Oberlandesgericht Köln
Az.: 9 U 175/05
Urteil vom 25.04.2006
Vorinstanz: Landgericht Köln, Az.: 24 O 160/04
Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.8.2005 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 24 O 160/04 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Im Herbst des Jahres 2001 erwarb der Kläger einen BMW 328 I Cabrio. Das Fahrzeug war innerhalb eines Rahmenvertrages zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der B Autoversicherung P AG, und der D Fuhrpark–Management in C kasko- und haftpflichtversichert. Betreuender Vertriebspartner für den Rahmenvertrag war die L Assekuranz in C. Mit Schreiben vom 6.3.2001 hatte die Versicherungsgesellschaft den Rahmenvertrag und alle damit verbundenen Verträge mit der D zum 1.1.2002 gekündigt. Die Kündigung war dem Kläger nicht zur Kenntnis gelangt.
Am 23.2.2002 geriet der Kläger mit dem Fahrzeug auf der Autobahn A 1 in Richtung M auf winterglatter Fahrbahn ins Schleudern und prallte gegen einen Erdwall. Die Insassen des total beschädigten Wagens wurden verletzt.
Bei der Unfallaufnahme stellte die Polizei am Fahrzeug des Klägers am linken hinteren Reifen eine Profiltiefe von 0,7 bis 1,1 mm und am Reifen hinten rechts eine Profiltiefe von 0, 5 bis 0,9 mm fest (Bl. 79 GA).
In einem vom Kläger eingeholten Gutachten der E Automobil GmbH, Niederlassung C, vom 15.11.2002 wird die Profiltiefe der Reifen vorne mit jeweils 5,0 mm, hinten links mit 1,5 mm und hinten rechts mit 1,0 mm angegeben (Bl. 6 GA). Auf den Personenschaden zahlte die Beklagte als Haftpflichtversicherer einen Betrag von 27.586,24 €.
Mit der Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung auf Grund der Kaskoversicherung in Höhe von 14.592,14 € nebst Zinsen sowie auf Feststellung und Freistellung im Hinblick auf den Haftpflichtversicherungsschutz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat im Wege der Widerklage Erstattung des regulierten Betrages von 27.586,24 € verlangt.
Die Parteien haben vor dem Landgericht im Wesentlichen darüber gestritten, ob für den Kläger wegen der Vertragslage Deckungsschutz in der Kasko- und Haftpflichtversicherung bestanden hat und ob der Kläger zur Geltendmachung der Ansprüche berechtigt ist. Der Kläger hat den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs abzüglich Restwert auf 14.300,00 € beziffert. Die Beklagte hat sich zudem auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalls
und Gefahrerhöhung durch nicht verkehrssichere Reifen berufen.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 11.8.2005 in der durch Beschluss vom 6.10.2005 berichtigten Fassung unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 13.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2002 zu zahlen. Ferner hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Haftpflichtversicherungsschutz aus Anlass des Unfalls vom 23.2.2002 mit dem Pkw BMW Cabrio zu gewähren. Die Widerklage hat das Landgericht abgewiesen. Es hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung des Versicherungsvertrages zu. Die Beklagte habe die Sachlage klären müssen, weil die Gefahr bestanden habe, dass der Kläger seinen Wagen nach der Kündigung weiter nutze. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass eine versicherungsvertragliche Deckung bestehe. Die Beklagte habe den Kläger so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er sich in Kenntnis der Beendigung des Versicherungsvertrages zum 1.1.2002 eine anderweitige gleichwertige Deckung verschafft hätte. Die vom Kläger beanspruchten Sachverständigenkosten in Höhe von 792,14 € seien im Rahmen der Kaskoversicherung nicht zu ersetzen. Eine grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls sei nicht anzunehmen.
Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und seine tatsächlichen Feststellungen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte nur noch gegen die Verurteilung zur Zahlung aus der Vollkaskoversicherung. Die Deckung in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung werde akzeptiert. Die Beklagte macht geltend, die Polizei habe vor Ort festgestellt, dass das Fahrzeug wegen unzureichender Profiltiefe der Reifen technische Mängel aufgewiesen habe. Der Kläger habe die Winterreifen anlässlich eines Besuchs in Schweden kurz vor Weihnachten 2001 montieren lassen. Hierbei sei ihm bewusst gewesen, dass es sich um gebrauchte Reifen gehandelt habe. Der Kläger habe in der Folgezeit die Profiltiefe nicht kontrolliert. Die mangelnde Profiltiefe sei erkennbar gewesen. Demnach sei Leistungsfreiheit sowohl unter dem Gesichtspunkt der grob fahrlässigen Herbeiführung des Unfalls als auch der Gefahrerhöhung gegeben.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden sei, an den Kläger 13.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2002 zu zahlen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, bei der Beurteilung der Profiltiefe zum Unfallzeitpunkt sei von den zutreffenden Messergebnissen im Gutachten der E auszugehen. Die abweichenden Angaben der Polizei seien nicht erklärlich. Der Kläger sei davon ausgegangen, dass die Reifen eine ausreichende Profiltiefe gehabt hätten. Eine zu geringe Profiltiefe sei nicht erkennbar gewesen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze verwiesen.
II.
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
1.
Dem Kläger steht wegen des Schadenereignisses vom 23.2.2002 gegen die Beklagte ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 13.800,00 € zu.
a) Es kann dahinstehen, ob sich der Anspruch des Klägers auf Grund der Vollkaskoversicherung als Versicherungsnehmer bzw. Versicherter aus dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung nach § 280 BGB oder unmittelbar aus den §§ 1, 49 VVG, § 12 Abs. II e AKB ergibt. Jedenfalls durfte der Kläger darauf vertrauen, dass zum Zeitpunkt des Unfalls Deckungsschutz in der Vollkaskoversicherung bestanden hat. Gegenüber dem Kläger kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf die Kündigung des Rahmenvertrages berufen und hat ihn entsprechend zu entschädigen.
Dass im Grundsatz Deckung in der Vollkaskoversicherung bestanden hat, wird von der Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht mehr in Frage gestellt.
b) Die Beklagte ist nicht nach § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei.
Grobe Fahrlässigkeit verlangt objektiv ein grob verkehrswidriges Verhalten und subjektiv ein erheblich gesteigertes Verschulden (vgl. Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 AKB, Rn 75 ff). Der Versicherungsnehmer muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten in hohem Maße außer Acht gelassen haben. Es muss sich auch in subjektiver Hinsicht um ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden handeln (vgl. OLG Köln, r+s 1990, 192 zur Prüfung des Reifenzustandes). Ein solches erhebliches Verschulden ist vorliegend nicht anzunehmen.
Im Hinblick auf die Profiltiefe der Reifen ist von den Messwerten der E in dem Gutachten vom 15.11.2002 auszugehen. Dass die abweichenden Feststellungen der Polizei zutreffend sind, hat die Beklagte nicht bewiesen. Das polizeiliche Unfallaufnahmeprotokoll erbringt Beweis nur dafür, dass der Polizeibeamte die Messung der Profiltiefe mit dem angegebenen Ergebnis vorgenommen hat, nicht aber die Richtigkeit des Messergebnisses.
Im übrigen sprechen die Umstände eher dafür, dass die Angaben der Polizei ungenau gewesen sind. Wie die Farbfotos der Fotoanlage zum Gutachten der E zeigen (Bl. 200 ff GA), sind die Reifen, insbesondere die Laufflächen, nahezu vollständig von Erde bedeckt, so dass eine Messung der Profilrillen an der Unfallstelle erschwert war.
Demnach ergeben sich nach den Feststellungen der E Profiltiefen vorne jeweils von 5,0 mm, hinten links von 1,5 mm und hinten rechts von 1,0 mm.
Die gesetzliche Mindestprofiltiefe gemäß § 36 Abs. 2 S. 4 StVZO von 1,6 mm ist mithin lediglich bei den Hinterreifen nicht eingehalten, wobei der Wert nur bei dem Reifen hinten rechts deutlich unterschritten ist. Bei dem Reifen hinten links liegt nur eine geringe Abweichung vor.
Dass die zu geringe Profiltiefe der Hinterreifen, insbesondere des Reifens hinten rechts, besonders auffällig gewesen ist, ist nicht erkennbar. Auch wenn man annimmt, dass der Kläger eine sorgfältige, regelmäßige Kontrolle der Reifen unterlassen hat, so rechtfertigt dies noch nicht den Vorwurf groben Verschuldens (vgl. OLG Koblenz, VersR 1997, 303). Ein derartiges genaues Hinschauen und ggf. Nachmessen ist ohne besondere Umstände nur zur Vermeidung jeglicher Fahrlässigkeit geboten sein. Ein Unterlassen der Prüfung ohne solche Umstände, für die hier nichts ersichtlich ist, erscheint indes nicht als grob fahrlässig. Vielmehr spricht gegen die Annahme grober Fahrlässigkeit, dass der Kläger kurz vor Weihnachten 2001, also etwa 2 Monate vor dem Unfall, die Reifen von einer Werkstatt hat montieren lassen und er davon ausgehen durfte, dass diese ihn auf eine zu geringe Profiltiefe hingewiesen hätte. Dass die Montage in Malmö/Schweden erfolgt ist und es sich um gebrauchte Winterreifen gehandelt hat, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Der Kläger konnte annehmen, dass die Reifen jedenfalls für die Fahrten im Winterhalbjahr ausreichendes Profil aufwiesen.
c) Von Leistungsfreiheit unter dem Gesichtspunkt der Gefahrerhöhung nach § 23 VVG kann ebenfalls nicht ausgegangen werden.
§ 23 VVG und § 61 VVG sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar (vgl. OLG Köln, r+s 1989, 160). Zwar kann die Benutzung eines infolge abgefahrener Reifen verkehrsunsicheren Fahrzeuges eine Gefahrerhöhung darstellen, im Rahmen des § 23 Abs. 1 VVG muss aber eine positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem gefahrerhöhenden Umstand vorliegen oder der Versicherungsnehmer muss bewusst von einer Überprüfung der Reifen Abstand genommen haben (vgl. OLG Hamm, r+s 1989, 2; OLG Köln, r+s 1990, 192; OLG Düsseldorf, 2004, 391). Diese Voraussetzungen sind nach den vorliegenden Umständen nicht nachgewiesen.
d) Die Höhe des Anspruchs wird nicht angegriffen.
2.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 13.800,00 €