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Reiserücktritt wegen pandemiebedingter Reisewarnung

AG Hannover – Az.: 502 C 12946/20 – Urteil vom 09.04.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 515,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.1.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Honorarforderungen seines Prozessbevollmächtigten für dessen vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe eines Betrages von 143,84 € freizustellen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Es wird die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem Reiseveranstalter, Rückzahlung einer in Höhe von 515 € geleisteten Anzahlung auf den Reisepreis, nachdem er den Rücktritt von einem zwischen den Parteien geschlossenen Pauschalreisevertrag erklärt hatte.

Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau am 2.1.2020 eine Pauschalreise mit Flug von Frankfurt nach Hurghada und zurück nebst Aufenthalt im … in … für die Zeit vom 25.12.2020 bis 8.1.2021 für 2060,00 €. Vereinbarungsgemäß leistete er eine Anzahlung in Höhe von 515,00 €.

Mit Schreiben vom 15.9.2020 erklärte der Kläger unter Berufung auf durch die Corona-Pandemie veranlasste außergewöhnliche Umstände den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag. Die Beklagte erteilte dem Kläger unter Berufung auf in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen niedergelegte Stornobedingungen eine Stornorechnung über 824 €. Der Kläger beauftragte danach seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten und ließ diesen mit Schreiben vom 19.11.2020 zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung auffordern und die Gegenforderung auf Zahlung von Stornokosten zurückweisen.

Der Kläger ist der Ansicht, Anspruch auf Rückerstattung der geleisteten Anzahlung zu haben. Die Beklagte habe keinen Anspruch auf eine Entschädigung, zudem müsse sie die Höhe der Stornokosten erläutern. Am Bestimmungsort seien unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt hätten.

Hierzu bezieht er sich auf die vom Auswärtigen Amt am 15.3.2020 veröffentlichte weltweite Reisewarnung. In dieser heißt es: „Das Auswärtige Amt warnt vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in das Ausland, da mit starken und weiter zunehmenden drastischen Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr, und weltweiten Einreisebeschränkungen, Quarantänemaßnahmen und der Einschränkung des öffentlichen Lebens in vielen Ländern zu rechnen ist. Das Risiko, dass Sie ihre Rückreise aufgrund der zunehmenden Einschränkungen nicht mehr antreten können, ist in vielen Destinationen derzeit hoch.“

Jedermann habe im September 2020 klar sein müssen, dass eine Pauschalreise nach Ägypten im Dezember 2020 nicht stattfinden könne, da eine Infektionswelle zu erwarten gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 515,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von Honoraransprüchen seines Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 143,84 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Reise sei zum Zeitpunkt des Rücktritts weder durch außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt gewesen, noch sei absehbar gewesen, dass dies der Fall sein werde. Insbesondere sei die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes kein Anlass für eine kostenlose Stornierung. Etwaige Sicherheitsmaßnahmen und Hygienevorschriften hätten den Kläger ebenso in der Bundesrepublik treffen können, dies gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko. Die vereinbarte Stornopauschale von 40 % sei angemessen. Dies entspreche dem branchenüblichen Schaden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Reiserücktritt wegen pandemiebedingter Reisewarnung
(Symbolfoto: Heiko Kueverling/Shutterstock.com)

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der in Höhe von 515 € geleisteten Anzahlung gemäß § 651h Abs. 5 BGB, da der Kläger vom Vertrag zurückgetreten ist und die Beklagte hierdurch den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren hat, § 651h Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB.

Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer pauschalen Entschädigung in Höhe der geleisteten Anzahlung gemäß § 651h Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BGB in Verbindung mit der in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen niedergelegten Stornoklausel.

Gemäß § 651h Abs. 3 BGB kann der Reiseveranstalter nämlich dann keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Nach ersichtlich herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist für die Beurteilung dieser Voraussetzungen darauf abzustellen, ob zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung eine nicht nur unerhebliche Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie erheblich beeinträchtigt sein würde, vergleiche etwa Sprau in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Aufl., § 651h Rn. 13a mit Nachweisen.

Hiervon ist aufgrund des Vortrags der Parteien und aufgrund der allgemeinkundigen Umstände auszugehen. Maßgeblich ist dabei, dass für das außereuropäische Ausland, mithin auch für das hier gegenständliche Reiseziel Ägypten, die im Tatbestand zitierte Reisewarnung des Auswärtigen Amtes zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung Bestand hatte. Nach dem Inhalt der Reisewarnung war damit zu rechnen, dass die Reise aufgrund behördlicher Anordnungen, nämlich aufgrund eines generellen Einreiseverbotes oder aufgrund eines Verbotes des Hotelbetriebs vereitelt werden würde. Es war zudem nach ihrem Inhalt damit zu rechnen, dass im Fall der Möglichkeit der Einreise und des Hotelaufenthaltes die Reise erheblich beeinträchtigt sein würde. Hier kam es insbesondere in Betracht, dass aufgrund behördlicher Anordnungen die Bewegungsfreiheit der Reisenden vor Ort derart eingeschränkt sein könnte, dass der Zweck eines Erholungs- und Badeurlaubes nicht mehr erreicht werden könnte. Schließlich kam es in Betracht, dass aufgrund behördlicher Anordnungen die Reise abgebrochen werden müsste oder die Rückreise nicht zur vertraglich vereinbarten Zeit erfolgen könnte.

Aufgrund der gegebenen Umstände bestand zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung für eine Vereitelung oder eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise auch eine erhebliche Wahrscheinlichkeit. Im September 2020 wurde – dies ist allgemeinkundig – von vielen Vertretern aus Politik und Wissenschaft über die Medien die Erwartung geäußert, dass die Pandemie sich in den folgenden Wochen wieder weltweit verstärkt ausbreiten werde. Diese durch die tatsächliche Entwicklung bestätigte Erwartung hat in der Zeit ab November 2020 auch zu entsprechenden Beschränkungen touristischer Aktivitäten geführt.

Der Ansicht der Beklagten, die pandemiebedingten Auswirkungen gehörten zum allgemeinen Lebensrisiko und seien kein Reisemangel, ist nicht zu folgen. Die drohenden behördlichen Restriktionen führen im Fall ihres Eintritts dazu, dass sich die Reise nicht mehr im Sinne des § 651i Abs. 2 Nummer 1 BGB für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen des gebuchten Erholungsurlaubes eignet. Es ist danach unerheblich, inwieweit durch im Zusammenhang mit der Pandemie getroffene obrigkeitliche Anordnungen auch zu einer Beeinträchtigung der allgemeinen Lebensumstände führen.

Nach alledem kann dahinstehen, ob die über die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten vereinbarte Stornopauschale von 40 % des Reisepreises wirksam ist.

Die geltend gemachte Zinsforderung ist gemäß §§ 291, 288 BGB begründet.

Der Kläger hat zudem unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Verzugs gemäß §§ 280, 286 BGB Anspruch auf Freistellung von den Gebührenforderungen seines Rechtsanwaltes, denen er durch den erteilten Auftrag zur außergerichtlichen der Beitreibung seiner Forderung ausgesetzt ist. Die Beklagte befand sich mit der Rückzahlung der geleisteten Anzahlung gemäß § 651h Abs. 5 BGB 14 Tage nach Rücktritt, mithin vor Beauftragung des klägerischen Rechtsanwaltes im Verzug. Der Kläger durfte es auch für erforderlich erachten, hier einen Rechtsanwalt mit der außergerichtlichen Beitreibung seiner Forderung zu beauftragen, zumal er als Verbraucher einem Unternehmer gegenüberstand. Die Forderung ist auch der Höhe nach begründet. Insoweit wird auf die Berechnung Seite 2 des klägerischen Schreibens vom 19.11.2020, Anlage zur Klageschrift Blatt 7, 8 der Akten, Bezug genommen.

Es war gemäß § 511 Abs. 4 ZPO die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen. Dies ist zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Es sind bei den Gerichten eine Vielzahl von Klagen anhängig, die die Frage zum Gegenstand haben, ob bei einem Rücktritt im Zusammenhang mit der Pandemie die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB gegeben sind. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Obergerichtliche Rechtsprechung existiert bislang nicht.

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