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Rechtmäßigkeit eines längerfristigen Platzverweises gemäß § 34 Abs. 1 PolG NRW

VG Aachen – Az.: 6 L 2/23 – Beschluss vom 05.01.2023

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechts-schutzes wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums (0 K 00/00) hinsichtlich der Ziffern 1. und 2. der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Dezember 2022 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig und insbesondere statthaft gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Denn hinsichtlich der Verbots, sich auf den näher bezeichneten Grundstücken in Erkelenz-Lützerath aufzuhalten bzw. diese zu betreten oder zu befahren nach Ziffern 1. und 2. der Allgemeinverfügung hat der Antragsgegner durch Ziffer 5. der Allgemeinverfügung die sofortige Vollziehung angeordnet. Insoweit entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Dabei legt die Kammer im Übrigen den im Klageverfahren 0 K 00/00 ausdrücklich gestellten Feststellungsantrag als zum jetzigen Zeitpunkt allein statthaften Anfechtungsantrag i.S.v. § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO aus (vgl. § 88 VwGO).

Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell ordnungsgemäß und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung vom 20. Dezember 2022 überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.

In formeller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) der Ziffern 1. und 2. der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung nicht zu beanstanden. Sie genügt insbesondere den formalen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen ist.

Rechtmäßigkeit eines längerfristigen Platzverweises gemäß § 34 Abs. 1 PolG NRW
(Symbolfoto: Heiko Barth/Shutterstock.com)

Dieses Begründungserfordernis soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dazu anhalten, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzuges besonders sorgfältig zu prüfen. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen hierbei aber nicht überspannt werden. Diese muss allein einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich – in aller Regel – nicht lediglich auf eine Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf. Allerdings ist insbesondere für Maßnahmen der Gefahrenabwehr anerkannt, dass sich die Gründe für den Erlass der Ordnungsverfügung mit denen für die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung decken können. Demgegenüber verlangt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht, dass die für das besondere Vollzugsinteresse angeführten Gründe auch materiell überzeugen, also inhaltlich die getroffene Maßnahme rechtfertigen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. August 2018 – 8 B 548/18 -, Rn. 4-7, 10 f., juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend sind die Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hier gewahrt. Der Antragsgegner hat in seiner gesonderten Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs insbesondere ausgeführt, dass die wirksame Abwehr der von den namentlich unbekannten Besetzerinnen und Besetzern ausgehenden Gefahr nicht nur den Erlass einer Verfügung an sich, sondern zugleich deren sofortige Vollziehung verlange. Die Fortdauer der widerrechtlichen Zustände sei weder im grundrechtlich geschützten Interesse der Beigeladenen noch der staatlichen Gemeinschaft im Hinblick auf die Sicherheit der Energieversorgung während eines Rechtsbehelfsverfahrens mit Suspensiveffekt hinnehmbar. Vielmehr bedürfe es insoweit einer umgehenden Beseitigung der bestehenden Gefahrenlagen. Die für den Betrieb der durch gesetz- und verordnungsgeberische Maßnahmen reaktivierten Kraftwerke erforderliche Braunkohle stehe nur dann rechtzeitig zur Verfügung, wenn die Inanspruchnahme von Lützerath zeitnah erfolge.

Damit hat der Antragsgegner im Zusammenhang mit einer Maßnahmen der Gefahrenabwehr hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er sich des Ausnahmecharakters dieser Anordnung bewusst war.

Die sodann vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Ungunsten der Antragstellerin aus.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten bzw. kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakt ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Im Rahmen einer Interessenabwägung ist zu prüfen, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder das Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs überwiegt. Maßgebliches Kriterium innerhalb der Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse. Stellt der Verwaltungsakt sich hingegen als offensichtlich rechtmäßig dar, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse. Lässt sich bei summarischer Überprüfung eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Die Erfolgsaussichten sind dabei auch unabhängig von einer fehlenden Offensichtlichkeit einzubeziehen. Je höher diese sind, desto größer ist das Interesse an der aufschiebenden Wirkung. Sind die Erfolgsaussichten demgegenüber gering, fällt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts stärker ins Gewicht.

Gemessen an diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1. und 2. der Allgemeinverfügung vom 20. Dezember 2022 das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da sich die Allgemeinverfügung bei summarischer Betrachtung insoweit als rechtmäßig erweist.

Der Vorrang des Versammlungsrechts stand und steht dem Erlass der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung auf der Grundlage des Ordnungsrechts bei summarischer Prüfung nicht entgegen. Zwar befindet sich eine von der Antragstellerin angemeldete und als Mahnwache bereits seit ca. zwei Jahren durchgeführte Versammlung innerhalb des von der Allgemeinverfügung betroffenen räumlichen Bereichs. Allerdings spricht bei summarischer Prüfung überwiegendes dafür, dass die Allgemeinverfügung gegenüber der Antragstellerin als Versammlungsveranstalterin bis einschließlich 9. Januar 2023 keine Eingriffswirkung entfaltet. Denn zum einen ist dem Hinweis auf Seite 2 der Allgemeinverfügung zu entnehmen, dass erst ab dem 10. Januar 2023 mit der Ergreifung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durch Ausübung von unmittelbarem Zwang zu rechnen ist. Zum anderen hat auch die zuständige Versammlungsbehörde (das Polizeipräsidium Aachen) der Antragstellerin mit Schreiben vom 28. Dezember 2022 (Seite 2) die Verlängerung der bestehenden Versammlung bis zum 9. Januar 2023 bestätigt. Gegen eine Eingriffswirkung spricht ferner, dass die Antragstellerin ausweislich andauender öffentlicher Mobilisierungsaufrufe offenkundig selbst davon ausgeht, dass die bestehende Versammlung bis zum 9. Januar 2023 uneingeschränkt stattfinden kann und einen etwaigen Eingriff in ihre Rechte als Versammlungsveranstalterin im hiesigen Verfahren auch nicht geltend gemacht hat. Ab dem 10. Januar 2023 darf die Versammlung demgegenüber nach der jedenfalls wirksamen und sofort vollziehbaren Beschränkung des Polizeipräsidiums Aachen vom 3. Januar 2023 gemäß § 13 Abs. 1 VersG NRW hinsichtlich der Örtlichkeit nicht mehr innerhalb des räumlichen Bereichs der Allgemeinverfügung stattfinden, sodass ab diesem Zeitpunkt ohnehin kein Vorrang des Versammlungsrechts mehr in Betracht kommt.

Ermächtigungsgrundlage für die Ziffern 1. und 2. der angegriffenen Allgemeinverfügung ist entweder § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW oder aber jedenfalls die ordnungsbehördliche Generalklausel des § 14 Abs. 1 OBG NRW, was hier im Ergebnis offen bleiben kann.

Nach § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW gilt die Vorschrift des § 34 PolG NRW mit Ausnahme von Abs. 2 entsprechend für die Ordnungsbehörden, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten.

Nach § 14 Abs. 1 OBG NRW können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren.

Für die Abgrenzung der beiden in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen kommt es darauf an, ob die grundsätzlich als lex specialis vorrangig anwendbare Vorschrift des § 34 Abs. 1 PolG NRW von ihrer Zielrichtung her den vorliegenden Sachverhalt erfasst. In dem Fall wäre ein Rückgriff auf die ordnungsbehördliche Generalklausel gesperrt. Andernfalls wäre der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 OBG NRW eröffnet, weil § 34 Abs. 1 PolG NRW dann keine abschließende speziellere Regelung darstellen würde.

Von ihrer Zielrichtung her erfasst die in § 34 Abs. 1 PolG NRW normierte Ermächtigungsgrundlage auch längerfristige und nicht nur sich kurzfristig erledigende Gefahrenlagen.

Der Begriff „vorübergehend“ in § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW macht zwar deutlich, dass ein Platzverweis nicht dauerhaft angeordnet werden darf. Allerdings erzwingt der Wortlaut der Vorschrift kein Gleichsetzen der Begriffe „vorübergehend“ mit „kurzfristig“.

Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2018 – 3 L 85/16 -, juris Rn. 65.

Aus einem systematischen Vergleich zu § 34 Abs. 2 PolG NRW, der unter strengeren Voraussetzungen Aufenthaltsverbote bis zu einer maximalen Dauer von drei Monaten ermöglicht, wird zwar deutlich, dass ein Platzverweis nach § 34 Abs. 1 PolG NRW jedenfalls nicht länger als drei Monate gelten darf.

Vgl. Ogorek, in: BeckOK PolR NRW, 23. Ed. 01.09.2022, PolG NRW § 34 Rn. 17.

Unterhalb dieser zeitlichen Obergrenze ist der Platzverweis in Abgrenzung zu dem Aufenthaltsverbot jedoch lediglich funktional durch den polizeilichen Zweck der Bewältigung einer räumlich-zeitlich konkret bestimmten Gefahrsituation begrenzt.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2021 – 1 S 803/19 -, juris Rn. 101.

Die genaue zeitliche Ausdehnung des Platzverweises hängt in der Folge von der Art der konkreten Gefahr ab. Wenn – wie vorliegend – die Gefahrenlage sich über mehrere Tage und Wochen erstreckt, kann der Platzverweis auch für diese Dauer der Gefahr ausgesprochen werden. Es entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, das Kriterium „vorübergehend“ im konkreten Einzelfall von der Dauer der Gefahr abhängig zu machen. Nur so wird dem Ziel des Gesetzgebers Rechnung getragen, der Ordnungsbehörde mit dem in § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW geregelten Platzverweis ein Instrument in die Hand zu geben, mit dem sie auf einer Eingriffsschwelle unterhalb einer Ingewahrsamnahme Gefahrensituationen wirksam zu entschärfen vermag.

Vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 22. März 2016 – 1 A 1025/14 -, juris Rn. 20 (nicht rechtskräftig); VG München, Beschluss vom 20. Juli 2007 – M 7 S 07.2792 -, juris Rn. 14; Enders, in: BeckOK PolR BW, 27. Ed. 01.12.2022, BWPolG § 30 Rn. 24; Grünewald, in: BeckOK PolR Bayern, 20. Ed. 01.07.2022, PAG Art. 16 Rn. 34; Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 17. Aufl. 2022, § 17 Rn. 22; Leggereit, in: BeckOK PolR Hessen, 27. Ed. 01.10.2022, HSOG § 31 Rn. 17; Heusch, in: Schönenbroicher/Heusch, OBG NRW Kommentar, 1. Aufl. 2014, § 24 Rn. 24.

Wenn bereits absehbar ist, dass eine Gefahr über einen längeren Zeitraum andauert, wäre es im Übrigen eine bloße Förmelei, die Behörde darauf zu verweisen, konsekutive Platzverweise von jeweils wenigen Tagen zu erteilen.

Zwar wird teilweise die Auffassung vertreten, ein Platzverweis sei eine kurzfristige Maßnahme, die – unabhängig von dem vorgenannten funktionalen Zusammenhang – nur einige Stunden oder allenfalls wenige Tage gelten dürfe.

Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2018 – 3 L 85/16 -, juris Rn. 65 f.; VG Augsburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 – Au 5 S 05.1581 -, juris Rn. 12; Graulich, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, Kapitel E, Rn. 437 f.; Ogorek, in: BeckOK PolR NRW, 23. Ed. 01.09.2022, PolG NRW § 34 Rn. 18; Waechter, in: BeckOK PolR Nds, 25. Ed. 01.11.2022, NPOG § 17 Rn. 28.

Begründet wird diese Auffassung insbesondere damit, dass ein längerfristiger Platzverweis einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Freizügigkeit gemäß Art. 11 Abs. 1 GG darstelle, weil der Betroffene ggf. gezwungen sei, seinen Lebensmittelpunkt zu verlagern, und ein solcher Eingriff nur unter den Voraussetzungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts nach Art. 11 Abs. 2 GG zulässig sei. Die Regelung des § 34 Abs. 1 PolG NRW erfülle jedoch nicht die Vorgaben des Art. 11 Abs. 2 GG, weil sie die in dieser Norm vorgesehenen Zweckbindungen (z.B. „um strafbaren Handlungen vorzubeugen“) nicht aufgreife. § 34 Abs. 1 PolG NRW tauge damit – im Gegensatz zu § 34 Abs. 2 PolG NRW – nicht als Grundlage für freizügigkeitsrelevante Maßnahmen. Hinzu komme, dass auch die Ordnungsbehörden gem. § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i.V.m. § 34 Abs. 1 PolG NRW einen Platzverweis aussprechen könnten, obwohl § 44 OBG NRW den Art. 11 Abs. 1 GG nicht als eingeschränktes Grundrecht nenne. Dies lasse den Schluss zu, dass der Gesetzgeber den Platzverweis nicht als freizügigkeitsbeschränkende Maßnahme konzipiert habe. Ob ein Platzverweis „vorübergehend“ sei, müsse daher unter Rückgriff auf die Kriterien beurteilt werden, anhand derer sich die Betroffenheit des Grundrechts auf Freizügigkeit ermitteln lasse.

Vgl. Graulich, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, Kapitel E, Rn. 437; Ogorek, in: BeckOK PolR NRW, 23. Ed. 01.09.2022, PolG NRW § 34 Rn. 18 m.w.N.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht jeder Platzverweis – unabhängig von dessen Dauer – geeignet ist, den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG zu berühren.

Wird etwa ein Betroffener durch einen mehrtägigen Platzverweis lediglich daran gehindert, einen Gemeindeteil zur Freizeitgestaltung und zu alltäglichen Verrichtungen aufzusuchen, berührt dies nicht den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG.

Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. März 2008 – 1 BvR 1548/02 -, juris Rn. 24-26, 39; OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 5 A 2000/20 -, juris Rn. 51.

Vor diesem Hintergrund kommt ein längerfristiger – auch mehrwöchiger – Platzverweis jedenfalls in den Fällen in Betracht, in denen der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG von vornherein nicht berührt ist.

Ausgehend von diesen Maßstäben erfasst § 34 Abs. 1 PolG NRW von seiner Zielrichtung her den vorliegenden Sachverhalt, da die für ca. siebeneinhalb Wochen prognostizierte Gefahrenlage deutlich unterhalb der Höchstgrenze von drei Monaten liegt und der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG nicht berührt ist.

Letzteres ist hier der Fall, weil sich der Platzverweis auf Grundstücke erstreckt, die für die bergbauliche Inanspruchnahme des Braunkohletagebaus Garzweiler II vorgesehen sind und für welche der Beigeladenen bereits die notwendigen Eigentums- und Besitzrechte eingeräumt wurden.

Vgl. VG Aachen, Beschluss vom 7.Oktober 2021 – 6 L 418/21 – und OVG NRW, Beschluss vom 28. März 2022 – 21 B 1675/21 -, beide juris.

Das Grundrecht auf Freizügigkeit berechtigt nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen und so bereits den Zuzug ausschließen oder einschränken oder, wenn sie erst nachträglich aufgestellt werden, letztlich zum Wegzug zwingen. Solche Regelungen berühren jedenfalls dann nicht den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG, wenn sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen treffen sollen. Art. 11 Abs. 1 GG gewährt ein Recht zum Zuzug und Aufenthalt grundsätzlich nur dort, wo jeder Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann. Einen Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt vermittelt Art. 11 Abs. 1 GG dagegen nicht.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 -, BVerfGE 134, 242-357, Rn. 256 f., juris, in Bezug auf den Braunkohletagebau „Garzweiler II“.

Würde man demgegenüber mit der Gegenauffassung davon ausgehen, dass § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW von seiner Zielrichtung her keine längerfristigen Gefahrenlagen erfasst, wäre jedenfalls die ordnungsrechtliche Generalklausel des § 14 Abs. 1 OBG NRW als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen.

Zwar normieren die sog. Standardmaßnahmen i.S.v. § 24 OBG i.V.m. mit den entsprechenden Regelungen des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes abschließende Sachverhaltsregelungen und können daher nicht über die Generalklausel ausgeweitet werden.

Vgl. zum Verhältnis zwischen § 34 Abs. 2 PolG NRW und § 14 Abs. 1 OBG NRW: OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2004 – 5 B 2684/04 -, juris Rn. 4.

Wenn man jedoch mit der oben zitierten Gegenauffassung davon ausginge, dass der Gesetzgeber den Platzverweis nach § 34 Abs. 1 PolG NRW für alltägliche Gefahrensituationen, die regelmäßig nur kurzfristig andauern, konzipiert habe, entfaltet die Vorschrift keine Sperrwirkung für einen Rückgriff auf die Generalklausel für solche Fälle, in denen eine Gefahr bzw. Störung absehbar über einen längerfristigen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten andauert. Denn solche atypischen Fallkonstellationen hätte der Gesetzgeber dann mit der Vorschrift des § 34 Abs. 1 PolG NRW gerade nicht erfassen wollen. Gegen eine Sperrwirkung spricht auch, dass sowohl § 34 Abs. 1 PolG NRW als auch die ordnungsrechtliche Generalklausel des § 14 Abs. 1 OBG NRW letztlich die gleichen Tatbestandsvoraussetzungen haben, indem sie lediglich eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verlangen.

Vgl. Worms/Gusy, in: BeckOK PolR NRW, 23. Ed. 01.09.2022, OBG § 14 Rn. 12, wonach der Begriff „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ in § 14 Abs. 1 OBG NRW der Definition der „konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ in § 8 Abs. 1 PolG NRW entspricht.

§ 34 Abs. 2 PolG NRW würde einen Rückgriff auf die Generalklausel im vorliegenden Fall ebenfalls nicht sperren.

Die Regelung ist eine Ausgestaltung des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes des Art. 11 Abs. 2 GG.

Vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 22. März 2013 – 5 K 191/13 -, juris Rn. 4; Graulich, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, Kapitel E, Rn. 449, 453; Leggereit, in: BeckOK PolR Hessen, 27. Ed. 01.10.2022, HSOG § 31 Rn. 7; Waechter, in: BeckOK PolR Nds, 25. Ed. 01.11.2022, NPOG § 17 Rn. 57.

Damit sollte § 34 Abs. 2 PolG NRW der Polizei eine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG schaffen. Für staatliche Maßnahme, die – wie hier – schon nicht den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG berühren, bedarf es aber keines Gesetzes, das die Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 GG erfüllt. Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 34 Abs. 2 PolG NRW demnach für solche Fälle konzipiert, die freizügigkeitsrelevant sind. In allen anderen Fällen bedarf es der Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 2 PolG NRW nicht, weshalb sie für solche Fälle auch keine Sperrwirkung entfaltet. Daher bleibt in Fällen, in denen keine Begehung von Straftaten droht und zugleich der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG nicht berührt ist, ein Rückgriff auf die ordnungsbehördliche Generalklausel möglich.

So im Ergebnis auch Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 17. Aufl. 2022, § 17 Rn. 22; offen gelassen von OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2018 – 3 L 85/16 -, juris Rn. 60.

Dafür spricht auch, dass die polizeiliche bzw. ordnungsbehördliche Generalklausel auch auf eher komplexe und atypische Gefahrenlagen ausgerichtet ist. Dazu gehören auch neue, nach Art und Ausmaß bislang nicht bekannte Gefahrenlagen. Da der Gesetzgeber nicht sämtliche künftigen Gefahren und alle ihnen gegenüber zu treffenden Maßnahmen im Einzelnen voraussehen und detailliert regeln kann, besitzt die Generalklausel in dieser Hinsicht eine bedeutende Auffangfunktion. Die komplexe Gefahrenlage kann Beschränkungen erfordern, die über eine (einfache) Platzverweisung hinausgehen.

Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2018 – 3 L 85/16 -, juris Rn. 60; OVG Bremen, Urteil vom 24. März 1998 – 1 BA 27/97 -, juris Rn. 27.

Des Weiteren spricht der Wortlaut des § 34 Abs. 2 PolG NRW („Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten […], Hervorhebung nur hier) dafür, dass das Aufenthaltsverbot die Begehung von Straftaten verhindern soll, die nicht bereits durch das Betreten oder den Aufenthalt selbst verwirklicht werden. Denn andernfalls würde durch das Aufenthaltsverbot letztlich lediglich ein bereits strafrechtlich pönalisiertes Verhalten (§ 123 StGB) untersagt werden.

Sofern der vorliegende Sachverhalt aufgrund seiner Besonderheit (nach Einschätzung des Antragsgegners keine drohenden Straftaten; mehrwöchig andauernde Gefahr bzw. Störung; wechselnde Störer) nicht von den typischen Fallkonstellationen erfasst sein sollte, die der Gesetzgeber bei Schaffung des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 PolG NRW vor Augen hatte, muss ein Rückgriff auf die ordnungsbehördliche Generalklausel zur effektiven Gefahrenabwehr damit möglich bleiben.

Zuletzt liegen auch – wenn man von der Nichtanwendbarkeit des § 34 Abs. 1 PolG NRW ausginge – die Voraussetzungen für einen Austausch der Ermächtigungsgrundlage vor.

In der Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach das Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt aufhebt, soweit er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, kommt die Verpflichtung des Gerichts zum Ausdruck, zu prüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht in Einklang steht und, falls nicht, ob er auch den Kläger in seinen Rechten verletzt. Bei dieser Prüfung hat das Verwaltungsgericht alle einschlägigen Rechtsvorschriften und – nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO – alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht. Die Heranziehung anderer als im angefochtenen Bescheid genannter Normen und Tatsachen ist dem Gericht nur insoweit verwehrt, als dadurch die Grenzen überschritten würden, die der Zulässigkeit des sogenannten Nachschiebens von Gründen gezogen sind, d.h. wenn die anderweitige rechtliche Begründung oder das Zugrundelegen anderer Tatsachen zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides führen würde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 1989 – 9 C 28.89 -, juris Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2016 – 5 E 772/15 -, juris Rn. 7 f.

Eine Wesensveränderung der angefochtenen Allgemeinverfügung kommt hier indessen nicht in Betracht. Die Maßnahme bleibt unabhängig davon, ob sie auf § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW oder auf § 14 Abs. 1 OBG NRW gestützt wird, ein Aufenthalts- und Betretungs- bzw. Befahrungsverbot. Sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen („Gefahr für die öffentliche Sicherheit“) als auch die Ermessenserwägungen sind hier deckungsgleich. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner § 14 Abs. 1 OBG NRW auf Seite 5 der Allgemeinverfügung bereits als ersatzweise einschlägige Ermächtigungsgrundlage benannt hat und deren Voraussetzungen ebenfalls als gegeben ansah.

Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist bei summarischer Prüfung formell rechtmäßig. Der Antragsgegner ist insbesondere die zuständige Behörde gemäß § 10 Abs. 1 OBG NRW i.V.m. § 123 Abs. 2 GO NRW. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen auf Seite 6 der Allgemeinverfügung verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Da der Bürgermeister der Stadt Erkelenz dem Antragsgegner bereits mit Schreiben vom 8. Dezember 2022 schriftlich mitgeteilt hat, ordnungsrechtlich nicht gegen die Besetzung in Lützerath vorgehen zu wollen, und die Durchführung der ihm erteilten Weisung somit endgültig verweigert hat, brauchte der Antragsgegner die ursprünglich für ein ordnungsbehördliches Einschreiten gesetzte Frist nicht abzuwarten. Eine vorherige Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW war nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 1 VwVfG NRW entbehrlich, weil die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen hat.

Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist bei summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig.

Die Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW sind erfüllt.

Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt vor.

Unter einer polizeilichen Gefahr ist nach allgemeiner Anschauung eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung führen würde. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz der Unverletzlichkeit subjektiver Rechte und Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung und staatlicher Einrichtungen. Dabei ist maßgeblich für die Bewertung des polizeilichen Handelns im Hinblick auf das Vorliegen einer derartigen Gefahr, ob nach dem Kenntnisstand der Polizeibeamten zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung eine entsprechende Gefahrenlage bestand.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Februar 2012 – 5 A 2382/10 -, juris Rn. 34; VG Aachen, Urteil vom 19. Dezember 2017 – 6 K 3136/17 -, juris Rn. 23; VG Köln, Beschluss vom 20. Oktober 2017 – 20 L 3725/17 -, juris Rn. 25; VG Aachen, Urteil vom 8. Mai 2017 – 6 K 1405/15 -, juris Rn. 14.

Hat sich die Gefahr bereits verwirklicht und es besteht ein noch andauernder Schaden der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, liegt eine sog. Störung vor, die ebenso ein ordnungsbehördliches Einschreiten rechtfertigt. Bei einer Störung handelt es sich lediglich um einen Unterfall der Gefahr, weswegen der Ordnungsbehörde im Rahmen der Störungsbeseitigung die gleichen Handlungsbefugnisse wie bei der Abwehr einer Gefahr zustehen.

Vgl. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Auflage 2017, Rn. 103 f.; Götz/Geis, Polizei- und Ordnungsrecht, 17. Auflage 2022, § 12 Rn. 16; siehe auch § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG BW und § 3 Abs. 1 SOG HH, die die Störungsbeseitigung ausdrücklich der Gefahrenabwehr gleichstellen.

Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob – was ausweislich der Ausführungen auf S. 8 der Allgemeinverfügung wohl auch der Antragsgegner bezweifelt – durch den Aufenthalt auf den in der Allgemeinverfügung genannten Grundstücken der Beigeladenen in objektiver Hinsicht der Straftattatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) verwirklicht wird und hiernach eine Gefahr für die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung vorliegt. Desgleichen kann offen bleiben, ob die von dem Antragsgegner angeführte „Energieversorgungssicherheit“ tatsächlich unter das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zu subsumieren ist und für diese durch den Aufenthalt auf den Grundstücken eine konkrete Gefahr besteht.

Denn durch den Aufenthalt auf den in Rede stehenden Grundstücken liegt jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Unverletzlichkeit subjektiver Rechte und Rechtsgüter eine Störung der öffentlichen Sicherheit vor. Die Beigeladene hat dem Aufenthalt auf den in ihrem Eigentum stehenden respektive bergrechtlich zur alleinigen Nutzung zugewiesenen Grundstücken widersprochen, weswegen sich dieser jedenfalls nach den maßgeblichen zivilrechtlichen Maßstäben als widerrechtlich darstellt (§ 903 Satz 1 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog). Insbesondere vermag der Aufenthalt nicht durch das Berufen auf „zivilen Ungehorsam“ infolge eines „Klimanotstandes“ gerechtfertigt zu werden. Ein dahin lautender Rechtfertigungsgrund ist mit der geltenden Rechtsordnung unvereinbar.

Siehe nur OLG Celle, Beschluss vom 29. Juli 2022 – 2 Ss 91/22 -, juris; Momsen/Savic, in: BeckOK, StGB, 55. Ed. 01.11.2022, § 34 Rn. 7.1.

Die durch die angegriffene Verfügung in Anspruch genommenen Personen sind als Verhaltensstörer im Sinne des § 17 Abs. 1 OBG NRW zu klassifizieren, weil sie durch ihren Aufenthalt bzw. das Betreten die Störung der öffentlichen Sicherheit unmittelbar verursachen. Da die Gefahrenschwelle bereits mit dem Betreten der Grundstücke überschritten wird, durfte der Antragsgegner dieses in Form einer Allgemeinverfügung generell verbieten.

Ob der Antragsgegner vorliegend im Anwendungsbereich der auch für die Ordnungsbehörden geltenden,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Oktober 2017 – 11 A 353/17 -, juris Rn. 28; Urteil vom 16. Juni 2014 – 11 A 2816/12 -, juris Rn. 56; Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage 2022, § 3 Rn. 22.

sog. Privatrechtsklausel (auch Subsidiaritätsklausel) des § 1 Abs. 2 PolG NRW tätig geworden ist, kann dahinstehen. Namentlich kann die Kammer mit Blick auf eine etwaige (rechtswidrige) Verwirklichung des objektiven Tatbestands des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) offen lassen, ob unter privaten Rechten im Sinne der Normen nur solche (subjektiven) Rechte zu verstehen sind, die nicht zugleich durch öffentlich-rechtliche oder strafrechtliche Vorschriften geschützt werden, sondern ausschließlich unter dem Schutz der Privatrechtrechtsordnung stehen („Ausschließlichkeitstheorie“), oder aber unter den dort genannten privaten Rechten sämtliche subjektiven Rechte zu verstehen sind.

Zur „Ausschließlichkeitstheorie“: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. September 2007 – 7 A 10789/07 -, juris Rn. 31; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 28. Februar 2000 – 4 L 135/99 -, juris Rn. 24; Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage 2022, § 3 Rn. 23; Götz/Geis, Polizei- und Ordnungsrecht, 17. Auflage 2022, § 10 Rn. 22. Ablehnend Skiba, Die Befugnis der Polizei zum Schutz privater Rechte, S. 75 ff. und 141 ff., der unter privaten Rechten sämtliche subjektiven Rechte (nicht aber Rechtsgüter) versteht; so im Ergebnis auch Teile der Rechtsprechung, die die Privatrechtsklauseln ungeachtet einer Gefahr für die objektive Rechtsordnung anwenden: BayVGH, Beschluss vom 11. August 2009 – 11 CE 09.1795 -, juris Rn. 12; VG Mainz, Urteil vom 8. Juni 2017 – 1 K 4/14.MZ -, juris Rn. 43 und 59 f.; VG Köln, Urteil vom 30. März 2017 – 20 K 7424/15 -, juris Rn. 75 f. ; VG Karlsruhe, Beschluss vom 16. August 2007 – 6 K 2446/07 -, juris Rn. 9.

Denn selbst wenn es sich bei den durch den Aufenthalt auf den Grundstücken beeinträchtigten subjektiven Rechten der Beigeladenen, namentlich dem Eigentum sowie dem berechtigte Besitz, um private Rechte handeln und das ordnungsbehördliche Tätigwerden somit an § 1 Abs. 2 PolG NRW zu messen wäre, wären die von den Vorschriften für den Schutz privater Rechte erhobenen Voraussetzungen nach der im vorläufigen Rechtsschutz allein möglichen summarischen Prüfung erfüllt.

Nach § 1 Abs. 2 PolG NRW obliegt der Schutz privater Rechte der Polizei (respektive der Ordnungsbehörde) nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.

Gerichtlicher Schutz gegen die sich gegenwärtig und zukünftig auf den in Rede stehenden Grundstücken aufhaltenden Personen ist für die Beigeladene nicht zu erlangen. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (i.V.m. § 495 ZPO; vgl. auch § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO) setzt eine wirksame Klageerhebung bzw. Antragsstellung zwingend die – in der Regel durch Namensangabe erfolgende – Identifizierung des Beklagten bzw. Antragsgegners voraus. An dem dahingehenden Identifizierungsgebot hält die höchstrichterliche zivilgerichtliche Rechtsprechung auch dann fest, wenn sich – wie vorliegend zu erwarten – die potentiellen Klage-/Antragsgegner fortwährend in Zusammensetzung und Zahl ändern.

Vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2017 – I ZB 103/16 -, juris Rn. 9 ff.

Die Identität der sich gegenwärtig und zukünftig auf den Grundstücken aufhaltenden Personen ist nicht bekannt. Ein gerichtliches Vorgehen gegen diese ist der Beigeladenen folglich nicht möglich. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass sich zurzeit bereits eine dreistellige Zahl von Personen auf den Grundstücken im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung aufhält und zu erwarten ist, dass die Zahl im Falle einer Vollstreckung aus der Allgemeinverfügung noch weiter ansteigen wird bzw. mit einem stetigen Wechsel der Personen zu rechnen ist. Tatsächlich nicht zu erreichender Rechtsschutz ist der in den Vorschriften allein genannten zeitlichen Unerreichbarkeit („nicht rechtzeitig“) im Wege eines Erst-Recht-Schlusses gleichzusetzen.

Auch die weitere von der Privatrechtsklausel für den Schutz privater Rechte erhobene Voraussetzung ist erfüllt. Ohne ordnungsbehördliche Hilfe würde die Verwirklichung der Rechte der Beigeladenen vereitelt werden. Unter der Wendung „Verwirklichung des Rechts“ ist die gerichtlichen Durchsetzung des aus dem subjektiven Recht erwachsenden Anspruchs, hier der Räumungs- bzw. Unterlassungsanspruch der Beigeladenen, zu verstehen.

Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. März 2009 – 3 M 153/09 -, juris Rn. 6.

Eine Vereitelung der Anspruchsdurchsetzung ist zu befürchten, sofern ohne ein ordnungsbehördliches Einschreiten die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs endgültig ausgeschlossen wäre. Dies ist hier der Fall. Ist die Identität des potentiellen Klage-/Antragsgegners unbekannt, ist dem Betroffenen ein gerichtliches Vorgehen von vornherein nicht möglich, sodass die Gefahr einer Vereitelung seines Anspruchs im Sinne eines endgültigen Rechtsverlusts gegeben ist.

Vgl. Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage 2022; § 3 Rn. 29; Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2019, § 4 Rn. 34.

Ob der Schutz privater Rechte über den Wortlaut des § 1 Abs. 2 PolG NRW hinaus einen Antrag des Betroffenen voraussetzt,

so OVG NRW, Urteil vom 6. Oktober 2017 – 11 A 353/17 -, juris Rn. 28.

kann offen bleiben. Denn die Beigeladene hat mit Schreiben vom 5. Oktober 2022 explizit einen Antrag auf Einschreiten gestellt und begehrt, ihr den erforderlichen Alleinbesitz an den Flächen zu verschaffen.

Auch die vom Antragsgegner konkret gewählte Maßnahme ist bei summarischer Prüfung von der Privatrechtsklausel noch gedeckt.

Ordnungsbehördliche Maßnahmen in Eröffnung der Privatrechtsklausel müssen die vorrangige Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit beachten und dürfen die den Zivilgerichten vorbehaltene Entscheidung grundsätzlich nicht vorwegnehmen. Dies folgt aus dem subsidiären Charakter der ordnungsbehördlichen Befugnis zum Schutz privater Rechte. Indem die Privatrechtsklausel die ordnungsbehördlichen Handlungsbefugnisse von der Gefährdung der Anspruchsdurchsetzung abhängig machen, lässt das Gesetz erkennen, dass sich die Maßnahmen der Ordnungsbehörde grundsätzlich auf das Maß zu beschränken haben, welches erforderlich ist, um die zu besorgende Vereitelung bzw. wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung zu verhindern (rechtsschutzermöglichende und rechtsschutzsichernde Maßnahmen). Die Ordnungsbehörde ist bei einem Tätigwerden zum Schutz privater Rechte somit grundsätzlich nur zu vorläufigen Maßnahmen befugt.

Vgl. Gusy/Worms, in: BeckOK, PolR NRW, 23. Ed. 01.09.2022, PolG, § 1 Rn. 226; Holzner, in: BeckOK, PolR Bayern, 20 Ed. 01.10.2022, PAG, Art. 2 Rn. 33; Nachbaur, in: BeckOK, PolR BW, 27. Ed. 01.12.2022; PolG, § 2 Rn. 63; Bäcker, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, 7. Aufl. 2021, Kapitel D, Rn. 16; Skiba, Die Befugnis der Polizei zum Schutz privater Rechte, S. 318 ff.

Gleichwohl beschreibt die Beschränkung des ordnungsbehördlichen Eingriffsinstrumentariums auf vorläufige Maßnahmen lediglich einen Grundsatz, von dem aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr Ausnahmen zuzulassen sind, sodass die Ordnungsbehörde im Einzelfall zu einer endgültigen Rechtsdurchsetzung (rechtsschutzersetzende Maßnahmen) befugt sein kann. Da durch rechtsschutzersetzende Maßnahmen der gerichtlichen Rechtsschutz vorweggenommen und die Ordnungsbehörde hierdurch in einen von Verfassungs wegen allein der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesenen Kompetenzbereich eingreift, sind aus Gründen der Gewaltenteilung an die Zulässigkeit rechtsschutzersetzender Maßnahmen hohe Anforderungen zu stellen.

Rechtsschutzersetzende Maßnahmen aus Gründen eines „wirksamen Rechtsgüterschutzes“ zulassend auch: Nachbaur, in: BeckOK, PolR BW, 27. Ed. 01.12.2022; PolG, § 2 Rn. 64; Schoch, JURA 2003, 177, 179; siehe auch Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auflage 2022; § 3 Rn. 30, nach denen die Polizei lediglich „regelmäßig“ an endgültigen Maßnahmen gehindert ist; ebenso Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2019, § 4 Rn. 35; ausführlich Skiba, Die Befugnis der Polizei zum Schutz privater Rechte, S. 323 ff. Eine endgültige Rechtsdurchsetzung stets als unzulässig ansehend demgegenüber: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Februar 1995 – 1 S 3184/94 -, juris Rn. 22; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage 1986, S. 239.

Gemessen daran erweist es sich nach summarischer Überprüfung voraussichtlich (noch) als rechtmäßig, dass der Antragsgegner mit der angegriffenen Allgemeinverfügung den zivilrechtlichen Räumungs- bzw. Unterlassungsanspruch der Beigeladenen endgültig durchsetzt. Zwar würden sich die Befugnisse der Ordnungsbehörde in Ansehung der unbekannten Identität des sich auf dem Grundstück aufhaltenden und stetig wechselnden Personenkreises grundsätzlich auf rechtsschutzermöglichende Maßnahmen, namentlich Identitätsfeststellungen nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 OBG NRW i.V.m. § 12 PolG NRW, beschränken, um der Beigeladenen so ein gerichtliches Vorgehen gegen die Störer zu ermöglichen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch nach einer Feststellung der Identität sämtlicher sich auf dem Grundstück aufhaltenden Personen voraussichtlich noch die Voraussetzungen der Privatrechtsklausel erfüllt wären, wodurch eine Identitätsfeststellung als nicht geeignet erscheint, die Beeinträchtigung der Rechte der Beigeladenen abzuwehren. So wäre infolge einer ordnungsbehördlichen Identitätsfeststellung gerichtlicher Schutz für die Beigeladene zwar dem Grunde nach erreichbar, da sie die Antragsgegner im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hinreichend konkret bezeichnen könnte. Allerdings wäre der hiernach zu erlangende Rechtsschutz nicht mehr „rechtzeitig“ im Sinne des § 1 Abs. 2 PolG NRW. „Rechtzeitig“ im Sinne der Privatrechtsklausel bedeutet „rechtzeitig“ zur Abwehr der dem privaten Recht drohenden Gefahr. In den Fällen einer Störung, in denen sich die Gefahr bereits realisiert hat, ist gerichtlicher Schutz niemals rechtzeitig zu erlangen.

Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage 1986, S. 238, Skiba, Die Befugnis der Polizei zum Schutz privater Rechte, S. 254 ff und 281.

Auch die weitere von der Privatrechtsklausel aufgestellte Voraussetzung wäre voraussichtlich erfüllt. Zwar drohte nach einer ordnungsbehördlichen Identitätsfeststellung nicht mehr die – oben aufgezeigte – Vereitelung der zivilrechtlichen Ansprüche der Beigeladenen. Jedoch wäre noch von einer drohenden wesentlichen Erschwerung der Anspruchsdurchsetzung auszugehen. Eine solche liegt vor, wenn die Durchsetzung des Anspruchs in einer Weise gefährdet ist, die bei wertender Betrachtung einer Vereitelung gleichkommt, weil das dem Anspruch zugrundeliegende Rechtsschutzziel ohne ordnungsbehördliches Einschreiten faktisch nicht mehr erreicht werden könnte. Hiervon ist auszugehen, wenn es dem Betroffenen unzumutbar wäre, die weitere Beeinträchtigung seiner Rechte bis zum Erlangen gerichtlichen Schutzes hinnehmen zu müssen.

Eingehend Skiba, Die Befugnis der Polizei zum Schutz privater Rechte, S. 323 ff.

So liegt der Fall hier. Unter den konkreten Umständen des Einzelfalls erachtet es die Kammer als unzumutbar, dass die Beigeladene bis zum Erlangen gerichtlichen Schutzes eine Beeinträchtigung ihrer Rechte hinnimmt. Denn das Erlangen gerichtlichen Schutzes dürfte sich für die Beigeladene aufgrund der zivilprozessualen Rechtslage als überaus zeitintensiv – wenn nicht gar faktisch unmöglich – darstellen. So wäre sie nach einer ordnungsbehördlichen Identitätsfeststellung gehalten, gegen sämtliche auf dem Grundstück befindlichen Personen im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Räumungstitel zu erwirken. Dies dürfte mit Blick auf die – nicht zuletzt wegen entsprechender Aufrufe in den sozialen Medien – zu erwartende sehr große Zahl von Personen einige Wochen in Anspruch nehmen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass sich während der laufenden Gerichtsverfahren weitere Personen auf den Grundstücken einfinden würden, die sich dort zum Zeitpunkt der ordnungsbehördlichen Identitätsfeststellung noch nicht aufgehalten haben. Denn aufgrund der Weitläufigkeit des in Rede stehenden Geländes (größtenteils unbebaute Ackerflächen) erscheint es – anders als möglicherweise bei „klassischen“ Hausbesetzungen – unwahrscheinlich, dass die Beigeladene den Zutritt weiterer Personen durch geeignete Sicherungsmaßnahmen wirksam unterbinden könnte. Da die neu hinzukommenden Personen von den von der Beigeladenen erstrittenen Räumungstiteln nicht erfasst wären (vgl. § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO), stellten diese keine taugliche Grundlage für eine Zwangsvollstreckung dar. Der Beigeladenen stünde auch kein anderer Weg offen, zivilrechtlich gegen die sich auf ihren Grundstücken aufhaltenden Personen vorzugehen. Einen Räumungsanspruch gegen einen sich fortwährend in Zusammensetzung und Zahl ändernden Kreis unbekannter Personen durchzusetzen, ist na ch geltender Rechtslage ausgeschlossen.

Vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2017 – I ZB 103/16 -, juris Rn. 10 f., der insoweit „ein gesetzliches Defizit bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Räumungsansprüche“ erkennt (Rn. 21); siehe auch Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, § 253 Rn. 18: „Abhilfe de lege ferenda ist überfällig“; zur (erheblichen) Kritik an der Entscheidung des BGH siehe nur Bruns, NZM 2018, 164, 167: „verfassungsrechtlich nicht haltbar“; Vollkommer, MDR 2018, 1104, 1106: „Justizverweigerung“.

Eingedenk dessen wäre die Beigeladene gezwungen, den Antragsgegner zunächst erneut um eine Identitätsfeststellung zu ersuchen, um sodann Räumungstitel gegen die hinzugekommenen Personen erwirken zu können. Hierbei wäre wiederum zu erwarten, dass sich während der Gerichtsverfahren weitere Personen auf den Grundstücken einfinden. Dies gilt schon deshalb, weil auch in der Szene der Umweltaktivisten hinreichend bekannt sein dürfte, dass nach geltendem Recht das Hinzukommen weiterer Personen genügt, um die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Räumungsanspruchs zumindest erheblich zu verzögern.

Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass sich eine zivilprozessuale Räumung der Grundstücke über Monate, wenn nicht sogar Jahre, hinziehen würde. Während dieses Zeitraums auf die – bergrechtlich zulässige – Inanspruchnahme der Grundstücke zu verzichten, welches jedenfalls mittelfristig einen Stillstand des Tagebaubetriebs zu Folgen haben dürfte, ist der Beigeladenen mit Blick auf die damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen und ihrem grundrechtlich geschützten Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14, 12 GG) nicht zumutbar.

Bei dem vom 23. Dezember 2022 bis zum 14. Februar 2023 geltenden Platzverweis handelt es sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch noch um eine vorübergehende Maßnahme im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW. Ausgehend von der oben zitierten Auffassung, wonach die Vorschrift von ihrer Zielrichtung her auch längerfristige Gefahrenlagen, die den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG nicht berühren, erfasst, ist die etwa siebeneinhalbwöchige Geltungsdauer des streitgegenständlichen Platzverweises bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Sie liegt deutlich unterhalb der Höchstgrenze von drei Monaten und bemisst sich an der voraussichtlichen Dauer der beabsichtigten Räumung. Zudem ist der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG von vornherein nicht berührt (siehe oben).

Der in Ziffern 1. und 2. der Allgemeinverfügung sowie deren Anlage genannte räumliche Bereich ist auch ein „Ort“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW.

Vereinzelt wird zwar angenommen, dieser könne sich nur auf einen räumlich eng begrenzten Bereich – etwa auf einzelne Gebäude, einen Platz, Straßenzug oder eine Parkanlage – erstrecken.

Vgl. zur insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 38 BPolG: Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 38 BPolG, Rn. 10; vgl. weiterhin: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2018 – 3 L 85/16 -, juris Rn. 58; VG Hannover, Urteil vom 7. Juli 1997 – 10 A 5589/96 -,juris.

Eine solch einengende Auslegung des Begriffes ist jedenfalls nicht angezeigt. Vielmehr können im Einzelfall Gefahrenlagen – so etwa die an verschiedenen Orten in der Vergangenheit abgehaltenen „Chaostage“ – auch einen deutlich darüber hinausgehenden Bereich erfassen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. September 2021 – 5 A 2807/19 -, juris Rn. 71 f. m.w.N.

Dabei ist ein derartiges Verständnis des Begriffs „Ort“, selbst wenn es ein Gemeindegebiet umfasst, jedenfalls als verfassungsrechtlich unbedenklich anzusehen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. März 2008 – 1 BvR 1548/02 -, juris Rn. 34.

Allerdings führt der systematische Vergleich mit § 34 Abs. 2 PolG NRW zu einer einschränkenden Auslegung des Ortsbegriffs in Abs. 1. Örtlicher Bereich in diesem Sinne ist nach § 34 Abs. 2 Satz 2 PolG NRW ein Gemeindegebiet oder ein Gebietsteil innerhalb einer Gemeinde. Wenn das Tatbestandsmerkmal „Ort“ in § 34 Abs. 1 PolG NRW auch weitflächige Gebiete erfassen soll, hätte der Gesetzgeber auf diesen Begriff auch in Abs. 2 zurückgreifen können. Stattdessen hat er aber einen eigenständigen Begriff geschaffen und diesen mittels Legaldefinition als Gemeindegebiet oder Gebietsteil hiervon bestimmt. Mithin hätte der Gesetzgeber, wollte er beispielsweise bei Unglücksfällen oder sonstigen Notlagen Platzverweise nach § 34 Abs. 1 PolG NRW auch weiträumig – also etwa für das Gebiet einer Großstadt – ermöglichen, dies über den bisherigen Wortlaut des Abs. 1 hinaus regeln müssen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. September 2021 – 5 A 2807/19 -, juris Rn. 75, 80 m.w.N.

Der Begriff des Ortes in § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW ist deshalb dahingehend auszulegen, dass ein hierauf gestützter Platzverweis nicht das Gebiet einer gesamten Gemeinde umfassen kann.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. September 2021 – 5 A 2807/19 -,juris.

Ausgehend von diesen Maßstäben ist der von der Allgemeinverfügung umfasste räumliche Bereich bei summarischer Prüfung noch als Ort i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW anzusehen. Er erstreckt sich nicht auf das gesamte Gemeindegebiet von Erkelenz. Betroffen sind lediglich der ehemalige Erkelenzer Ortsteil Lützerath sowie einige umliegende Felder. Es sind nicht einmal mehrere Stadtteile betroffen. Denn die Allgemeinverfügung erstreckt sich schon nicht auf die nächstgelegenen zur Stadt Erkelenz gehörenden Ortschaften Holzweiler und Keyenberg.

Schließlich ist auch das durch § 16 OBG NRW i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt worden. Dies gilt zunächst für das Entschließungsermessen. Der Antragsgegner hat insbesondere darauf abgestellt, dass der Beigeladenen ihr Eigentum an Grund und Boden (Art. 14 Abs. 1 GG) faktisch durch die dauerhafte Besetzung entzogen wird und die Beigeladene einen Antrag auf Einschreiten beim Antragsgegner gestellt hat. Diese Erwägung ist nicht zu beanstanden. Denn wie bereits oben zum Schutz privater Rechte ausgeführt, würde die Verwirklichung der Rechte der Beigeladenen ohne ordnungsbehördliche Hilfe vereitelt werden, da andere geeignete Mittel nicht erkennbar sind. Auch hinsichtlich des Auswahlermessens bestehen keine Bedenken. Der Antragsgegner hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Feststellung der Identität der Besetzerinnen und Besetzer kein gleich geeignetes Mittel darstelle, um der Gefahrenlage zu begegnen. Auch dies ist nach den obigen Ausführungen zum Schutz privater Rechte ohne weiteres nachvollziehbar. Die Ermessenserwägungen zum Schutz privater Rechte stellen die Allgemeinverfügung selbstständig tragende Ermessenserwägungen dar. Denn der Antragsgegner hat ausgeführt, dass der Schutz privater Rechte bereits für sich genommen den Erlass der Allgemeinverfügung rechtfertige (S. 20 f. der Allgemeinverfügung)

Die Allgemeinverfügung ist auch verhältnismäßig gemäß § 15 OBG NRW. So bezieht sich ihr räumlicher Bereich allein auf solche Flächen, die für Räumung- bzw. Abrissarbeiten zur Gewährleistung des Tagebaubetriebs der Beigeladenen voraussichtlich erforderlich sind. Der zeitliche Anwendungsbereich orientiert sich an der voraussichtlichen Dauer der geplanten Räumung und erscheint vor dem Hintergrund vergleichbarer Räumungsaktionen in der Vergangenheit (z.B. im Hambacher Forst) realistisch. Soweit die Antragstellerin einen Verstoß gegen Art. 3 GG rügt, liegen ihre Ausführungen neben der Sache. Da die Allgemeinverfügung gerade dem Schutz privater Rechte der Beigeladenen dient und sie in die Lage versetzt werden soll, ihre Grundstücke wieder nutzen und durch eigenen Mitarbeiter betreten zu können, ist nicht nachvollziehbar, weshalb wesentlich gleiches durch die Allgemeinverfügung ungleich behandelt werden soll. Im Übrigen nehmen Mitarbeiter der Beigeladenen – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – auch keine hoheitlichen Aufgaben wahr. Soweit die Antragstellerin ferner behauptet, ein Ermessensfehler liege darin, dass sich auf den in Rede stehenden Grundstücken Personen mit gefestigtem Wohnsitz befänden und dies vom Antragsgegner nicht berücksichtigt worden sei, ist schon nicht ersichtlich, wie jemand ohne Einwilligung des Eigentümers bzw. Berechtigten des Grundstücks einen gefestigten Wohnsitz in rechtlich schützenswerter Weise begründen können soll. Der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG ist insofern nach den obigen Ausführungen ebenfalls nicht eröffnet.

Betrachtet man mit der oben zitierten Gegenauffassung nicht § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW, sondern § 14 Abs. 1 OBG NRW als einschlägige Ermächtigungsgrundlage, wären auch die dortigen Tatbestandsvoraussetzungen (Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung) nach den obigen Ausführungen erfüllt. Hinsichtlich der Ermessensausübung würden sich ebenfalls keine Unterschiede ergeben.

Da die Allgemeinverfügung somit voraussichtlich rechtmäßig ist, überwiegen insgesamt die für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen und ist der Eilantrag daher im Ergebnis nicht begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht der Billigkeit, da diese in der Sache vorgetragen und einen Sachantrag gestellt hat, wodurch sie sich selbst gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Nach Nr. 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai / 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (Streitwertkatalog 2013), abzurufen unter https://www.bverwg.de/user/data/media/streitwertkatalog.pdf, entspricht der Streitwert bei einer ordnungsrechtlichen Verfügung grundsätzlich dem wirtschaftlichen Interesse, sonst dem Auffangwert. Da vorliegend kein wirtschaftliches Interesse erkennbar ist, war der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG i.H.v. 5.000,- EUR heranzuziehen. Da die vorliegende Entscheidung eine Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorwegnimmt, war der Streitwert nicht zu reduzieren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013).

 

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