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Reisebedingungen – Abtretungsverbot für Gewährleistungsansprüche der Mitreisenden

BGH – Az.: VII ZR 205/88 – Urteil vom 15.06.1989

Tatbestand

Die Beklagte – ein Reiseveranstalter – legt den von ihr abgeschlossenen Reiseverträgen „Allgemeine Reisebedingungen“ (ARB) zugrunde, die u.a. folgende Regelung enthalten:

„II.          Anmeldung und Abschluß des Reisevertrages

1.            …

Nur der Anmelder … ist berechtigt, für sich und/oder für die von ihm angemeldeten Teilnehmer Ansprüche aus dem Reisevertrag geltend zu machen. Es gilt als vereinbart, daß die Abtretung solcher Ansprüche ausgeschlossen ist.

XI.          Haftpflicht des Veranstalters

1.            …

2.            …

3.            …

Für den Zeitraum, in dem eine Reiseleistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht wird, kann der Reisende eine entsprechende Herabsetzung des Reisepreises (Minderung) verlangen. Die Minderung tritt nicht ein, wenn es der Reisende schuldhaft unterläßt, dem Reiseveranstalter den Umstand, aus dem sich ergibt, daß die Reiseleistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht wird, anzuzeigen.

Beruht der Umstand, aus dem sich ergibt, daß eine Reiseleistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht wird, auf einem Verschulden des Reiseveranstalters, so kann der Reisende Schadensersatz verlangen. Darüber hinaus kann der Reisende, wird die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt, eine angemessene Entschädigung in Geld wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit verlangen. Schadensersatz und angemessene Entschädigung setzen voraus, daß die Schadenersatz bzw. Entschädigung begründenden Umstände dem Reiseveranstalter alsbald angezeigt werden bzw. Abhilfe verlangt wird, es sei denn, Abhilfe ist unmöglich, ein Schaden ist auch bei erfolgreicher Abhilfe nicht zu vermeiden oder die Unterlassung der Anzeige bzw. des Abhilfeverlangens ist vom Reisenden nicht zu vertreten.

 

4.            Adressat der Anzeige bzw. des Abhilfeverlangens ist die örtliche Reiseleitung des Veranstalters. Die Sprechzeiten der Reiseleitung sind dem im Hotel angebrachten Aushang zu entnehmen …

Sofern die Reiseleitung so nicht erreichbar ist, ist der Reisende verpflichtet, sich an die Kontaktadresse des Reiseveranstalters im jeweiligen Zielgebiet zu wenden. Die Kontaktadresse ist dem im Hotel angebrachten Aushang zu entnehmen.

Sofern auch unter der Kontaktadresse niemand erreicht werden kann, ist der Reisende verpflichtet, die Zentrale des Reiseveranstalters in M. zu informieren.“

Der klagende Verbraucherschutzverein hält das in Abschnitt II Nr. 1 Abs. 3 ARB geregelte Abtretungsverbot sowie die in Abschnitt XI Nr. 4 Abs. 3 ARB vorgesehene Anzeigeverpflichtung für unwirksam. Mit der gemäß § 13 AGBG erhobenen Klage verlangt er deshalb von der Beklagten, diese Klauseln nicht mehr zu verwenden.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision, die die Beklagte zurückzuweisen bittet, verfolgt der Kläger den Unterlassungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht nimmt an, der in Abschnitt II Nr. 1 Abs. 3 Satz 2 ARB enthaltene Abtretungsausschluß verstoße nicht gegen § 9 AGBG. Das Gesetz, das in § 398 Satz 1 BGB die Abtretung grundsätzlich zulasse, sehe in § 399 2. Halbsatz BGB die Möglichkeit vor, eine Abtretung auszuschließen. Schon aus diesem Grund sei zweifelhaft, ob ein Abtretungsverbot, das nur unter besonderen Umständen unzulässig sein könne, vom gesetzlichen Leitbild abweiche. Solche Verbote seien deshalb auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig.

Im Verhältnis zwischen Reiseveranstalter und Reisendem werde der Reisende durch den Abtretungsausschluß nicht unangemessen benachteiligt. Die Beklagte habe ein Interesse an der Erhaltung des Vorteils, nur mit ihren Vertragspartnern verhandeln zu müssen. Bei einem Prozeß bestehe, wenn der Gläubiger ausgewechselt werde, darüber hinaus die Möglichkeit, daß sich die Chancen einer Prozeßkostenerstattung verschlechterten und hinsichtlich der Zeugenstellung manipuliert werde.

Ein berechtigtes Interesse des Reisenden, seine Ansprüche frei abzutreten, sei nicht gegeben. Dem Reiseteilnehmer, der Vertragspartner sei, bleibe es unbenommen, seine Ansprüche selbst geltend zu machen. Habe der Vertragspartner die Reise für mehrere Personen gebucht, sei das Interesse dieser Teilnehmer bei der Abwägung nicht heranzuziehen; denn die Vorschrift des § 9 AGBG schütze nur den Vertragspartner, nicht aber dritte Personen. Im übrigen sei es nicht unbillig, daß es Reisenden, die nicht Vertragspartner seien, verwehrt werde, unmittelbar gegen den Reiseveranstalter vorzugehen. Es habe ihnen freigestanden, im eigenen Namen abzuschließen. Auch werde der Vertragspartner nicht unbillig belastet, wenn er zugleich die Interessen seiner Mitreisenden gegenüber dem Reiseveranstalter wahrnehmen müsse.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Ausschluß der Abtretung von Ansprüchen in den Allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten benachteiligt den Reisenden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen; er ist gemäß § 9 AGBG unwirksam.

1. Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Regelung, mit der der Verwender die Abtretung gegen ihn gerichteter Forderungen ausschließt, ist grundsätzlich wirksam. Der Abtretungsausschluß führt an sich zu keiner unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers, andererseits schützt er die berechtigten Interessen des Schuldners an der Klarheit und Übersichtlichkeit der Vertragsabwicklung (Löwe/von Westphalen/Trinkner, Großkommentar zum AGBG, 2. Aufl., Bd. III, Stichwort: „Abtretungsausschluß“ Rdn. 4). Dem Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann deshalb grundsätzlich nicht verwehrt werden, durch Vereinbarung eines Verbots oder zumindest einer Beschränkung der Abtretungsmöglichkeit die Vertragsabwicklung übersichtlich zu gestalten und damit zu verhindern, daß ihm eine im voraus nicht übersehbare Vielzahl von Gläubigern entgegentritt (Senatsurteil BGHZ 51, 113, 117). Der Bundesgerichtshof hat daher einen Ausschluß der Abtretung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen wiederholt anerkannt (BGHZ 51, 113; 56, 173; 77, 274; 102, 293, 300; BGH NJW 1981, 117, 118). Eine solche Klausel ist jedoch unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an einem Abtretungsausschluß nicht besteht oder die berechtigten Belange des Kunden an der Abtretbarkeit vertraglicher Forderungen das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegen (vgl. BGHZ 65, 364, 366; 82, 162, 171).

2. Im vorliegenden Fall kann das in Abschnitt II Nr. 1 Abs. 3 Satz 2 ARB enthaltene Abtretungsverbot nicht isoliert betrachtet werden. Es ist vielmehr im Zusammenhang mit der in Satz 1 der Klausel geregelten Beschränkung zu verstehen, wonach ausschließlich der Anmelder berechtigt sein soll, Ansprüche aus dem Reisevertrag geltend zu machen.

a) Der Anmelder, der eine Reise für sich und andere Personen bucht, handelt dabei entweder im eigenen Namen, so daß er allein „Reisender“ im Sinne von § 651a BGB ist, oder er schließt als Vertreter für Dritte in deren Namen Verträge ab, die diese als „Reisende“ gegenüber dem Veranstalter berechtigen und verpflichten (Senatsurteil vom 6. April 1978 – VII ZR 104/76 = WM 1978, 899 = LM BGB § 164 Nr. 43; Staudinger/Schwerdtner, BGB, 12. Aufl., § 651a Rdn. 52; Tonner in MünchKomm, BGB, 2. Aufl., § 651a Rdn. 80; Löwe, Das neue Pauschalreiserecht, S. 27; Bartl, Reiserecht, 2. Aufl., Rdn. 179). Selbst wenn der Mitreisende nicht Vertragspartner wird, stehen ihm gleichwohl eigene Schadensersatzansprüche zu, falls in seiner Person ein Schaden entstanden ist (Senatsurteil BGHZ 77, 116, 124; Wolter in MünchKomm aaO § 651g Rdn. 18; Tempel NJW 1987, 2841, 2849).

Im Unterlassungsverfahren gemäß § 13 AGBG ist eine Klausel nach der sogenannten kundenfeindlichsten Auslegung zu überprüfen (vgl. BGHZ 104, 82, 88). Die in Abschnitt II Nr. 1 Abs. 3 Satz 1 ARB getroffene Regelung, wonach nur der Anmelder berechtigt sein soll, für sich und für die von ihm angemeldeten Teilnehmer Ansprüche geltend zu machen, ist deshalb dahin zu verstehen, daß diese Befugnis auch dann nur dem Anmelder zusteht, wenn er zwar selbst die Reise gebucht hat, die maßgebenden Ansprüche jedoch allein in der Person eines mitreisenden Dritten entstanden sind. Auch in diesem Fall soll lediglich der Anmelder die Ansprüche geltend machen können, obwohl eine Abtretung dieser Ansprüche an ihn aufgrund des in Satz 2 der Klausel vorgesehenen Abtretungsverbots ausgeschlossen ist.

b) Fallen die formale Befugnis, die Ansprüche geltend zu machen und die materiell-rechtliche Stellung als Anspruchsinhaber auseinander, führt das in der Klausel enthaltene Abtretungsverbot zu unbilligen Ergebnissen; auch benachteiligt es den Reisenden unangemessen.

 

aa) Setzt der Anmelder der Reise die Rechte der Mitreisenden gerichtlich durch, handelt er in gewillkürter Prozeßstandschaft; denn er macht fremde Rechte im eigenen Namen geltend. Fraglich ist bereits, ob in diesem Fall die Prozeßführung seinen eigenen Interessen entspricht. Ein solches Eigeninteresse des Anmeldenden ist zumindest dann nicht erkennbar, wenn er nicht selbst betroffen ist, sei es daß ihm keine Ansprüche aus dem Reisevertrag zustehen, sei es daß er nach Abwägung des mit jedem Rechtsstreit verbundenen Risikos für seine Person von einer klageweisen Durchsetzung absehen will. Fehlt aber dem Prozeßstandschafter ein eigenes rechtsschutzwürdiges Interesse, das fremde Recht geltend zu machen, ist seine hierauf gestützte Klage unzulässig; die erhobenen Ansprüche aus dem Reisevertrag werden sachlich nicht geprüft. Der in die Rolle des Prozeßstandschafters gedrängte Anmelder kann den drohenden Verlust der Ansprüche seiner Mitreisenden auch nicht dadurch abwenden, daß er sich ihre Rechte übertragen läßt oder seinerseits die Mitreisenden zur Klage in deren Namen befähigt. Einer Übertragung der Ansprüche auf den Anmelder steht das Abtretungsverbot, der Klage der Mitreisenden in eigenem Namen die Beschränkung der Anspruchsbefugnis auf den Anmelder entgegen. Die Verbindung von beschränkter Anspruchsbefugnis und Abtretungsverbot führt mithin dazu, daß die Durchsetzbarkeit der Gewährleistungsrechte in den Fällen verkürzt wird, in denen die Reiseleistung zwar mangelhaft ist, der Anmelder hiervon jedoch nicht betroffen bzw. in seiner Person kein Schaden entstanden ist.

bb) Bei der gebotenen Interessenabwägung sind auch die Belange der Mitreisenden zu berücksichtigen, für die der Anmelder die Reise gebucht hat. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts sind diese Personen in das Vertragsverhältnis einbezogen; denn sie nehmen, selbst wenn ein anderer, der Anmelder, für sie gebucht hat, an der Schutzwirkung des Reisevertrags teil (vgl. Senatsurteil BGHZ 77, 116, 124). Gleichwohl steht, da die angefochtene Klausel auch diesen Fall regeln will, der Durchsetzung ihrer vertraglichen Rechte die Beschränkung der Anspruchsbefugnis auf die Person des Anmelders verbunden mit dem Abtretungsverbot entgegen. Eine solche Regelung widerspricht dem für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Gebot, daß die Rechtsposition des Vertragspartners nicht unklar oder gar widersprüchlich ausgestaltet sein darf. Eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend darstellt und auf diese Weise dem Verwender den Versuch ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren, benachteiligt den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen (BGHZ 104, 82, 92/93 m.w.N.). Dies trifft auch für die vorliegende Vertragsgestaltung zu; denn sie macht für die Mitreisenden, obgleich sie aufgrund der Schutzwirkung des Reisevertrags eigene Ansprüche haben können, die Durchsetzung ihrer vertraglichen Rechte von der Mitwirkung und letztlich von dem Interesse des Anmelders an einem Rechtsstreit mit dem Reiseveranstalter abhängig. Eine derartige Erschwerung verkürzt die vertraglichen Ansprüche der Mitreisenden und ist deshalb für sie nicht hinnehmbar (vgl. OLG Düsseldorf – 18. Zivilsenat – NJW-RR 1987, 888, 889).

Schließlich droht dem Mitreisenden angesichts der kurzen Verjährungsfrist des § 651g Abs. 2 Satz 1 BGB ein Verlust seiner Gewährleistungsrechte selbst dann, wenn der Anmelder sich bereit gefunden hat, sie im Klagewege geltend zu machen, mangels eines eigenen Interesses aus den vorstehend dargelegten prozessualen Gründen aber damit nicht durchgedrungen ist. Die Rechtswirkungen der gewillkürten Prozeßstandschaft können nur dann eintreten, wenn der Kläger zum Ausdruck bringt, wessen Rechte er geltend macht. Die in Prozeßstandschaft erhobene Klage unterbricht die Verjährung deshalb nur dann, wenn aus ihr eindeutig ersichtlich ist, daß der Kläger ein fremdes Recht in eigenem Namen fordert (vgl. BGH NJW 1972, 1580) oder wenn auf andere Weise für alle Beteiligten klar ist, welches Recht eingeklagt wird (BGHZ 78, 1, 6; 94, 117, 122).

cc) Angesichts dieser Nachteile, die den Reisenden aufgrund der beanstandeten Regelung treffen, müssen die Interessen des Reiseveranstalters an einem Abtretungsausschluß zurücktreten.

Die mit einem Gläubigerwechsel verbundene Möglichkeit, die Beweislage willkürlich zu verändern, so daß der ursprüngliche Rechtsinhaber infolge der Abtretung als Zeuge auftreten kann, wird bei der vorliegenden Vertragsgestaltung nicht beseitigt. Vielmehr führt die mit dem Abtretungsausschluß verknüpfte Beschränkung der Anspruchsbefugnis zu derselben, vom Berufungsgericht mißbilligten Beweislage. Klagt nämlich der Anmelder – wie es die Allgemeinen Reisebedingungen vorsehen – für den Mitreisenden dessen Rechte in Prozeßstandschaft ein, kann auch der materiell Berechtigte als Zeuge aussagen (vgl. Senatsurteil BGHZ 94, 117, 123; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1987 – V ZR 182/86 = WM 1987, 1406, 1407; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., Grundz. § 50 Anm. 4 C b aa; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., vor § 373 Rdn. 6; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 51 Anm. 4b cc; Zöller/Vollkommer, ZPO, 15. Aufl., vor § 50 Rdn. 53). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt diesem prozeßrechtlichen Umstand mithin keine entscheidende Bedeutung zu.

Von der Beklagten ins Feld geführte Schwierigkeiten der Legitimationsprüfung und damit verbundene angebliche Erschwernisse bei der Vertragsabwicklung sind ebenfalls nicht ausschlaggebend. Die Mitreisenden werden – unabhängig von ihrer vertragsrechtlichen Stellung – mit Namen und Anschrift zur jeweiligen Buchungsnummer der Reise erfaßt. Etwaige Mängelanzeigen und hierauf beruhende Gewährleistungsansprüche können daher ohne besonderen Verwaltungsaufwand den Inhabern der Ansprüche zugeordnet werden.

3. Nach alledem wird der Reisende durch einen Abtretungsausschluß, der mit der Beschränkung der Anspruchsbefugnis auf den Anmelder verbunden ist, unangemessen belastet. Demgegenüber fallen berechtigte Interessen des Reiseveranstalters an einer derartigen Regelung nicht ins Gewicht. Vielmehr wird seine Rechtsstellung auf Kosten des Reisenden ohne sachliche Berechtigung verbessert. Eine solche einseitige und unausgewogene Regelung ist für den Reisenden nicht zumutbar (vgl. Wolter aaO § 651g Rdn. 18 m.w.N.). Der Abtretungsausschluß verstößt daher schon aus diesen Gründen gegen § 9 AGBG und ist somit unwirksam. Auf die weitergehenden Erwägungen des Berufungsgerichts kommt es deshalb nicht mehr an.

II. Das Berufungsgericht hält weiter die in Abschnitt XI Nr. 4 Abs. 3 ARB geregelte Anzeigeverpflichtung des Reisenden für wirksam. Der Reisende werde durch sie nicht unbillig benachteiligt; denn von ihm werde nur das verlangt, wozu er schon nach § 651d Abs. 2 BGB verpflichtet sei. Das Gesetz bestimme nicht ausdrücklich, wem gegenüber anzuzeigen sei. Nach allgemeinen Grundsätzen sei davon auszugehen, daß die Anzeige gegenüber dem zuständigen Vertreter des Reiseunternehmens – der örtlichen Reiseleitung – zu erfolgen habe. Sei keine örtliche Reiseleitung eingerichtet – nach dem Gesetz sei der Reiseveranstalter hierzu nicht verpflichtet -, könne die Anzeige ohnehin nur an den Sitz des Reiseveranstalters gerichtet werden. Lediglich in Ausnahmefällen sei dies dem Reisenden nicht zumutbar.

Die Regelung sei auch interessengerecht. Die Beklagte verlange die an ihre Hauptniederlassung gerichtete Anzeige nur hilfsweise, wenn nämlich im Zielgebiet niemand erreicht werden könne. Damit wolle sie sicherstellen, daß sie in jedem Fall von vorliegenden Mängeln Kenntnis erlange. Die Anzeige diene aber nicht nur dem Reiseveranstalter, sondern in erster Linie dem wohlverstandenen Interesse des Reisenden an einem ungestörten Urlaub. Es sei sinnvoll, wenn die Reiseleitung vor Ort wider Erwarten ausgefallen sei, daß der Kunde an die Zentrale verwiesen werde. Dann könne von dort aus versucht werden, den vorhandenen Reisemangel abzustellen.

Demgegenüber werde der Reisende nicht unangemessen belastet. Wer eine Willenserklärung abzugeben habe, müsse selbst dafür Sorge tragen, daß sie beim Empfänger ankomme. Dieser Grundsatz finde seine Grenzen nur dort, wo von dem Erklärenden unzumutbare Anstrengungen gefordert würden. Ein Vorbehalt dieses Inhalts sei einer Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen allerdings nicht zugänglich, weil die Unzumutbarkeit durch eine konkrete Klauselgestaltung nicht zu erfassen sei.

Im übrigen könne offen bleiben, ob die Anzeigeverpflichtung nur in Verbindung mit dem Hinweis wirksam sei, daß lediglich schuldhaftes Unterlassen der Anzeige die Gewährleistungsrechte des Reisenden ausschließe. Die Beklagte habe im vorliegenden Fall eine Belehrung dieses Inhalts ausdrücklich in Abschnitt XI Nr. 3 ihrer Allgemeinen Reisebedingungen aufgenommen.

Auch dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Das Berufungsgericht wird in diesem Punkt der hier gegebenen Interessenlage nicht gerecht.

a) Es berücksichtigt zu wenig, wie die Revision mit Recht geltend macht, daß für die Beurteilung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen stets die Verständnismöglichkeit des rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden maßgeblich ist (vgl. etwa BGHZ 96, 182, 191; 104, 82, 88). Bei Allgemeinen Reisebedingungen, die im Massentourismus verwendet werden, kommt hinzu, daß die Reisenden sehr häufig geschäftsungewandt und vielfach in Reiseangelegenheiten noch unerfahren sind (vgl. für Auslandsreisen Senatsurteil BGHZ 100, 157, 176). Auch und gerade auf ihr Verständnis ist daher abzustellen.

b) Sie aber werden die Regelung in Abschnitt XI Nr. 4 der von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Reisebedingungen als eine äußerlich von den übrigen Bestimmungen getrennte, in sich geschlossene und auch abschließend gemeinte Regelung über den Empfänger einer erforderlichen Mängelanzeige bzw. eines Abhilfeverlangens sehen. In ihr wird im einzelnen dargelegt, was die Reisenden zu tun haben und in welcher Reihenfolge das geschehen muß, damit etwaige Mängelansprüche nicht verloren gehen. Die Regelung macht einen durchaus zwingenden Eindruck. Auch und gerade der vom Kläger beanstandete Absatz 3 enthält keinerlei Einschränkung.

Der rechtlich nicht vorgebildete, geschäftsungewandte Reisende wird deshalb vielfach annehmen, daß er sich immer dann, wenn er örtliche Reiseleitung oder Kontaktadresse nicht erreicht, unmittelbar an die Zentrale der Beklagten in Deutschland wenden muß, selbst wenn das für ihn an sich unzumutbar ist, weil es mit zu viel Aufwand an Mühe, Zeit und Kosten verbunden ist.

c) Durch eine solche Klausel, die die Rechtslage unzutreffend darstellt und auf diese Weise dem Verwender den Versuch ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die Klauselgestaltung abzuwehren, wird der Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (BGHZ 104, 82, 92/93 m.w.N.).

2. Dabei kann offen bleiben, inwieweit ein Reiseveranstalter überhaupt verpflichtet ist, eine örtliche Reiseleitung einzurichten (vgl. dazu einerseits Staudinger/Schwerdtner aaO § 651c Rdn. 143, § 651d Rdn. 10, 11; Bartl aaO Rdn. 65; Tonner, Der Reisevertrag, 2. Aufl., § 651d Rdn. 10; andererseits Wolter in MünchKomm aaO § 651c BGB Rdn. 50; Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 5. Aufl., Anhang §§ 9 bis 11 Rdn. 597).

a) Das kann durchaus nach Art, Zielort und Umfang der jeweiligen Reise erforderlich sein und hängt davon ab, was die Reisenden insofern nach der vom Reiseveranstalter angebotenen Reise erwarten dürfen. Hier kommt es jedoch nicht darauf an, wozu der Reisende verpflichtet ist, wenn tatsächlich keine örtliche Reiseleitung vorhanden ist.

b) Denn die Beklagte unterhält örtliche Reiseleitungen und wirbt sogar in hervorgehobener Weise damit, daß am Urlaubsort Reiseleiter für ihre Kunden „mit Rat und Tat da sind“. Für viele Reisende ist die örtliche Reiseleitung als Anlaufstelle für die verschiedensten Anliegen schon aus Verständigungsschwierigkeiten unerläßlich, wenn der Urlaub gelingen soll. Wird sie mit angeboten, so ist sie Teil der vom Reiseveranstalter geschuldeten Reiseleistung. Die örtliche Reiseleitung ist auch regelmäßig der von der Sache her berufene Empfänger für Mängelanzeige und Abhilfeverlangen (vgl. Senatsurteile BGHZ 90, 363, 368/369; 92, 177, 179, 182; 102, 80, 83/84, 86). Abschnitt XI Nr. 4 der ARB der Beklagten setzt denn auch voraus, daß eine örtliche Reiseleitung eingerichtet ist, und regelt nur den Fall, daß sie bei Bedarf nicht erreicht werden kann.

c) Unterhält aber die Beklagte örtliche Reiseleitungen, dann gehört es zu ihren Organisationspflichten, dafür zu sorgen, daß die Reiseleitung immer dann den Reisenden zur Verfügung steht, wenn sie zur Abhilfe eines Reisemangels gebraucht wird. Das schuldet sie den Reisenden, die darauf vertrauen, gerade für einen solchen Konfliktsfall einen zuverlässigen Ansprechpartner vorzufinden. Wenn das nicht möglich ist und darüber hinaus auch unter der angegebenen Kontaktadresse niemand zu erreichen ist, kann der Reisende nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen nach Treu und Glauben verpflichtet sein, sich an die Zentrale der Beklagten in Deutschland zu wenden, die – gewöhnlich weit entfernt vom Urlaubsort – ohnehin nur beschränkte Einwirkungsmöglichkeiten haben wird, einen aufgetretenen Reisemangel beheben zu lassen. Regelmäßig wird sich vielmehr der Reisende mit dem Versuch begnügen dürfen, seine Beschwerden bei der örtlichen Reiseleitung oder der angegebenen Kontaktadresse anzubringen, ohne daß ihm, wenn das nicht gelingt, daraus Nachteile entstehen.

Darüber, daß der Reisende überhaupt nur in Ausnahmefällen den Reiseveranstalter unmittelbar informieren muß, enthält die Nr. 4 Abs. 3 des Abschnitts XI der ARB nichts.

3. Das wäre aber zur Klarstellung notwendig und ist nicht etwa im Hinblick auf den Text der vorangehenden Nr. 3 des Abschnitts XI der ARB entbehrlich, auch wenn man beide Nummern im Zusammenhang sieht.

a) Unter der Überschrift „Haftpflicht des Veranstalters“ beschreibt Abschnitt XI der Allgemeinen Reisebedingungen unter Nr. 3 die Haftungsvoraussetzungen und führt aus, daß die Minderung nicht eintritt, wenn der Reisende es schuldhaft unterläßt, dem Reiseveranstalter den Mangel anzuzeigen. Ebenso wird in diesem Abschnitt darauf hingewiesen, ein Schadensersatzanspruch sei davon abhängig, daß die anspruchsbegründenden Umstände dem Reiseveranstalter alsbald angezeigt werden bzw. Abhilfe verlangt wird, „es sei denn, Abhilfe ist unmöglich, ein Schaden ist auch bei erfolgreicher Abhilfe nicht zu vermeiden oder die Unterlassung der Anzeige bzw. des Abhilfeverlangens ist vom Reisenden nicht zu vertreten“. Abschnitt XI Nr. 3 ARB behandelt insoweit die Voraussetzungen der Gewährleistungsrechte und gibt im Grunde nur den Text des § 651g Abs. 2 BGB sowie den Leitsatz des Senatsurteils BGHZ 92, 177 wieder. Hervorgehoben wird am Schluß lediglich, wann eine Anzeige überhaupt nicht erforderlich ist, weil sie letztlich sinnlos oder von vornherein unzumutbar ist.

b) Abschnitt XI Nr. 4 der ARB behandelt dagegen die Frage, an wen Mängelanzeige und Abhilfeverlangen zu richten sind, und setzt damit zwangsläufig voraus, daß solche Handlungen zunächst einmal notwendig sind, um etwaige Gewährleistungsansprüche zu erhalten. Erst nach Durchlaufen der dort vorgesehenen Reihenfolge (örtliche Reiseleitung – Kontaktadresse) kann sich herausstellen, daß Anzeige oder Abhilfeverlangen für den Reisenden unzumutbar sind, weil sie nur an die Zentrale des Reiseveranstalters gerichtet werden können. Das ist aus der Sicht eines unbefangenen Lesers etwas anderes, als wenn Anzeige und Abhilfeverlangen von vornherein entbehrlich sind. Die juristische Subsumtion eines solchen Falles unter den in Nr. 3 immerhin enthaltenen allgemeinen „Zumutbarkeitsvorbehalt“ ist natürlich möglich. Sie ist aber von einem juristisch nicht vorgebildeten, in geschäftlichen Dingen nicht besonders bewanderten sondern eher unbeholfenen Durchschnittsreisenden, auf den – wie dargelegt – abzustellen ist, nicht ohne weiteres zu erwarten.

c) Er wird vielmehr in der Nr. 4 die speziellere Regelung sehen, die erst eingreift, wenn Anzeige und Abhilfeverlangen notwendig, also weder sinnlos noch von vornherein unzumutbar sind. Dann aber drängt sich ihm, wie die Revision mit Recht hervorhebt, die Vorstellung auf, er müsse die Zentrale des Reiseveranstalters von einem Reisemangel immer und ohne Ausnahme unterrichten, wenn örtliche Reiseleitung oder Kontaktadresse nicht zu erreichen sind. Das sei ihm auf jeden Fall zuzumuten. Sollte das nicht beabsichtigt sein, müßte in die Klausel in verständlicher Form aufgenommen werden, daß Mängelanzeige und Abhilfeverlangen für den Reisenden auch aus Gründen unzumutbar sein können, die allein in der Person des Empfängers liegen.

4. Die vom Kläger beanstandete Klausel verstößt daher mangels der erforderlichen Einschränkung ihres Geltungsbereiches gegen § 9 AGBG und ist somit unwirksam (ebenso OLG Frankfurt am Main NJW 1985, 145, 146; Bartl aaO Rdn. 65; Tonner aaO Rdn. 10).

III. Nach alledem können beide Urteile der Vorinstanzen nicht bestehen bleiben. Der Senat ist in der Lage, gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO abschließend zu entscheiden. Der Klage ist daher in vollem Umfang stattzugeben.

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