LG Berlin, Az.: 41 S 225/10, Urteil vom 31.03.2011
Auf die Berufung der Klägerin unter ihrer Zurückweisung im Übrigen wird das Urteil des Amtsgerichts Mitte vom 19.11.2010 – 104 C 3064/10 – teilweise geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 554,55 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.02.2010 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ein weiteres Drittel ihres materiellen Schadens, der ihr durch das Unfallereignis vom 01.12.2009 in Berlin-Steglitz, …., Ecke … Weg, noch entstehen wird, auszugleichen.
Die Kosten der ersten Instanz hat der Beklagte zu tragen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 14 % und der Beklagte 86 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a analog ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung hat weitgehend Erfolg. Die – hinsichtlich des Antrags zu 2. nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässige – weitere Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
– Antrag zu 1.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen weiteren Schadensersatzanspruch gemäß § 7 Abs. 1 StVG.
Dem Grunde nach haftet der nach § 8 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StVO wartepflichtige Beklagte voll. Bei der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG gebotenen Abwägung tritt die einfache Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs hinter der durch das Verschulden des Beklagten erhöhten Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs zurück.
Ohne eine eindeutige Geschwindigkeitsherabsetzung und einen Beginn des Abbiegens der Klägerin, was der Beklagte nach den zutreffenden Feststellungen des Amtsgerichts nicht bewiesen hat, hätte er schon nicht auf die Ankündigung der angezeigten Fahrtrichtung der Klägerin vertrauen dürfen (vgl. OLG Hamm Urteil vom 11.03.2003 – 9 U 169/02 – NZV 2003, 414, bereits vom Amtsgericht zitiert).
Die Klägerin trifft kein Mitverschuldensvorwurf, zu früh den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt zu haben. Dieses etwaige Verschulden darf bei der Abwägung nicht eingebracht werden. Es steht nicht fest, dass das Blinken der Klägerin sich auf die Schädigung ausgewirkt hat (vgl. BGH Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05 – NJW 2007, 506; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., StVG § 17 Rn. 5). Der Beklagte muss losgefahren sein, bevor die Klägerin geblinkt hat. Wenn die Klägerin nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten in der Klageerwiderung nur ca. 5 m vor dem Einmündungsbereich des … Wegs den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat und mit der auch von ihr behaupteten sowie vom Zeugen … mindestens geschätzten Geschwindigkeit von 45 km/h fuhr, legte sie 12,5 m/sec zurück, was der Beklagte hinsichtlich der Berechnung nicht angreift. Sie hätte mithin den sehr engen … Weg zumindest schon weitgehend passiert, ehe der Beklagte nach einer Reaktionssekunde überhaupt angefahren wäre. Dass nach der Aussage des Zeugen … zwischen dem Blinken des Klägerfahrzeugs und dem Losfahren des Beklagten Sekunden vergingen, steht dem nicht entgegen. Diese Zeitangabe ohne die Anzahl der Sekunden ist schon ungenau und bestätigt die gebotenen Vorbehalte gegenüber der Wahrnehmung und Erinnerung von Zeitabläufen durch Zeugen. Entscheidend ist, dass für die zeitliche Reihenfolge hier auf Grundlage des Vorbringens des Beklagten der Ort maßgebend ist, wo die Klägerin den Blinker gesetzt hat, nämlich bestätigt durch den Zeugen … erst unmittelbar vor der Einmündung, ca. eine Autolänge vor dem … Weg.
Der Höhe nach steht der Klägerin folgender Anspruch zu:
1.398,27 € Reparaturkosten
245,38 € Sachverständigenkosten
20,00 € übliche Kostenpauschale
1.663,65 €, abzüglich gezahlter 831,31 € und zugesprochener 277,27 €, restliche 554,55 €.
Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils nicht verlangen.
Was die Geschäftsgebühr von insgesamt 218,58 € betrifft, so ist der Erstattungsanspruch, wie vom Amtsgericht zu Recht angenommen, gemäß § 86 VVG auf den Rechtsschutzversicherer
übergegangen. Auch mit der Zahlung auf die nunmehr eingereichte Vorschussrechnung vom 08.02.2010 hat der Rechtsschutzversicherer den Schaden der Klägerin ersetzt. Die von ihr zitierten Entscheidungen des OLG Köln und des LG Berlin widerlegen diese Rechtsauffassung nicht. So hat das OLG Köln (Urteil vom 09.04.2003 – 2 U 52/01 – JurBüro 2003, 468) angenommen, dass die Geltendmachung des gemäß § 67 VVG a.F. auf den Rechtsschutzversicherer übergegangenen Anspruchs im Wege gewillkürter Prozessstandschaft unbedenklich ist, die hier nicht vorliegt. Das Landgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 09.12.2009 – 42 O 162/09 – (zitiert nach juris) nur eine Aktivlegitimation des Klägers bejaht, soweit der Rechtschutzversicherer nicht gezahlt hatte. Hier hat er sämtliche Kosten getragen. Schließlich lässt sich aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 08.04.2009 – 58 O 235/08 – nicht Näheres entnehmen, weil die Entscheidungsgründe zur Aktivlegitimation lediglich auf einen Schriftsatz des dortigen und hiesigen Klägervertreters Bezug nehmen, ohne dessen Inhalt wiederzugeben.
Hinsichtlich der Gebühren für die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung in Höhe von 155,30 € scheidet auch unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens ein Anspruch der Klägerin aus, weil die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe nicht erforderlich war (vgl. BGH Urteil vom 09.03.2011 – VIII ZR 132/10 – zitiert nach juris). Die Klägerin, die nach dem langen Zitat über zwei Seiten im Schriftsatz vom 31.05.2010 ihre Sicht der Dinge versiert darstellen kann, hätte in der Situation als Vorfahrtsberechtigte die umstandslos erteilte Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers für ihren Sachschaden selbst einholen können.
– Antrag zu 2.
Die Feststellungsklage ist aus den oben aufgeführten Gründen in Höhe des weiteren streitigen Drittels begründet.
Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, lagen nicht vor.