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Unfall – durch Reh auf der Strasse – Beweispflichten

OLG Naumburg

Az: 9 U 187/02

Urteil vom: 17.12.2002

rechtskräftig


In dem Berufungsrechtsstreit hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 17.12.2002 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 06.09.2002 verkündete Urteil des Landgerichts Halle – Az. 14 O 63/02 – abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR – betreffend den Zeitraum bis zum 17.12.2002 – nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2002 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 66,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2002 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materielle und immaterielle Schäden, soweit sie nach dem 17.12.2002 entstehen, aus dem Unfall vom 05.08.2001 auf der Ortsverbindungsstraße Sch. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Wert der Beschwer für beide Parteien: unter 20.000,00 EUR

Gründe:

A.
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

B.
I. Die Berufung ist zulässig.

Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist überwiegend begründet.

1. Zahlungsanträge
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 EUR, betreffend den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung, gemäß § 847 Abs. 1 BGB a.F. sowie auf Ersatz des ihm infolge des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles vom 05.08.2001 entstandenen materiellen Schadens in Höhe von 66,00 EUR gemäß § 823 Abs. 1 BGB, bezüglich der Beklagten zu 2. jeweils i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG. Außerdem stehen ihm Zinsen seit Rechtshängigkeit auf die o.g. Beträge zu.

a) Schadensgrund
Entgegen der Auffassung des Landgerichts (Bl. 64 f.) ist vorliegend nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1. infolge unvorsichtiger Fahrweise den streitgegenständlichen Verkehrsunfall verschuldet hat.

Zwar setzt die Anwendung des Anscheinsbeweises auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; der Anscheinsbeweis ist daher nur auf Tatbestände anzuwenden, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (BGH NZV 1996, 277). Insoweit entspricht es jedoch grundsätzlich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass einem Kraftfahrer, der mit dem von ihm geführten Fahrzeug von der Fahrbahn abkommt, ein bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vermeidbarer Fahrfehler zur Last fällt (st. Rspr. BGH: a.a.O.; NZV 1998, 155; NZV 2000, 207).

Allerdings reicht das Kerngeschehen des Abkommens von der Fahrbahn als Grundlage für die Annahme eines Anscheinsbeweises dann nicht aus, wenn weitere Umstände bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die sonst gegebene Typizität sprechen (vgl. die oben zitierte BGH-Rechtsprechung). Sofern hingegen außer dem Abkommen von der Fahrbahn weiter nichts feststeht und auch nicht – im Wege einer Beweisaufnahme – festgestellt werden kann, bleibt es bei dem Anscheinsbeweis für einen vermeidbaren Fahrfehler (vgl. auch OLG Karlsruhe, VRS 86, 85).

Vorliegend kann lediglich – aufgrund der am Unfallort festgestellten Bremsspuren (vgl. die polizeiliche Unfallskizze Bl. 40) – zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass das Abkommen von der Fahrbahn im Zusammenhang mit einer starken Bremsung bzw. Vollbremsung des Beklagten zu 1. stand. Dieser Umstand allein führt jedoch nicht dazu, einen typischen Geschehensablauf zu verneinen. Denn das durchgeführte Bremsmanöver ist als Folge einer Unaufmerksamkeit des Beklagten zu 1. beim Durchfahren der langgezogenen Kurve ohne Weiteres denkbar.

Hingegen steht nicht fest und kann aufgrund einer durchzuführenden Beweisaufnahme auch nicht festgestellt werden, dass in kurzer Entfernung vor dem Beklagtenfahrzeug ein Reh auf die Fahrbahn gesprungen ist und deshalb aus Sicht des Beklagten zu 1. die Durchführung des Bremsmanövers erforderlich war. Im Einzelnen:
– Der Umstand, dass der Beklagte zu 1. im polizeilichen Ermittlungsverfahren das Erscheinen des Rehes auf der Fahrbahn als Grund für sein Bremsmanöver angegeben hat (vgl. Beschuldigtenvernehmung Bl. 42 R), besagt insoweit nichts. Der Beklagte zu 1. war nicht verpflichtet, in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren wahre Angaben zum Unfallhergang zu machen. Insbesondere hatte er ein Interesse an der Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens.

– Der seitens der Beklagten beantragten Parteivernehmung des Beklagten zu 1. hat der Kläger widersprochen (§ 447 BGB). Des Weiteren bestand auch keine Veranlassung, den Beklagten zu 1. zum Unfallhergang von Amts wegen gemäß § 448 ZPO als Partei zu vernehmen, da keine „gewisse“ (hinreichende) Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Unfallschilderung der Beklagten spricht (vgl. BGH NJW 1989, 3222, 3223; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 448 Rn. 4).

– Durch die Einholung eines unfallanaytischen Sachverständigengutachtens, wie von beiden Parteien beantragt, könnte ebenfalls das plötzliche Erscheinen eines Rehes auf der Fahrbahn nicht bewiesen werden. Ein Sachverständiger könnte im Rahmen eines solchen Gutachtens lediglich (möglicherweise) Feststellungen zu der seitens des Beklagten zu 1. gefahrenen Geschwindigkeit sowie – anhand der aus der Unfallskizze zu ersehenden Bremsspuren – zum Ablauf des durchgeführten Bremsmanövers treffen, jedoch nicht zur Ursache dieser (Voll-)-Bremsung des Beklagten zu 1.. Es bestand daher für den Senat keine Veranlassung, ein derartiges Gutachten in Auftrag zu geben.

Den im Ergebnis der obigen Ausführungen gegen die Beklagten sprechenden Anscheins-beweis hätten diese zu entkräften (vgl. BGH NZV 1998, 155, 156), was ihnen aus den oben dargestellten Gründen nicht gelungen ist bzw. nicht gelingen kann. Die Beklagten haften daher dem Kläger für den diesem infolge des Verkehrsunfalles entstandenen Schaden.

b) Schadenshöhe
– Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 EUR. Ein Schmerzensgeld in dieser Höhe erachtet der Senat aufgrund der unstreitigen Verletzungen, die der Kläger infolge des Verkehrsunfalles erlitten hat (Schädel-Hirn-Trauma, Oberarmfraktur mit notwendiger Operation sowie Nasenbeinfraktur), und der ebenfalls unstreitigen Dauer seiner Krankschreibung (nahezu fünf Monate) als angemessen (vgl. auch Hacks-Ring-Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 20. Aufl., lfd. Nr. 1270, Entscheidung aus dem Jahre 1990).

– Weiterhin kann der Kläger Schadensersatz für seine bei dem Verkehrsunfall unbrauchbar gewordene Kleidung (Socken, Hemd, Schuhe, T-Shirt, Pullunder) in Höhe von 66,00 EUR verlangen. Er hat durch Vorlage von Kaufbelegen (Bl. 7) nachgewiesen, dass er diese Kleidungsstücke im Zeitraum Mai bis Juli 2001 zu Preisen von insgesamt 193,65 DM (= 99,01 EUR) erworben hat. Da es sich um getragene Kleidungsstücke handelt, ist jeweils ein pauschaler Abschlag von 1/3 vorzunehmen, wobei vorliegend eine Differenzierung nach den unterschiedlichen Zeitpunkten des Erwerbs – sämtliche Kleidungsstücke wurden innerhalb eines Zeitraums von ca. 3 Monaten vor dem Unfall angeschafft – nicht angezeigt ist (§ 287 ZPO).

– Hingegen kann der Kläger Schadensersatz für zwei weitere nach seinem Vortrag bei dem Unfall beschädigte Gegenstände, einen Orchesteranzug und eine Uhr, in Höhe von insgesamt 177,50 EUR nicht mit Erfolg geltend machen, da er den Wert dieser Gegenstände – insbesondere die Zeitpunkte der Anschaffung und die Anschaffungspreise – nicht hinreichend dargelegt hat. Insoweit war eine Beweiserhebung zum Wert der Gegenstände, wie vom Kläger in seiner Klageschrift vom 19.03.2002 (Bl. 4) bzw. im Schriftsatz vom 03.07.2002 (Bl. 28) beantragt (Vernehmung der Zeugin L. F. bzw. Einholung eines Sachverständigengutachtens), nicht durchzuführen, da dies auf eine unzulässige Ausforschung des Sachverhalts hinauslaufen würde. Anstelle der Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre vorliegend ohnehin eine Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO in Betracht gekommen, wobei jedoch auch insoweit der Kläger keine ausreichenden Schätzungsgrundlagen mitgeteilt hat.

c) Zinsen
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1 S.2, 288 Abs. 1 S.2 BGB.

2. Feststellungsantrag
Der Feststellungsantrag ist aus den seitens des Landgerichts zutreffend angenommenen Gründen (Bl. 63 f. I) zulässig.

Seine Begründetheit ergibt sich aus den obigen Ausführungen unter 1. betreffend die Zahlungsanträge des Klägers.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO.

III. Das Rechtsmittel der Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Revisionsgericht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).


 

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