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Reichweite der Rechtskraft einer prozessualen Kostenentscheidung

AG Bernau –  Az.: 10 C 1191/13 (026) – Urteil vom 15.07.2014

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Gebührenstreitwert beträgt 1.464,73 €.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Kostenerstattung in Anspruch.

Reichweite der Rechtskraft einer prozessualen Kostenentscheidung
Symbolfoto: Von Africa Studio /Shutterstock.com

Die Parteien waren durch ein Mietverhältnis verbunden. Das Mietverhältnis wurde zwischenzeitlich beendet. Der Kläger nahm den Beklagten im Verfahren 10 C … vor dem Amtsgericht Bernau auf Mietzinszahlung in Anspruch. In diesem Verfahren erklärte der Beklagte die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen. Auf die beigezogene Akte 10 C … wird verwiesen. Das Amtsgericht hatte in dem Verfahren 10 C … die Kosten zu 48 % dem Beklagten und zu 52 % dem Kläger auferlegt. Dabei hatte es den Streitwert auf 3.180,12 € festgesetzt. In der Folgezeit hatte das Landgericht Frankfurt/Oder letztlich den Streitwert auf die Streitwertbeschwerde des Klägervertreters im eigenen Namen auf 12.430,81 € hochgesetzt, nachdem es dies zunächst nicht beabsichtigte. Auf den Beschluß des LG FF/O auf Blatt 6 ff. wird verwiesen. Das Amtsgericht hatte die Kostenentscheidung nicht verändert. Entsprechende Rechtsmittel des Klägers waren nicht erfolgreich. Auf die Akte 10 C … wird verwiesen. Der Kläger nahm am 5.12.2012 die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil 10 C … in der Folgezeit zurück. Er versuchte auch außergerichtlich den durch den veränderten Streitwert aber nicht veränderte Kostenquote entstehenden Unterschiedsbetrag vom Beklagten aber auch im Wege der Amtshaftung vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zu erlangen. Dies war bis dato nicht erfolgreich.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm, dem Kläger, stehe ein materieller Kostenerstattungsanspruch aus § 280 BGB zu. Die zusätzlichen Umstände, die nach der Rechtsprechung des BGH (z.B. BGH VII ZR 405/00, juris) erforderlich seien, seien durch die veränderte Streitwertfestsetzung gegeben.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 1.464,73 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.1.2014 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass eine mögliche „Gerechtigkeitslücke“ keine Grundlage für die Durchbrechung der Rechtskraft sei. Zudem habe er nicht schuldhaft im Sinne von § 280 BGB gehandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 15.7.2014 verwiesen. Die Parteien haben nach Schluß der mündlichen Verhandlung am 16.7.2014 und 4.8.2014 einen Schriftsatz zu den Akten gereicht.

Das Gericht hat die Akte 10 C … beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Die Rechtskraft der Entscheidung in der Sache 10 C … sperrt die Entscheidung nicht. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (im folgenden „BGH“) anerkannt, dass eine prozessuale Kostenentscheidung nicht erschöpfend ist, sondern Raum für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche läßt (vgl. BGH ZR 73/64 juris; BGHZ 45, 251, 257 statt vieler).

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB, der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es anerkannt, dass eine prozessuale Kostenentscheidung grundsätzlich nicht erschöpfend ist, sondern Raum lässt für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung etwa aus Vertrag, Verzug oder unerlaubter Handlung (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 – Ib ZR 73/64, BGHZ 45, 251, 256 f; vom 24. April 1990 aaO S. 170 f; vom 19. Oktober 1994 – I ZR 187/92, NJW-RR 1995, 495; vom 22. November 2001 – VII ZR 405/00, NJW 2002, 680; vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458 Rn. 7 und vom 16. Februar 2011 – VIII ZR 80/10, NJW 2011, 2368, 2369 Rn. 10; Beschluss vom 9. Februar 2012 – VII ZB 95/09, NJW 2012, 1291 f Rn. 8). Ein materiell-rechtlicher Anspruch kann danach je nach Sachlage neben die prozessuale Kostenregelung treten, er kann ihr sogar entgegengerichtet sein, sofern zusätzliche Umstände hinzukommen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten. Bleibt hingegen der Sachverhalt, der zu einer abschließenden prozessualen Kostenentscheidung geführt hat, unverändert, geht es nicht an, ihn erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiell-rechtlich entgegengesetzt zu beurteilen. Dies dient dazu, Unterschiede zwischen auf gleichem Sachverhalt beruhenden Entscheidungen über den materiell-rechtlichen Anspruch einerseits und den prozessualen Kostenerstattungsanspruch andererseits zu vermeiden (vgl. BGH vom 11. September 2008 – III ZR 212/07, NJW 2008, 3558, 3559 Rn. 8; BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 aaO S. 257; vom 19. Oktober 1994 aaO; vom 22. November 2001 aaO; vom 11. Februar 2010 – VII ZR 153/08, NJW-RR 2010, 674, 675 Rn. 13 und vom 16. Februar 2011 aaO; Beschluss vom 9. Februar 2012 aaO S. 1292 Rn. 8). Der mit der Entscheidung über den Kostenerstattungsanspruch eingetretene Rechtsfriede darf nicht nachträglich wieder mit der Begründung beseitigt werden, die Kostenentscheidung sei nach sachlichem Recht eigentlich ungerechtfertigt, sofern nicht die gesetzliche Regelung ihrerseits Korrekturmöglichkeiten vorsieht (BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 aaO und vom 19. Oktober 1994 aaO; Beschluss vom 9. Februar 2012 aaO., BGH, Urteil vom 18. April 2013 – III ZR 156/12 –, BGHZ 197, 147-154). Zusätzliche Umstände, die den zugrundeliegenden Sachverhalt verändert hätten, sind nicht hinzugekommen. Es ist lediglich der Streitwert verändert worden. Der der Entscheidung in Sache 10 C … zugrundeliegende Sachverhalt, der seinerzeit zu einer abschließenden Kostenentscheidung führte, verblieb unverändert, auch deshalb, weil das Urteil 10 C … rechtskräftig wurde. Die Veränderung des Streitwerts ist aber kein solch „zusätzlicher Umstand“. Dies hat auch keiner der zitierten Autoren (RA Dr. Geißler) oder eine Entscheidung der Gerichte vertreten. Es ergibt sich soweit ersichtlich aus keiner Zitatstelle auch nur ansatzweise ein Anhaltspunkt, dass „Veränderung des Streitwerts“ als „zusätzlicher Umstand“ bzw. „Veränderung des Sachverhalts“ im Sinne der oben zitierten Entscheidung anzusehen ist. Mal ganz formal betrachtet: Der Tatbestand des Urteils 10 C … hat sich nicht verändert, auch die Entscheidungsgründe nicht. Wenn aber der Gesetzgeber die Wertung in § 99 ZPO vornimmt, dass wegen einer bloßen Kostenentscheidung eine Berufung nicht zulässig ist, wird deutlich, dass ihm die Kostenentscheidung „so wichtig“ nicht ist. Bereits der BGH hat in der Entscheidung II ZB 40/07, juris, auf den Wertungswiderspruch (dort ging es hingegen um die analoge Anwendung von § 319 ZPO) zwischen der Abänderbarkeit des Streitwerts und der mangelnden Möglichkeit die Kostengrundentscheidung dem geänderten Streitwert anzupassen, hingewiesen und eine Tätigkeit des Gesetzgebers angemahnt.

Zwar ist es unkritisch ein Wahlrecht des Klägers zwischen der Kostenerstattungsklage und einer Kostenerstattung nach § 269 ZPO anzunehmen (vgl. BGH III ZR 156/12, juris), aber auch diese Entscheidung repetiert aus BGH VII ZR 405/00, juris, „grundsätzlich ist ..anerkannt, dass eine prozessuale Kostenentscheidung nicht erschöpfend ist, sondern Raum läßt für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung (statt vieler BGH VII ZR 405/00, juris). Ein materiell-rechtlicher Anspruch kann danach je nach Sachlage neben die prozessuale Kostenregelung treten, er kann ihr sogar entgegengerichtet sein, sofern zusätzliche Umstände hinzukommen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten. Bleibt hingegen der Sachverhalt, der zu einer abschließenden prozessualen Kostenentscheidung geführt hat, unverändert, geht es nicht an, ihn erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiell-rechtlich entgegengesetzt zu beurteilen. Dies dient dazu, Unterschiede zwischen auf gleichem Sachverhalt beruhenden Entscheidungen über den materiell-rechtlichen Anspruch einerseits und den prozessualen Kostenerstattungsanspruch andererseits zu vermeiden (BGH, Urteil vom 18. April 2013 – III ZR 156/12 –, BGHZ 197, 147-154)“. Zudem hatte der Kläger ein Wahlrecht nicht. Das Gericht war von Amts wegen verpflichtet in seinem Urteil 10 C … eine Kostenentscheidung (mit einer Kostenquote) zu treffen. Er konnte nicht etwa von einer prozessuale Kostenentscheidung wie bei §§ 91 a, 269 Abs.3 ZPO Abstand nehmen. Zudem hat der Kläger mit dem Verfahrensfortgang im dortigen Verfahren 10 C … und den dortigen Beschwerden ( §§ 319, 321 a ZPO), die sich nicht auf eine materielle Kostenerstattung richteten, ja gerade zunächst einen anderen, nämlich prozessualen Weg gewählt.

Die vorliegende „Gerechtigkeitslücke“ ist aber auch durch den Kläger selbst erzeugt worden, denn er hat die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Bernau in der Sache 10 C … am 5.12.2012 zurückgenommen und damit eine Änderung der Kostenentscheidung durch das Berufungsgericht verhindert. Auch wenn dem Kläger natürlich das Recht unbenommen ist, die Berufung zurückzunehmen. Zwar kann der Kläger nicht allein wegen der Kosten ein Rechtsmittel einlegen, § 99 ZPO. Allerdings konnte der Kläger, was er ursprünglich ja auch getan hat, gegen die Hauptsache Berufung einlegen und in diesem Rahmen auch die Kostenentscheidung des Ausgangsgerichts überprüfen lassen (vgl. hierzu Thomas-Putzo § 99 Randnr.3). Möglicherweise hatte der Kläger vorschnell die Berufung zurückgenommen, denn zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahme am 5.12.2012 konnte er vom Erfolg der Streitwertbeschwerde noch nicht ausgehen.

Die von den Parteien nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze war nach § 296 a ZPO verspätet. Das Gericht hatte keinen Anlaß erneut in die mündliche Verhandlung nach § 156 ZPO einzutreten. Die Voraussetzungen des § 156 Abs.2 ZPO lagen nicht vor. Insbesondere handelt es sich bei dem Schriftsatz um Rechtsausführungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

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