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Rentenantrag: gesetzliche Krankenkasse kann Versicherten nicht zur Stellung eines Rentenantrags zwingen

Landessozialgericht Baden-Württemberg

Az.: L 11 KR 936/06

Urteil 11.07.2006

Vorinstanz: Sozialgericht Freiburg, Az.: S 11 KR 1691/04, Urteil vom 03.01.2006


Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufforderung, einen formellen Rentenantrag zu stellen, streitig.

Der am 22.08.1941 geborene Kläger ist ausgebildeter Maschinenschlosser und arbeitet seit 14 Jahren in einem mittelständischen Betrieb als Reparateur von Druckgussmaschinen. Seit dem 18.12.2003 ist er arbeitsunfähig erkrankt und bezog vom 23.01.2004 bis 01.06.2005 von der Beklagten Krankengeld.

Die Beklagte hörte daraufhin zunächst den behandelnden Arzt an. Der Neurochirurg Dr. B. führte aus, der Kläger sei auf Dauer arbeitsunfähig und erhalte gegenwärtig ambulante Physiotherapie bzw. werde psychiatrisch mitbehandelt. Aus seiner Sicht sei eine Berentung wegen voller Erwerbsminderung angezeigt.

Hierauf veranlasste die Beklagte eine Begutachtung des Klägers nach ambulanter Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). In seinem Gutachten führte Dr. N. aus, der Kläger leide an einer Cervikobrachialgie C6/7 links und einem Taubheitsgefühl der linken Hand bei Bandscheibenvorfall C6/7 sowie degenerativen LWS-Veränderungen mit Wurzelreizsyndrom L5 und S1 rechts und einem Zustand nach Darmverschluss 4/02. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei bereits wegen der chronischen, belastungsabhängigen Lumboischialgie nur noch grenzwertig ausführbar gewesen. Durch den cervikalen Bandscheibenvorfall müsse die Erwerbsfähigkeit zumindest als erheblich gefährdet, wenn nicht als gemindert angesehen werden. Der Kläger selbst gehe nicht davon aus, dass er seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit wieder aufnehmen könne. Er empfehle daher das Verfahren nach § 51 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einzuleiten.

Nach Durchführung eines Beratungsgesprächs forderte die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 02.03.2004 auf, bis spätestens 11.05.2004 einen Antrag auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation zu stellen.

Den Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe wies die Beigeladene mit Bescheid vom 18.03.2004 mit der Begründung ab, sein Antrag gelte als Rentenantrag, da er vermindert erwerbsfähig sei und ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten wäre. Gleichzeitig wurde er deshalb aufgefordert, möglichst bei einer dafür zuständigen Stelle (z.B. Versicherungsämter bzw. Stadt- oder Gemeindeverwaltungen, Regionalzentrum oder Außenstelle der LVA Baden-Württemberg, Versichertenberater) unter Vorlage dieses Schreibens einen formellen Rentenantrag zu stellen. Erst nach Vorliegen dieses Antrages könnten die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für den Rentenanspruch geprüft werden. Falls er keinen formellen Rentenantrag stellen wolle, so werde gebeten dies unverzüglich mitzuteilen. Hierfür sei allerdings die Zustimmung der Krankenkasse oder des Arbeitsamtes erforderlich. Hiergegen legte der Kläger am 17.05.2004 Widerspruch ein, wobei das Widerspruchsverfahren als ruhend gestellt wurde.

Die Beklagte forderte den Kläger mit Bescheid vom 23.04.2004 auf, bis zum 12.05.2004 bei der Verwaltung seiner Gemeinde einen formellen Rentenantrag zu stellen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, er könne zur Stellung eines formellen Rentenantrags nicht verpflichtet werden, sondern allenfalls zur Antragstellung von Leistungen zur Rehabilitation.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger könne der Umdeutung seines Antrages auf medizinische Maßnahmen zur Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben in einen Rentenantrag nur mit Zustimmung der Krankenkasse widersprechen. Daraus resultiere, dass er nicht darauf verzichten könne, einen formellen Rentenantrag zu stellen. Das Gesetz räume der Krankenkasse das Recht ein, einen Versicherten zu verpflichten, aktiv an der Erfüllung einer vorrangigen Leistungspflicht des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers mitzuwirken.

Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Beklagte sei nicht befugt, ihn zur Rentenantragstellung aufzufordern. Er sei auch nicht verpflichtet, einen solchen Rentenantrag zu stellen oder einer Umdeutung seines Rehabilitationsantrages in einen Rentenantrag zuzustimmen. Deswegen habe er auch gegen den Bescheid der LVA Württemberg vom 18.03.2004 Widerspruch erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.01.2006, der Beklagten zugestellt am 31.01.2006, hob das SG die angefochtenen Bescheide der Beklagten mit der Begründung auf, das Gesetz räume der Krankenkasse keine Befugnis ein, die Stellung eines „formellen Rentenantrags“ zu fordern. Der Versicherte sei im Rentenverfahren gegenüber dem Rentenversicherungsträger zur Mitwirkung verpflichtet. Eine derartige Verpflichtung bestehe jedoch nicht gegenüber dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Recht einer Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung sei deswegen auch nur dem Träger der Rentenversicherung eingeräumt.

Mit ihrer dagegen am 23.02.2006 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, die Beigeladene habe trotz der Fiktion des § 116 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf einer formellen Rentenantragstellung bestanden. Zwar werde das Verhalten als entbehrlich angesehen, in seiner Konsequenz sogar als rechtlich fragwürdig erachtet. Denn es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass nach Aufforderung zur Stellung eines Rehabilitationsantrages durch die Krankenkasse der Versicherte diesen Antrag nur noch mit Zustimmung des gesetzlichen Krankenversicherungsträgers wirksam zurücknehmen oder beschränken könne. Durch diese eingeschränkte Dispositionsbefugnis des Versicherten habe die Krankenkasse die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Rentenbeginn, mithin auf einen frühzeitigen Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld. Das Dispositionsrecht des Versicherten habe nur dann Vorrang vor dem Recht des gesetzlichen Krankenversicherungsträgers, seine Krankengeldzahlung zu Lasten des nun endgültig leistenden Rentenversicherungsträger zu begrenzen, wenn durch die Vorverschiebung des Rentenbeginns erhebliche Grundansprüche erreicht oder erhalten werden könnten. In diesem Sinne seien besonders die Berücksichtigung von Ersatz-, Anrechnungs- und Zurechnungszeiten als rentenrechtliche Zeiten und die Erfüllung der Wartezeit für Renten wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres gemeint; nicht jedoch Rentenabschläge, die durch die Inanspruchnahme einer Frührente anfielen. Für die Krankenkasse sei es also erforderlich, eine ihr nachteilige Rücknahme des Rentenantrages oder ein Hinausschieben der formellen Rentenantragsstellung zu vermeiden. Werde den gesetzlichen Krankenversicherungsfällen in Umdeutungsfällen nach § 116 Abs. 2 SGB VI das Recht zur Aufforderung der formellen Rentenantragstellung – zumindest innerhalb eines Hinweises zu den Mitwirkungspflichten im Sinne der §§ 60 ff. SGB I nicht eingeräumt – gehe das aus § 51 SGB V resultierende Recht in Gänze ins Leere.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03. Januar 2006 aufzuheben und festzustellen, dass sie das Recht habe, die Stellung eines formellen Rentenantrags zu fordern.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 07.04.2006 wurde der Rentenversicherungsträger zum Verfahren beigeladen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verwaltungsakten der Beigeladenen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat nach Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg ist rechtmäßig und verletzt die Beklagte nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass sie zur Aufforderung einer formellen Rentenantragstellung durch den Kläger berechtigt war. Dies hat das SG zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Ergänzend ist auszuführen, dass sich aus der hier maßgebenden Rechtsgrundlage des § 116 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI ergibt, dass wenn der Versicherte vermindert erwerbsfähig ist und ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist, der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben als Antrag auf Rente gilt.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers vor. Die Beigeladene hat mit Bescheid vom 18.03.2004 festgestellt, dass der Kläger erwerbsgemindert ist, deswegen die Antragsfiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI gelte. Der Kläger hat hierauf nicht erklärt, sein Rehabilitationsantrag solle nicht als Rentenantrag gelten, sondern lediglich Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.03.2004 erhoben, den die Beigeladene bislang nicht beschieden hat. Folglich hätte die Beigeladene auch ohne formelle Rentenantragstellung dem Kläger die beantragte Rente bewilligen müssen, so dass es der Aufforderung der Beklagten an den Kläger zur Rentenantragstellung weder bedurft hatte noch sich hierfür eine gesetzliche Befugnis ergibt. Der Gesetzgeber hat vielmehr abschließend das Ineinandergreifen des § 51 SGB V mit der Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI geregelt (vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 07.12.2004, B 1 KR 6/03 R, SozR 4 – 2500 § 51 Nr. 1). Demgemäß kann ein Antragsteller zwar seinen Rentenantrag bis zum Ergehen eines Rentenbescheides und auch darüber hinaus – etwa bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist – zurücknehmen. Diese Dispositionsbefugnis des Versicherten ist aber nach § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeschränkt und kann nur mit Zustimmung der Beklagten vorgenommen werden. Über einen solchen Antrag muss dann die Krankenkasse nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Der Kläger hat aber seinen Antrag nicht zurückgenommen, so dass eine solche Konstellation einer eingeschränkten Dispositionsbefugnis nicht besteht. Er hat – wie eingangs ausgeführt – seinen Antrag aufrecht erhalten, so dass die Antragsfiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI voll greift und deswegen dem Bedürfnis der Krankenkasse, an einem frühzeitigen Wegfall des Krankengeldes und möglichen Erstattungsansprüchen gegen den Rentenversicherungsträger aktiv teilzunehmen, ausreichend Rechnung getragen. Deswegen bedurfte es der Aufforderung der Beklagten nicht. Ebenso gehen in diesem Zusammenhang die Hinweise des SG, der Rentenversicherungsträge könne die fehlende formelle Rentenantragstellung im Sinne einer fehlenden Mitwirkung behandeln, fehl. Der Kläger hat einen Antrag gestellt. Der Erzwingung einer formellen Antragstellung durch die Mitwirkungsregeln der §§ 60 ff. SGB I bedurfte es daher nicht.

Die Berufung der Beklagten war deswegen zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

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