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Reiserücktritt bei Thrombosegefahr

LG Arnsberg

Az: I-4 O 238/11, 4 O 238/11

Urteil vom 08.09.2011


I. 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.688,00 €nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2011 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2011.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 13 % und die Beklagte zu 87 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar und zwar für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Ersatz von Stornokosten nach Reiserücktritt aus einem mit der Beklagten geschlossenen Reiserücktrittsvertrag.

Die Klägerin wollte für sich und ihren Ehemann im Herbst 2010 bei der Firma F1 im Zeitraum vom 01.03.2011 bis 20.03.2011 eine Schiffskreuzfahrt nach Südamerika mit Hin- und Rückflug buchen. Zu dem Zeitpunkt war die Reise jedoch ausgebucht.

Daraufhin buchte die Klägerin für sich und ihren Ehemann am 27.12.2010 eine ebenfalls von der Firma F1 angebotene Kreuzfahrt in Asien für den Zeitraum vom 29.04. bis 17.05.2011 mit Hinflug von Frankfurt nach Denpasar und Rückflug von Ho Chi Minh City nach Frankfurt.

Mit dieser Buchung war eine Reiserücktrittsversicherung mit der Beklagten verbunden.

Dabei war die Beklagte nach den zugrunde legenden Versicherungsbedingungen (VG-ERV 2007) nur zur Erstattung von Stornokosten verpflichtet sofern bei Buchung der versicherten Reise mit dem Eintritt dieses Ereignisses, das Grund für das Reisestorno war, nicht zu rechnen war. Versicherte Ereignisse war hiernach unter anderem auch eine unerwartete schwere Erkrankung (vgl. § 2 Abs. 1 b, Abs. 2 c der VB-ERV 2007). Zu erstatten waren bei Eintritt des Versicherungsfalls die Stornokosten abzüglich eines von der versicherten Person zu tragenden Selbstbehalts von 20 % (§ 7 der VB-ERV 2007).

Im Januar 2011 wurde der Klägerin seitens der F1 mitgeteilt, dass noch Plätze für die Südamerikareise frei waren. Hiernach buchte die Klägerin auch diese Reise für den Zeitraum vom 01.03. bis 20.03.2011.

Ebenfalls im Januar 2011 stellt die Klägerin Veränderungen an ihren Krampfadern in Form von Verdickungen fest. Dabei hatte die Klägerin unstreitig jedenfalls bereits im Jahr 2001 unter Krampfadern gelitten und sich am 19.11.2001 einer Venenoperation unterzogen. Anlässlich dieser Operation war der Klägerin mitgeteilt worden, dass sie sich bei erneutem Auftreten von Krampfadern einer neuerlichen Behandlung unterziehen sollte.

Deshalb ließ sich die Klägerin im Januar 2010 einen Arzttermin bei Dr. P1 im Venenzentrum der F2 Klinik in O1 geben.

Am 08.02.2011 fand der Arzttermin statt. Es wurde ein Operationstermin auf den 24.05.2011 bestimmt. Am 28.02.2011 fand dort eine weitere Voruntersuchung statt. Gemäß der Bescheinigung von Dr. P1 zur Vorlage gegenüber der Beklagten vom 15.02.2011 wurde ein beidseitiges Krampfaderleiden diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt bestanden hiernach aus ärztlicher Sicht keine Bedenken gegen einen Langstreckenflug.

In der Zeit vom 01.03.2011 bis 20.03.2011 befanden sich die Klägerin und ihr Ehemann auf der gebuchten Südamerikareise. Bei dem Rückflug spürte die Klägerin Schmerzen in den Beinvenen. Anschließend riet ihr Hausarzt ihr wegen einer Thrombosegefahr von der bevorstehenden Asienreise ab.

Die Klägerin stornierte daraufhin die gebuchte Asienreise bei der Firma F1. Diese belastete sie mit Rechnung vom 25.03.2011 mit Stornokosten in Höhe von 9.610,00 €.

Unter dem 31.03.2011 erstellte der Hausarzt der Klägerin, P2, eine ärztliche Bescheinigung zur Vorlage gegenüber der Beklagten, wonach eine erste Behandlung der bei der Klägerin bestehenden Erkrankung bereits vor 5 Jahren und am 20.03.2011 ein Rezidiv der Krankheit aufgetreten sei.

Am 03.04.2011 lehnte die Beklagte eine Erstattung der Stornokosten mit der Begründung ab, bei der Klägerin bestehe unstreitig seit vielen Jahren ein Venenleiden. Es sei bekannt, dass auf Langstreckenflügen das Thromboserisiko erhöht sei. Mit Veränderungen dieser Art sei zu rechnen gewesen, deshalb handle es sich nicht um eine unerwartete schwere Erkrankung.

Daraufhin schaltete die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten ein, der unter dem 12.05.2011 erneut zur Zahlung aufforderte.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 13.05.2011 ihre Eintrittspflicht erneut ab. Gleiches erfolgte unter dem 23.05.2011.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei zur Erstattung der Stornokosten abzüglich des Selbstbehalts von 20 % verpflichtet.

Sie habe seit der Venenoperation in 2001 keinerlei Beschwerden an den Venen gehabt. Entsprechend habe sie auch ohne Probleme Flugreisen im Jahr 2010 (von Hamburg in den Iran, nach Usbekistan, Jordanien, Syrien) und die Südamerikareise machen können.

Soweit in der ärztlichen Bescheinigung von P2 aufgeführt sei, die Erkrankung habe bereits vor 5 Jahren bestanden, sei diese Zeitangabe unzutreffend. Für sie sei zum Zeitpunkt der Buchung und auch bis zum Abschluss der Südamerikareise nicht mit einer Thrombosegefahr zu rechnen gewesen. Sie habe sich zu einer medizinischen Behandlung zunächst primär aus kosmetischen Gründen entschlossen. Dazu habe man ihr nach der ersten Operation im Jahr 2001 bereits geraten, sich bei erneutem Auftreten von Krampfadern ärztlich behandeln zu lassen. Dabei sei sie bis zum Rückflug von der Südamerikareise beschwerdefrei gewesen. Erst auf dem Rückflug seien Schmerzen aufgetreten. Vor diesem Hintergrund sei zum Zeitpunkt der Buchung eine Thrombosegefahr für sie nicht erkennbar gewesen.

Nachdem sie ursprünglich den ungekürzten Stornobetrag in Höhe von 9.610,00 € nebst vorgerichtlicher Anwaltsgebühren geltend gemacht hat, hat sie die Klage mit Schriftsatz vom 02.09.2011 teilweise zurückgenommen.

Sie beantragt nunmehr:

1. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.688,00 €nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2011 zu zahlen,

2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2011.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Rechtsauffassung, die Eintrittspflicht sei ausgeschlossen, weil es sich bei der eingetretenen Thrombosegefahr nicht um eine unerwartete schwere Erkrankung gehandelt habe. Für die Klägerin sei bereits bei der Buchung mit dem Eintritt einer Thrombosegefahr zu rechnen gewesen. Dies ergebe sich aus dem zeitlichen Ablauf. Bei einem behandlungsbedürftigen Befund im Januar 2011 sei davon auszugehen, dass dieser sich auch kurze Zeit zuvor – zum Zeitpunkt der Buchung am 27.12.2010 – so dargestellt habe. Es handele sich hierbei lediglich um eine Verschlechterung einer bereits am Buchungstag bestehenden Erkrankung.

Dass der behandelnde Arzt Dr. P1 mit Stellungnahme vom 10.05.2011 rückwirkend bescheinigt habe, noch am 28.02.2011 hätten keine Bedenken gegen einen Langstreckenflug vorgelegen, entlaste die Klägerin nicht. Denn maßgeblich sei insoweit lediglich, ob das Ereignis für die Klägerin unerwartet gewesen sei.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Stornokosten abzüglich des Selbstbehalts gem. § 1 VVG i. V. m. §§ 1 a) i. V. m. § 2 Ziff. 1b und Ziff. 2c der Versicherungsbedingungen der Beklagten zu.

Denn die Klägerin hat die Reise wegen einer unerwarteten schweren Erkrankung storniert, mit der bei Buchung nicht zu rechnen war.

Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine Thrombosegefahr eine schwere Erkrankung darstellt, die nach den Versicherungsbedingungen zum Storno der Reise berechtigt hat.

Es ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin mit dem Eintritt einer Thrombosegefahr bei Buchung der Reise am 27.12.2010 nicht rechnen musste.

Entscheidend ist dabei, ob ein vernünftiger unversicherter Reisender in der Situation und mit dem Kenntnisstand des Versicherungsnehmers von der Reise abgesehen hätte. „Unerwartet“ bedeutet dabei nicht, dass die Erkrankung nach Reisebuchung und Versicherungsabschluss völlig neu entstehen muss. Auch bei der plötzlichen Verschlechterung einer bekannten und auch chronischen Erkrankung, die vorher die Reise nicht in Frage stellte, besteht Versicherungsschutz, wenn diese Verschlechterung erheblich war.

Maßgeblich ist die Wahrscheinlichkeit, mit der eine solche Verschlechterung zu erwarten war (vgl. Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz / VB-Reiserücktritt 2008 § 2 Rn. 8, 10 m. w. N.).

Der Versicherer ist dabei für die subjektiven und die objektiven Voraussetzungen des Ausschlusses beweispflichtig (vgl. Prölss/Martin, a. a. O. § 3 Rn. 3).

Vorliegend steht hierzu lediglich fest, dass die Klägerin im Jahr 2001 eine Venenoperation hinter sich gebracht hatte und im Januar 2011 das erneute Auftreten von Krampfadern feststellte.

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass bereits zum Zeitpunkt der Buchung am 27.12.2010 ein so erheblicher Befund bei der Klägerin bestand, dass sie mit einer Thrombosegefahr bei Durchführung einer Flugreise rechnen musste.

Denn ein Krampfaderleiden lässt aus Sicht eines vernünftigen Versicherten nicht ohne weiteres die Vermutung zu, es könne eine erhebliche Thrombosegefahr, die über die für jeden Fernreisenden bestehende Gefahr hinaus geht, bestehen.

Einen solchen Rückschluss lässt auch nicht die ärztliche Bescheinigung P2 vom 31.03.2011 zu, wonach bei der Klägerin eine Erkrankung bereits vor 5 Jahren bestanden hat. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, lässt dies nicht den Rückschluss zu, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Buchung ein so erhebliches Krampfaderleiden bestand, dass mit einer erhöhten Thrombosegefahr zu rechnen war.

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Soweit die Beklagte sich zu Begründung ihres Tatsachenvortrages auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft, käme dies einer bloßen Ausforschung gleich, so dass diesem Beweisangebot nicht nachzugehen war.

Denn belastbare Anhaltspunkte für eine erhebliche Erkrankung der Klägerin zum Zeitpunkt der Buchung bestehen nicht. Maßgeblich ist insoweit vielmehr die ärztliche Beurteilung von Dr. P1, dass am 28.02.2011 noch keine Bedenken gegen die Durchführung eines Langstreckenfluges bestanden haben. Danach kann es auch nicht von einem medizinischen Laien verlangt werden, mit dem Eintritt einer Thrombosegefahr zu rechnen.

Zwar hat die Klägerin sich am 03.04.2011 vor Antritt der im Zeitraum vom 29.04. bis 17.05.2011 stattfindenden Reise operieren lassen und war hiernach offenbar beschwerdefrei. Allerdings war ihr aus medizinischer Sicht eine Fernreise in derart kurzem zeitlichen Abstand nicht zuzumuten. Denn eine erhöhte Thrombosegefahr bestand auch hiernach noch fort. Dies wird bereits aus dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin ersichtlich, sie habe noch für ca. 4 Wochen nach der Operation Stützstrümpfe tragen müssen. Insoweit hat sich auch die Beklagte nicht darauf berufen, dass die Klägerin zum Antritt der Reise nach Durchführung der Operation am 03.04.2011 bereits wieder in der Lage gewesen wäre.

2. Der Klägerin steht unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gem.§§ 280 Abs. 2, 286 BGB auch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Die Beklagte befand sich nach Ablehnung der Forderung mit Schreiben vom 26.04.2011 in Verzug, so dass die für die Einschaltung eines Rechtsanwaltes anfallenden Kosten als Verzugsschaden erstattungsfähig sind.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat insoweit auch Zahlung durch die Klägerin anwaltlich versichert, sodass auch bereits Zahlung und nicht lediglich Freistellung verlangt werden konnte.

Der Beklagten war kein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 02.09.2011 zu gewähren, da dieser Schriftsatz keinen neuen Sachvortrag enthält, auf den die Beklagte nicht bereits reagiert hätte. Auch die Anhörung der Klägerin hat keine neuen Gesichtspunkte erbracht, für die eine weitere Stellungnahme der Beklagten erforderlich erschien, die nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hätte erfolgen können.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 abs.1, 269 Abs. 3 S. 2, 708 Nr. 11, 709 ZPO.

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