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Regelfahrverbot bei Rotlichtverstoß – Urteilsfeststellungen

OLG Karlsruhe, Az.: 2 Ss 151/93, Beschluss vom 28.01.1994

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 27. April 1993 im Rechtsfolgenausspruch samt den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Freiburg setzte durch Urteil vom 27.04.1993 gegen den Betroffenen, der als langjähriger LKW-Fahrer bisher noch nicht straßenverkehrsrechtlich aufgefallen ist, wegen fahrlässigen Nichtbeachtens eines Wechsellichtzeichens gem. §§ 37 Abs. 2 Nr. 1, 69a Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 250,– DM fest. Von der Verhängung eines – noch im Bußgeldbescheid angeordneten – Fahrverbotes sah es jedoch ab. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der auf die Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde.

II.

1. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 21.10.1992 in F mit einem LKW mit Anhänger die S in östlicher Richtung. Als er sich der in Höhe der von rechts einmündenden H angebrachten Bedarfssignalanlage (Wechsellichtzeichenanlage für Fußgänger) näherte, bemerkte er, daß eine Fußgängerin die Anlage per Knopfdruck betätigte. Entgegen seiner Erwartung zeigte die Signalanlage sofort „Gelb“. Obwohl es ihm angesichts seiner „verhältnismäßig geringen Geschwindigkeit“ ohne weiteres möglich gewesen wäre, sein Gespann rechtzeitig vor der Haltelinie zum Stehen zu bringen, beschleunigte er sein Fahrzeug in der irrigen Annahme, er könne die Anlage noch bei Gelb passieren. Wie er hätte voraussehen können, gelang ihm dies aber nicht; statt dessen überfuhr er die Haltelinie, als das Rotlicht bereits 1,38 Sek. lang dauerte. Eine konkrete Gefährdung von Fußgängern hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

2. Das Amtsgericht hat zwar mangels „außergewöhnlicher Tatumstände“ einen Regelfall i.S.d. § 1 Abs. 1 und 2 BKatVO angenommen und entsprechend Nr. 34.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatVO eine Geldbuße von 250,– DM festgesetzt. Das in § 2 Abs. 2 BKatVO i.V.m. Nr. 34.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatVO vorgesehene einmonatige Regelfahrverbot hat es indessen nicht ausgesprochen, weil es unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 27, 36, 40 ff. = NJW 1969, 1623 f.) die Voraussetzungen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG) verneinte. Das Amtsgericht ist der Auffassung, daß trotz der indiziellen Vorbewertung durch den Verordnungsgeber die Merkmale „fahrlässige Begehung“ und „gewöhnliche Tatumstände“ korrigierend und „ermächtigungsnormkonform“ dahin ausgelegt werden müßten, daß sich nach dem äußeren Erscheinungsbild des Verstoßes eine besonders verkehrsfeindliche Gesinnung des Betroffenen geradezu aufdränge. Der vorliegende Fall sei aber nur durch „einen mittleren Grad an Fahrlässigkeit“ gekennzeichnet, der die Verhängung der scharfen Sanktion eines Fahrverbotes nicht rechtfertige.

Mangels der Voraussetzungen von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG sei deshalb auch kein Raum für die Prüfung, ob die Regelgeldbuße angemessen erhöht werden könne.

III.

Regelfahrverbot bei Rotlichtverstoß - Urteilsfeststellungen
Symbolfoto: FORGEM/Bigstock

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte (BGHSt 37, 316 ff.) und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat vorläufigen Erfolg. Der Auffassung des Amtsgericht, das offensichtlich die tatsächlichen Anordnungsvoraussetzungen des Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG als Regelmaßnahme abweichend von denen bewerten will, die Grundlage für die Regelsanktion der Geldbuße sind, kann nicht gefolgt werden.

1. Das Amtsgericht geht zwar zunächst (UAS. 4 zweiter Absatz) zu Recht davon aus, daß der Verordnungsgeber, indem er von der Ermächtigungsnorm des § 26a StVG durch den Erlaß der Bußgeldkatalogverordnung Gebrauch gemacht hat, durch die Kennzeichnung bestimmter Pflichtverletzungen als besonders grob eine „indizielle Vorbewertung“ getroffen hat (vgl. dazu nur BGHSt 38, 125, 134 f.). Das Amtsgericht bezieht insoweit auch ausdrücklich das vorliegend festgestellte Geschehen in diese Regelwirkung mit ein.

Indem es anschließend aber generell eine Einzelfallprüfung vornehmen zu müssen glaubt, ob auch bei einem Regelfall die Voraussetzungen eines groben Pflichtverstoßes tatsächlich gegeben seien, entkräftet es die Indizwirkung des Vorliegens eines der im einzelnen aufgeführten Tatbestände der Bußgeldkatalogverordnung. Es verstellt sich somit den Blick dafür, daß der Verordnungsgeber – u.a. – einen Rotlichtverstoß bei über einer Sekunde Rotlichtdauer deshalb als besonders grob gekennzeichnet hat, weil ein solcher abstrakt oder konkret gefährlicher Verstoß häufig zu Unfällen führt oder subjektiv auf besonders groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurückgeht. Ein solcher Verstoß beweist im allgemeinen einen so hohen Grad an Verantwortungslosigkeit, daß es hier grundsätzlich eines eindringlichen Denkzettels bedarf (BGH a.a.O., S. 132 f.). Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis mit seinem Wirkungen auf den zu entscheidenden konkreten Einzelfall läßt das Amtsgericht ersichtlich außer Betracht.

2. Die Zweifel des Amtsgerichts, ob die Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatVO (i.V.m. Nr. 34.2 des Katalogs) von der Ermächtigungsnorm des § 26a StVG überhaupt gedeckt sei, weil das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG fraglich sei, sind unbegründet. Auch wenn, was angesichts seiner Selbstverständlichkeit keiner weiteren Ausführungen bedarf, nach Inkrafttreten der Bußgeldkatalogverordnung im Jahre 1990 die Vorschrift des § 25 StVG weiterhin alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Fahrverbotes bleibt (BGH a.a.O. S. 128 m.w.N.; vgl. auch Drees/Kuckuk/Werny StrVR 7. Aufl. § 25 StVG Rdnr. 7; Himmelreich/Hentschel Fahrverbot – Führerscheinentzug 7. Aufl. Rdnr. 340 (S. 180)), begegnet die Konkretisierung der Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG als Regelmaßnahme durch § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatVO ebenso wenig Bedenken wie das damit begründete Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der Bundesgerichtshof (a.a.O. S. 129 ff.) hat dies unter Berücksichtigung der mit Gesetzeskraft versehenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1969 (BVerfGE 27, 36, 40 ff. = NJW 1969, 1623 f.) im einzelnen dargelegt und seine überzeugende Auffassung wenig später (BGHSt 38, 231 ff., 235 ff.) auch für die Fälle der beharrlichen Pflichtverletzung nach § 2 Abs. 2 BKatVO wiederholt. Beide Entscheidungen, deren Ergebnis vom Schrifttum überwiegend zustimmend aufgenommen wurde (Mühlhaus/Janiszewski StVO 13. Aufl. § 25 StVG Rdnr. 9; 10a; Jagusch/Hentschel StrVR 32. Aufl. § 25 StVG Rdnr. 156 (S. 241 f.); Himmelreich/ Hentschel a.a.O. Rdnr. 340a; Janiszewski/Buddendiek Verwarnungs- und Bußgeldkatalog mit Punktsystem 5. Aufl. S. 32 – 34), hat das Amtsgericht nicht zur Kenntnis genommen, obwohl sie bei Erlaß des angefochtenen Urteils bereits veröffentlicht waren (BGHSt 38, 125 ff. = NJW 1992, 446 ff. = NStZ 1992, 135 f. = NZV 1992, 117 ff.; BGHSt 38, 231 ff. = NJW 1992, 1397 ff. = NStZ 1992, 339 (Ls.) = NZV 1992, 286 ff.). Zur Vermeidung von bloßen Wiederholungen kann der Senat auf die beiden genannten Entscheidungen und ihre Begründung insoweit Bezug nehmen.

3. Der vom Amtsgericht für notwendig gehaltenen Korrektur der durch den Verordnungsgeber vorgenommenen Vorbewertung bestimmter Pflichtverletzungen als besonders grob vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das Amtsgericht glaubt sich insoweit gezwungen, nur solche Verhaltensweisen bei § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatVO eingruppieren zu können, die ihrerseits vorsätzlich und in rücksichtsloser Weise begangen worden seien.

Dabei übersieht es zum einen, daß nicht jeder beliebige Rotlichtverstoß, sondern nur der – wie das Amtsgericht selbst sagt – „qualifizierte“ Verstoß bei über einer Sekunde Dauer des mißachteten Lichtzeichens unter diese Vorbewertung fällt, d.h. daß weniger gefährliche oder auf einem geringeren Grad der Vorwerfbarkeit beruhende Verstöße als Regelfälle grundsätzlich ausscheiden. Die Anknüpfung an die Dauer der Rotphase bei vorgeschalteter Gelbphase ist sowohl von den möglichen schwerwiegenden Folgen des Verhaltens als auch vom Ausmaß der Fahrlässigkeit oder Gleichgültigkeit des Betroffenen her gesehen ein sachgerechter und angemessener Maßstab, da nach dem genannten Zeitablauf der Querverkehr – und insbesondere auch Fußgänger – sich bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (vgl. amtliche Begründung in VkBl 1991, 704). Eine weitere Eingrenzung des vom Verordnungsgeber beschriebenen und entsprechend vorbewerteten Verhaltens in subjektiver Hinsicht würde der vorgegebenen Schutzrichtung zuwiderlaufen. Zum anderen läßt das Amtsgericht in seiner Auslegung außer acht, daß – wie die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht ausführt – die Vorbewertung bestimmter Verhaltensweisen von Verkehrsteilnehmern durch den Verordnungsgeber als grobe Pflichtverletzung Rechtssatzqualität aufweist, an die nicht nur die Verwaltungsbehörden, sondern auch die Gerichte gebunden sind (BGHSt 38, 125, 132 f.; 231, 235). Es werden weder vorsätzliches Verhalten noch eine gesteigerte

Pflichtwidrigkeit vorausgesetzt, die einen solchen Grad an Leichtfertigkeit erreicht, der über das dem Verhalten selbst zugrundeliegende Ausmaß hinausgeht. Liegen solche, über den Bereich der normalen Fahrlässigkeit hinausgehende subjektive Merkmale vor, kann dies vielmehr Anlaß zu einer angemessenen Erhöhung der jeweiligen Regelsanktion sein (vgl. nur Göhler OWiG 10. Aufl. § 17 Rdnr. 30; Janiszewski/Buddendiek a.a.O. S. 26; jew. m.w.N.). Wenn auch für die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots ebenso wie für die Festsetzung der Regelgeldbuße weder Vorsatz noch außergewöhnlich belastende Tatumstände notwendig sind, übersieht das Amtsgericht doch, daß die Bewertung eines Verhaltens als grobe Pflichtverletzung ihrerseits bereits erhöhte Gefährlichkeit oder ein bestimmtes Ausmaß an Vorwerfbarkeit voraussetzt. Wenn der Verordnungsgeber aus der Beschreibung bestimmter, im Einzelfall festzustellender Verhaltensweisen auf das Vorliegen dieser objektiven oder subjektiven Tatumstände schließt, ist eine weitere Einengung dieser Voraussetzungen nicht geboten. Eine solche generell einschränkende Auslegung der den Regelfall beschreibenden Merkmale würde gegen die aus der Regelfallkonstruktion folgende Bindungswirkung verstoßen.

4. Das Amtsgericht hat damit rechtsfehlerhaft den vorliegenden Sachverhalt, den es selbst ausdrücklich als einen „durch einen mittleren Grad an Fahrlässigkeit gekennzeichneten Fall“ (UAS. 5) beschreibt, nicht unter dem Gesichtspunkt einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatVO i.V.m. Nr. 34.2 des Bußgeldkatalogs geprüft. Wegen dieses Rechtsfehlers war der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils samt den dazugehörigen Feststellungen, die möglicherweise noch ergänzt werden können, aufzuheben (§ 79 VI OWiG).

Sollte das Amtsgericht nach der weiterhin notwendigen Einzelfallprüfung nunmehr zur Annahme eines Regelfalls i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatVO gelangen, wofür angesichts des bisher festgestellten durchschnittlichen Sachverhalts einiges spricht, ist es nicht an der – bisher ausdrücklich unterlassenen (UAS. 6) – Prüfung gehindert, ob die Umstände des konkreten Falles in objektiver und subjektiver Hinsicht zu einem ausnahmsweisen Absehen von der Anordnung des Fahrverbots führen können (vgl. dazu OLG Karlsruhe DAR 1992, 437 f.; OLG Celle NZV 1993, 40; OLG Düsseldorf NZV 1993, 409; 446; OLG Köln NZV 1994, 41; OLG Oldenburg NZV 1993, 38 = DAR 1993, 440 = VRS 85, 362) und ob die Regelgeldbuße von 250,– DM angemessen erhöht werden kann (§ 2 Abs. 4 BKatVO).

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