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Radfahrer in falscher Fahrtrichtung – Verkehrsunfall – Haftung

Landgericht Berlin

Az: 58 S 79/07

Urteil vom 22.08.2007

Vorinstanz: Amtsgericht Berlin Mitte – Az.: 102 C 3123/05


In dem Rechtsstreit hat die Zivilkammer 58 des Landgerichts Berlin in Berlin-Mitte, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 08.08.2007 für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das am 13. Februar 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 102 C 3123/05 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Auf die Darstellung des Tatbestandes gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO verzichtet (§ 26 Nr. 8 EGZPO).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hatte nach ergänzendem Sachvortrag aus den weiterhin zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, denen die erkennende Einzelrichterin im Ergebnis folgt, keine Aussicht auf Erfolg und war deshalb zurückzuweisen.

1.
Der Beklagte ist dem Kläger gemäß §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1, 2 StVO, 249 ff BGB dem Grunde nach mit einer Haftungsquote von 2/3 zum Schadensersatz verpflichtet.

(1) Der Kläger ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung aktivlegitimiert.

Für die Frage der Aktivlegitimation kommt es auf den Zeitpunkt des Unfalls an und nicht wie der Beklagte meint, auf den Zeitpunkt der Begutachtung. Entscheidend ist, ob dem Kläger der Anspruch im Zeitpunkt seiner Entstehung zustand. Eine etwaige spätere Veräußerung oder Änderung der Haltereigenschaft, die für den in Rede stehenden Schadensersatzanspruch ohnehin ohne Bedeutung ist, ist unerheblich.

Der Kläger hat seine Stellung als Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch Vorlage des Kaufvertrages bewiesen. Das weitere Bestreiten seiner Eigentümerstellung mit Nichtwissen durch die Beklagten reicht demgegenüber nicht aus. Es ist nicht ersichtlich, was der Kläger zu seiner Berechtigung noch vortragen oder vorlegen könnte. Das Bestreiten des Beklagten erfolgt lediglich ins Blaue hinein.

(2) Der gegen den Kläger als wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer sprechende Anscheinsbeweis, gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten des § 8 StVO verstoßen zu haben, ist entkräftet.

Der Kläger war unstreitig wartepflichtig. Ebenfalls unstreitig hat der Beklagte aber gegen § 2 Abs. 4 StVO verstoßen, indem den Fahrradweg In falscher Richtung befahren hat.

Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Frage der Vorfahrtsberechtigung eines ordnungswidrig auf dem Radweg in falscher Fahrtrichtung fahrenden Radfahrers nicht einhellig beurteilt (Vorfahrtsrecht verneinend: OLG Bremen, Urteil vom 11.02.1997, DAR 1997. 272ff; OLG Celle, Beschluss v. 04.04.1985 – 3 Ss (OWi) 80/85; bejahend: BGH NJW 1986, 2651 f; OLG Hamm, Urteile vom 10.3.1995 und 24.10.1996, DAR 199G, 321 und NZV 1997, 123; OLG Dusseldorf, Urteil vom 10.04.2000, DAR 2001,78 f; KG Urteil v. 18.01.1993 – 12 U 6697/91). Das Gericht schließt sich dabei aber der Auffassung eines beachtlichen Teils der Rechtssprechung an, dass das Vorfahrtsrecht eines Radfahrers trotz der Benutzung des Radwegs in falscher Richtung unberührt bleibt (so auch LG Berlin, Urteil vom 01.09.2003 – 58 S 129/03), weil das eigene verkehrsgerechte Verhalten des Vorfahrtsberechtigten auch sonst wegen der Eindeutigkeit der Verkehrsregeln keine Rolle zu spielen hat.

Diese Frage kann im Übrigen aber dahinstehen, weil es entscheidend darauf ankommt, ob der wartepflichtige Kraftfahrer mit der hinreichenden Aufmerksamkeit den rechts von ihm gelegenen Radweg beobachtet und auf verbotswidrig herannahende Radfahrer geachtet hat (so auch Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil v. 13.01.2004, 3 U 244/03; vgl. LG Berlin, Urteil vom 01.09.2003 – 58 S 129/03; vgl. OLG Hamm, Urteil v. 10.03.1992 – 27 U 241/91). Dies ist hier der Fall und führt vorliegend aufgrund der besonderen Umstände zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten des Beklagten.

Der Kläger musste sich dem Fahrradweg mit äußerster Vorsicht nähern und sich langsam vortasten, zumal die Sicht nach rechts durch die Begrenzungsbebauung und den Bewuchs eingeschränkt war. Ein Verstoß des Klägers gegen seine gegenüber dem von rechts kommenden Beklagten bestehenden Wartepflicht kann indessen nicht festgestellt werden.

Nach dem weiteren Vortrag der Parteien und dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Beklagten gemäß § 141 ZPO im Termin steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger jedenfalls so lange auf dem Fahrradweg gestanden hat, dass der Beklagte den Unfall hätte verhindern können.

Unstreitig stand der Kläger vor dem Zusammenstoß bereits 2 bis 3 Sekunden mit seiner Motorhaube bis zur Mitte des Radweges. Hieran muss sich der Beklagte festhalten lassen. Entgegen seiner Auffassung ist es aus diesem Grund unerheblich, dass der gerichtliche Sachverständige anhand der Spurenlage ein Stehen des klägerischen Fahrzeugs weder bestätigen noch ausschließen konnte.

Zu Recht ist das Amtsgericht nach dem Ergebnis der in der ersten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Kläger über diese unstreitige Zeitspanne hinaus noch eine weitere Zeitspanne gestanden hat. Insoweit wird auf die nicht zu beanstandende Beweiswürdigung durch das Amtsgericht verwiesen.

Auf der Grundlage des weiteren Beklagtenvortrags zur Vermeidbarkeit des Unfalls gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass der Beklagte nicht mit einer der Situation angepassten Geschwindigkeit und bzw. oder nicht ausreichend bremsbereit gefahren ist.

Soweit der Beklagte vorträgt er sei nicht schneller als 20 km/h gefahren, was er als seine regelmäßig gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit ansehe, ist ihm vorzuhalten, dass eine Geschwindigkeit von 20 km/h als Radfahrer bereits erheblich und nicht mehr im unteren Bereich einer als im Stadtverkehr üblichen Geschwindigkeit anzusehen ist. Gerade auch als Radfahrer in falscher Fahrtrichtung auf dem Radweg und einer für ihn erkennbaren und zudem schlecht einsehbaren Straßeneinmündung war eine solche Geschwindigkeit im konkreten Einzelfall zu schnell.

Ausgehend davon, dass das Klägerfahrzeug mindestens 3 Sekunden gestanden hat, hätte der Beklagte dieses bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h, was 5,6 Metern pro Sekunde entspricht, aus etwa 16,8 Metern Entfernung wahrnehmen können und nicht erst aus 8 Metern Entfernung wie er vorträgt. Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls davon auszugehen ist, dass das Klägerfahrzeug noch länger gestanden hat, hätte der Beklagte in jedem Fall anhalten oder ausweichen können, wenn er dem Verkehrsraum vor sich genügend Beachtung geschenkt und adäquat reagiert hätte. Entgegen der Ansicht des Beklagten konnte der gerichtliche Sachverständige anhand der Spurenlage keine eindeutigen Feststellungen dazu treffen, ob sich das Klägerfahrzeug noch in einer Ieichten Vorwärtsbewegung befand oder bereits stand. Ein Sachverständiger kann auch niemals feststellen, wie lange ein Fahrzeug gestanden hat, so dass der gerichtlich bestellte Sachverständige hier auch keine Angabe machen kann, ob der Beklagte Zeit für ein Brems- oder Ausweichmanöver hatte.

Zu berücksichtigen ist, dass der Beklagte selbst bekundet hat, er sei vor dieser Radtour im Prinzip seit 20 oder 30 Jahren nicht mehr Rad gefahren und habe vor dieser Tour mit dem neu erworbenen Fahrrad nur kleinere Probefahrten in seinem Wohngebiet unternommen. Dies zeigt, dass der Beklagte im Grunde seit mehreren Jahrzehnten keine Fahrpraxis als Radfahrer hatte und zudem mit dem von ihm gefahrener. Fahrrad nicht vertraut war. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Umstand zu, dass der Beklagte vor 30 Jahren ein Fahrrad mit einer Rücktrittbremse fuhr, wohingegen sein neues Fahrrad nur mit Handbremsen ausgestattet war. Insofern musste der Beklagte seine Geschwindigkeit seinem Können anpassen bzw. seine Unsicherheit durch eine erhöhte Bremsbereitschaft ausgleichen. Der Beklagte hatte auch deshalb Anlass verstärkt bremsbereit zu sein bzw. seine Geschwindigkeit herabzusetzen, weil nach seinem Vorbringen vor dem Klägerfahrzeug bereits ein weiterer Fahrzeug aus der Straße zum Seeblick herausgefahren war und er den Kläger bereits nach seinem eigenen Vorbringen langsam kommen sah. Der Beklagte hat selbst eingeräumt, er habe aufgrund seiner fehlenden Fahrpraxis und des fehlenden gewohnten Rücktritts wohl etwas verzögert reagiert und gebremst, was zu seinen Lasten geht und in der Haftungsquote zum Ausdruck zu kommen hat.

Zur Vermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten wird im Übrigen auf den gerichtlichen Hinweis vom 22. Juni 2007, zu dem der Beklagte Stellung genommen hat, verwiesen. Diese Stellungnahme gibt aber aus den vorgenannten Gründen keinen Anlass, die Erfolgsaussichten der Berufung günstiger zu bewerten.

Im Gegensatz dazu ist das Verschulden des Klägers, der jedenfalls nachdem Ergebnis der Beweisaufnahme mehr als 3 Sekunden stand geringer zu bewerten. Der Kläger hatte sich vor dem von ihm beabsichtigten Abbiegen zunächst nach links zu orientieren und jedenfalls keine Veranlassung seinen Blick ständig nach rechts zu richten, während er stand, sondern erst wieder unmittelbar vor dem Anfahren.

(3) Zu Recht hat das Amtsgericht seine Ausführungen zum Schaden der Höhe nach auf das eingeholte Gutachten gestützt, worauf Bezug genommen wird,

Aus dem Umstand, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht alle vom Kläger geltend gemachten Schäden dem streitgegenständlichen Unfall zuordnen konnte, sind entgegen der Ansicht des Beklagten keine Schlüsse zum Nachteil des Klägers zu ziehen oder ist die Klageforderung insgesamt in Frage zu stellen. Auf die Brauchbarkeit des von dem Kläger eingereichten Gutachtens kommt es nicht an, sondern es ist auf das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten abzustellen. Im Übrigen hat der Kläger hierzu mit Schriftsatz vom 04. Januar 2007 nachvollziehbar vorgetragen und seinen Klageantrag angepasst.

2.
Aus den vorgenannten Gründen kann der Beklagte seinen eigenen Schaden aus unerlaubter Handlung nur zu 1/3 ersetzt verlangen, weshalb ihm kein weiterer Anspruch zusteht.

3.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1., 708 Nr. 10 ZPO analog.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

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