LG Frankfurt – Az.: 2/4 O 167/18 – Urteil vom 30.01.2019
Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land Betrag in Höhe von 20.878,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2018 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem klagenden Land alle weiteren Schäden und Forderungen zu ersetzen, die dem klagenden Land aus dem von dem Beklagten verursachten Fahrradunfall am 28.06.2016 und den daraus resultierenden Verletzungen des Bediensteten des klagenden Landes, Herrn…., etwa wegen weitergehender Heilbehandlungskosten, zusätzlichen Dienstausfalls oder sonstiger Ersatzkosten entstehen.
Die Kosten des Rechtsstreites hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Das klagende Land macht mit der vorliegenden Klage Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht gemäß § 57 HBG gegen den Beklagten geltend, die aus einem Fahrradunfall seines Bediensteten …resultieren.
Der Bedienstete des klagenden Landes, Herr …, befuhr am 28.06.201 als Teil einer etwa 17-köpfigen Rennradgruppe den für den Verkehr freigegebenen Verbindungsweg zwischen Friedrichsdorf-Köppern und Wehrheim aus Richtung Frankfurt am Main kommend. Auch der Beklagte war Teil dieser Fahrradgruppe. Herr … ist Lehrer im Beamtenverhältnis an einer Grundschule im Main-Taunus-Kreis.
Auf dem vorgenannten Streckenabschnitt weist der Verbindungsweg ein Gefälle von ca. 5-10 % auf. Das Fahrerfeld war weit auseinandergezogen. Nur vereinzelt fuhren Mitglieder der Fahrradgruppe nebeneinander. Die Fahrradfahrer erreichen auf diesem Streckenabschnitt Geschwindigkeiten von etwa 40-60 km/h. Herr… befuhr als einer der letzten der Fahrradgruppe den Streckenabschnitt auf der rechten Fahrbahnseite. Links neben dem Herrn… auf etwa gleicher Höhe fuhr der Zeuge Dr….. Der Beklagte versuchte in dieser Situation die Zeugen… und Dr…. links zu überholen. Die Fahrbahn war circa 3,5 m breit. Aufgrund der eingeschränkten Platzverhältnisse musste der Beklagte die asphaltierte Straße verlassen und nach links auf den unbefestigten Seitenstreifen auszuweichen. Nach dieser Aktion kam es zu einer Berührung des Beklagten mit dem Zeugen Dr. …, welcher daraufhin wiederum den Zeugen… touchierte. Alle drei Radfahrer sowie eine hinter dieser Teilgruppe fahrende Zeugin … stürzten. Der Zeuge … wurde gegen einen am rechten Straßengraben liegenden Baumstamm geschleudert. Er zog sich durch diesen Sturz erhebliche Kopfverletzungen zu, die stationär behandelt werden mussten und zu einer vorübergehenden Dienstunfähigkeit des Zeugen… führten. Unter anderem erlitt der Zeuge… durch den Aufschlag auf dem Baumstamm ein Schädel-Hirn-Trauma. Er war bis zum 06.07.2016 in stationärer Behandlung. Das klagende Land forderte den Beklagten mit Schreiben vom 10.11.2016 und 19.02.2018 zur Erstattung der verauslagten Beträge auf.
Das klagende Land ist der Ansicht, der Beklagte hätte bei zutreffender Einordnung der Gegebenheiten an dieser Stelle unter keinen Umständen einen Überholvorgang einleiten dürfen. Es sei ersichtlich kein ausreichender Platz für den Überholvorgang vorhanden gewesen. Der Zeuge… sei bis zum 30.08.2016 dienstunfähig gewesen.
Das klagende Land beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an das klagende Land Betrag in Höhe von 20.878,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2018 zu zahlen; festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem klagenden Land alle weiteren Schäden und Forderungen zu ersetzen, die dem klagenden Land aus dem von dem Beklagten verursachten Fahrradunfall am 28.06.2016 und den daraus resultierenden Verletzungen des Bediensteten des klagenden Landes, Herrn …., etwa wegen weitergehender Heilbehandlungskosten, zusätzlichen Dienstausfalls oder sonstiger Ersatzkosten entstehen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, der Zeuge… habe im Zuge der Bergabfahrt, gerade als er diesen habe überholen wollen, unvermittelt seine Fahrlinie nach links verändert. Hierdurch habe er den asphaltierten Fahrbahnbereich verlassen müssen und anschließend die Kontrolle über sein Fahrrad verloren.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 05.12.2018 (Bl. 55 d.A.) durch Vernehmung der Zeugen…, Dr. … und …. Zudem hat das Gericht den Beklagten informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2018 (Bl. 53 ff. d.A.) Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Dem klagenden Land stehen gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1 S. 1, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 57 HBG zu.
Der Beklagte hat den Zeugen… erheblich an der Gesundheit geschädigt. Dass es im Zusammenhang mit dem von dem Beklagten durchgeführten Überholmanövers zu dem streitgegenständlichen Sturzereignis gekommen ist, infolgedessen der Zeuge… erheblich verletzt wurde, ist zwischen den Parteien unstreitig.
Das Gericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zudem davon überzeugt, dass dem Beklagten im Zusammenhang mit dem Fahrradunfall ein grober Pflichtverstoß vorzuwerfen ist, weshalb ein Haftungsausschluss nach den Grundsätzen einer gemeinsamen Sportveranstaltung nicht eingreift. Zwar kann bei gemeinsamen Sportveranstaltungen im Einzelfall die Inanspruchnahme eines Schädigers ausgeschlossen sein, wenn lediglich ein einfach gelagerter Sorgfaltspflichtverstoß vorliegt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Beklagte erheblich gegen die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem Fahrradsport verstoßen hat. Denn er hat ohne Not eine vermeidbare und massive Gefährdungssituation geschaffen, die von den anderen Teilnehmern nicht hingenommen werden musste. Der Sorgfaltspflichtverstoß des Beklagten geht dabei über das typischerweise bei einer gemeinsamen Fahrradausfahrt bestehende Risiko hinaus. Der Beklagte hatte bei dem Überholmanöver keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Rad des Zeugen Dr. … eingehalten und auch sonst in keiner Weise dafür Sorge getragen, dass die zu Überholenden sich auf das Manöver einstellen konnten.
Der Beklagte erklärte in seiner informatorischen Anhörung, dass vor Durchführung des Überholmanövers mehr als eine Lenkerbreite Platz gewesen sei. Der Zeuge Dr. … habe indes während des Überholens seine Fahrlinie plötzlich verlassen, woraufhin es zu der Kollision gekommen sei. Dieser Vortrag des Beklagten wurde indirekt durch den Zeugen Dr. … bestätigt, der aussagte, dass er nach circa einem Drittel der Wegstrecke wieder angetreten habe und dadurch in gewissem Maße auch seitlich schwankte bzw. die vorherige Fahrlinie nicht mehr 100 % einhielt. Der Beklagte musste auf dem lediglich circa 3,5 m breiten Streckenabschnitt, auf welchem die Fahrer auch ohne aktives Treten Geschwindigkeiten von ca. 40 km/h erreichen, jederzeit damit rechnen, dass ein Mitfahrer aus dem einfachen Rollen doch in ein aktives Treten übergeht und damit zwangsläufige Bewegungen zur Seite ausführt. Der Beklagte musste gerade bei Durchführung eines Überholvorgangs mit Schwankungen des Überholten rechnen und bei seinem Überholvorgang im Rahmen eines Sicherheitsabstandes miteinkalkulieren. Aufgrund dieser Umstände, die sich letztlich auch verwirklicht haben, hätte der Beklagte einen Überholvorgang bereits nicht einleiten dürfen, da die Fahrbahn keinen ausreichenden Platz ließ, bei Schwankungen des Überholten auszuweichen. Der Beklagte hätte auch berücksichtigen müssen, dass der zu überholende Dr. …nicht ausreichend durch Geräusche des sich von rückwärts nähernden Beklagten vorgewarnt wurde. Auch soweit der Beklagte erklärte, es habe zum linken Fahrbahnbereich ein Abstand von mehr als einer Lenkerbreite bestanden, vermag ihn dies nicht entlasten. Für den seitlichen Abstand kommt es nicht auf den Abstand zwischen den Fahrlinien an, sondern auf den Abstand zwischen dem Körper des Beklagten und dem des Zeugen Dr….. Diese ragen, wie bei jedem Radfahrer seitlich über die Mitte des Fahrrades hinaus. Zwar konnte keiner der vernommenen Zeugen letztlich exakte Angaben zum jeweiligen Abstand machen, die Zeugen bekundeten indes übereinstimmend, dass insgesamt zu wenig Platz gewesen sei, für einen Überholvorgang des Beklagten. Der Beklagte hätte den Überholvorgang jedenfalls so lange nicht durchführen dürfen, bis er sich vergewisserte, dass die zu Überholenden Kenntnis von seinen Absichten hatten und sich hierauf einrichten konnten.
Der Zeuge… bekundete, dass er gemeinsam mit dem Zeugen Dr. …den streitgegenständlichen Streckenabschnitt hinabgerollt sei und hierbei eine Geschwindigkeit von ca. 40 km/h erreicht habe. Sie hätten sich auf der Fahrbahn eher nach rechts orientiert und zwischen ihm und dem Zeugen Dr. …habe sich ein Abstand von circa einem Meter befunden. Der Zeuge Dr. … bekundete, es sei sehr wenig Platz gewesen, wenn man zu zweit nebeneinander fahre, dass eine dritte Person noch überholen könne. Er habe nie damit gerechnet, überholt zu werden. Es handele sich um eine Trainingsstrecke, die sehr häufig befahren werde und bei der es üblich sei, dass man auf dem Weg nach oben Leistung bringe, den Weg nach unten indes entspannt ausrolle. Nichtsdestotrotz erreiche man auch bei dem bloßen Ausrollen aufgrund des Gefälles Geschwindigkeiten von circa 40 km/h. Er sei im Verhältnis zum Zeugen… nicht dicht an dicht, sondern mit einem gewissen Abstand gefahren. Es habe sich um mindestens 50 cm gehandelt. Der Abstand des Herrn… zum rechten Fahrbahnrand habe circa 50 cm betragen. Es sei links von ihm sehr wenig Platz gewesen, vielleicht eine Lenkerbreite, d.h. vielleicht 40 oder 50 cm. Auch die Zeugin … bekundete, dass der Abstand des Zeugen… zum rechten Fahrbahnbereich so gewesen sei, dass kein Fahrrad rechts hätte überholen können. Für den linken Fahrbahnbereich bekundete sie, dass jedenfalls nicht mehr genug Platz gewesen sei, um einen Sicherheitsabstand einhalten zu können. Es sei gerade so viel Platz gewesen, dass sich zwei Lenker nicht berühren. Es habe sich im Millimeterbereich bewegt. Der Beklagte sei nach ihrem Eindruck sehr schnell gefahren. Sie selbst würde jedenfalls auf diesem Streckenabschnitt nicht überholen, wenn zwei Personen nebeneinander fahren. Nach ihrer Erfahrung und Wahrnehmung sei es zudem so, dass kein Radfahrer stets 100 % schnurstracks geradeaus fahre. Sie könne die Bandbreite der Veränderungen nicht genau angeben, es könne sich aber durchaus im Bereich von 10 – 20 cm bewegen.
Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Beklagte die Zeugen Dr. … und… durch den Überholvorgang einem unnötigen Risiko ausgesetzt, welches sich dann in dem Unfall verwirklichte. Es handelte sich um eine Trainingsfahrt, bei der zudem auf dem Weg nach unten keine sportlichen Leistungen mehr erbracht wurden, sondern nur noch locker ausgefahren wurde. Es bestand objektiv kein Anlass, die Mitfahrenden durch den mangelnden Sicherheitsabstand einem derart erheblichen Sturzrisiko auszusetzen. Jedenfalls hätte sich der Beklagte bemerkbar machen und seinen Überholvorgang so lange zurückstellen müssen, bis die zu Überholenden hierauf reagieren konnten.
Die Klage ist auch der Höhe nach begründet. Das klagende Land hat durch die Vorlage der Anlagen K 3 – K 18, bei denen es sich auch um Urkunden im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO handelt, sowie durch die Schadensaufstellung auf Blatt 6 ff. der Akte, den Nachweis geführt, dass die in Rechnung gestellten Kosten durch das klagende Land verauslagt wurden. Das Land … ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Behörde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO. Selbst wenn man – entgegen der Auffassung des Gerichts – nicht von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des § 418 ZPO ausgehen würde, so streiten die Anlagen K 3 – K 18 und die Schadensaufstellung jedenfalls prima facie für die Erforderlichkeit und Richtigkeit der geltend gemachten Beträge. Das klagende Land ist als Träger der Beihilfe fortwährend mit der Gewährung und Finanzierung von Krankenkostenerstattungen beschäftigt. Da konkrete Mängel in der Abrechnungsorganisation des klagenden Landes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, spricht eine Vermutung für die ordnungsgemäße Abrechnung der streitgegenständlichen Kosten. Hinzu kommt, dass die Verletzungen, welche der Zeuge … erlitten hat, zwischen den Parteien unstreitig sind. Auch aus diesem Grund ist das pauschale Bestreiten des Beklagten zur Forderungshöhe in keinem Fall geeignet, den klägerischen Vortrag in Zweifel zu ziehen.
Der Feststellungsantrag ist gleichfalls begründet. Das klagende Land hat ein Interesse an der Feststellung künftiger Einstandspflichten des Beklagten.
Dem Gericht ist aufgrund zahlreicher Verfahren aus dem Bereich des Arzthaftungs- sowie Verkehrsunfallrechts bekannt, dass gerade nach schweren Unfällen mit Knochenbrüchen, wie bei dem Zeugen …, es ohne weiteres möglich ist, dass sich beispielsweise im weiteren Verlauf noch Arthrosen entwickeln oder aktivieren. Gleichfalls kann es unter Umständen zu Chronofizierung von Schmerzempfindungen kommen. Eventuell entwickeln sich aufgrund des Unfalls chronische Belastungen oder Verspannungen, die häufig aufgrund von Schmerzen und daraus resultierender Schonhaltungen entstehen. Die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts, der weitere Heilbehandlungskosten generiert oder gegebenenfalls auch in einer Dienstunfähigkeit des Zeugen … münden könnte, ist vorliegend jedenfalls nicht sicher ausgeschlossen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit.