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Regressanspruch des Rentenversicherungsträgers nach Arbeitsunfall – Forderungsverjährung

LG Berlin – Az.: 28 O 457/15 – Urteil vom 17.06.2019

1. Die Klage gegen die Beklagten 1), 3) und 4) wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten zu 3/4, sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1), 3) und 4). Der Beklagte zu 2) trägt die Gerichtskosten zu 1/4 und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/4. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wegen der Kosten für die Beklagten zu 1), 3) und 4) allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagten zu 1, 3 und 4 aus abgetretenem Recht gem. § 110 SGB VII.

Die Klägerin ist Sozialversicherungsträger. Bei der Beklagten zu 1 handelt es sich um den Betrieb, in dem der streitgegenständliche Arbeitsunfall geschehen ist, bei den Beklagten zu 3 und 4 handelt es sich um die (ehemaligen) Geschäftsführer der Beklagten zu 1.

Am 17.09.2007 ereignete sich im Betrieb der Beklagten zu 1) ein Arbeitsunfall, bei dem ein als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten zu 1) eingesetzter Mitarbeiter … (im Folgenden Geschädigter) mit den Händen in den Pressbereich einer Exzenterpresse geriet und schwere Verletzungen erlitt, die dazu führten, dass seine rechte Hand oberhalb des Handgelenks und seine linke Hand in Höhe der Mittelhand amputiert werden musste.

Die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse, Gesetzliche Unfallversicherung, Körperschaft des öffentlichen Rechts (im folgenden nur BG ETEM) zahlte nach Feststellung eines Arbeitsunfalls seit dem 30.10.2007 EUR 31,47 Verletztengeld täglich an den Geschädigten (vgl. Anlage K 16a der beigezogenen Akte 4 O 17/11). Mit Bescheid vom 09.04.2008 zur Post aufgegeben am 10.04.2008 wurde dem Geschädigten von der BG ETEM Pflegegeld in Höhe von 50 % des Höchstsatzes bewilligt.

Nach Antrag des Geschädigten vom 05.01.2009 (vgl. Anlage MW 11) und ärztlicher Untersuchung des Geschädigten am 12.05.2009 wurde mit Rentengutachten vom 15.05.2009 (vgl. Anlage MW 4) die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente empfohlen, die von der Klägerin durch Bescheid vom 15.07.2009 (vgl. Anlage MW 6) rückwirkend ab dem 01.12.2008 bewilligt wurde. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01.03.2009 bis zum 31.12.2015 insgesamt Leistungen in Höhe von EUR 62.548,78 erbracht. Mit Schreiben vom 12.01.2009 forderte die Klägerin zudem die Akte des Geschädigten von der BG ETEM an (vgl. Anlage MW 13) und meldete mit Schreiben vom 08.02.2010 Ansprüche gegenüber der Allianz Versicherung, bei der die Beklagte zu 1) Versicherungsnehmer einer Haftpflichtversicherung war/ist, Schadensersatzansprüche an (vgl. Anlage MW 14).

Mit Schreiben vom 20.09.2011 (vgl. Anlage MW 9) und 05.10.2012 (vgl. Anlage MW 10) gab die Allianz Versicherung Verjährungseinredeverzichtserklärungen bis einschließlich 31.12.2015 ab, die ausdrücklich nur für Ansprüche galt, die nicht bereits verjährt waren.

Mit Urteil vom 05.03.2013 wurden die Beklagten vom Landgericht Berlin gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 141.281,91 EUR nebst Zinsen an die klagende BG ETEM verurteilt. Es wurde zudem festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, weitere Aufwendungen der BG ETEM zu ersetzen, die wegen des Unfalls vom 17.09.2007 entstanden oder entstehen werden. Das Landgericht begründete dies damit, dass die hiesigen Beklagten den Versicherungsfall unter Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften grob fahrlässig herbeigeführt habe. Auf das Urteil das Landgerichts Berlin zum Az. 4 O 7/11 (vgl. Anlage MW 1) wird Bezug genommen.

Mir Urteil vom 06.06.2014 wies das Kammergericht Berlin die Berufung der hiesigen Beklagten zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil zum Az. 7 U 56/13 (vgl. Anlage MW 2) Bezug genommen.

Aufgrund dieser Urteile zahlte die Allianz Versicherung insgesamt einen Betrag von EUR 256.000,00 an die BG ETEM, wovon ein Betrag in Höhe von EUR 40.200,00an die Klägerin weitergeleitet wurde.

Die Klägerin behauptet, das Schadensereignis sei von den Beklagten grob fahrlässig herbeigeführt worden. Im Rahmen des Schadensereignisses sei es zu einer Vielzahl von Sicherheitsverstößen seitens der Beklagten gekommen.

Die Klägerin meint, aufgrund der Schwere der eingetretenen Gesundheitsverletzungen und des Alters des Geschädigten bestehe ein Feststellungsinteresse hinsichtlich des Antrags zu 2.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten zu 1), 3) und 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR 22.348,78 nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagten zu 1), 3) und 4) als Gesamtschuldner zum Ersatz sämtlicher weiterer Aufwendungen der Klägerin im Zusammenhang mit dem Schadensereignis vom 17.09.2007 zu Lasten des Versicherten der Klägerin Herrn … …, geb. am …, im Rahmen des § 110 SGB VII verpflichtet sind.

Die Beklagten zu 1), 3) und 4) beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Streithelfer zu 1) und 2) beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten zu 1), 3) und 4) meinen, die Ansprüche der Klägerin seien verjährt, da hinsichtlich des Beginns der Verjährung auf den Unfallversicherer, hier die BG ETEM, abzustellen sei und die etwaigen Ansprüche bereits vor der Verjährungsverzichtserklärung der Allianz verjährt gewesen seien. Die Allianz sei zudem nicht berechtigt gewesen eine solche Erklärung für die Beklagten zu 1), 3) und 4) abzugeben. Zuletzt sei die Klage den Beklagten zu 1), 3) und 4) nicht rechtzeitig im Jahr 2015 zugestellt, da die Klägerin wider besseren Wissens falsche Klageadressen angegeben habe.

Die Klage ist samt Scheck für die Gerichtskosten am 29.12.2015 beim Landgericht Berlin eingegangen. Ausweislich Bl. 21 und Bl. 4 und 5 der Akte haben die Kläger als Adresse der Beklagten zu 1) und 4) die …straße 51, … Berlin angegeben. Für den Beklagten zu 3) wurde ausweislich Bl. 4, 23 d.A. als Adresse die …straße 15, … Bad … angegeben.

Am 22.01.2016 wurde gerichtsseits die Zustellung der Klage an die Beklagten verfügt. Die Zustellung ist hinsichtlich der Beklagten zu 1), 3) und 4) (Bl. 25-27 d.A.) gescheitert, da die Adressen allesamt veraltet waren. Mit Schreiben vom 29.01.2016 bei der Klägerin eingegangen am 05.02.2016 (vgl. Anlage MW 15) bzw. 02.02.2016 bei der Klägerin eingegangen am 08.02.2016 (vgl. Anlage MW 16) wurde die Klägerin aufgefordert aktuelle Anschriften der Beklagten zu 1) und 4) bzw. des Beklagten zu 3) vorzulegen. Nachdem hinsichtlich des Beklagten zu 3) diese Aufforderung seitens der Klägerin mit Schreiben vom 02.03.2016 befolgt wurde und die Klage diesem zugestellt wurde erklärten die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1), 3) und 4) mit Schreiben vom 22.03.2014 für ihre Mandanten Verteidigungsanzeige und beantragten Klageabweisung. Daraufhin wurden die Klageschriften über die Prozessbevollmächtigten der Beklagten an die Beklagten zu 1) und 4) zugestellt.

Gegen den Beklagten zu 2) Herrn … … erging auf die mündliche Verhandlung vom 08.04.2019 (Bl. 33 d.A.) am selben Tag Versäumnisurteil (Bl. 39 d.A.).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten 4 O 17/11 des Landgerichts Berlin und die Akte Az. 7 U 56/13 des Kammergerichts Berlin wurden beigezogen und dieser Entscheidung zugrundegelegt.

Entscheidungsgründe

A.

Regressanspruch des Rentenversicherungsträgers nach Arbeitsunfall - Forderungsverjährung
(Symbolfoto: Von Dogu_Photographer/Shutterstock.com)

Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Berlin ist zuständig. Insbesondere ist der Rechtsweg eröffnet, da Rückgriffsansprüche der Sozialversicherungsträger nach §§ 110 ff. SGB VII, wie früher nach § 640 Reichsversicherungsordnung (RVO), der Zuständigkeit der Zivilgerichte, nicht der Sozialgerichte, unterliegen (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.1967, VI ZR 79/66). Zulässig ist auch der Feststellungsantrag gem. § 256 ZPO, da sich die zukünftig entstehenden Aufwendungen der Klägerin für den Geschädigten noch nicht ausreichend berechnen lassen.

B.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch, weder auf Zahlung noch auf Feststellung, aus § 110 SGB VII gegen die Beklagten zu 1), 3) und 4) zu. Dabei kann dahinstehen, ob die Ansprüche der Klägerin ursprünglich bestanden, jegliche hier geltend gemachten Ansprüche steht zumindest die Einrede der Verjährung entgegen.

I. Ansprüche aus §§ 110, 111 SGB VII beschränkt durch die §§ 104 bis 107 SGB VII verjähren gem. § 113 SGB VII nach den Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 und 2, 203 BGB mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt wird. Demnach hat, nach neuester Rechtsprechung des BGH, stets eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist unabhängig von der Kenntnis oder grobfahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB ab der bindenden Feststellung der Leistungspflicht zu erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 25.07.2017 – VI ZR 433/16; BGH Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 37/15).

Als Feststellung in diesem Sinne ist jeder Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers anzusehen, der entsprechende Feststellungen enthält. Auch ein vorläufiger Bescheid ist dafür ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2015 – VI ZR 37/15). Ausreichend ist, dass die Leistungspflicht nur dem Grunde nach festgestellt wird (BGH aaO). Die Verjährung beginnt bereits dann zu laufen, wenn der Träger der Unfallversicherung von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann (BeckOK SozR/Stelljes, 51. Ed. 01.03.2018, SGB VII § 113 Rn. 5). Dieser frühe Zeitpunkt des Verjährungsbeginns rechtfertigt sich dadurch, dass er die sachliche Entsprechung zu der nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bestimmten Voraussetzung des Kennenmüssens ohne grobe Fahrlässigkeit darstellt und sich daher an diesem Maßstab zu orientieren hat. Weitergehend wird auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln für ausreichend erachtet, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde, ein förmlicher Bescheid ist nicht Voraussetzung für den Beginn der Verjährung (BeckOK SozR/Stelljes, 51. Ed. 01.03.2018, SGB VII § 113 Rn. 5).

II. Die dargestellten Verjährungsregeln gelten dabei für sämtliche Sozialversicherungsträger und damit auch für die Klägerin als Rentenversicherungsträgerin. Die in der Literatur vertretene und von der Rechtsprechung bislang offengelassene Möglichkeit des Beginns der Verjährungsfrist für andere Sozialversicherungsträger erst mit Beginn ihrer Leistungspflicht ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar. Genausowenig liegen die Voraussetzungen einer abweichenden Auslegung vor.

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1. Der insofern eindeutige Wortlaut des hier einschlägigen § 110 SGB VII regelt die Haftung von Personen, die einen Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben gegenüber sämtlichen Sozialversicherungsträgern, also auch der Klägerin. Der Standort dieser Norm im SGB VII, der die gesetzliche Unfallversicherung regelt, erklärt sich daraus, dass aus § 110 SGB VII nur bei Vorliegen eines Arbeitsunfalls ein Anspruch eines Sozialversicherungsträgers vorliegen kann. Ob ein solcher vorliegt ist dabei Sache der gesetzlichen Unfallversicherer und wird in vom diesem betriebenen Verfahren entschieden. In § 113 SGB VII wird als Verjährungsbeginn für Ansprüche aus § 110 SGB VII der Tag an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherer bindend wird bestimmt. Der insoweit eindeutige Wortlaut unterscheidet daher hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger.

Diesem eindeutigen Wortlaut kommt besondere Wirkung zu, da die hier vorliegende Problematik bereits bei der Vorgängernormen §§ 640, 642 RVO vorlag und bekannt war. So wurde die Problematik, dass für die Rentenversicherungsträger die Verjährung eintreten könnte, bevor ihre Leistungspflicht überhaupt entstanden und festgestellt werden kann, bereits in den BGH-Entscheidungen BGH, Urteil vom 21. 12. 1971 – VI ZR 137/70 und BGH, Urteil vom 21. 9. 1971 – VI ZR 206/70 erörtert und auf die bereits damals bestehende vom Wortlaut abweichende Literaturmeinungen hingewiesen, ohne dass es in den zitierten Entscheidungen einer Entscheidung dieser Frage bedurfte.

Die damals gültigen Regelungen des § 640 RVO

„(1) Haben Personen, deren Ersatzpflicht durch § 636 oder § 637 beschränkt ist, den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, so haften sie für alles, was die Träger der Sozialversicherung nach Gesetz oder Satzung infolge des Arbeitsunfalls aufwenden müssen. Statt der Rente kann der Kapitalwert gefordert werden.

(2) Die Träger der Sozialversicherung können nach billigem Ermessen insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers auf den Ersatzanspruch verzichten.“,

sowie des § 642 Abs. 1 RVO

„(1) Die Ansprüche verjähren in einem Jahr nach dem Tag, an dem die Leistungspflicht für den Träger der Unfallversicherung bindend festgestellt oder das Urteil rechtskräftig geworden ist, spätestens aber in fünf Jahren nach dem Arbeitsunfall.“

wurden vom Gesetzgeber trotz dieser bekannten Problematik bei der Übertragung in das SGB VII nicht klarstellend abgeändert. Vielmehr wurde die Abstellung auf den Unfallversicherer hinsichtlich des Verjährungsbeginns in § 113 SGB VII

„Für die Verjährung der Ansprüche nach den §§ 110 und 111 gelten die §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 und § 203 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend mit der Maßgabe, daß die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist. (…).“,

sowie das Gelten einer Anspruchsgrundlage für Ansprüche aus Arbeitsunfällen für alle Sozialversicherungsträger im § 110 Abs. 1 SGB VII

„Haben Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 beschränkt ist, den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, haften sie den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs. Statt der Rente kann der Kapitalwert gefordert werden. Das Verschulden braucht sich nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen zu beziehen.“

ausdrücklich beibehalten. Eine von Teilen der Literatur (siehe unter 2) präferierte Ausnahme zumindest für die Rentenversicherungen wurde nicht aufgenommen. Lediglich die vormals kurze Verjährungsfrist von 1 Jahr wurde auf die gesetzlichen Regelungen des §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 und § 203 des BGB angepasst, sowie die Maximaldauer der Verjährungsfrist von 5 Jahren gestrichen.

Aufgrund der Anpassung der gesetzlichen Regelung unter Beibehaltung der Regelungen zum Beginn der Verjährungsfrist kann daher nicht von einer Regelungslücke oder einem Versehen des Gesetzgebers ausgegangen werden. Der Gesetzgeber ging vielmehr augenscheinlich davon aus, dass eine Frist von 3 Jahren ab bindender Feststellung der Leistungspflicht, mithin also der Feststellung eines Arbeitsunfalls, ausreichend ist, dass sämtliche Sozialversicherungsträger das Bestehen eigener Ansprüche prüfen können. Insofern wird den Sozialversicherungsträgern eine Pflicht zur gegenseitigen Kommunikation auferlegt.

2. Eine vom Wortlaut des § 113 SGB VII abweichende teleologische Auslegung ist, in Verbindung mit den vorigen Ausführungen, nicht angezeigt. Der im Schrifttum vertretenen Ansicht, des Vorliegens einer Ausnahme vom Wortlaut des § 113 SGB VII in den Fällen, in denen für andere Sozialversicherungsträger als der Unfallversicherung im Zeitpunkt der für den Unfallversicherer bindenden Feststellung noch keine Leistungen zu erbringen sind. (vgl. Krasney in Krasney, SGB VII Kommentar, 13. Auflage 33. Lieferung, Stand Februar 2019, § 113 Rn. 6, 11 mwN, NK-ArbR/Angelika Lehmacher, 1. Aufl. 2016, SGB VII § 113 Rn. 11) wird seitens des Gerichts genauso wenig gefolgt, wie der daraus vertretenen Schlussfolgerung, dass die Feststellung für den Unfallversicherer für die übrigen Sozialversicherungsträger so gut wie bedeutungslos sei, weil sie fristbeginnend nur sein könne, wenn zu ihrem Zeitpunkt die Ansprüche der anderen Träger aufgrund ihrer Aufwendungen, in der Regel zuerst Gutachtenkosten, bereits entstanden sind und vielmehr sinngemäß auf die Feststellung der eigenen Leistungspflicht der anderen Träger, z.B. durch den Rentenbescheid abzustellen wäre (KassKomm/Ricke, 102. EL Dezember 2018, SGB VII § 113 Rn. 13).

Bei einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen des Schuldners an einer zügigen Feststellung sowie des Rentenversicherers hinsichtlich der Möglichkeit der Feststellung seiner Ansprüche überwiegt, zumindest hinsichtlich der Verjährungsregelungen des § 113 SGB VII, das Interesse des Schuldners auf Rechtssicherheit. Durch die Verlängerung der Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre haben die Rentenversicherer ausreichend Zeit um das Bestehen eines Anspruches zumindest dem Grunde nach festzustellen und etwaige Ansprüche, ggf. im Wege einer Feststellungsklage, geltend zu machen. Auch im vorliegenden Fall zahlte die Klägerin aufgrund Rentenbescheides vom 15. Juli 2009 an den Geschädigten rückwirkend zum 01.12.2008 und damit innerhalb der Verjährungsfrist eine Rente aus. Ebenso machten die Klägerin bereits mit Schreiben vom 08.02.2010 (vgl. Anlage MW 14) Ansprüche gegenüber der Allianz aus dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall geltend.

Ein Abstellen auf einen etwaigen Rentenbescheid ist auch deshalb untunlich, da die im § 642 RVO bestehende Regelung, dass die Ansprüche spätestens in 5 Jahren nach dem Arbeitsunfall verjähren ersatzlos gestrichen wurde. Der Schuldner wäre daher hinsichtlich der Verjährung etwaig gegen ihn bestehender Ansprüche von den Feststellungen des Rentenversicherers abhängig, über deren zeitlichen Rahmen er weder Einfluss noch Einsicht hat. Eine solche Rechtsunsicherheit ist mit der Intention des § 113 SGB VII nicht vereinbar.

III. Nach den oben genannten Feststellungen sind die Ansprüche der Klägerin am 30.10.2010 spätestens jedoch am 13.05.2011 und damit vor der Abgabe der Verjährungsverzichtserklärungen der Allianz Versicherung am 20.09.2011 verjährt.

1. Die Verjährungsfrist begann vorliegend am 31.10.2007, da unstreitig die BG ETEM ab dem 30.10.2007 Tag Verletztengeld an den Geschädigten zahlte. Dieses schlichte Verwaltungshandeln wurde von der BG ETEM im Bewusstsein vorgenommen aufgrund eines Arbeitsunfalls des Geschädigten zu leisten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der BG ETEM daher bewusst, dass ein Arbeitsunfall vorlag, sodass eine den Unfallversicherungsträger bindende Feststellung einer Leistungspflicht anzunehmen ist.

Wenn man, anders als das erkennende Gericht, für eine bindende Feststellung der Leistungspflicht einen förmlichen Bescheid voraussetzt, so wäre dieser im Bescheid über Pflegegeld der BG ETEM vom 09.04.2008 (vgl. Anlage B11) zu sehen. Dieser Bescheid wurde am 10. April 2008 zur Post aufgegeben und gilt gem. § 4 Abs. 2 VwZG am 13.04.2008 als zugestellt und damit als bekanntgegeben. Nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist aufgrund wirksamer Widerspruchsbelehrung war der Bescheid am 13.05.2008 bestandskräftig. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begann die Verjährungsfrist.

2. Der Ablauf der Verjährung war auch nicht gem. § 203 BGB durch Verhandlungen der Parteien gehemmt.

Die Verweisung des § 113 SGB VII erstreckt sich ausdrücklich auch auf § 203 BGB, welcher die Hemmung der Verjährung bei schwebenden Verhandlungen regelt.

Ausreichend für eine Hemmung durch Verhandlungen ist, dass der Gläubiger dafür klarstellt, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will; anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt; Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder dass Erfolgsaussicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 14. 7. 2009 – XI ZR 18/08). Das Schweben von Verhandlungen hat wie die Hemmung überhaupt zur Folge, dass der Zeitraum der Hemmung in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird (§ 209 BGB). (BeckOK SozR/Stelljes, 51. Ed. 1.3.2018, SGB VII § 113 Rn. 7).

Der Begriff der Verhandlungen ist dabei weit auszulegen. Der ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch und seine tatsächlichen Grundlagen genügt dem Begriff der Verhandlung. Ob der Meinungsaustausch schriftlich oder mündlich, konkludent oder ausdrücklich erfolgt, ist nicht entscheidend. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob die Parteien ihren Austausch über den Anspruch Verhandlung nennen oder welche Bezeichnung sie ansonsten dafür wählen (BeckOGK/Meller-Hannich, 01.12.2018, BGB § 203 Rn. 17).

Selbst bei dieser weiten Auslegung kann im vorliegende Sachverhalt keine Verhandlung der Klägerin mit der Allianz hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche gesehen werden. Mit Schreiben vom 08.02.2010 (vgl. Anlage MW 14) hat die Klägerin zwar Ansprüche gegenüber der Allianz angemeldet, eine Reaktion seitens der Allianz erfolgte jedoch bis zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung für noch nicht verjährte Ansprüche, nach nochmaliger Aufforderung der Klägerin, am 20.09.2011 nicht. Es fand daher kein irgendgearteter Meinungsaustausch statt, sodass keine Hemmung gem. § 203 BGB durch Verhandlung gegeben ist. Auch die Klägerin musste davon ausgehen, dass eine Verhandlungsbereitschaft der Allianz nicht vorliegt und daher die weiteren notwendigen Maßnahmen zur Sicherung ihres Anspruches treffen.

IV. Aufgrund der vorliegenden Verjährung gem. § 113 SGB VII kann dahinstehen, ob die Allianz wirksam für die Beklagten Verjährungsverzichtserklärungen abgeben konnte und ob die Klage den Beklagten demnächst gem § 167 ZPO zugestellt wurde. Hinsichtlich der Zustellung der Klage an die Beklagten zu 1), 3) und 4) bestehen jedoch weiterhin Bedenken. Unstreitig hat die Klägerin in der ursprünglichen Klage für die Beklagten zu 1), 3) und 4) Adressen angegeben, unter denen eine Zustellung nicht möglich war. Zustellfähige Adressen der Beklagten zu 1) und 4) waren der Klägerin zu diesem Zeitpunkt unstreitig bekannt, da diese im in der Klageschrift zitierten Urteil des Kammergerichts Berlin (Az. 7 U 56/13) aufgeführt sind. Die (neue) Anschrift des Beklagten zu 3) musste der Klägerin nicht bekannt sein.

Der von der Klägerin nach gerichtlichem Hinweis eingereichte Schriftsatz vom 10.02.2016 (vgl. Anlage MW 17), in dem die aktuelle Anschrift der Beklagten zu 1) und 4) angegeben wurde, ist ausweislich der Akte nie bei Gericht eingegangen. Die Klägerin hat lediglich das Abschicken dieses Schriftsatzes an das Landgericht Berlin per Fax in das Zeugnis der damaligen Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Klägerin Maria Hahnefeld gestellt. Ein Nachweis des Eingangs des Schriftsatzes beim Landgericht Berlin, zum Beispiel durch einen Fax-Sendebericht wurde nicht vorgelegt. Die Zustellung an die Beklagten zu 1) und 4) durch Zustellung an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1), 3) und 4) am 01.04.2016 dürfte angesichts der dargelegten Umstände nicht mehr eine demnächstige Zustellung gem. § 167 ZPO darstellen, sodass keine Zustellungswirkung bereits mit Eingang der Klageschrift vorliegen dürfte.

Ob die auf gerichtliche Aufforderung mit Schreiben vom 02.02.2016 bei der Klägerin eingegangen am 08.02.2016 (vgl. Anlage MW 16) Mitteilung der neuen Adresse des Beklagten zu 3) eingegangen bei Gericht am 02.03.2019 rechtzeitig gem. § 167 ZPO war, ist fraglich. Dabei dürfte es darauf ankommen, ob es der Klägerin möglich war, die neue Adresse des Beklagten zu 3) zeitnaher, insbesondere in dem von der Rechtsprechung als Richtwert angesehenen Zeitraum von zwei Wochen (vgl. Zöller/Greger 31. Auflage § 167 ZPO, Rn. 11) zu erlangen.

C. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 2, 709 ZPO.

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