Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Radfahrer auf Fußgängerfurt: OLG Schleswig-Holstein bestätigt Mithaftung nach Kollision mit Linksabbieger
- Der Unfallhergang: Eine alltägliche Kreuzungssituation mit schwerwiegenden Folgen
- Streit um die Schuldfrage: Die Positionen der Parteien und das vorgerichtliche Anerkenntnis
- Das Urteil der Vorinstanz: Das Landgericht weist die Klage ab
- Der Gang in die nächste Instanz: Die Berufung des Klägers vor dem OLG
- Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein: Keine Aussicht auf Erfolg für die Berufung
- Die Kernargumente des Oberlandesgerichts: Warum die Berufung scheitern muss
- Die Abwägung der Verschuldensanteile: Bestätigung der Quote von 1/3
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Darf ich als Radfahrer eine Fußgängerfurt bei grünem Fußgängerlicht fahrend überqueren?
- Was bedeutet Mitverschulden bei einem Verkehrsunfall und welche Folgen hat es für den Geschädigten?
- Wann hat ein Radfahrer Vorrang vor einem links abbiegenden Auto an einer Kreuzung?
- Welche allgemeinen Sorgfaltspflichten gelten für alle Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr?
- Welche Bedeutung hat die sogenannte Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs bei einem Verkehrsunfall?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 7 U 12/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Schleswig-Holstein
- Datum: 02.10.2024
- Aktenzeichen: 7 U 12/24
- Verfahrensart: Beschluss
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht, Versicherungsrecht, Zivilprozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Fahrradfahrer, der nach einem Verkehrsunfall Schadensersatzforderungen wegen erlittener Verletzungen und behaupteter Arbeitsunfähigkeit geltend machte und die vollständige Haftung der Gegenseite begehrte.
- Beklagte: Die Fahrerin eines PKW, dessen Halterin und dessen Haftpflichtversicherung. Sie verteidigten die bereits anerkannte Mithaftungsquote des Klägers von einem Drittel.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Verkehrsunfall ereignete sich am 12.07.2021 an einer Kreuzung. Ein Fahrradfahrer wollte bei grüner Fußgängerampel eine Fußgängerfurt queren. Zeitgleich wollte eine PKW-Fahrerin, ebenfalls bei grüner Ampel, nach links abbiegen. Es kam zur Kollision, bei der der Fahrradfahrer stürzte und Verletzungen erlitt.
- Kern des Rechtsstreits: Streit um die Haftungsverteilung nach einem Verkehrsunfall zwischen einem Fahrradfahrer und einem linksabbiegenden PKW an einer Kreuzung mit Ampelregelung, insbesondere ob der Fahrradfahrer über einen bereits anerkannten Mitverschuldensanteil von einem Drittel hinaus weitere Ansprüche gegen die Kraftfahrzeugseite geltend machen kann.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Klägers zurück. Es bestätigte die landgerichtliche Entscheidung, wonach den Beklagten kein höherer Haftungsanteil als zwei Drittel zuzuweisen ist.
- Begründung: Der Senat bestätigte die Auffassung des Landgerichts. Die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs und ein erhebliches Verschulden der PKW-Fahrerin wegen eines Sorgfaltspflichtverstoßes wurden bestätigt. Der Kläger hatte keine Vorfahrt und beging einen Verkehrsverstoß, indem er die Fußgängerfurt fahrend überquerte, obwohl diese nur für Fußgänger freigegeben war. Zusätzlich hat der Kläger seine Sorgfaltspflicht verletzt, indem er nicht auf abbiegende Fahrzeuge achtete. Die Abwägung der Beiträge beider Seiten führte zu einem Mithaftungsanteil des Klägers von einem Drittel, der als angemessen erachtet wird.
- Folgen: Die Klage des Fahrradfahrers auf eine höhere Haftung der Gegenseite wurde endgültig abgewiesen. Die bereits anerkannte Haftungsverteilung von zwei Dritteln für die Beklagten und einem Drittel für den Kläger bleibt bestehen.
Der Fall vor Gericht
Radfahrer auf Fußgängerfurt: OLG Schleswig-Holstein bestätigt Mithaftung nach Kollision mit Linksabbieger
Ein alltäglicher Verkehrsunfall an einer Ampelkreuzung, bei dem ein Fahrradfahrer und ein abbiegendes Auto kollidieren, führte zu einem Rechtsstreit, der bis vor das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein ging. Im Kern drehte sich die Auseinandersetzung um die Frage, in welchem Umfang der Fahrradfahrer für den Unfall mithaftet, insbesondere da er zum Unfallzeitpunkt eine Fußgängerfurt benutzte, die für Radfahrer nicht freigegeben war. Das Gericht musste klären, ob der bereits anerkannte Mitverschuldensanteil des Radfahrers von einem Drittel korrekt war oder ob ihm weitergehende Ansprüche gegen die Autofahrerin und deren Versicherung zustehen.
Der Unfallhergang: Eine alltägliche Kreuzungssituation mit schwerwiegenden Folgen

Der Unfall ereignete sich am 12. Juli 2021 gegen 15:35 Uhr in der Stadt W. an der Kreuzung der Straßen S., J.-M.-S. und K.-straße. Der Kläger, Herr K., befuhr mit seinem Fahrrad einen Radweg, der linksseitig der Straße Bahnweg verlief, in südliche Richtung. Zur gleichen Zeit war die Beklagte zu 1), Frau B., mit einem PKW BMW X2, der auf die Beklagte zu 2) zugelassen und bei der Beklagten zu 3) (einer Haftpflichtversicherung) versichert war, ebenfalls auf der Straße Bahnweg in südlicher Richtung unterwegs.
An der genannten Kreuzung beabsichtigte Herr K., die K.-straße auf der dortigen Fußgängerfurt fahrend zu überqueren. Die Ampel für die Fußgänger zeigte zu diesem Zeitpunkt grünes Licht. Frau B. wollte, ebenfalls bei für sie geltendem Grünlicht ihrer Ampel, von der Straße Bahnweg nach links in die K.-straße abbiegen. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision zwischen dem Fahrrad des Herrn K. und dem PKW von Frau B., infolgedessen Herr K. stürzte. Bei diesem Unfall zog sich Herr K. eine sogenannte Deckplattenimpressionsfraktur des dritten Lendenwirbelkörpers zu – ein Bruch eines Teils der Wirbelsäule. Er machte geltend, aufgrund der damit verbundenen Beschwerden und Beeinträchtigungen nicht mehr arbeitsfähig zu sein und einen bleibenden Schaden (Dauerschaden) erlitten zu haben.
Streit um die Schuldfrage: Die Positionen der Parteien und das vorgerichtliche Anerkenntnis
Im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens hatte die Beklagte zu 3), also die Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs, mit einem Schreiben vom 21. März 2022 ihre Haftung für die Unfallfolgen dem Grunde nach zu zwei Dritteln anerkannt. Dies bedeutet, dass die Versicherung eine grundsätzliche Einstandspflicht sah, dem Kläger Herrn K. jedoch ein Mitverschulden von einem Drittel anlastete.
Herr K. war mit dieser Haftungsquote nicht einverstanden. Er vertrat die Ansicht, die Beklagten – also Frau B. als Fahrerin, die Beklagte zu 2) als Halterin und die Beklagte zu 3) als Versicherung – müssten in vollem Umfang für seine Schäden haften. Er räumte zwar ein, den Radweg entgegen der eigentlich vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren zu haben, behauptete jedoch, dabei nur sehr langsam, kaum schneller als Schrittgeschwindigkeit, unterwegs gewesen zu sein. Sein Antrag vor Gericht zielte darauf ab, feststellen zu lassen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner (das heißt, jeder von ihnen haftet für den gesamten Schaden, der Geschädigte kann sich aussuchen, von wem er ihn fordert) über das bereits erfolgte Anerkenntnis der Versicherung hinaus alle weiteren immateriellen (z.B. Schmerzensgeld) und materiellen (z.B. Verdienstausfall, Heilbehandlungskosten) Ansprüche ungekürzt, also ohne Anrechnung eines Mithaftungsanteils von einem Drittel, zu ersetzen haben.
Die Beklagten hingegen verteidigten die angenommene Mithaftungsquote von einem Drittel. Sie argumentierten, Herr K. sei nicht nur entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung unterwegs gewesen, sondern habe auch eine Fußgängerfurt befahren, die für Radfahrer gar nicht freigegeben gewesen sei. Zudem sei er, entgegen seiner eigenen Darstellung, deutlich schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren.
Das Urteil der Vorinstanz: Das Landgericht weist die Klage ab
Das Landgericht, als erste Instanz in dieser Sache, wies die Klage von Herrn K. ab. Es kam zu dem Ergebnis, dass Herr K. keinen Anspruch darauf habe, eine höhere Haftungsquote der Beklagten als die bereits anerkannten zwei Drittel feststellen zu lassen. Die rechtliche Grundlage für mögliche Ansprüche sah das Gericht in den Paragraphen §§ 7, 18, 9 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) oder in § 823 Absatz 1 BGB in Verbindung mit § 254 BGB. Der § 254 BGB regelt das sogenannte Mitverschulden, also die Frage, inwieweit der Geschädigte selbst zum Schaden beigetragen hat.
Das Landgericht begründete seine Entscheidung wie folgt:
Frau B., die Fahrerin des PKW, habe zwar gegen ihre allgemeine Sorgfaltspflicht aus § 1 Absatz 2 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) verstoßen, der jeden Verkehrsteilnehmer zu ständiger Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Ein Verstoß gegen die speziellen Pflichten beim Linksabbiegen gemäß § 9 Absatz 3 Satz 1 StVO sei jedoch nicht gegeben, da Herr K. ihr mit dem Fahrrad nicht entgegengekommen sei.
Demgegenüber sei Herrn K. ein erheblicher eigener Verkehrsverstoß anzulasten. Er habe die Fußgängerfurt fahrend überquert, obwohl dies laut der dortigen Ampelanlage, einer sogenannten Lichtzeichenanlage im Sinne des § 37 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nummer 5 Satz 1 StVO, nicht erlaubt gewesen sei. Das an der Ampel gezeigte Sinnbild „Fußgänger“ bedeute, so das Landgericht, dass die Ampel an der Fußgängerfurt ausschließlich für Personen gelte, die zu Fuß gehen. Radfahrer dürften diese Furt daher auch bei Grünlicht für Fußgänger nicht fahrend überqueren, sondern müssten absteigen und ihr Fahrrad schieben.
Dieser Verstoß des Herrn K. wurde vom Landgericht als gewichtig eingestuft. Die Begründung hierfür lag in der typischerweise höheren Geschwindigkeit von Radfahrern im Vergleich zu Fußgängern. Diese höhere Geschwindigkeit stelle eine besondere Gefahr dar, da Radfahrer für abbiegende Kraftfahrer oft überraschend auftauchen und deren Reaktionsvermögen überfordern könnten. Zusätzlich zu diesem Verstoß gegen die Ampelregelung warf das Landgericht Herrn K. ein besonderes Aufmerksamkeitsverschulden im Sinne des § 1 Absätze 1 und 2 StVO vor. Angesichts seines eigenen verkehrswidrigen Verhaltens auf der Fußgängerfurt hätte er besonders aufmerksam und umsichtig sein und linksabbiegende Fahrzeuge sorgfältig beobachten müssen.
In der abschließenden Abwägung der Verursachungsbeiträge kam das Landgericht zu dem Schluss, dass Herrn K. gegenüber den Beklagten keine höhere Haftungsquote als die bereits zugestandenen zwei Drittel zuzuerkennen sei. Es ließ dabei offen, ob die wechselseitigen Verkehrsverstöße als gleichgewichtig anzusehen seien oder ob die Verstöße des Herrn K. diejenigen der Frau B. möglicherweise sogar überwogen.
Der Gang in die nächste Instanz: Die Berufung des Klägers vor dem OLG
Gegen dieses Urteil des Landgerichts legte Herr K. Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein ein. In seiner Berufungsbegründung wiederholte und vertiefte er sein bisheriges Vorbringen. Er rügte, das landgerichtliche Urteil sei falsch, habe einen zu hohen Mithaftungsanteil zu seinen Lasten berücksichtigt und sei von einer zu hohen Geschwindigkeit seinerseits ausgegangen, ohne hierzu konkrete Feststellungen getroffen zu haben. Die vom Landgericht herangezogene Rechtsprechung sei nicht einschlägig, da er, Herr K., im konkreten Fall Vorfahrt gehabt habe. Er vertrat die Ansicht, die sogenannte Betriebsgefahr des PKW (die Gefahr, die allein vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgeht) und das Verschulden auf Seiten der Beklagten seien höher zu gewichten, während sein eigener Verkehrsverstoß weniger beachtlich sei. Sein Antrag in der Berufungsinstanz lautete erneut, das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner über das bereits erfolgte Anerkenntnis hinaus alle weiteren immateriellen und materiellen Ansprüche ungekürzt, also ohne einen Mithaftungsanteil von einem Drittel, zu ersetzen haben.
Die Beklagten beantragten, die Berufung zurückzuweisen und verteidigten das Urteil des Landgerichts. Sie verwiesen ergänzend darauf, dass Herr K. jedenfalls deutlich schneller als die Fußgänger gewesen sei, die zeitgleich die Furt überquerten, und zum Unfallzeitpunkt bereits einige Meter vor diesen gewesen sei.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein: Keine Aussicht auf Erfolg für die Berufung
Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein teilte dem Kläger Herrn K. mit einem sogenannten Hinweisbeschluss gemäß § 522 Absatz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) mit, dass seine Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg biete. Ein solcher Beschluss ist ein prozessuales Instrument, das es Berufungsgerichten ermöglicht, eine aussichtslose Berufung ohne eine mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, um das Verfahren zu beschleunigen. Das OLG kündigte an, die Berufung aus den nachfolgend dargelegten Gründen auf diese Weise zurückzuweisen und bestätigte damit im Ergebnis die Entscheidung des Landgerichts, dass Herrn K. kein höherer Haftungsanteil der Beklagten als zwei Drittel zuzuweisen ist.
Die Kernargumente des Oberlandesgerichts: Warum die Berufung scheitern muss
Der Senat des Oberlandesgerichts schloss sich der Auffassung des Landgerichts vollumfänglich an. Eine Berufung kann gemäß § 513 ZPO nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht oder dass die vom Gericht der ersten Instanz getroffenen und nach § 529 ZPO zu berücksichtigenden Tatsachenfeststellungen ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Beides sah das OLG im Fall von Herrn K. als nicht gegeben an. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen, da den Beklagten kein höherer Haftungsanteil als die bereits vorgerichtlich anerkannten zwei Drittel zuzuweisen sei und das unstreitige Mitverschulden des Herrn K. eine Mithaftung seinerseits zu einem Drittel rechtfertige.
Rechtsgrundlagen der Haftung und die Pflichtverletzung der Autofahrerin
Das OLG bestätigte zunächst die Haftungsgrundlagen für die Beklagten. Diese ergeben sich aus § 7 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG – Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen), § 18 Absatz 1 Satz 1 StVG (Haftung des Fahrzeugführers, falls er den Unfall verschuldet hat) sowie § 115 Absatz 1 Nummer 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG – Direktanspruch des Geschädigten gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers). Die vom PKW der Frau B. ausgehende Betriebsgefahr und das erhebliche Verschulden der Frau B. wegen eines Verstoßes gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten des § 1 Absätze 1 und 2 StVO wurden vom Senat ebenfalls bestätigt.
Wichtig war dem OLG eine Klarstellung bezüglich der besonderen Pflichten beim Abbiegen gemäß § 9 StVO. Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheide ein Verstoß der Frau B. gegen § 9 StVO nicht bereits deshalb aus, weil Herr K. ihr nicht entgegenkam (was § 9 Absatz 3 Satz 1, 1. Alternative StVO regeln würde). Denn nach § 9 Absatz 3 Satz 1, 2. Alternative StVO sind beim Linksabbiegen grundsätzlich auch Fahrradfahrer durchzulassen, die in gleicher oder entgegengesetzter Richtung auf Radwegen neben der Fahrbahn fahren. Allerdings, und das war der entscheidende Punkt, gilt dieser Vorrang für Radfahrer gegenüber Linksabbiegern nur dann, wenn das Radfahren auf der linken Seite – wie von Herrn K. praktiziert – ausdrücklich zugelassen ist. Dies war hier unstreitig nicht der Fall. Dementsprechend, so das OLG, hatte Herr K. vorliegend gerade keine „Vorfahrt“ gegenüber der linksabbiegenden Frau B.
Der entscheidende Verkehrsverstoß des Fahrradfahrers
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, denen Herr K. auch in seiner Berufung nicht substantiiert entgegengetreten war, stand für das OLG fest, dass Herr K. die Fußgängerfurt auf der K.-straße in südliche Richtung auf dem Fahrrad fahrend überquerte. Dies tat er, obwohl die Fußgängerfurt aufgrund der Kennzeichnung der dortigen Ampel (Lichtzeichenanlage) in diese Richtung nur für Fußgänger freigegeben war. Dieses Verhalten des Herrn K. wertete das OLG als einen klaren Verkehrsverstoß gegen die Anordnungen einer Lichtzeichenanlage gemäß § 37 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nummer 5 Satz 1 StVO.
Dieser Verstoß, so das Gericht, wiege mindestens genauso schwer wie ein verbotswidriges Befahren des linken Radweges entgegen der Fahrtrichtung gemäß § 2 Absatz 4 Sätze 3 und 4 StVO. Letzteres war hier aber nicht direkt einschlägig, da aufgrund der speziellen Regelung der Ampelanlage im Bereich der Fußgängerfurt – zumindest in Fahrtrichtung Süden – kein Radweg im rechtlichen Sinne vorhanden war. Die klare Konsequenz für Herrn K. wäre gewesen: Er hätte absteigen und sein Fahrrad über die Furt schieben müssen oder alternativ auf der rechten Straßenseite fahren müssen. Entgegen seinem Vorbringen in der Berufung hatte Herr K. somit keinen Vorrang gegenüber Frau B.
Die Frage der Geschwindigkeit und die konkret verwirklichte Gefahr
Auf die genaue Geschwindigkeit des Herrn K. kam es nach Ansicht des OLG in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an. Fest stand jedoch, dass er jedenfalls deutlich schneller unterwegs war als die Fußgänger, mit denen er zeitgleich zur Fahrbahnüberquerung angesetzt hatte, und ihnen bis zur Unfallstelle bereits einige Meter vorausgeeilt war. Indem Frau B. nach ihrem eigenen Bekunden zwar die Fußgänger, nicht aber den ihnen gegenüber schnelleren Herrn K. auf dem Fahrrad bemerkt hatte, habe sich genau die Gefahr verwirklicht, die durch das Verbot des Radfahrens auf einer reinen Fußgängerfurt verhütet werden soll. Das Verbot für Radfahrer, eine solche Furt fahrend zu benutzen, unterscheide zudem nicht danach, mit welcher Geschwindigkeit gefahren wird, sondern stelle allein auf das Fahren selbst ab.
Zusätzliches Aufmerksamkeitsverschulden des Klägers
Zu dem Verstoß gegen die Ampelregelung kam nach Auffassung des OLG noch ein weiterer Sorgfaltspflichtverstoß des Herrn K. hinzu, nämlich ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundregeln des § 1 Absätze 1 und 2 StVO. Da er aufgrund seiner eigenen verkehrswidrigen und damit gefahrgeneigten Fahrweise (fahrend auf einer Fußgängerfurt) unterwegs war, hätte er in besonderer Weise auf abbiegende Kraftfahrzeuge achten und stets bremsbereit sein müssen. Herr K. hat jedoch nach seinem eigenen Bekunden das Fahrzeug von Frau B. vor der Kollision ebenso wenig wahrgenommen, wie umgekehrt Frau B. ihn nicht bemerkt hatte.
Die Abwägung der Verschuldensanteile: Bestätigung der Quote von 1/3
Vor dem Hintergrund dieser beiderseitigen Verkehrsverstöße – der Pflichtverletzung der Autofahrerin beim Abbiegen und den gravierenden Verstößen des Radfahrers gegen die Ampelregelung und seine allgemeine Sorgfaltspflicht – sah das OLG die vom Landgericht vorgenommene Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge als nicht zu beanstanden an. Das Landgericht habe die rechtlichen Grundlagen korrekt herausgearbeitet. Insbesondere sei zutreffend berücksichtigt worden, dass die Regelung des § 17 StVG (der die Haftungsabwägung bei Unfällen zwischen mehreren Kraftfahrzeugen regelt) bei der Beteiligung eines Radfahrers nicht direkt anwendbar ist. Stattdessen ist das Mitverschulden des Radfahrers gemäß § 254 Absatz 1 BGB der Haftung von Kraftfahrzeugführer und -halter gemäß §§ 7, 18 StVG gegenüberzustellen.
In Anwendung dieser Grundsätze fand das Ergebnis der landgerichtlichen Abwägung, wonach ein Mithaftungsanteil des Herrn K. von einem Drittel zugrunde zu legen ist, ausdrücklich die Billigung des Senats. Ein solcher Mithaftungsanteil des Klägers von einem Drittel erscheine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls jedenfalls nicht als zu hoch. Ob möglicherweise sogar eine noch höhere Mithaftung des Klägers in Betracht gekommen wäre, erschien dem Senat zwar zweifelhaft, bedurfte aber angesichts des bereits erfolgten Anerkenntnisses der Beklagten zu 3) (welches ja von einer 2/3-Haftung der Beklagten ausging) keiner Entscheidung und somit auch keiner weiteren Ausführungen des Gerichts. Die Berufung des Herrn K. wurde daher als aussichtslos bewertet.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des OLG Schleswig-Holstein zeigt, dass Radfahrer, die Fußgängerfurten befahren statt abzusteigen, bei Unfällen erheblich mithaften können – in diesem Fall zu einem Drittel trotz des Fehlverhaltens eines linksabbiegenden Autofahrers. Entscheidend ist, dass die für Fußgänger geltenden Ampelsignale Radfahrern keinen Vorrang gewähren und das Befahren von Fußgängerfurten ein verkehrswidriges Verhalten darstellt, das besondere Vorsicht erfordert. Die Entscheidung verdeutlicht, dass Verkehrsteilnehmer auch bei grüner Ampel nicht automatisch Vorfahrt haben, wenn sie Verkehrsregeln missachten.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Darf ich als Radfahrer eine Fußgängerfurt bei grünem Fußgängerlicht fahrend überqueren?
Als Radfahrer ist es Ihnen nicht erlaubt, eine Fußgängerfurt fahrend bei grünem Fußgängerlicht zu überqueren. Eine Fußgängerfurt, oft auch als Zebrastreifen mit Ampel oder schlicht als Überweg für Fußgänger bezeichnet, ist ausschließlich für Fußgänger vorgesehen. Das grüne Licht an einer solchen Ampel signalisiert nur den Fußgängern freie Bahn.
Radfahrerstatus an Fußgängerfurten
Ein Radfahrer wird im Straßenverkehr als Führer eines Fahrzeugs betrachtet. Das bedeutet, die speziellen Regeln für Fußgänger gelten nicht automatisch für Radfahrer, selbst wenn sie die gleiche Überquerungsstelle nutzen möchten. Um eine Fußgängerfurt bei grünem Fußgängerlicht rechtmäßig zu überqueren, müssen Sie als Radfahrer vom Fahrrad absteigen und das Fahrrad schieben. Erst dann gelten Sie rechtlich als Fußgänger und dürfen die Furt unter Beachtung des grünen Fußgängerlichts nutzen.
Risiken und rechtliche Folgen bei Nichtbeachtung
Das fahrende Überqueren einer Fußgängerfurt bei grünem Fußgängerlicht für Fußgänger stellt einen Verstoß gegen die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) dar. Es birgt erhebliche Gefahren, insbesondere im Bereich von Kreuzungen, wo abbiegende Fahrzeuge den Radfahrer möglicherweise nicht rechtzeitig wahrnehmen, da sie nicht mit einem fahrenden Verkehrsteilnehmer an dieser Stelle rechnen.
Kommt es aufgrund eines solchen Verhaltens zu einem Verkehrsunfall, trägt der Radfahrer oft eine erhebliche Mithaftung am Unfallgeschehen. Dies liegt daran, dass durch das fahrende Überqueren nicht nur gegen die eigentliche Zweckbestimmung der Furt verstoßen wird, sondern oft auch die Vorfahrt anderer Verkehrsteilnehmer missachtet wird. Die Geschwindigkeit eines Radfahrers, im Gegensatz zu der eines Fußgängers, erhöht zudem das Gefahrenpotenzial und kann die Reaktionszeit für andere Verkehrsteilnehmer drastisch verkürzen. Die rechtliche Bewertung berücksichtigt in solchen Fällen, dass der Radfahrer durch sein Verhalten eine zusätzliche und unerwartete Gefahr geschaffen hat.
Was bedeutet Mitverschulden bei einem Verkehrsunfall und welche Folgen hat es für den Geschädigten?
Mitverschulden bei einem Verkehrsunfall bedeutet, dass Sie als Geschädigter selbst durch Ihr eigenes Verhalten zur Entstehung des Unfalls oder zur Höhe des entstandenen Schadens beigetragen haben. Auch wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer die Hauptschuld am Unfall trägt, kann Ihr eigener Anteil an der Verursachung oder an der Vergrößerung des Schadens eine Rolle spielen.
Das Prinzip des Mitverschuldens
Dieses Prinzip ist im deutschen Recht in § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verankert. Es besagt, dass der Umfang des Schadensersatzes davon abhängt, inwieweit der Schaden überwiegend vom Geschädigten selbst verursacht wurde oder ob der Geschädigte es unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern.
Stellen Sie sich vor: Eine andere Person verursacht einen Unfall, weil sie eine rote Ampel überfahren hat. Wenn Sie aber selbst zum Zeitpunkt des Unfalls ebenfalls zu schnell unterwegs waren, kann Ihr zu schnelles Fahren als Mitverschulden gewertet werden, weil es möglicherweise zur Entstehung oder zur Schwere des Unfalls beigetragen hat. Ein anderes Beispiel wäre, wenn Sie bei einem Unfall nicht angeschnallt waren. Dies hat den Unfall nicht verursacht, aber die Schwere Ihrer Verletzungen – und damit den Personenschaden – erhöht.
Folgen des Mitverschuldens für den Geschädigten
Die Feststellung eines Mitverschuldens hat für Sie als Geschädigten direkte Auswirkungen auf die Höhe Ihres Schadensersatzanspruchs. Das Gericht prüft im Einzelfall sehr genau, in welchem Maße Ihr eigenes Verhalten zur Entstehung oder zum Umfang des Schadens beigetragen hat.
- Reduzierung des Schadensersatzes: Ist ein Mitverschulden gegeben, wird Ihr Anspruch auf Schadensersatz nicht vollständig erfüllt. Der Ihnen zustehende Schadensersatz wird um den Anteil Ihres eigenen Verschuldens gekürzt. Wenn beispielsweise ein Mitverschulden von 20 Prozent festgestellt wird, erhalten Sie nur 80 Prozent des eigentlich zustehenden Schadensersatzes.
- Alle Schadensarten betroffen: Diese Reduzierung betrifft alle Arten von Schäden, die Ihnen entstanden sind. Das beinhaltet sowohl materielle Schäden, wie Reparaturkosten für Ihr Fahrzeug, Mietwagenkosten oder Kosten für medizinische Behandlungen, als auch immaterielle Schäden, wie Ihr Anspruch auf Schmerzensgeld für erlittene Verletzungen und Leiden.
- Einzelfallentscheidung: Die konkrete Gewichtung des Mitverschuldens ist immer eine Einzelfallentscheidung. Dabei werden alle Umstände des Unfalls und des Verhaltens beider Beteiligten sorgfältig abgewogen. Es gibt keine festen Regeln, sondern das Gericht entscheidet nach einer umfassenden Würdigung aller Tatsachen, in welchem Verhältnis die Verursachungsbeiträge zueinanderstehen.
Für Sie bedeutet das, dass selbst bei einer eindeutigen Hauptschuld des Unfallgegners Ihr eigener, auch geringer Beitrag zum Unfallgeschehen oder zur Schadenshöhe zu einer Minderung Ihrer Ansprüche führen kann.
Wann hat ein Radfahrer Vorrang vor einem links abbiegenden Auto an einer Kreuzung?
Ein Radfahrer hat an einer Kreuzung grundsätzlich Vorrang vor einem links abbiegenden Auto, wenn der Radfahrer geradeaus weiterfährt oder rechts abbiegt. Diese Regelung ist im Verkehrsrecht klar festgelegt und soll den Schutz des geradeaus fahrenden Verkehrs, insbesondere von Radfahrern, gewährleisten.
Die allgemeine Vorfahrtsregel für Abbieger
Die Straßenverkehrsordnung (StVO) besagt in § 9 Absatz 3 Satz 1, dass wer abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchlassen muss. Dies gilt nicht nur für entgegenkommende Fahrzeuge auf der Fahrbahn, sondern ausdrücklich auch für Radfahrer, die parallel oder in gleicher Richtung fahren und einen Radweg neben der Fahrbahn nutzen oder sich auf der Fahrbahn befinden. Für Sie bedeutet das: Ein Autofahrer, der links abbiegt, muss den Radfahrer, der ihm entgegenkommt oder sich auf einem Radweg rechts neben dem Abbieger befindet und geradeaus fahren möchte, vorbeilassen. Es ist unerheblich, ob der Radfahrer von links, rechts oder geradeaus kommt, solange er geradeaus oder rechts weiterfahren will und der Abbieger ihm dabei den Weg kreuzen würde.
Ausnahmen und die Bedeutung der Sorgfaltspflicht
Dieser Vorrang des Radfahrers ist jedoch nicht absolut. Es gibt Situationen, in denen dieser Vorrang entfallen kann oder der Radfahrer eine Mitschuld an einem Unfall trägt:
- Verstoß gegen Verkehrsregeln: Wenn der Radfahrer selbst gegen Verkehrsregeln verstößt, zum Beispiel eine rote Ampel missachtet, auf einem Gehweg fährt, der nicht für Fahrräder freigegeben ist, oder in verkehrter Richtung auf einem Radweg fährt, kann sein Vorrang entfallen oder zumindest stark eingeschränkt sein. Stellen Sie sich vor, ein Radfahrer rast bei Rot über die Ampel – in diesem Fall wäre er nicht vorrangberechtigt.
- Fehlende Sorgfaltspflicht: Auch wenn ein Radfahrer grundsätzlich Vorrang hat, besteht immer eine allgemeine Sorgfaltspflicht. Das bedeutet, jeder Verkehrsteilnehmer muss sich so verhalten, dass kein anderer gefährdet oder geschädigt wird. Ein Radfahrer kann sich also nicht blind auf seinen Vorrang verlassen, sondern muss aufmerksam sein und mit Fehlern anderer rechnen. Er muss beispielsweise aufmerksam den Verkehr beobachten und darf nicht ohne Rücksichtnahme in eine gefährliche Situation hineinfahren, auch wenn er rein rechtlich Vorrang hätte. Man spricht hier auch von der Pflicht, einen Unfall nach Möglichkeit zu vermeiden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der links abbiegende Autofahrer in der Regel den Radfahrer, der geradeaus weiterfahren will, durchlassen muss. Diese Regel dient der Sicherheit im Straßenverkehr und ist besonders wichtig an Kreuzungen. Dennoch ist die Aufmerksamkeit und Einhaltung der Verkehrsregeln von allen Beteiligten essenziell, um Gefahren zu vermeiden.
Welche allgemeinen Sorgfaltspflichten gelten für alle Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr?
Im Straßenverkehr gelten grundlegende Verhaltensregeln, die über spezielle Vorschriften wie Vorfahrt oder Ampelsignale hinausgehen. Diese allgemeinen Sorgfaltspflichten sind für alle Verkehrsteilnehmer bindend und sollen dazu beitragen, Unfälle zu vermeiden und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.
Die Kernpflichten des § 1 StVO: Vorsicht und Rücksicht
Die wichtigste Grundlage für das Verhalten im Straßenverkehr bildet § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Dieser Paragraph legt fest, dass jeder Verkehrsteilnehmer sich so verhalten muss, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Für Sie als Verkehrsteilnehmer bedeutet das:
- Ständige Vorsicht: Sie müssen jederzeit aufmerksam sein und vorausschauend agieren. Das heißt, Sie sollten nicht nur die aktuelle Verkehrssituation beobachten, sondern auch mögliche Entwicklungen antizipieren. Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf eine Kreuzung zu: Ständige Vorsicht bedeutet, dass Sie nicht blind darauf vertrauen, dass alle anderen sich regelkonform verhalten. Sie müssen auch mit Fehlern anderer rechnen und darauf vorbereitet sein, reagieren zu können.
- Gegenseitige Rücksichtnahme: Jeder Verkehrsteilnehmer ist verpflichtet, auf die Bedürfnisse und das Verhalten der anderen zu achten. Dies beinhaltet zum Beispiel, anderen das Einfädeln zu ermöglichen, bei Bedarf das Tempo zu drosseln oder einem Fußgänger das sichere Überqueren der Straße zu gestatten, auch wenn keine spezielle Regel dies vorschreibt. Es geht um ein Miteinander, bei dem jeder auf den anderen achtet.
Geltungsbereich und Konsequenzen bei Verstoß
Diese allgemeinen Sorgfaltspflichten gelten immer und in jeder Verkehrssituation, unabhängig davon, ob es konkrete Verkehrszeichen, Ampeln oder Vorfahrtsregeln gibt. Sie sind die Basis des sicheren Miteinanders im Straßenverkehr.
Ein Verstoß gegen diese grundlegende Sorgfaltspflicht, beispielsweise durch mangelnde Aufmerksamkeit oder eine unachtsame Fahrweise, kann ernsthafte Folgen haben. Wenn Sie beispielsweise abgelenkt sind und dadurch einen Unfall verursachen, kann dies eine Haftung für den entstandenen Schaden zur Folge haben.
Auch wenn Sie keine spezielle Verkehrsregel (wie ein Tempo-Limit oder ein Überholverbot) verletzt haben, kann ein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht zu einem Mitverschulden an einem Unfall führen. Dies gilt insbesondere, wenn Sie sich selbst bereits in einer potenziell gefährlichen Situation befinden, etwa an einer unübersichtlichen Stelle oder bei schlechten Sichtverhältnissen. In solchen Fällen wird von Ihnen eine erhöhte Wachsamkeit und Vorsicht erwartet. Ihre mangelnde Aufmerksamkeit kann dann dazu führen, dass Ihnen ein Teil der Schuld am Unfall zugesprochen wird, selbst wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer ebenfalls einen Fehler gemacht hat.
Welche Bedeutung hat die sogenannte Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs bei einem Verkehrsunfall?
Was ist die Betriebsgefahr?
Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs beschreibt die grundsätzliche, der Natur eines Fahrzeugs innewohnende Gefahr, die von seinem Betrieb ausgeht. Das bedeutet, ein Kraftfahrzeug birgt allein durch seine Existenz und die Möglichkeit, dass es sich bewegt, ein gewisses Risiko für andere Verkehrsteilnehmer. Diese Gefahr besteht unabhängig davon, ob der Fahrer einen konkreten Fehler gemacht hat oder nicht. Man spricht hier auch von einer sogenannten verschuldensunabhängigen Haftung des Fahrzeughalters, da der Halter für Schäden haftet, die durch diese allein vom Fahrzeug ausgehende Gefahr entstehen.
Die Betriebsgefahr in der Haftungsabwägung
Im deutschen Straßenverkehrsrecht, insbesondere nach § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), wird diese Betriebsgefahr bei einem Verkehrsunfall immer berücksichtigt. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Haftungsabwägung, also der Frage, wer welchen Anteil am entstandenen Schaden tragen muss. Auch wenn der Fahrer eines Kraftfahrzeugs den Unfall nicht aktiv verschuldet hat, kann die Betriebsgefahr des Fahrzeugs dazu führen, dass der Halter oder dessen Versicherung einen Teil des Schadens übernehmen muss.
Für Sie als Laie bedeutet dies, dass selbst wenn der Unfallgegner einen klaren Fehler gemacht hat, die bloße Tatsache, dass ein Kraftfahrzeug am Unfall beteiligt war, eine automatische Mithaftung für den Fahrzeughalter begründen kann.
Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass diese Betriebsgefahr nicht immer absolut ist. Wenn ein unmotorisierter Verkehrsteilnehmer (wie ein Fußgänger oder Radfahrer) durch ein grobes oder schwerwiegendes Fehlverhalten den Unfall maßgeblich selbst verursacht hat, kann dies die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs erheblich mindern oder sogar vollständig in den Hintergrund drängen. In solchen Fällen kann der unmotorisierte Unfallgegner trotz Beteiligung eines Kraftfahrzeugs einen hohen oder sogar vollständigen Anteil am Schaden selbst tragen müssen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Fußgängerfurt
Eine Fußgängerfurt ist ein sicher markierter Überweg auf der Straße, der speziell für Fußgänger vorgesehen ist, um die Fahrbahn sicher zu überqueren. Radfahrer dürfen diese Furt grundsätzlich nicht fahrend benutzen, sondern müssen absteigen und das Fahrrad schieben, um rechtlich als Fußgänger zu gelten. Die Ampel an einer Fußgängerfurt zeigt nur den Fußgängern die Freigabe zum Überqueren an, nicht aber den Radfahrern. Diese Regelung soll die Sicherheit erhöhen, da abbiegende Fahrzeuge mit Fußgängern rechnen, aber nicht mit schnell fahrende Radfahrer auf der Furt.
Beispiel: Wenn eine Ampel für Fußgänger grün zeigt, darf ein Fußgänger die Straße überqueren. Ein Radfahrer hingegen muss absteigen und das Fahrrad schieben, bevor er die Fußgängerfurt nutzen darf. Fährt er mit dem Rad über die Furt, begeht er einen Verkehrsverstoß.
Mitverschulden (§ 254 BGB)
Mitverschulden bedeutet, dass der Geschädigte an der Entstehung oder der Ausweitung eines Schadens selbst mitgewirkt hat. Nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird dadurch der Umfang des Schadensersatzanspruchs entsprechend gekürzt. Mit anderen Worten: Wenn jemand bei einem Unfall mit verantwortlich ist, bekommt er weniger oder keinen Schadenersatz. Die genaue Höhe der Kürzung bestimmt das Gericht nach einer Einzelfallabwägung aller Umstände.
Beispiel: Wenn ein Autofahrer eine rote Ampel überfährt und dabei ein Radfahrer verletzt wird, der aber selbst zu schnell gefahren ist, wird dem Radfahrer ein Mitverschulden angerechnet, was seinen Schadenersatzanspruch mindert.
Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr bezeichnet das Risiko, das grundsätzlich durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs entsteht, unabhängig davon, ob der Fahrer einen Fehler gemacht hat. Nach § 7 StVG haftet der Halter eines Fahrzeugs für Schäden, die durch dieses Fahrzeug beim Betrieb verursacht werden, auch wenn der Fahrer kein Verschulden trifft. Das bedeutet, allein die Tatsache, dass ein Motorfahrzeug im Spiel ist, begründet eine gewisse Haftung. Diese gesetzliche Haftung kann jedoch durch das Mitverschulden des Unfallopfers abgeschwächt oder ausgeschlossen werden.
Beispiel: Auch wenn ein Autofahrer nichts falsch gemacht hat, kann er für Schäden haftbar sein, wenn sein Fahrzeug teil eines Unfalls wird, etwa wenn ein Fußgänger plötzlich auf die Straße läuft. Ist der Fußgänger jedoch selbst grob fahrlässig, kann die Haftung des Autofahrers geringer ausfallen.
Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung (§ 115 VVG)
Der Direktanspruch bezeichnet das Recht des Geschädigten, seine Schadenersatzansprüche direkt gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers geltend zu machen, ohne vorher gegen den Fahrzeughalter oder Fahrer klagen zu müssen. Dieses Recht ergibt sich aus § 115 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Dadurch wird die Schadensregulierung vereinfacht und beschleunigt, da der Geschädigte nicht auf die Zahlungsbereitschaft des Schädigers angewiesen ist.
Beispiel: Nach einem Verkehrsunfall muss der Verletzte nicht erst gegen den Autofahrer vorgehen, sondern kann die Haftpflichtversicherung direkt um Schadensersatz bitten.
Allgemeine Sorgfaltspflichten (§ 1 StVO)
§ 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) verpflichtet jeden Verkehrsteilnehmer zu ständiger Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme. Das heißt, jeder muss sich so verhalten, dass kein anderer gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert wird. Diese Grundpflicht gilt unabhängig von speziellen Verkehrsregeln und soll helfen, Unfälle zu vermeiden. Verletzungen dieser Pflicht können zu einer Haftung oder zu einem Mitverschulden führen, wenn dadurch Schaden entsteht.
Beispiel: Wenn ein Radfahrer trotz roter Ampel fährt und dadurch einen Unfall verursacht, verletzt er die Sorgfaltspflicht und haftet dafür zumindest anteilig. Ebenso muss ein Fußgänger beim Überqueren der Straße auf den Verkehr achten und darf nicht plötzlich die Fahrbahn betreten.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 7 Absatz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Regelt die Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen, unabhängig von eigenem Verschulden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Halterin des PKW haftet grundsätzlich für den Unfall, der durch den Betrieb ihres Fahrzeugs verursacht wurde.
- § 18 Absatz 1 Satz 1 StVG: Bezieht sich auf die Haftung des Fahrzeugführers bei Verursachung eines Unfalls durch verschuldete Pflichtverletzungen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Fahrerin des PKW trägt eine verschuldensabhängige Haftung, da sie trotz Sorgfaltspflichtverletzung durch das Abbiegen den Unfall mit dem Radfahrer verursacht hat.
- § 254 Absatz 1 BGB (Mitverschulden): Bestimmt, dass die Haftung für einen Schaden gemindert wird, wenn der Geschädigte den Schaden mitverursacht hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Fahrradfahrer haftet anteilig, weil er gegen Verkehrsregeln verstoßen hat, indem er die Fußgängerfurt fahrend überquerte.
- § 1 Absatz 1 und 2 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO): Legt die allgemeine Pflicht fest, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt wird, und zur gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Sowohl die Autofahrerin als auch der Radfahrer haben gegen diese Sorgfaltspflichten verstoßen, was die Haftungsaufteilung beeinflusst.
- § 9 Absatz 3 Satz 1 StVO: Regelt die Vorrangregelung beim Linksabbiegen, die auch Fahrradfahrer auf Radwegen betrifft, wenn das Befahren eines linken Radweges erlaubt ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Radfahrer hatte keinen Vorrang, da die Fußgängerfurt nicht für Radfahrer freigegeben war; somit konnte kein Vorrang gegenüber der linksabbiegenden Autofahrerin gelten.
- § 37 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Nummer 5 Satz 1 StVO (Lichtzeichenanlagen): Bestimmt, dass Lichtzeichen (Ampeln) für die jeweils ausgeschilderten Verkehrsteilnehmer gelten und ein grünes Fußgängersignal nur Fußgängern das Überqueren erlaubt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Überqueren der Fußgängerfurt mit dem Fahrrad war verboten, da die Ampel nur den Fußgängerverkehr regelte; damit lag ein Verkehrsverstoß des Radfahrers vor.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 12/24 – Beschluss vom 02.10.2024
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz