AG Hamburg
Az.: 22a C 327/01
Urteil vom 24.01.2002
In der Sache erkennt das Amtsgericht Hamburg, Abteilung 22a aufgrund der am 15.11.2001 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.430,– EUR (zweitausendvierhundertdreißig Euro) (4.752,67 DM = viertausendsiebenhundertzweiundfünfzig 67/100 Deutsche Mark) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins seit 19. März 2001 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung des Klägers in Höhe von 2.875,– EUR vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um eine Versicherungsleistung.
Die Parteien verband in der Zeit vom 6. November 2000 bis 6. Januar 2001 eine Reisegepäckversicherung (Versicherungsschein, Blatt 9). Gegenstand des Versicherungsvertrages waren die Versicherungsbedingungen AVB 12/99 ADAC gemäß Anlage B 1 (Blatt 31 ff.).
Während des Versicherungszeitraumes unternahm der gehörlose Kläger allein eine Reise durch Malaysia.
Der Kläger war Eigentümer einer Fotoausrüstung im Gesamtwert von 9.954,95 DM, wie sich dies im einzelnen aus Seite 2 der Klagschrift (Blatt 6) sowie den Einkaufsbelegen (Blatt 10 bis 13 d. A.) ergibt.
Am 13. Dezember 2000 in der Zeit von 7.00 bis 12.45 Uhr unternahm der Kläger eine Busfahrt.
Der Kläger trägt vor, er habe seine Fotoausrüstung bei sich gehabt. Den Tragegurt der Fototasche habe er sich über die Schulter gehängt.
An vielen Haltestellen hätten die Fahrgäste zahlreich gewechselt. Es sei zum Teil sehr turbulent in dem Bus zugegangen.
Bei Ende der Fahrt habe er festgestellt, dass die Fotoausrüstung entwendet worden sei. Er habe sich unverzüglich zur nächsten Polizeistation begeben, wo der Diebstahl protokolliert worden sei (Blatt 14 d. A.).
Trotz sorgfältiger – und wahrheitsgemäßer – Schilderung des Herganges des Versicherungsfalles in dem Formular gemäß Blatt 15 bis 18 d. A. lehne die Beklagte – zu Unrecht – jede Versicherungsleistung ab.
Der Kläger hatte zunächst mit seiner Klage von der Beklagten die Zahlung von 9.954,95 DM verlangt. Im Hinblick auf § 2 Ziffer 2 der Versicherungsbedingungen (Blatt 31) hat der Kläger seine Klage in Höhe von 4.954,95 DM zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr, die Beklagte zur Zahlung von 5.000,– DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins seit 19. März 2001 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, Klagabweisung.
Die Beklagte verweist auf die Selbstbeteiligungsklausel gemäß § 8 und die Zeitwertklausel gemäß § 7 Nr. 1 der Versicherungsbedingungen (Blatt 32) und wendet im übrigen im wesentlichen ein, der Kläger habe die äußerst wertvolle Fotoausrüstung nicht im persönlichen Gewahrsam sicher mitgeführt, wie dies § 6 Ziffer 3 b der Versicherungsbedingungen (Blatt 32) verlange.
Ein tatsächliches Indiz dafür, dass der Kläger einen Versicherungsfall vortäusche, sei der Umstand, dass er bei der Polizei in Malaysia die Entwendung von 2 Objektiven sowie eines Filters im Gesamtwert von 3.179,– DM nicht angegeben habe.
Wegen weiterer Einzelheiten der Parteivorträge wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist, soweit der Kläger sie nicht zurückgenommen hat, begründet wie aus dem Tenor ersichtlich; im übrigen (247,33 DM) war sie abzuweisen.
Zwischen den Parteien bestand unstreitig eine Reisegepäckversicherung. Aus diesem Versicherungsverhältnis schuldet die Beklagte dem Kläger die im Tenor bezeichnete Leistung.
Das Gericht ist bei Würdigung des gesamten Akteninhaltes davon überzeugt, dass der Versicherungsfall eingetreten ist, wie vom Kläger geschildert. Dabei geht das Gericht von folgenden Grundsätzen aus:
Eine Vermutung, ein Versicherungsnehmer sei grundsätzlich ein Betrüger, wie die Beklagte dies anzudeuten scheint, besteht nicht – im Gegenteil.
Entgegen der Darstellung der Beklagten besteht auch keine Vermutung dahin, der Versicherungsnehmer müsse gegen Versicherungsbedingungen verstoßen haben, wenn der Versicherungsfall habe eintreten können.
Von dem Eintritt des Versicherungsfalles ist vielmehr grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Versicherungsnehmer einen Sachverhalt schildert, der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die bedingungsgemäße Entwendung versicherter Gegenstände zulässt.
Dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn konkrete, nicht nur ganz unerhebliche Umstände Zweifel gebieten.
Ausweislich der Belege gemäß Blatt 10 bis 13 d. A., die teilweise auf den Namen des Klägers ausgestellt sind, war dieser Eigentümer einer Film- und Fotoausrüstung im Gesamtwert von knapp 10.000,– DM.
Der Kläger hat eine zweimonatige Reise nach Malaysia unternommen, die vermutlich nicht kostenlos gewesen ist.
Dies alles spricht dafür, dass sich der Kläger jedenfalls nicht in Geldnot befindet, was Motiv für einen Versicherungsbetrug hätte sein können.
Der Kläger hat die Fotoausrüstung auf die Reise mitgenommen, um die Sehenswürdigkeiten der Reise zu dokumentieren. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Aufwand einer zweimonatigen Reise durch Malaysia auf sich genommen hat, um der Beklagten die Wegnahme seiner Fotoausrüstung vorzutäuschen.
Der Kläger hat auch einen Schadenshergang geschildert, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles zulässt. Insbesondere geht das Gericht nicht davon aus, der Kläger habe die ohne Frage teure Fotoausrüstung nicht im persönlichen Gewahrsam mitgeführt, wie § 6 Ziffer 3 b der Versicherungsbedingungen dies verlangt.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe die Fotoausrüstung in einer Fototasche neben sich stehen gehabt. Den Tragegurt der Fototasche habe er sich über die Schulter gehängt. Dies reicht nach Auffassung des Gerichts für eine „Mitführung in persönlichem Gewahrsam“ aus.
Es kann nicht von dem Kläger erwartet werden, dass er während der gesamten Busreise, die knapp 6 Stunden gedauert hat, die Fototasche im Blick und im körperlichen Kontakt behält. Es widerspricht den Versicherungsbedingungen nicht, wenn der Kläger beispielsweise nach anderen Mitreisenden oder aus dem Fenster geschaut und seine Hände beispielsweise zum Essen, zum Trinken oder zum Putzen der Nase von der Tasche genommen hat.
Die Lebenserfahrung – und eine nun fast dreißigjährige gerichtliche Praxis – zeigen immer wieder, mit welcher Geduld Straftäter eine Situation ausspähen, um den günstigsten Zeitpunkt für einen Diebstahl zu ermitteln, und mit welcher Raffinesse sie bei der Durchführung des Diebstahles vorgehen (hier etwa das Durchschneiden des Tragegurtes), so dass weder Opfer noch Zeugen den Diebstahl wahrnehmen.
Das Gericht teilt schließlich nicht die Auffassung der Beklagten, der Umstand, dass der Kläger die Entwendung zweier Objektive und eines Filters bei der Polizei in Malaysia nicht angegeben habe, begründe Zweifel an der Sachverhaltsdarstellung des Klägers. Das Gericht hält es durchaus für glaubhaft, dass der Kläger die Angabe dieser Objekte vergessen hat. Dass zu einer Fotokamera ein Objektiv gehört, ist selbstverständlich und das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger die Kamera ohne Objektiv mit sich geführt hat.
Weitere konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Sachverhaltsdarstellung des Klägers falsch sei, vermag das Gericht nicht zu erkennen.
Die entwendeten Gegenstände gehören zu den so genannten Wertgegenständen im Sinne des § 2 Ziffer 2 der Versicherungsbedingungen. Nach § 7 Ziffer 3 sind Wertgegenstände bis maximal 50 % der Versicherungssumme – hier 10.000,– DM – versichert. Der Kläger hat deshalb zu Recht die Klage auf 5.000,– DM beschränkt. Hiervon abzuziehen ist gemäß § 8 der Versicherungsbedingungen die Selbstbeteiligung in Höhe von 100,– DM und ferner gemäß § 7 Ziffer 1 der Versicherungsbedingungen ein „Betrag für Alter, Abnutzung und Gebrauch“, den das Gericht auf rund 150,– DM schätzt (§ 287 ZPO). Dabei geht das Gericht davon aus, dass eine Fotoausrüstung durch Gebrauch ihren Wert praktisch nicht verliert.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 284 f. BGB, 269, 91, 92, 708 Ziffer 11, 709 ZPO.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 9.954,95 DM festgesetzt.