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Reichweite der Hinweispflichten gem. § 139 ZPO – Verletzung des rechtlichen Gehörs

Gericht weist Klage aufgrund prozessualer Mängel ab – Berufung erfolgreich.

Eine Klägerin hatte den Beklagten aus einem Leasingvertrag verklagt, konnte ihre Positionen jedoch in erster Instanz lediglich auf Anlagen stützen. Das Landgericht Heilbronn wies die Klage ab, da sie nicht schlüssig begründet sei und die Bezugnahme auf Anlagen nicht ausreichend sei. Die Klägerin beantragte daraufhin ein Schriftsatzrecht, was ihr jedoch verweigert wurde. Das Landgericht verkündete das Urteil und entschied über nicht gestellte Sachanträge.

Die Klägerin legte Berufung ein und argumentierte, dass das erstinstanzliche Urteil erhebliche prozessuale Mängel aufweise. Das Berufungsgericht gab der Berufung statt und ordnete die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Heilbronn an. Das Gericht befand, dass das Landgericht seine Hinweispflichten nicht ausreichend erfüllt habe und das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt habe. Zudem wurde ein Urteil verkündet, in dem über nicht gestellte Sachanträge entschieden wurde.

Da der Sachverhalt zwischen den Parteien streitig ist und eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig ist, sei eine Zurückverweisung des Rechtsstreits sachdienlich. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts käme einem Verlust einer Tatsacheninstanz gleich und das Interesse an einer schnelleren Entscheidung wiege nicht schwerer als das Interesse an einer umfassenden Beweisaufnahme.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar und es besteht kein Anlass zur Zulassung der Revision.


OLG Stuttgart – Az.: 6 U 18/23 – Urteil vom 28.03.2023

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 16.01.2023 a u f g e h o b e n .

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht z u r ü c k v e r w i e s e n .

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: Bis 7.000 €

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem Leasingvertrag in Anspruch, für die streitigen Positionen ihrer Klage hat die Klägerin in erster Instanz lediglich auf Anlagen Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.1.2023 hat der Einzelrichter des Landgerichts Heilbronn darauf hingewiesen, dass die Klage nicht schlüssig begründet sei, die umfassende Bezugnahme auf Anlagen sei im vorliegenden Fall nicht ausreichend. Die Klägerin hat dazu ein Schriftsatzrecht beantragt, Sachanträge haben die Parteien ausweislich des Protokolls nicht gestellt. Noch in der mündlichen Verhandlung hat der Einzelrichter die Klage abgewiesen; Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags brauche der Klägerin nicht gegeben zu werden.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie meint, das erstinstanzliche Urteil leide an einem erheblichen prozessualen Mangel. Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Anliegen unverändert weiter und beantragt in der Berufungsinstanz neben dem Sachantrag, den Rechtsstreit an Landgericht Heilbronn zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt neben der Zurückweisung der Berufung ebenfalls Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Heilbronn.

Wegen der Einzelheiten und wegen des weiteren Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Beide Parteien haben die Zustimmung nach § 128 Abs.2 ZPO erteilt. Das Gericht hat mit Beschluss vom 24.2.2023 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beschlossen und hat den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, auf den 15.3.2023 bestimmt.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Sie führt auf die Anträge beider Parteien zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Heilbronn, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

1.

Das Verfahren beim Landgericht leidet an einem wesentlichen Mangel.

a)

Das Landgericht hat zum einen die Reichweite seiner Hinweispflichten gem. § 139 Abs. 2, 4 ZPO verkannt und das rechtliche Gehör der Klägerin gem. § 139 Abs. 5 ZPO verletzt, indem es die Klägerin zwar im Termin zur mündlichen Verhandlung auf nach seiner Beurteilung fehlenden Vortrag hingewiesen, der Klägerin jedoch – trotz ihres Antrags auf Gewährung eines Schriftsatzrechts – keine Gelegenheit zur sachgerechten Reaktion auf diesen Hinweis gegeben hat. Dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten wissen müssen, dass ihr Vortrag wegen umfangreicher Verweise auf Anlagen nicht genügen werde, wie das Landgericht meint, trifft schon angesichts der erheblichen Unterschiede in der Handhabung dieser Frage durch die Praxis nicht zu.

b)

Zum anderen und darüber hinaus hat das Landgericht ein Urteil verkündet, in welchem über nicht gem. § 297 ZPO gestellte Sachanträge entschieden wurde. Soweit das Landgericht die Stellung von Anträgen im Tatbestand des Urteils berichtet, ist dessen an sich gemäß § 314 S. 1 ZPO bestehende Beweiskraft gemäß § 314 S. 2 ZPO entkräftet, indem die gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zu protokollierende Antragsstellung im Protokoll der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergangen ist, nicht mitgeteilt wird und insoweit im Hinblick auf § 165 ZPO das Protokoll vorgeht (vgl. Musielak/Voit/Musielak, ZPO, 19. Aufl., § 314 Rn. 3, 7).

2.

Nachdem der Sachverhalt zwischen den Parteien streitig ist, ist mit einer umfangreichen, aufwändigen Beweisaufnahme zu rechnen; die Klägerin hat zu 28 Positionen Beweis durch Sachverständige angetreten.

3.

Die Entscheidung zwischen Zurückverweisung und eigener Entscheidung des Berufungsgerichts ist eine – maßgeblich nach der Sachdienlichkeit zu treffende – Ermessensentscheidung. Dabei ist die Sachdienlichkeit der Zurückverweisung in der Regel zu bejahen, wenn das Interesse an einer schnelleren Entscheidung in der Berufungsinstanz gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz nicht überwiegt.

So liegen die Dinge hier, wo eine Behandlung des materiellen Prozessinhalts in erster Instanz noch gar nicht stattgefunden hat. Den Parteien würde eine Instanz genommen, wenn der gesamte Prozessstoff erstmals vom Berufungsgericht aufgearbeitet würde. Dieses Interesse wird im hier vorliegenden Fall auch nicht durch eine schnellere Verfahrenserledigung aufgewogen, schon weil damit angesichts der Terminslage des Senats nicht zu rechnen wäre.

III.

Das Urteil ist für vorläufig vollstreckbar zu erklären (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 538 Rn. 59).

Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind in diesem Urteil relevant:

  • Zivilprozessrecht: Das Zivilprozessrecht regelt das Verfahren vor Gericht in Zivilsachen. Im vorliegenden Fall geht es um eine Klage aufgrund eines Leasingvertrages. Das Gericht hat das Verfahren in erster Instanz abgewiesen, weil die Klage nicht schlüssig begründet war. Die Klägerin hat Berufung eingelegt und beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht Heilbronn zurückzuverweisen.
  • Beweisrecht: Das Beweisrecht regelt, wie Tatsachen vor Gericht bewiesen werden können. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin zu 28 Positionen Beweis durch Sachverständige angetreten.
  • Rechtliches Gehör: Das rechtliche Gehör ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht und ein wichtiges Prinzip des deutschen Zivilprozessrechts. Im vorliegenden Fall hat das Gericht die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auf nach seiner Beurteilung fehlenden Vortrag hingewiesen, der Klägerin jedoch keine Gelegenheit zur sachgerechten Reaktion auf diesen Hinweis gegeben. Das Gericht hat somit das rechtliche Gehör der Klägerin gemäß § 139 Abs. 5 ZPO verletzt.
  • Antragsrecht: Das Antragsrecht ist das Recht der Parteien, vom Gericht eine bestimmte Entscheidung zu verlangen. Im vorliegenden Fall hat das Landgericht über nicht gestellte Sachanträge entschieden, was nach § 297 ZPO unzulässig ist.
  • Ermessensentscheidung: Eine Ermessensentscheidung ist eine Entscheidung, bei der das Gericht einen gewissen Spielraum hat, um zwischen verschiedenen Optionen zu wählen. Im vorliegenden Fall geht es um die Entscheidung zwischen Zurückverweisung und eigener Entscheidung des Berufungsgerichts. Dabei ist die Sachdienlichkeit der Zurückverweisung in der Regel zu bejahen, wenn das Interesse an einer schnelleren Entscheidung in der Berufungsinstanz gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz nicht überwiegt.

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