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verkehrsrechtliche Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht


Verwaltungsgericht München

Az: M 23 K 11.3049

Urteil vom 18.09.2012


Tenor

I. Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 24. November 2009 wird in Punkt 1, Buchstabe d aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


Tatbestand

Der Kläger wendet sich dagegen, dass die Beklagte für den gemeinsamen Geh- und Zweirichtungsradweg, der im Gebiet der Beklagten südlich parallel zur Straße „Am Altwasser“ verläuft, eine Benutzungspflicht für Radfahrer angeordnet hat.

Die ca. 200 Meter lange Straße „Am Altwasser“, die über zwei Brücken (mit einer Länge von ca. 16,10 m bzw. 8,90 m) verläuft, weist zwischen den Brücken eine Breite von 4,70 m mit einer mittigen Ausweichstelle von 6,00 m Breite auf; die Brücken haben einen Querschnitt von 3,30 m. Für den Straßenverlauf über die Brücken und den Zwischenraum besteht eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 10 km/h.

Der zu der Straße „Am Altwasser“ südlich parallel laufende gemeinsame Geh- und Zweirichtungsradweg (im Folgenden: Weg), mit einer Länge von ca. 200 m, führt ebenfalls über zwei Brücken (mit einer Länge von 16,10 m bzw. 13,50 m) und ist von der Straße durch einen ca. 1 m breiten Grünstreifen getrennt. Der Weg hat eine Breite von 2,65 m. Er ist von beiden Seiten als „Gemeinsamer Geh- und Radweg“ mit dem Zeichen 240 mit dem Zusatzzeichen 1012.31 versehen; das Zusatzzeichen 1000.31 ist nicht angebracht.

Die Straßen- und Wegbrücken sind jeweils rechts und links mit einem 1,20 m hohen Geländer versehen.

Das westliche Ende des Wegs mündet in den Einmündungsbereichs der Straße „Am Altwasser“ in die Landgerichtsstraße. Im Einmündungsbereich endet zur Straße „Am Altwasser“ hin eine Tempo-30-Zone.

Von dem Weg zweigt 6,25 m in östliche Richtung nach der westlichen Brücke ein gekiester gemeinsamer Geh- und Zweirichtungsradweg, der mit dem Zeichen 240 beschildert ist, nach Süden ab. Der Einmündungsbereich dieses gemeinsamen Geh- und Radwegs in den Weg ist nicht beschildert. Ca. 5 m nach der östlichen Wegbrücke zweigt von dem Weg in südliche Richtung ein mit Zeichen 239 beschilderter gekiester Gehweg ab.

Das östliche Ende des Wegs mündet in die Straße „Am Altwasser“. Auf der gegenüberliegenden nördlichen Straßenseite befindet sich ein ca. 1,50 m breiter gepflasterter Ausweichstreifen, der bis zum östlich kreuzenden Pretzener Weg reicht. Geh- und Radwege sind in diesem Bereich nicht vorhanden.

Ca. 2 m nach der Einmündung des Wegs in die Straße „Am Altwasser“ befindet sich auf der südlichen Straßenseite ein Parkplatz mit ca. 150 Plätzen.

Der Pretzener Weg hat weder einen Geh- noch einen Radweg, nach Norden beginnt ein verkehrsberuhigter Bereich.

In seiner Sitzung vom 2. April 2009 hat der Bauausschuss der Beklagten zu der Sanierung der Brücken und dem Ausbau der Fahrstraße „Am Altwasser“ sein Einverständnis erteilt. Des Weiteren hat der Bauausschuss zu der Planung des Baus eines separaten Fuß- und Radwegs inklusive Neubaus der dann notwendigen Brücken sein Einverständnis erteilt. Auf der Grundlage dieser Planung seien die entsprechenden Förderanträge zu stellen. In der Begründung wird ausgeführt, der Weg erhalte im Osten Anschluss an den bereits beim ersten Bauabschnitt (Ausbau der Einmündung des Pretzener Wegs) hergestellten Geh- und Radwegs sowie an den Fußweg auf der Nordseite der Straße „Am Altwasser“ in diesem Bereich. Der Fuß- und Radweg erhalte so auch Anschluss an den Geh- und Radweg auf der Ostseite des Umleitungsbaches und damit zu der Freizeitanlage … . Westlich der Semptbrücke auf der Ostseite der Landgerichtsstraße solle ein Fußweg angelegt werden, der auch die Bushaltestelle „Am Altwasser-Ost“ erschließe. Der Fußweg solle im Bereich der Einmündung der Straße „Am Altwasser“ in die Landgerichtsstraße verkröpft geführt werden. Nördlich dieser Einmündung und südlich der Einmündung der Zugspitzstraße sollten Fußgängerfurten angelegt werden. Hierdurch könne für die Schulkinder aus dem Sprengelbereich östlich der Sempt und südlich der Ardeostraße sowie den Nutzern der Freizeitanlage … aus dem Siedlungsgebiet … Süd eine rad- und fußgängerfreundliche Anbindung geschaffen werden.

Das Staatliche Bauamt … stellte in seiner baufachlichen Stellungnahme vom 8. April 2009 für den Antrag auf Zuwendungen für den geplanten Geh- und Radweg fest, dass der Neubau eines Geh- und Radwegs südlich der Straße „Am Altwasser“ mit Neubau je einer Fuß- und Radwegbrücke über die Sempt und den Flutgraben zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse dringend erforderlich sei. Das Bauvorhaben sei bau- und verkehrstechnisch im Wesentlichen einwandfrei und unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant.

Am 24. November 2009 ordnete der Bürgermeister der Beklagten unter Punkt 1, Buchstabe d an, dass die Beschilderung des Wegs durch Zeichen 240 mit Zusatzzeichen 1012/31 (Ende) gemäß des Baufortschritts in Absprache mit dem Tiefbauamt zu erfolgen habe.

Am 24. August 2010 beriet der Ferienausschuss der Beklagten über eine Umgestaltung des Verlaufs des Wegs am östlichen Ende. Im Ergebnis beschloss er, die bisherige Planung beizubehalten.

Mit Schreiben vom 5. September 2010 wandte sich der Kläger an die Beklagte und kritisierte die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht als rechtswidrig. Mit Schreiben vom 29. September 2010 teilte ihm die Beklagte mit, dass sie an der bisherigen verkehrsrechtlichen Anordnung festhalte.

Die Verkehrsschilder wurden am 29. November 2010 aufgestellt.

In der Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses der Beklagten vom 10. Mai 2011 wurde nochmals ausführlich über die bisher als unbefriedigend erachtete Lösung des Verlaufs des Wegs diskutiert und ein Ortstermin beschlossen. Nach Durchführung des Ortstermins wurde in der Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses vom 8. November 2011 über den Umbau der Einmündung der Straße „Am Altwasser“ und des Wegs in die Landgerichtsstraße beraten, jedoch auf Grund des vorliegenden Gerichtsverfahrens kein Beschluss gefasst.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2011, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 30. Juni 2011, erhob der Kläger Klage und beantragte sinngemäß:

„die von der Stadt … erlassene Anordnung vom 24. September 2009 zur Aufstellung eines Verkehrszeichens 240 am Sonderweg entlang der Straße ‚Am Altwasser’ aufzuheben, soweit damit eine Benutzungspflicht für Radfahrer verbunden ist.“

Zur Begründung trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass die Anordnung § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO widerspreche. Da er regelmäßig den Weg benutzen müsse, sei er von der Anordnung unmittelbar betroffen. Es bestehe keine Gefahrenlage, die eine Anordnung rechtfertigen würde. Der Weg sei nur 180 m lang und ende in einer Tempo-30-Zone. Die Geschwindigkeit auf der Fahrbahn sei auf 10 km/h beschränkt. Die Straße sei nur gering mit Verkehr belastet und werde nicht vom Durchgangsverkehr genutzt. Die Straße sei für Schwerverkehr gesperrt. Durch die Anordnung der Benutzungspflicht entstünden vielmehr erhebliche Gefahren für Radfahrer. Auf dem Weg herrsche ein starker Fußgängerverkehr, insbesondere auch aufgrund von Naherholungseinrichtungen. Das Auffahren am östlichen Ende des Wegs durch Abbiegen auf den linken Weg erfolge an einer unübersichtlichen Engstelle. Am westlichen Ende könne auf den Weg nicht auf Sicht, sondern hauptsächlich nach Gehör aufgefahren werden.

Mit Stellungnahme vom 21. Juli 2011 beantragten die Bevollmächtigten der Beklagten,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom 14. September 2011 begründeten die Bevollmächtigten der Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung. Sie führten insbesondere aus, dass die verkehrsrechtliche Anordnung rechtmäßig sei. Die Straße „Am Altwasser“ habe ursprünglich der Erschließung landwirtschaftlicher Grundstücke gedient, aus dieser Zeit hätten die Brücken einen Querschnitt von 3,25 m. Im Rahmen der Sanierung der Straße sei dieser Querschnitt beibehalten worden. Die Breite der Straße sei daher gerade ausreichend, um den größten landwirtschaftlichen Fahrzeugen die Benutzung der Brücke zu erlauben. Die Straße weise zwischen den Brücken nur eine Breite von 4,75 m mit einer mittigen Ausweichstelle von 6,00 m Breite auf. Aus diesem Grund bestehe für den gesamten Straßenverlauf zwischen den Brücken eine Kilometerbegrenzung von 10 km/h. Die Geschwindigkeitsbegrenzung könne mit der Fertigstellung der Brücken für den Weg überprüft werden, gegebenenfalls könne die Überfahrgeschwindigkeit erhöht werden. Der Weg stelle eine Verbindung der Wohnsiedlung westlich der Sempt an den Fernradweg aus dem „Bayernnetz für Radler“ als Radweg „durchs …“ dar. Gerade in den Morgenstunden bestehe sowohl auf der Fahrbahn ein starker Kraftfahrzeugverkehr als auch auf dem Weg ein starker Radverkehr. Diesen auf der schmalen Fahrbahn zu vermischen, würde eine starke Gefährdung für Radfahrer darstellen. Der Weg sei eine wichtige Verbindung für die Schüler aus den Siedlungsgebieten östlich der Sempt zu den Kindergärten und der Grund- und Hauptschule … , sowie als Verbindung für die Siedlungsgebiete westlich der Sempt zu den Kinderspielplätzen und den Sportplätzen in der Freizeitanlage … . Zudem sei der Straßenzug Zugspitzstraße – Straße „Am Altwasser“ eine wichtige Ersatzstraße bei Sperrungen der Ortsdurchfahrt … und weise somit eine nicht unbeträchtliche Verkehrsbelastung auf. Die Beklagte habe sich für die Verkehrsbeschränkung entschieden, da die Rücksichtnahme der Radfahrer gegenüber den Fußgängern für die Radfahrer weniger gefährlich erscheine, als wenn sie auf der schmalen Fahrbahn mit den Kraftfahrzeugen oder möglicherweise auch mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen gemeinsam fahren müssten. Eine unklare Verkehrslage bestehe nicht.

Der Kläger erwiderte hierauf mit Schreiben vom 2. Januar 2012. Er bestritt insbesondere, dass die Straße gegenwärtig eine große Bedeutung für den landwirtschaftlichen Verkehr habe. Des Weiteren sei die Verkehrsbelastung für die Bahnhofstraße kein Argument für eine mögliche Verkehrsbelastung der Straße „Am Altwasser“, da es verschiedene Ausweichrouten gebe. Aufgrund der Länge der Fahrbahn könne die Leistungsfähigkeit der Straße nur bei ca. 500 Fahrzeugen pro Stunde liegen. Nach den Empfehlungen der „ERA“ sei damit eine benutzungspflichtige Radwegauszeichnung ausgeschlossen. Ein Begegnungsverkehr zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrern unter Einhaltung aller Sicherheitsabstände sei möglich. Auch der Hinweis, dass ein benutzungspflichtiger Radweg wegen der Kindergarten-, Grundschul- und Hauptschulkinder anzulegen sei, sei nicht nachvollziehbar. Kinder bis zum 8. Lebensjahr müssten den Gehweg benutzen, Kinder bis zum 10. Lebensjahr dürften einen Gehweg benutzen. Eine Benutzungspflicht sei daher nicht erforderlich.

Die Bevollmächtigten der Beklagten erwiderten hierauf nochmals mit Schreiben vom 30. Januar 2012. Sie führten hierbei insbesondere aus, dass der Radweg nicht nur Kindergartenkindern und Grundschülern diene, sondern auch Schülern der Mittelschule sowie Kindern und Jugendlichen, die Mitglieder der Spielvereinigung … e.V. seien oder die Sport- und Freizeitanlagen nutzen, die über die Straße „Am Altwasser“ erschlossen würden. Auch das Jugendzentrum für … sowie eine große Skateanlage würden über diesen Weg erschlossen.

Mit Schreiben vom 27. März 2012 nahm der Kläger hierzu nochmals Stellung. Er äußerte sich hierbei insbesondere zur Befahrbarkeit des Radwegs im Winter sowie über regelmäßige Fahrbahnbreiten und das Erfordernis der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr.

Das Gericht führte am 18. September 2012 einen Augenschein durch. Die mündliche Verhandlung schloss sich an.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über den Augenschein und die mündliche Verhandlung des Gerichts vom 18. September 2012 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die verkehrsrechtliche Anordnung vom 24. November 2009 ist in Punkt 1, Buchst. d rechtswidrig und verletzt den Kläger in subjektiven Rechten. Sie war daher aufzuheben (§ 113 Abs.1 Satz 1 VwGO).

Verkehrsbezogene Geh- und Verbote in Form von Verkehrszeichen – zu denen auch das hier in Rede stehende Zeichen 240 („Gemeinsamer Geh- und Radweg“) gehört – sind regelmäßig den Dauerverwaltungsakten zuzurechnen. Maßgeblich für den Erfolg einer Anfechtungsklage ist daher regelmäßig die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung (std. Rspr.; vgl. BVerwG vom 18.11.2010 Az.: 3 C 42/09 RdNr. 14 m.w.N.– juris).

Rechtsgrundlage für die Anordnung des Verkehrszeichens 240 sind die §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 2 StVO.

Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.

Nach Aufhebung der allgemeinen Radwegebenutzungspflicht durch die seit dem 1. Oktober 1998 geltende Neufassung des § 2 Abs. 4 StVO ist es grundsätzlich zulässig, dass Radfahrer nicht einen vorhandenen Radweg, sondern die Fahrbahn benutzen. Die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht durch das Verkehrszeichen 240 stellt sich damit nicht nur als Gebotsregelung, sondern – durch den Ausschluss der Nutzung der Fahrbahn – zugleich als Verbotsregelung und damit als eine die Straßenbenutzung durch den fließenden (Rad-)Verkehr beschränkende Maßnahme dar. Denn die durch das vorgenannte Verkehrszeichen angeordnete Radwegebenutzungspflicht verbietet dem zuvor in zulässiger Weise die Fahrbahn benutzenden Radfahrer, weiter auf der Fahrbahn zu fahren (§ 2 Abs. 4 Satz 2 StVO).

Die Radwegebenutzungspflicht nach Zeichen 240 ist damit eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, a.a.O.).

Ist § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO anwendbar, scheidet damit zugleich § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht aus. Als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung konkretisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO.

§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die – erstens – auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und – zweitens – das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt und sich damit als „qualifizierte Gefahrenlage“ darstellt (BVerwG, .a.a.O. RdNr. 25).

Im vorliegenden Fall liegt eine solche qualifizierte Gefahrenlage, die eine Anordnung der Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 2 StVO rechtfertigen würde, nicht vor.

Die qualifizierte Gefahrenlage ist aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse abhängig von Erfordernissen der Verkehrssicherheit, Verkehrsbelastung und des Verkehrsablaufs zu beurteilen. Hierbei ist auf ein ganzes Bündel von Faktoren wie die Streckenführung, den Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingte Einflüsse, Verkehrsbelastungen und Unfallzahlen abzustellen (vgl. BVerwG, a.a.O. RdNr. 26). Dies bestätigt auch die allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO zu § 2 RdNr. 9).

Daneben können für die Beurteilung der örtlichen Verhältnisse auch die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Ausgabe 2010; „ERA 2010“) herangezogen werden. Zwar sind die Verfasser der Ausarbeitung nicht legitimiert, die Aussagen der Straßenverkehrs-Ordnung authentisch zu interpretieren. Die ERA 2010 sind im Arbeitskreis „Radverkehr“ des Arbeitsausschusses „Anlagen des Fußgänger– und Radverkehres“ erstellt worden. Dabei wurden Stellungnahmen von Ländern, Kommunen, Verbänden, der kommunalen Spitzenverbände sowie der Arbeitsgruppe ERA des Bund-Länder-Fachausschusses Straßenverkehrsordnung/Ordnungswidrigkeiten berücksichtigt. In diesem Rahmen sind auch die Erfahrungen der Straßenverkehrsbehörden und der Polizei in die Ausarbeitung eingegangen, so dass die ERA 2010 zumindest als Entscheidungshilfe mit herangezogen werden können (vgl. jeweils zu den ERA 1995 BayVGH vom 6.4.2011 Az.: 11 B 08.2892 RdNr. 36; BVerwG vom 16.4.2012 Az.: 3 B 62/11 RdNr. 20 – jeweils juris). Auch die VwV-StVO verweisen zu § 2 RdNr. 13 hinsichtlich der Gestaltung von Radverkehrsanlagen auf die ERA in der jeweils gültigen Fassung.

Die VwV-StVO sehen die Möglichkeit der Anordnung von benutzungspflichtigen Radwegen innerorts insbesondere für Vorfahrtsstraßen bei besonders starkem Kraftfahrzeugverkehr (VwV-StVO zu § 2 RdNr. 9). Die ERA 2010 beurteilen das Erfordernis von innerörtlichen Radwegen – unabhängig von der Frage der Benutzungspflicht – insbesondere anhand der Belastungsbereiche, also des Verkehrsaufkommens.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine nur ca. 200 m lange Verkehrsführung die westlich in eine Tempo-30-Zone und östlich zumindest einseitig in eine verkehrsberuhigte Zone mündet. Über den gesamten Streckenverlauf ist die Geschwindigkeit auf 10 km/h beschränkt. Durch diese geschwindigkeitsbeschränkenden Vorgaben ist im Streckenverlauf ausschließlich ein rücksichtsvoller langsamer Kfz-Verkehr möglich. Dieser wird durch den Ausbauzustand der Straße „Am Altwasser“, der einen Kfz-Begegnungsverkehr überwiegend ausschließt, noch weiter verstärkt. Zahlen über die Verkehrsbelastung der Straße liegen nicht vor, so dass sich eine qualifizierte Gefahrenlage auch nicht durch ein außerordentlich hohes Verkehrsaufkommen belegen ließe. Zwar beruft sich die Beklagte darauf, dass bei anderweitigen Streckensperrungen der Ausweichverkehr über die Straße „Am Altwasser“ erfolge, diese einzelfallbegründeten möglichen Spitzenbelastungen begründen jedoch keine dauerhafte qualifizierte Gefahrenlage. Auch im Rahmen des durch das Gericht vorgenommenen Augenscheins konnte nicht festgestellt werden, dass es zu einem stetigen erheblichen Verkehrsstrom auf der Straße kommt. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass die Straße auch von landwirtschaftlichen Fahrzeugen genutzt wird und diese aufgrund ihrer Ausmaße den Straßenraum zum Teil gänzlich einnehmen. Allerdings ist diese landwirtschaftsverkehrliche Nutzung der Straße nicht in einem solchen Umfang vorhanden, dass die Straße durch diese Nutzung geradezu ausschließlich geprägt wäre und damit für weitere Verkehrsteilnehmer nicht mehr zur Verfügung stünde. Auch Unfallzahlen können die Gefährdung der Straße, die vor ihrem Ausbau in ähnlichem Bauzustand ohne separaten Geh- und Radweg bereits vorhanden war, nicht weiter belegen. Schließlich kann auch das Argument der Beklagten, dass der Weg insbesondere von Schulkindern und Jugendlichen benutzt werde, eine Radwegebenutzungspflicht nicht begründen. Nach § 2 Abs. 5 StVO müssen Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr, ältere Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. Dementsprechend besteht für die überwiegende Anzahl der in diesem Bereich fahrenden Grundschul- und Kindergartenkinder die Pflicht bzw. die Möglichkeit, unabhängig von der Radwegebenutzungspflicht den Weg zu befahren. Im Übrigen kann den von der Beklagten vorgebrachten Risiken bereits durch die Freigabe des Gehweges nach § 2 Abs. 4 Satz 3 und 4 StVO begegnet werden, so dass sie die Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht nicht begründen können. Auch ist der Verlauf der Straße „Am Altwasser“ ausreichend einsehbar, um andere Verkehrsteilnehmer, auch Radfahrer, insbesondere in Anbetracht der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Dementsprechend kann auch die geringe Breite der Straße „Am Altwasser“ keine qualifizierte Gefahrenlage begründen. Ein gegenseitiges Aufeinanderwarten und Ausweichen, das der gesetzlichen Verpflichtung der Verkehrsteilnehmer zur ständigen Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 1 StVO entspricht, ist gegenüber sämtlichen Verkehrsteilnehmern, insbesondere auch über die vorhandene Ausweichstelle, gefahrlos möglich. Einer zusätzlichen Anordnung von Verkehrszeichen bedarf es hierfür nicht, § 39 Abs. 1 Satz 1 StVO. Unabhängig davon, dass dies nicht per se die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht rechtfertigen würde, stellt sich der Radweg auch nicht als Teil eines bereits bestehenden Radwegenetzes dar; vielmehr endet der Radweg sowohl westlich als auch östlich zumindest derzeit auf Straßen ohne zusätzliche Radwege. Ebenso wenig kann die Möglichkeit der Inanspruchnahme finanzieller Zuwendungen für den Bau des Wegs für die Beurteilung der qualifizierten Gefahrenlage maßgeblich sein.

Die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht scheitert damit bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Ob die Beklagte das ihr in § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat, kann somit dahinstehen. Bei ihrer Ermessensentscheidung hätte die Beklagte berücksichtigen müssen, ob die Benutzung des Wegs nach der Beschaffenheit und dem Zustand zumutbar sowie die Linienführung eindeutig, stetig und sicher ist. Hierfür wären die Ausführungen sowohl der VwV-StVO als auch der ERA 2010 heranzuziehen und zu berücksichtigen gewesen. Ein gemeinsamer Geh- und Zweirichtungsradweg dürfte hiernach nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein.

Der Klage war daher stattzugeben und die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 5.000.- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – ).


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