemäß § 116 SGB X) berücksichtigt.

8. Die Kläger haben weiter Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Dabei kann eine Geschäftsgebühr von 1,3 bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall wie vorliegend angenommen werden (BGH 31.10.2006 – VI ZR 261/05 -). Wird wie hier der Klage allerdings nur mit einer Quote stattgegeben, werden die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht wie die übrigen Schadenspositionen nach der Quote zugesprochen, sondern sie sind aus dem Geschäftswert der berechtigten Forderung der Kläger zu berechnen (BGH 7.11.2007 – VIII ZR 341/06 -; BGH 18.1.2005 – VI ZR 73/04 -). Bei den Rechtsanwaltskosten des Klägers zu 2) war allerdings das Schmerzensgeld zu berücksichtigen.

Die Zinsforderung beruht auf § 286, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

 

 

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